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Persona 4: The Golden - Test

Figuren und Konflikte, die jeder versteht – warum machen nicht mehr Spiele so etwas?

Bis letzten Donnerstag hatte ich noch nie sieben Stunden am Tag mit nur einer notgedrungenen Unterbrechung ein Handheld-Spiel gespielt. Ich hatte schon so eine Ahnung, dass mir so etwas in der Art mit Persona 4 Golden passieren könnte, letzten Endes hat es mich dann aber doch überrascht, wie schnell die auf dem Papier schier endlose Zugfahrt vorbei war und wie wenig ich nach der Ankunft zuhause Lust hatte, den Titel beiseite zu legen. Wenn man sich dann einmal ein wenig intensiver mit diesem außergewöhnlichen Rollenspiel auseinandersetzt, relativiert sich alles Erstaunen im Handumdrehen.

Das Warten hat sich gelohnt

Dieses Update eines PS2-Spätklassikers für die darbende Vita-Community ist in Umfang und Qualität der System-Seller, der weder das routinierte, wenngleich etwas zu verspielte Uncharted: Golden Abyss noch das bezaubernde, aber letztlich vielleicht etwas zu abgehobene Gravity Rush wurden. Ein Rollenspiel, wie sie sonst eigentlich niemand mehr macht und im Grunde nie wirklich sonst jemand außer Atlus machte. Eines, das nicht von ätherischer Schönheit und entrückten Fantasiewelten mit schillernden Heldenfiguren lebt, sondern eins, dessen Welt die unsere ist, dessen Konflikte im Hier und Heute für uns (mehr oder weniger) junge Leute Relevanz haben.

Persona 4 Golden gewinnt euch für den Kampf nicht gegen ein alles vernichtendes Unheil, sondern in erster Linie gegen innere Schweinehunde, kleine Geheimnisse und große Peinlichkeiten, die jeder nur ganz allein von sich kennt. Themen, von denen Spiele im Allgemeinen noch nicht wissen, wie sie sie anpacken sollen: Verantwortung vs. Freiheit, die Wahrnehmung des Selbst durch Andere und besonders eine schön erwachsene Auseinandersetzung mit Homosexualität schultert Persona mit großem Elan und Fingerspitzengefühl. Auf diesem Wege wird es zu einer der intimsten und persönlichsten Erfahrungen des Jahres, macht euch zum Mitwisser und ertappt euch im Gegenzug auch auf ganz unterschiedlichen Ebenen - nur um euch anschließend zu sagen: "Ist schon okay! Auch das ist ein Teil von dir."

Ein spannendes Jahr zwischen Schulalltag und Mystery-Krimi.

Doch es bleibt nicht beim japanorollenspielerischen Group-Hug. Wie schon in Catherine geht der Spieler, dieses Mal in der gut geschnittenen Schuluniform eines neu ins Dörfchen Inaba gezogenen Teenagers, mysteriösen Todesfällen auf den Grund. Schon bald wird klar, dass der Midnight Channel, eine Welt auf der anderen Seite des Fernsehers, hier eine instrumentale Rolle spielt. Wer hier hineintransportiert wird, stellt sich seiner dunklen Seite und unterliegt zwangsweise, nur um am nächsten Tag leblos von einem Fahnenmast hängend in der realen Welt aufzutauchen. Wie man der Personas hinter der Mattscheibe Herr und zu einem mächtigen Kämpfer wird, das begreifen der Spieler und seine Schulfreunde recht schnell und organisieren sich als Eingreiftruppe, die Gefangene aus der anderen Seite befreit. Die Frage ist nur: Wer bringt die Leute auf die andere Seite - und wie hängt alles zusammen?

Die Uhr tickt für eure Jugend

Ihr durchlebt dabei etwas mehr als ein Jahr an der Inaba Highschool, wobei ihr euch Tag für Tag durch den Kalender bewegt und in der Zeit, die euch täglich bleibt, entscheidet, was zu tun ist. Schließt ihr euch der Theater-AG an? Nehmt ihr euch einen Teilzeit-Job? Und mögt ihr lieber Basketball oder Fußball? In den meisten Aktivitäten steigert ihr fünf Charakterwerte von Redegewandtheit über Wissen bis hin zu Mut, die vor allem bestimmen, welche Gesprächsoptionen euch zur Wahl stehen und wann ihr euch wo in Inaba aufhalten könnt.

Vor allem aber schmiedet ihr Bekanntschaften, so genannte Social Links, die ihr nach und nach auflevelt und dabei die entsprechende Figur besser kennenlernt. Hier wird klar, dass Atlus einmal mehr überaus viel an seinen Charakteren gelegen ist und das Spiel ist ein Besseres dadurch, weil ihr mit den gut geschriebenen Individualisten mitfiebert, ihnen helfen wollt und ihre Züge zu schätzen lernt. Doch nicht nur inhaltlich habt ihr etwas davon, euch mit eurem Umfeld zu befassen. Jeder Social Link ist einer Tarot-Karte zugeordnet, die wiederum jeweils mehrere unterschiedliche Personas - mächtige Geisterwesen, die in allen Party-Mitgliedern wohnen - unter sich vereinen. Je stärker ein Social-Link, desto mächtiger die Personas, die ihr erschaffen und in die Schlacht führen könnt.

Wie schon in Catherine geht der Spieler mysteriösen Todesfällen auf den Grund.

Der flotte Rundenkampf sieht toll aus und hält sich nicht zu lange mit Beschwörungsanimationen auf.

Und das wird immer nötig, wenn mal wieder die Abendnachrichten davon berichten, dass einer eurer Mitschüler spurlos verschwunden ist. Euer Onkel Dojima ist der Chef-Inspektor Inabas und tappt im Dunkeln. Eure Geschichte mit Fernseher-Begehungen und magischen Geister-Alter-Egos würde der alleinerziehende Vater einer Achtjährigen niemals schlucken. Deshalb ist es immer an euch, tätig zu werden. Ihr habt stets eine bestimmte Anzahl von Spieltagen Zeit, einen Schulkameraden aus seiner ganz persönlichen Hölle zu befreien, die immer als mehrstöckiger Dungeon mit Monstern angelegt ist, die jederzeit sichtbar ihre Bahnen durch die Hallen und Korridore ziehen. Wie nutzt ihr die Zeit? Grindet ihr euch von Dungeon-Etage zu Etage, um zwischendurch in die reale Welt zurückzukehren, um im Schlaf eure Lebens- und Mana-Leiste wieder aufzuladen? Oder versucht ihr, die gemarterte Seele in so wenigen Nächten wie möglich zu erlösen?

Zwischen Entspannung und Freizeitstress

Da es immer viel zu tun gibt und sich regelmäßig auch alte Dungeons mit neuen Bossen öffnen, um euch und euren Personas Raum zum Leveln zu geben und gleichzeitig auch eure Social Links mitbestimmen, wie mächtig ihr seid, blickt ihr ständig auf den Wetterbericht und den Kalender. Denn ihr wisst: Nach mehreren Tagen Regen setzt der Nebel ein. Und mit dem Nebel kommt auch immer eine Leiche nach Inaba zurück, die euer Versagen markiert. Es ist spannend, mysteriös und weil man auf seinem Kampf durch die verschiedenen Ebenen des Dungeons auch immer in die Seele des Gefangenen hineinblickt, nimmt euch jede Rettung aufs Neue extrem für sich ein.

Der Kampf an sich legt, wie von Persona und Shin Megami Tensai gewohnt, keinen Wert auf die manuelle Platzierung eurer Figuren, sondern ist ganz Japan-klassisch rundenbasiert und extrem auf Affinitäten ausgelegt. Wer einen Feind mit einem Zauber oder einem Skill erwischt, den er nicht so gut verträgt, holt diesen von den Beinen und verdient sich damit einen zusätzlichen Zug. Jeder Kampf wird so aufs Neue zu einem Puzzle, wen man am besten womit angreift, denn wer alles richtig macht, räumt den ganzen Mob in nur ein bis zwei Zügen vom Feld. Toll ist hierbei auch, wie durch bessere Social Links eure Freunde auch Nachfolge-Attacken platzieren. Hier greift die soziale Komponente aus den entspannten Schul-Abschnitten auf motivierende Weise in den Dungeon-Crawl jenseits des Fernsehers ein.

Steigert ihr einen Social Link aufs Maximum, erhaltet ihr eine besonders mächtige Persona.

Den Golden-Zusatz hat sich die Vita-Version von Persona 4 dabei redlich verdient. Mit zwei neuen Social Links und damit auch neuen Tarot-Arkanas und Personas und einem Kalender, der dieses Mal bis weit in den Februar hineinreicht, ist das Spiel deutlich umfangreicher geworden und füllt in der Geschichte sogar einige vorher noch vorhandene Lücken auf befriedigende Weise aus. Außerdem erwerbt ihr etwa in der Mitte der Story neuerdings einen Roller-Führerschein. So motorisiert erreicht ihr zwei neue Lokalitäten in einer Stadt in der Nähe Inabas.

Alter Wein in neuen Schläuchen - aber was für Schläuche es sind!

Alles in allem ist das schon in der Ur-Fassung gut 80 Stunden lange Spiel aber nicht nur deutlich umfangreicher geworden, auch spielerisch hat sich einiges getan. Die neue Möglichkeit, seine Personas beim Verschmelzen mit einer Auswahl von Fähigkeiten ihrer "Eltern" zu bestücken und durch erworbene oder erspielte Skill-Karten weiter zu formen, eliminiert einiges vom Grind, der das Original zu einer stellenweise etwas zu ungnädigen Tretmühle werden ließ. Und dass man nach einem Game Over nur mehr die letzte Etage zu wiederholen hat, tut sein Übriges, um auch dem letzten "Ja, aber …" -Sager von seiner Unentschlossenheit zu befreien, sich endlich mal mit dieser Serie zu befassen. Es ist nicht einfach, stellenweise sogar schwer. Aber niemals mehr frustrierend.

Auch die Online-Anbindung des Handhelds wird genutzt, etwa, wenn man sich jederzeit in Sprechblasenform anzeigen lassen kann, was andere Spieler als nächstes gemacht haben. Einen Notruf in einem Dungeon abzusetzen und daraufhin Hilfe von einem anderen Spieler zu erhalten hat bei mir noch nicht geklappt, ist aber immerhin eine interessante Möglichkeit, die ich hoffentlich schon bald mal in der Praxis erlebe. Und dann gibt es da noch das überarbeitete Kartenspiel, in dem man sich unter bestimmten Voraussetzungen nach einem Fight noch Boni verdient. Auch hier wird neuerdings nun mehr Hirnschmalz belohnt, wenn man taktiert, um am Ende den "Sweep"-Bonus einzustreichen. Der zielgenaue Sprung vom Fernseher auf den kleineren Vita-Bildschirm hat dem Titel übrigens wirklich gut getan. Die Umgebungen sind scharf gerendert, während die Farben und Charakterporträts auf der kleineren Diagonale ausnehmend gut aussehen.

Die Figuren haben alle ihre eigenen, nur allzu menschlichen Probleme.

Es überrascht immer wieder, wie Atlus es hinbekommt, ausgesprochen japanische Spiele zu machen, die dennoch in ihrer Übersetzung in den Westen wenig von ihrem Reiz verlieren. Dieses hier ist einmal mehr trotz seines Nippon-Slice-of-Life-Ansatzes nicht viel weniger massenkompatibel als die meisten anderen RPGs. Man muss kein Anime-Fan sein, um sich damit zu befassen, eben weil die Figuren so nahbar und sympathisch sind, dass man sich häufig selbst in ihnen wiederfindet und sich daher echt und ehrlich für sie interessiert.

Persona 4 Golden ist ein JRPG, das in völliger Ignoranz heutiger Rollenspiel-Realitäten existiert - als hätte diese einst so dominante Sparte nie ihren Niedergang erlebt. Es ist wirklich wie damals, als ich mir zwischen Final Fantasy, Breath of Fire und Suikoden kein besseres Genre vorstellen konnte als dieses hier. Ein gutes Dreivierteljahr nach Markteinführung der Vita sieht es für das Handheld alles andere als rosig und unter diesen Vorzeichen wollt ihr vielleicht gar keinen Grund, euch Sonys Taschenspieler zuzulegen. Mit Persona 4 Golden habt ihr jetzt trotzdem einen - und eines der fünf besten Spiele des Jahres.

9 / 10

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Alexander Bohn-Elias Avatar
Alexander Bohn-Elias: Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

In diesem artikel

Persona 4 Golden

PlayStation Vita, PC

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