Sniper: Ghost Warrior 2 – Test
Ein kurzes Intermezzo, dem mehr Freiheiten ganz gut zu Gesicht gestanden hätten.
3 Stunden, 54 Minuten, 13 Sekunden. So lange hat es gedauert, um Sniper: Ghost Warrior 2 auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad zu beenden. Das ist nicht wirklich lang, aber dennoch hatte ich meinen Spaß dabei. Mir gefällt es einfach, dass ich hier nicht im Minutentakt von einer Bombast-Szene mit dutzenden Explosionen in die nächste gejagt werde, während um mich herum ganze Städte in Schutt und Asche gelegt werden, nur um alles Vorangegangene nochmals zu toppen.
Es wirkt geradezu entspannend, wenn man möglichst leise vorgehen kann oder muss, sich durch Büsche oder ein paar Meter hinter feindlichen Soldaten vorbei schleicht, seinen Zielen auflauert und sie genau im richtigen Moment ausknipst, ohne irgendjemand zu alarmieren. Wenn ihr es schafft, all diese Situationen auf diese Art und Weise zu meistern, vermittelt euch das Spiel ein angenehm befriedigendes Gefühl. Da vergisst man dann auch die 08/15-Story rund um ein paar entwendete Biowaffen, die ihn die Hände von ein paar Terroristen fallen könnten.
Mehr Freiheiten
Und dennoch könnte es zumindest theoretisch so viel mehr sein. Als Grundgerüst dient Cryteks leistungsstarke CryEngine 3 und was diese in einer offenen Umgebung leisten kann, sah man im ersten Crysis. Es wäre die perfekte Spielwiese für ein Scharfschützen-Spiel wie dieses. Ihr habt euer vorgegebenes Ziel und sucht euch dank der offenen Schauplätze selbst die besten Orte aus, um zuzuschlagen. Oder ihr umgeht schlicht und ergreifend ganze Feindgruppen, erregt so wenig Aufmerksamkeit wie möglich. Soweit die schöne Theorie. In der Praxis sieht es aber so aus, dass ihr euch meist durch eher schlauchige Level bewegt, die Pfade nur an den Stellen zum Schleichen verlasst, die dafür vorgesehen sind. Es kommt leider selten vor, dass ihr wirklich selbstständig die Entscheidung treffen könnt, eine Feindgruppe einfach in Ruhe zu lassen, anstatt sie zu eliminieren.
Der taktische Anspruch des Spiels beschränkt sich somit alleine darauf, die Gegner - wenn gefordert - im exakt richtigen Moment auszuschalten, ohne Alarm auszulösen. Aber selbst wenn ihr mal auffallen solltet, heißt es nicht gleich "Game Over". Nun, zumindest sofern sich die Zahl der Feinde in Grenzen hält. Bei größeren Ansammlungen wird es schwieriger, vor allem dann, wenn sie nah an euch dran sind und einen direkten Zugang zu eurer Position haben.
Das Problem von Ghost Warrior 2 besteht auch darin, dass die Schwierigkeitsgrade nicht gänzlich ausgewogen sind. Auf „Einfach" und „Normal" zeigt sich zusätzlich ein roter Punkt beim Blick durch das Zielfernrohr, der verdeutlicht, wo eure Kugel einschlagen wird. Distanz und Wind lassen sich somit perfekt ausgleichen und wenn ihr nicht den Fehler begeht und einen Gegner zum falschen Zeitpunkt ausschaltet oder schlicht daneben schießt, gleicht das hier mehr oder weniger einem Kinderspiel. Auf der höchsten Stufe fällt der rote Punkt weg und es wird deutlich schwieriger, zumal die Feinde auch etwas besser reagieren und aufmerksamer sind. In solchen Momenten wünscht man sich, den Schwierigkeitsgrad individuell regeln zu können, etwa die Möglichkeit, den roten Punkt auf der mittleren Stufe einfach abzuschalten.
Gemeinsam einsam
Eure Aufgabenstellungen kann man grob in drei Bereiche aufteilen: Da gibt es Abschnitte, in denen ihr völlig auf euch alleine gestellt seid, aber nichtsdestotrotz meist immer noch irgendwo per Knopf im Ohr mit irgendjemanden in Verbindung steht. Dann seid ihr oftmals mit einem Spotter unterwegs, der euch Ziele ansagt und sich selbst auch mal die Hände schmutzig macht, wenn es nötig ist, und beispielsweise zwei Feinde direkt vor euch stehen - die klassische Arbeitsteilung. An manchen Stellen, etwa von einem großen, auf einem Hügel gelegenen Turm aus, legt ihr euch auch mal auf die Lauer und habt dabei nur die Kontrolle über euer großkalibriges Scharfschützengewehr, mit dem ihr im Normalfall vorrückende Kameraden aus der Ferne unterstützt.
Ein bewährtes Grundgerüst wie die CryEngine ist eine Sache, aber bei der Umsetzung kann man dennoch viel falsch machen. Letztlich ist City Interactive hier allerdings definitiv auf dem richtigen Weg. Das Spielgefühl ist wirklich gut, das Feedback der Waffen ebenso und man hat stets alles unter Kontrolle, bleibt nirgendwo hängen oder was auch immer - ob man nun sprintet, geduckt marschiert oder über den Boden kriecht. Beim Sprint steigert sich übrigens euer Puls, was sich entsprechend auf eure Zielgenauigkeit auswirkt. Besonders auf größere Entfernung solltet ihr dann erst einmal kurz zur Ruhe bekommen, um keine Fehler zu machen.
Das Verhalten der KI ist meist okay, manchmal aber verbesserungswürdig. Die Feinde gehen zwar in Deckung, sind aber gleichermaßen immer mal wieder blöd genug, um unbesonnen ihren Kopf oder gleich den ganzen Körper als Zielscheibe zu präsentieren. Man hat nicht das Gefühl, als könnten sie den Scharfschützen selbst wirklich aus seiner Deckung treiben, etwa durch Granaten oder starken Beschuss. Eine weitere Möglichkeit wäre die Nutzung von Rauchgranaten, um euch die Sicht zu rauben und vorzurücken, aber das tun sie ebenso wenig. Der eine oder andere ist gar so mutig und stürmt direkt zu euch, sofern eine direkte Wegverbindung besteht. Aber auch da geht man nicht wirklich clever vor, sodass ihr euch eigentlich nur mit eurer Pistole auf die Lauer legen und warten müsst, bis der einzelne Gegner kommt - mit einem, maximal zwei Treffern liegt der Widersacher dann auch schon am Boden. Gefahr kommt hier nur auf, wenn ihr auf kurze Distanz mit mehreren Feinden konfrontiert werdet.
Was im Gegenzug aber nicht heißt, dass ihr nicht aufpassen müsstet. Im Gegensatz zu den meisten modernen Shootern regeneriert sich eure Gesundheit nicht von selbst. Ihr habt zwei Medikits dabei und immer mal wieder stoßt ihr im Level auf Nachschub, solltet euch das also gut einteilen, sofern ihr sie denn benutzen wollt beziehungsweise müsst. Munition findet ihr zwar auch, allerdings hatte ich selbst ohne irgendwelche aufgenommenen Magazine zu keinem Zeitpunkt einen Mangel an Kugeln.
Technik, die begeistert?
Wie schon gesagt, nutzt das Spiel die CryEngine 3. City Interactive hat die Engine alles in allem wirklich gut im Griff und mit ihrer tollen Optik entpuppt sie sich als äußerst gelungene Wahl für dieses Spiel. Besonders die Level in Tibet sehen wirklich sehr schön aus. An die optische Pracht eines Crysis 3 kommt man zwar nicht heran und auch die Texturen könnten hier und da etwas schärfer sein, doch trotz allem präsentiert sich Ghost Warrior 2 sehr ansehnlich.
Einen Multiplayer-Modus hat man ebenfalls anzubieten, auch wenn der nicht wirklich umfangreich ausgefallen ist. Im Gegenteil: Team Deathmatch, vier Karten, maximal zwölf Spieler. Das ist ziemlich wenig und dürfte kaum ausreichen, um interessierte Spieler langfristig an den Multiplayer-Part zu binden. Sicherlich ist es eine kurzweilige Option für diejenigen, die am Online-Katz-und-Maus-Spiel interessiert sind, aber das war's dann auch schon.
Das vergleichsweise gemächliche Tempo hat mir bereits in Rebellions Sniper Elite v2 gefallen und auch Sniper: Ghost Warrior 2 macht da keine Ausnahme. Es ist ein angenehmer Gegenpol zu den üblichen Blockbustern und ihrer Dauerbeschallung, sofern euch der Sinn nach etwas Ruhigerem steht. Schlussendlich ist City Interactive in Sachen Gameplay nicht wirklich viel vorzuwerfen, denn das Gebotene funktioniert mit Ausnahme einiger KI-Aussetzer ganz gut und - das ist mit das Wichtigste - macht Spaß. Woran es mangelt, um wirklich begeistern zu können, ist einerseits mehr Spielzeit, andererseits die Freiheit. Ein Ghost Warrior 3 mit Crysis-ähnlichen Umgebungen? Das ist es, was die Serie braucht, um sich wirklich weiterentwickeln zu können. Wenn City Interactive diesen Schritt gehen kann, ihn wagen will und richtig umsetzt, könnte die Reihe durchaus den Sprung in die Top-Riege der Shooter schaffen. Bis dahin muss man sich aber weiterhin mit einem Platz im oberen Mittelfeld begnügen.