Die Welt, die (Anti-)Helden und das große Verbrechen von GTA 5
Ambitionen ohne Grenzen in einer gewaltigen Welt, die der Next-Gen mit den ganz kleinen Details die Show stehlen kann.
Haben sie es also doch noch geschafft. Das letzte GTA und seine herausragenden „kleinen" Spin-Offs sind eine Weile her, Red Dead Redemption auch und die offene Welt von L.A. Noire war sicher nichts, worüber man einen Brief nach Hause schreiben würde, zumindest nicht, solange es nicht der eigene Vater live miterlebt hat. Kopien wie Sleeping Dogs übernahmen alle Mechaniken nach der gegebenen Blaupause sehr ordentlich, ein Just Cause 2 bot gewaltige Welten und die aktuelle Konsolengeneration pfeift auf technischer Seite aus dem letzten Loch. Was also sollte GTA 5 noch bieten, um zu beeindrucken?
Eine Stunde später, in der ich leider nicht zum Pad greifen durfte - auch wenn ich natürlich wie immer Konsequenzen und Spielzeit abwog, wenn ich es mit Gewalt versucht - war ich dann aber doch beeindruckt. Zum Teil auch auf einem technischen Level, wobei es mehr das Erstaunen ist, was man noch aus den alten Schüsseln herausholen kann. Aber mit einem Killzone auf PS4 lässt es sich halt aktuell nur schwer konkurrieren. Es sind die Liebe, der Hang und der Blick für die Details, die den Unterschied zwischen einem so banalen Ding wie einem Videospiel und einem echten GTA ausmachen, die einen immer noch umwerfen. Und dies beginnt mit einem Absprung über der neuen Spielwelt.
GTA - Die Welt von Los Santos
Aus dem Flugzeug am Fallschirm geht es los und der Blick schweift weit über eine bergige Küstenlandschaft, in der sich in weiter Ferne eine Stadt in eine Bucht schmiegt. Kleine Dörfer säumen die zahlreichen Straßen, überall wirken Gebäude nicht zufällig verteilt, sondern zeigen eine organische, glaubwürdige Landschaft schon aus großer Höhe. Nahtlos geht es über Äcker, Flüsse, Seen, in der Ferne scheint eine Wüste zu lauern. Wer schon einmal das Land um L.A. oder die Wüste von Las Vegas gesehen hat, kann Dutzende Ideen bekommen, wo die Inspirationen gesammelt wurden. Los Santos dürfte ein Best of von Süd-Kalifornien werden, das sich auf eine abenteuerlich große Fläche erstreckt. Red Dead Redemption war groß. GTA 5 soll drei Mal so groß werden. Spielt es ab einer gewissen Größe wirklich noch eine Rolle? Ja, vielleicht, wenn sich denn der Eindruck des „Echt" auch auf dem Rest der Fläche bestätigen sollte.
Wer schon einmal das Land um L.A. oder die Wüste von Las Vegas gesehen hat, kann Dutzende Ideen bekommen, wo die Inspirationen gesammelt wurden.
Während sich der Fallschirm weiter dem Boden nähert, will man das glatt glauben. Auf Dreckpisten fahren Quad-Racer ihre Runden, Hubschrauber und Flugzeuge ziehen ihre Bahnen mit einem deutlichen Eindruck einer Bestimmung. Nichts wirkt so, als wäre es da, um da zu sein - auch wenn dies zum Teil sicher der Fall ist -, sondern weil es einen Platz und einen Zweck in dieser Welt hat. Tiere werden sichtbar, sobald es nah genug herangeht. Hirsche wandern durch die Wäldchen, ein Puma pirscht sich an, ihr könnt ziemlich sicher davon ausgehen, dass es Jagd-Minispiele geben wird.
Nahtlos verlief der Abstieg, die Details werden in den richtigen Höhen sichtbar und die Landung schließlich zeigt den Level der Welt, auf dem ihr euch die meiste Zeit bewegen werdet. Ein malerischer Bachlauf, ein Küstenstreifen, ein neugieriges Eichhörnchen, es ging in einer wundervollen Minute vom ganz Großen hinunter in die feinen Details. Zwei Hiker kommen euch entgegen und grüßen, Camper veranstalten ihr BBQ vor dem Wagen, es wird Zeit, sich von der Vertikalen mehr in der Horizontalen zu bewegen. Mit einem Boot geht es in die Bucht und wieder zeigt sich die Liebe zum Detail. Das ist nicht einfach das Wasser, das die Engine halt im Grundset hergab, das ist ein azurblauer Traum in Bewegung. Gebt mir dazu einen Jetski und ich kann vielleicht endlich über Wave Race 64 hinwegkommen. Aber damit nicht genug. Taucheranzug an und unter die Fluten!
Es eröffnet sich eine neue Welt und es ist keine, die man sonst unter Wasser in Open-World-Spielen kennt. Dort ist es meist eine trübe Brühe, selbst wenn sie ganz hübsch wie in Far Cry 3 aussehen mag. Da diese zweite Welt immerhin zwei Drittel der Größe der Landmasse haben soll, ist unmöglich abschätzbar, ob der erste Eindruck repräsentativ ist - wahrscheinlich nicht in dieser Intensität -, aber wow, das sieht echt gut aus. Wiederum, kristallklares Wasser, durch das ihr Riffe, Felsen, ein Wrack und jede Menge Fisch- und Pflanzenwelt bewundert. Als wäre es eine Tauchersimulation und nicht nur ein weiterer, letztlich wahrscheinlich nicht einmal so wichtiger Teil dieses bis hinunter in so viele Feinheiten ausgestalteten Vergnügungsparks von einer Welt.
Einen Großteil der Zeit dürftet ihr letztlich aber natürlich in Los Santos verbringen, denn das hier ist kein Outdoor-Simulator, sondern immer noch GTA. Nach den ungewohnten wie beeindruckenden Ausblicken auf das umliegende Blaine County wirkt Los Santos selbst schon fast nicht mehr sonderlich spektakulär. Rockstar weiß sicher, wie man mit Licht und Farben umgehen muss, die Straßen bei Nacht haben genau die richtige Mischung aus Michael-Mann-Nüchternheit und Oceans Eleven-bis-Thirteen Glanz. Auf halben Wege dazwischen schleicht ihr euch an Casinos, Nachtclubs und Bars vorbei, wobei ihr in sehr, sehr viele Häuser hineinkönnt, aber bei Weitem natürlich nicht jedes. Soweit geht die Welt-Sim dann doch auch diesmal nicht - wozu auch? Auf den Straßen herrscht dichter Verkehr, Passanten rempeln sich an, halten einen Schwatz oder gehen einfach ihren Dingen nach, es ist ein augenscheinlich leicht verfeinertes Bild dessen, was sich schon in GTA IV zeigte. Es ist wiederum das Detail, das es aufblühen lässt.
GTA 5 - Helden, Schurken und alle anderen
Viele der Bewohner sind natürlich kaum mehr als animierte Deko, aber eine immer noch große Zahl von ihnen soll diesmal etwas mehr Hintergrund bekommen. Einen Namen, einen Job, ein paar Probleme und mit diesen zusammen auch ein paar Missionen, die ihr bewältigen dürft. Das sind wohlgemerkt keineswegs die Story-Missionen von GTA 5, sondern einfach kleine Randnotizen einer großen Welt. Eine Schauspielerin wurde von ein paar Paparazzi gestellt und ihr sollt sie aus der misslichen Lage retten. Holt euch ein Auto, hängt die Foto-Jäger ab und ihr beginnt, auf der Fahrt zu ihrem Apartment etwas mehr über sie zu erfahren. Weitere Missionen können folgen. Das Ganze muss aber nicht passieren. Das Spiel verteilt solche Sachen abhängig von Tageszeit, Umgebung und Zufall, sodass ihr immer wieder auf Dinge stoßen könnt, die am virtuellen Vortag noch nicht dort gewartet haben und sich am nächsten auch schon wieder erledigt haben können. Es wird interessant sein zu sehen, wie dynamisch diese Abläufe funktionieren, aber es könnte ein Ansatz sein, das stumpfe Abarbeiten der Punkte auf der Karte aufzulockern, das sonst in diesem Genre so verbreitet ist.
Die wichtigsten Figuren sind jedoch und selbstverständlich die drei Helden und das ist wie immer eine sehr lockerer Gebrauch dieses Wortes. Michael mimt dabei Cary Grant in Über den Dächern von Nizza, nur mit dem Unterschied, dass sein Leben scheiße ist. Eine trostlose Ehe, eine nicht vorhandene Karriere, nur glorifizierte Erinnerungen, als er noch der Meisterdieb schlechthin war, der beste Bankräuber der Welt, der ein Vermögen anhäufte und dann im Zeugenschutz untertauchte, um nicht den Rest seiner Tage hinter Gitter zu müssen. Jetzt wandelt er als tickende Zeitbombe durch die Straßen, immer mit einem Auge auf dem perfekten Bruch, wohl wissend, dass es längst nicht mehr um das Geld, sondern um den Kick geht. Franklin passt da gut ins Bild, er ist jung, dynamisch und moralisch sehr flexibel. Nicht direkt ein Berufsverbrecher, aber jemand, der eine gute Gelegenheit nicht ausschlägt. Ein aufstrebender Mann, ohne Frage. Diese ist nur, ob er geläutert oder tot aus diesem Spiel herauskommt. Trevor schließlich ist durch. Ex-Militär, Ex-Bankräuber und Akut-Soziopath ist eine Mischung, die man als White-Trailer-Trash in den USA in den heruntergekommenen Wohnmobil-Wohnparks finden kann, und dort lebt der Ex-Kumpane von Michael dann auch. Lynch an einem netten Tag vielleicht.
Michael, Trevor und Franklin führen ihre eignen Leben, und solange ihr nicht eingreift, machen sie ihr Ding, ohne sich in Schwierigkeiten zu bringen oder gar zu sterben.
Dass so unterschiedliche Figuren in unterschiedlichen Kreisen unterwegs sind, verschiedene Leute kennen, andere Feinde und Freunde haben, versteht sich von selbst und GTA 5 will diesem Umstand in der einen oder anderen Form auch Rechnung tragen. Drei unterschiedliche Kosmen, die sich eine gemeinsame Welt teilen sollen und in allen drei dürft ihr nach Belieben herumgeistern. Außerhalb einer Mission gibt es ein Wahl-Rad, mit dem ihr jederzeit von einer Figur zur nächsten springen könnt. Es wird kurz herausgezoomt, die Ecke der Welt angepeilt, in der sich der gewünschte Charakter befindet und wieder herangezogen, alles in etwa drei bis vier Sekunden.
Michael, Trevor und Franklin führen ihre eignen Leben, und solange ihr nicht eingreift, machen sie ihr Ding, ohne sich in Schwierigkeiten zu bringen oder gar zu sterben. Es kann aber durchaus sein, dass ihr sie an einem ganz anderen Ort wiedertrefft, als den, an dem ihr einen von ihnen zuletzt verlassen habt. Es könnte dank der unterschiedlichen Interessen und damit auch Mini-Spielen und Neben-Missionen viel Abwechslung in das freie Spiel bringen. Auch könnt ihr es theoretisch nutzen, um euch aus einer gefährlichen Situation zu bringen. Ob sich damit auch eine Polizeiverfolgung umgehen lässt, indem ihr einfach die Flucht der KI überlasst und stattdessen solange zu einem anderen Charakter hüpft, wird sich zeigen, aber dieser Idee wurde erst mal entwicklerseitig nicht widersprochen. Nur in wenigen Situationen dürft ihr nicht wechseln und das sind bestimmte Phasen während des Story-Hauptteils. Ihr sollt große Überfälle organisieren und an Geld kommen. Viel, viel Geld, denn ihr werdet es brauchen. Keine Ahnung warum. Aber ich bin gespannt, es zu erfahren.
GTA 5 - Der „Heat"-Simulator
Wenn ich etwas an der an sich sehr umfangreichen und durchdachten Präsentation auszusetzen habe, dann, dass der spannendste Teil ausgespart wurde: die Vorbereitung zum großen Ding, das ihr immer wieder drehen müsst. Einen Plan aushecken, die richtigen Orte finden, die richtigen Leute anheuern, all diese coolen Dinge, die DeNiro in Heat veranstaltete, um schließlich die Bank auszunehmen. Es soll alles da sein, ihr müsst, planen, machen und tun, aber wie das abläuft, wie viele Freiheiten ihr dabei genießt oder alles andere, dazu kann ich euch leider nichts sagen. Es blieb noch unter Verschluss.
Stattdessen wurde dann der Überfall auf den Geltransporter aus Heat nachgespielt. Michael weiß - woher auch immer -, dass ein Transporter an einer bestimmten Stelle zu einer bestimmten Zeit sein muss. Die Straße soll blockiert werden, ein großer Truck soll den gestoppten Transporter rammen, der Wagen wird aufgesprengt und mit der Beute geht es dann in weniger als einer Minute auf und davon. Simpel genug, keine weiteren Leute außer den Dreien nötig. Franklin fährt den Ramm-Truck, Michael den Müllwagen, der die Straße blockiert und Trevor gibt Zeichen und Deckung von einem nahen Dach. Für komplexere Brüche braucht ihr mehr Hilfe, mehr Pläne, mehr Aufwand, hier musstet ihr nur die beiden Trucks organisieren, an einem günstigen Ort einen Fluchtwagen parken, um die Spuren zu verwischen, jemand hat wirklich Heat gesehen und ihr müsst das nachstellen. Fein, solange nicht jeder Bruch aus einem Film bekannt ist, aber das dürfte wohl eine geringe Gefahr sein.
Alles ist in Position und es geht los. In den nächsten drei Minuten springt GTA 5 immer wieder von einer Figur zu nächsten. Ihr gebt vom Dach das Signal, ihr stellt euch mit dem Müllwagen quer, ihr rast mit dem Ramm-Truck in die Seite des Transporters, es klappt alles wie am Schnürchen. Die Drei sprengen den Wagen wie geplant und dann sind plötzlich die Cops da.
Bevor ich zum eigentlichen Kampf komme: Er ließ sich an dieser Stelle nicht vermeiden und damit habe ich hier das einzige Problem mit dem Spiel. Ich fragte direkt nach, ob bessere Planung die Schießerei mit den Cops verhindern hätte können und die Antwort war sehr direkt und klar: nein. Hier wird jetzt geballert. Es ärgert mich, zu wissen, dass, egal wie ich plane, das Spiel an manchen Stellen scheinbar ballern will. So viel im Voraus, das Ballern ist sicher klasse, sieht gut aus, aber zu wissen, dass es keinen Weg gibt, diesen Überfall perfekt laufen zu lassen, wurmt mich. Nun, dazu später mehr, wenn mehr von der Vorbereitung gezeigt wurde.
Es ärgert mich, zu wissen, dass, egal wie ich plane, das Spiel an manchen Stellen scheinbar ballern will.
Sind jedoch die ersten Kugeln geflogen, wird schnell klar, dass man viel bei Max Payne 3 gelernt hat. Die Deckungsmechaniken kommen einem sofort bekannt vor, die Kamerabewegungen und die Dynamik wirkt genauso schnell und präzise wie in dem Monolog-freudigsten Baller-Spiel des letzten Jahres und das ist wirklich keine schlechte Sache. Ich kann Max Payne 3 viel vorwerfen, aber ein schlechter Shooter war es beileibe nicht. Da auch genug Cops auftauchen, Hubschrauber inklusive, können alle drei Figuren auch kurz ihre Spezialfertigkeiten unter Beweis stellen.
Wo wir schon bei Max Payne 3 sind: Michael hat Bullet-Time. Natürlich, muss ja in jedem Spiel drin sein. Franklin kann das auch, aber beim Autofahren, was schon wieder ziemlich cool ist. Schöne Überholmanöver mit Millimeterarbeit bei 200 Sachen mag schließlich jeder. Trevor schließlich ist der Mann fürs Feine wie fürs Grobe. Er hantierte hier mit dem Raketenwerfer ebenso geschickt wie mit dem Scharfschützengewehr und im Nahkampf beringt er einen eigenen Signatur-Move mit. Der leider nicht gezeigt wurde, da sich kein Cop auf das Dach verirrte. Jede Spezialfertigkeit ist nur kurz einsetzbar und es ist ein weiterer durchaus legitimer Weg mehr Abwechslung über ein so großes Spiel zu verteilen.
Zwanzig tote Cops später gelingt die Flucht, der Mülllaster wird mit einer Brandbombe für die Spurensicherung zu einer echten Herausforderung und auf und davon in die Hollywood Hills - sorry, Vinewood Hills - geht es. Die Fahrphysik war in GTA IV einer der Gründe, warum meine Liebe zu dem Spiel nie so richtig in Fahrt kam und ich kann mangels Pad-Zeit hier noch keine endgültige Entwarnung geben, aber es sah in GTA 5 schon alles ganz anders aus. Vom Zuschauen her bewegten sich die Fahrzeuge- wie immer Inspirationen nah am Original, aber nie mit den echten Namen - so, wie Autos das tun und nicht mehr wie betrunkene Kutscher-lose Droschken im schweren Sturm. Machte also einen guten Eindruck und mit diesem endete es dann auch. Schade, denn das wäre jetzt der perfekte Moment gewesen, um mir das Pad zu geben, damit ich mich selbst in der Welt von GTA 5 umsehen kann. Schließlich ist ja alles vom Start weg frei zu erkunden und zurückgehend zum Anfang hab ich bei dem Absprung mit dem Fallschirm schon den einen oder anderen Ort gesehen, den ich gerne erkundet hätte.
GTA 5 erscheint zu einer Zeit, in der der traditionelle Kampf der neuen Systeme schon in vollem Gange sein sollte. Es wird im Schatten zweier großer, neuer Konsolen erscheinen und eben nicht für diese. Aber wenn ein Spiel es schaffen kann, aus diesem Schatten herauszutreten und zumindest einen guten Teil des Rampenlichts zu sichern, dann ist es dieses Spiel. Ja, es gibt schönere Spiele, schon jetzt, wenn auch nur auf dm PC. Es gibt aber derzeit nichts, das mit den Ambitionen Rockstars und mit ihrem Hang zu Details mithalten kann. Sie wollen zum einen die Spielwiese, das Open-World-Genre, auf einen neuen Level heben und diesen mit drei durchdachten, unterschiedlichen Charakteren in einem großen Raubüberfall-Simulator verbandeln. In das Spiel, das jeder haben wollte, als er Filme wie Heat das erste Mal sah. GTA 5 scheint sich alle Mühe zu geben, dieses Spiel zu werden, und wenn ihm das gelingt, dann kann mich für ein paar Wochen im Herbst die Next-Gen mal gernhaben. Dann plane ich lieber das nächste große Ding in Los Santos.