Shadowrun Returns - Test
Die Rückbesinnung auf das Wesentliche als Gegenentwurf zur Rollenspielgigantomanie.
Rollenspiele haben derzeit zwei Möglichkeiten. Die Erste ist die, in der sich der Mainstream des Genres über die letzten Jahre etablierte. Die Art, die mit ihrer schieren Größe und Technik Spiele wie Skyrim attraktiv für eine breite Zielgruppe machte. Gewaltige Welten, die es zu erkunden gilt, die mit zahllosen visuellen wie inhaltlichen Details in den Bann ziehen und die an ihre Grenzen stoßen müssen, wenn es um ihre eigene Interaktion mit dem Spieler geht. Irgendwann ist ein Ökosystem zu komplex, um alle Einflüsse zu simulieren.
Die andere Variante ist es, klein zu werden. Das Genre war schon immer groß ausgelegt und eine ganze Welt wartete auf den Spieler. Witcher 2 jedoch ging in einer andere Richtung, indem es stattdessen einem ganz klaren Weg folgt und nur diese Schauplätze ausarbeitet. In diesen nimmt der Spieler teilweise radikalen Einfluss auf seine Umgebung, seine Entscheidungen bewegen etwas, weil es eben "nur" ein kleiner Bereich ist, auf den sie Einfluss haben. Letztlich geht auch BioWare seit Jahren in diese Richtung und so sehr ich das Ausufern in die Größe bei Skyrim oder Two Worlds 2 schätze, ich bevorzuge klar den Weg, der dafür sorgt, dass die Charaktere die wichtigsten Elemente sind und nicht die Welt.
Der Gedanke, die ganze Welt zu simulieren, wie es mit den Ultimas anfing und sich bis eben zu den Elder Scrolls zog, kommt aus der Vorstellung des Pen&Paper-Rollenspiels. Dort wird in umfangreichen Werken die ganze Spielwelt im Detail ausstaffiert und beschrieben. Das Computer-Rollenspiel versuchte seit jeher, das zu imitieren. Eine Spielergruppe kann schließlich dem Spielleiter am Tisch immer sagen, dass sie einen bestimmten Ort in der Spielwelt am Rand der Handlung aufsuchen will, also soll auch der Computerspieler im Idealfall diese Möglichkeit haben. Der Witz dabei ist jedoch, dass nur die wenigsten Gruppen wirklich viel von einer Welt zu sehen bekamen. Ein Spielabenteuer ist eine Aneinanderreihung bestimmter Schlüsselpunkte, an denen sich die wichtige Handlung abspielt. Der Rest sind optionale Orte, die besucht werden können, die teilweise planbar sind, aber die Oberweltreise, die einen Großteil des Spielinhalts eines Skyrim ausmacht, wird seltenst wirklich ausgespielt. Man konzentriert sich halt auf das dramaturgisch Wesentliche.
Zurück zu den Wurzeln
Insoweit ist Shadowrun Returns eine nur konsequente Entwicklung zurück zu diesem Gedanken. Ihr findet keine ausufernden Dungeons, es gibt keine Open-World-Städte oder gar Ländereien, nur die Orte, die für die Handlung und die Charaktere wichtig sind und an denen die wirklich wichtige Interaktion stattfindet. Die Bar, in der ihr die Runs vorbereitet. Die Orte, wo diese stattfinden. Ein paar Straßenzüge, in denen ihr ein paar Hintergrundinformationen für eure Aufgabe bei zwielichtigen Gestalten holt. Viel mehr ist da nicht. Die Frage lautet natürlich, ob da mehr sein muss und nach über zehn Stunden mit der ersten mitgelieferten Kampagne - dazu später mehr - kann ich ehrlich sagen: nö, eigentlich nicht. Da war wirklich nichts, was ich essenziell vermisst hätte. Es gab Händler, es gab jede Menge Gespräche und Interaktionen, die oft genug einen deutlichen Einfluss vielleicht nicht auf die große Handlung, aber die kleinen Geschichten nahmen. All das, was in einem Rollenspiel wirklich wichtig ist, lässt sich auf begrenztem Raum ohne Verluste unterbringen.
Für ein Spiel, das finanziell schlicht nicht die Möglichkeiten hat, mit der neuesten Engine eine große, offene Welt anzubieten, ist das der perfekte Ansatz. Die Reduktion des Rollenspiels auf seine Kernelemente aus der Pen&Paper-Zeit lässt Handlung und Kampf übrig und damit wurden am Spieltisch nun mal 98 Prozent des Abends bestritten. Insoweit ist Shadowrun Returns weniger eine Rückbesinnung auf die SNES/Mega-Drive-Tage, sondern auf die Papier-Zeiten des Systems.
"Für ein Spiel, das finanziell schlicht nicht die Möglichkeiten hat, mit der neuesten Engine eine große, offene Welt anzubieten, ist das der perfekte Ansatz."
Dieses hatte schon immer ein gewaltiges, schein-komplexes Regelwerk als Bürde für ungeduldige Spieler. Gerade im Kampf braucht es im Original sehr viele Würfel und Geduld. Die ideale Umsetzung dessen ist natürlich ein Jagged-Alliance-artiges Rundenkampfsystem, wenn nicht zu viele der Details verloren gehen sollen und das ist auch genau der Weg, den man ging. Charaktere haben Aktionspunkte, die für Angriffe und Bewegungen benutzt werden. Das komplexe Deckungssystem verändert einfach die Trefferwahrscheinlichkeiten, ihr müsst euch nur um die grundsätzliche Taktik kümmern und es spielt sich butterweich und absolut flüssig. Ein paar Details aus dem Original-Regelwerk bleiben auf der Strecke, aber wiederum nichts wirklich Wichtiges.
Der einzige abschreckende Moment ist der, in dem vor allem Leute, die Shadowrun nicht kennen, ihren Charakter erstellen sollen. Eigentlich ist es auch nicht anders, als in jedem anderen Spiel des Genres. Ihr habt Attribute wie Stärke oder Intelligenz und an diesen hängen Fertigkeiten wie der Nahkampf oder Computertalente. Die Darstellung gleich auf einem der ersten Screen ist jedoch, um es nett zu sagen, suboptimal. Einmal eingelesen, ist es kein Problem, aber ein wenig erschlagen werdet ihr schon. Auch die Auswirkung der Fertigkeit Etikette - wie gut sich der Charakter in einem bestimmten sozialen Umfeld zurechtfindet - wird erst nach ein paar Runden deutlich. Shadowrun war nie einsteigerfreundlich und selbst diese Version, die noch am nächsten an dieses Attribut herankommt, hat keine ideale Lösung gefunden.
So ka, Chummer?
Was dann folgt, ist hier zum Start des Spiels natürlich die mitgelieferte Kampagne. Diese ist umfangreich und gerade angesichts des moderaten Preises absolut und mehr als vollwertig, aber der Editor ist nur einen Klick entfernt. Ich habe mich noch nicht weit genug eingefuchst, um wirklich sagen zu können, wie komfortabel er ist, aber mächtig ist er allemal und über den Steam Workshop wird es sicher sehr schnell Nachschub an zahlreichen Kampagnen geben. Ich freue mich schon jetzt darauf, wenn die Spieler anfangen, ihre alten Shadowrun-Kampagnen nachzubauen. Ich könnte selbst in Versuchung kommen. Es ist ein großes, indirektes Versprechen und angesichts der guten und soliden Umsetzung des Systems gehe ich fest davon aus, dass sich hier viele Fans und damit für euch auch viele Inhalte für die Zukunft finden.
"Ich freue mich schon jetzt darauf, wenn die Spieler anfangen, ihre alten Shadowrun-Kampagnen nachzubauen."
Was die mitgeliefert Kampagne angeht, muss ich sagen, dass die fast alles richtig macht, aber auch ein paar Schwächen des Spiels ganz gut zeigt. Erst einmal ist es wirklich sehr klassisches Shadowrun-Cyberpunk, eine Spielart des Genres, in der es auch Magie, Fabelwesen und Elfen, Orks und Zwerge als Charaktere gibt, alle mit ihren eigenen kleinen Stärken und Schwächen. Der Rest ist ein Mix aus Blade Runner und sämtlichen weiteren Klischees, die langsame Dystopien so zu bieten haben. Der eigentliche Rahmen hält es klein. Ihr spielt kein hochgezüchtetes Chrommonster, sondern einen Nobody, der von einem noch ärmeren Schlucker einen Gefallen aufgebürdet bekommt, den er nicht ausschließen kann. Es gibt ein paar Drehungen und Wendungen, ein paar Anleihen an bekannte Figuren wie den Elfen "Dodger" oder mal wieder einen der beliebten Ripper fehlen nicht. Gute, solide und im Vergleich zu dem hoch hinaus strebenden Deus Ex ganz nah am Straßenlevel bleibende Ware. Probleme können eigentlich nur entstehen, wenn man das System wiederum gar nicht oder zu aber auch zu gut kennt.
Im ersten Fall werdet ihr schon ein wenig brauchen, um euch in die Sprache einzufinden, Profis dagegen kennen sofort den Unterschied zwischen einem Chummer und einem Johnson. Ihr Nachteil ist, dass ein Blick auf das Schild der Universal Brotherhood reicht, um zu wissen, was Sache ist. Shadowrun Returns versucht keine Sekunde, sich da irgendwie neu zu erfinden oder die Welt auf den Kopf zu stellen. Ich mochte es als gelungenen und mit Gefühl umgesetzten Ausflug 20 Jahre zurück, Neulinge können es frisch und spannend sehen, alle dazwischen werden nicht gelangweilt sein.
"Die erste Hälfte lässt sich im Blindflug überstehen, danach beginnt es dank besser gepanzerter und stärkerer Feinde, vor allem jedoch mehr davon, anzuziehen."
Es wird jedoch auch klar, dass am Ende, was das Spiel selbst angeht, das Balancing des Schwierigkeitsgrades eine ganz große Rolle spielt. Das war bei Shadowrun noch nie einfach, auch wenn es hier mit den definierten Spezialfertigkeiten, die jeder Beruf mit sich bringt, leichter auszutarieren sein dürfte. Leider hat die KI praktisch nichts drauf. In Deckung gehen klappt noch, aber in Bewegung bleiben und sich immer wieder neu und sinnvoll positionieren ist nicht so ihres. Die erste Hälfte lässt sich im Blindflug überstehen, danach beginnt es dank besser gepanzerter und stärkerer Feinde, vor allem jedoch mehr davon, anzuziehen. Trotzdem: Selbst dort ließ sich ein Run auf den legendären Renraku-Konzern, für den ihr normalerweise aus einem Pool ein paar NPCs, die ihr dann steuert, anheuern würdet, allein bewältigen. Ich musste mich ein wenig anstrengen, aber es ging und ich hatte viel Geld gespart, was die nächste Aufgabe noch einmal deutlich leichter machte. Schließlich hatte ich jetzt ja viel Geld für Söldner übrig.
Rigger unerwünscht!
Ein anderes Problem ist die Balance zwischen den Charakteren, aus denen ihr wählen könnt. In Shadowrun gibt es vom klassischen Krieger - hier Straßensamurai genannt - über Magier, Schamanen, Decker - Computerexperten - bis hin zu Experten für Fahrzeuge und Drohnen, dem Rigger, alle möglichen Berufe und sie finden sich auch in Shadowrun Returns wieder. Ihr könnt sie alle bei der Erschaffung eurer Figur auswählen. Nur wird nicht jeder gleich im Spiel berücksichtigt und das gilt auch für die gewählte Etikette. Mein erster Rat wäre: Spielt in der Hauptkampagne keinen Rigger mit Etikette Straße. Die Etikette konnte ich in den Gesprächen ein einziges Mal zu meinem Vorteil einsetzen, andere wie Shadowrunner kamen ein paar Mal vor, nur konnte ich sie natürlich nicht nutzen. Das ist aber weniger schlimm, als wirklich übel stellte sich die Wahl des Riggers heraus.
"Ab der Mitte war meine Drohne dann nur noch ein trauriger Begleiter, der meist schnell zu Klump geschossen wurde und selbst kaum Schaden verursachte."
Wie sich inzwischen herausstellte ist dies jedoch kein generelles Problem des Spiels, sondern ein Bug. Ich schrieb in der ersten Fassung des Artikels, dass mein Rigger im ganzen Verlauf hindurch keine neue Drohne kaufen konnte, weil kein Händler sie anbot. Es ist jedoch so, dass der eine Händler das prinzipiell schon tut und das auch gerne, sobald ich mit einem neuen nicht-Rigger-Charakter vorbeischaute, aber meinen Riggern tat er den Gefallen partout nicht. Also, it's not a feature, it really is a bug. Tröstet euch damit, dass es scheinbar kein generelles Problem ist, sondern eher ein Exot und hoffentlich auch bald durch einen Patch behoben.
Shadowrun Returns legt mit seiner ersten Kampagne einen guten Start hin. Statt sich im Größenwahn zu verlieren und zu versuchen, ein Spiel zu schaffen, das mit dem kleinen Budget nie funktioniert hätte, konzentrierte man sich bei Harebrained Schemes auf die wesentlichen Elemente der Story und die elegante Umsetzung des notorisch komplexen Kampfes. Beides geht wunderbar als Gesamtes Hand in Hand und ist ein echter Gegenentwurf zu den teuren Monster-Rollenspielen, ohne weniger komplex oder fesselnd sein zu müssen. Was das Paket jedoch natürlich wirklich spannend macht, ist der Editor. Die Shadowrun-Community ist nicht gerade klein und das könnte das Spiel sein, auf das sie gewartet haben, um sich kreativ auszutoben und ihre Geschichten zu erzählen. Denn darum geht es eigentlich im Shadowrun-Universum. Nicht die ganz großen Legenden, sondern die kleinen Episoden aus den Tiefen der Straßenschluchten. Davon gibt es immer genug zu erzählen und jetzt gibt es einen idealen Weg, das auch außerhalb des Spieltisches mit ein paar Würfeln weniger zu tun.