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Beyond: Two Souls - Test

Wenn gute Ideen in zu großen Ambitionen versinken.

Wenn David Cage ein großes Talent besitzt, dann ist es seine unglaubliche Gabe, jedes seiner Spiele irgendwie zu sabotieren. Während er Fahrenheit nach der Hälfte in übertriebenen Sci-Fi-Trash verwandelte, folgten in Heavy Rain so viele Handlungslöcher, dass man damit ein komplettes Buch füllen könnte. Außerdem musste er den Spieler dreist anlügen, um ihn auf eine falsche Fährte zu locken.

Ein großes Durcheinander

Vielleicht waren ihm diese Ansätze zu langweilig. Denn in Beyond: Two Souls hat er einen neuen Weg gefunden, sein Werk zu ruinieren: Im Spiel übernehmt ihr die Rolle von Jodie Holmes, die seit ihrer Geburt mit einer geisterhaften Entität namens Aiden verbunden ist. Beide können nicht mehr als ein paar Meter voneinander getrennt sein, ohne dass Jodie starke Schmerzen erleidet. Die Handlung von Beyond begleitet das Duo über einen Zeitraum von 15 Jahren.

Anstatt dem Verlauf chronologisch zu folgen, besucht ihr Jodie in einer wilden Reihenfolge zu verschiedenen Zeiten ihres Lebens. Dadurch zerstört man jeglichen Aufbau von Pacing, Spannung und sogar Charakterentwicklung. Es ist ein großes Durcheinander, das sich zwar am Ende zusammenfügt, einen aber unbefriedigt zurücklässt. Denn die Wechsel erfolgen ohne Sinn und Verstand. In einem Moment begleitet ihr Jodie durch ihre Aufnahme bei der CIA. Ihr seht einige Figuren zum ersten Mal und versteht nicht, welche Rolle sie wirklich spielen. Anschließend geht es wieder zurück in ihre Kindheit und wie ihre Eltern sie an ein Forschungslabor abgeben. Bevor ihr die ersten Bezüge zu ihrem Betreuer und späteren Ziehvater Nathan Dawkins aufbaut, springt das Geschehen in die Zukunft, wo Jodie nun vor der Polizei flüchtet.

Die deutsche Synchronisation ist bis auf wenige Nebendarsteller überaus gut gelungen. Dafür sorgen die Originalsprecher von Page und Dafoe.

Vielleicht wollte Cage damit Spannung erzeugen, doch sein übertriebener Einsatz von Vor- und Rückblenden, die über zehn Jahre auseinanderliegen, endet in einem totalen Chaos der Gefühle. Der Ton schwankt von einem Extrem ins andere und lässt euch als Zuschauer verwirrt zurück. Zudem nutzt er es als Ausrede, Jodie ohne Erklärung in verschiedene Szenen zu packen.

Trotzdem gibt es einige Kapitel, die wunderbar funktionieren, weil sie in sich perfekt geschlossen sind und quasi als einzelne Episode einer TV-Serie fungieren. So trefft ihr auf eine Bande von Obdachlosen, für die ihr auf verschneiten Straßen Geld für Essen sammeln müsst. Jodies längerer Ausflug in die amerikanische Wüste stellt für mich den Höhepunkt des Spiels dar. In diesen Moment dachte ich mir, wie gut das Konzept im Episodenformat funktionieren kann. Stattdessen schmeißt man euch zu 80 Prozent in kleinere Situationen, die nur im Kontext der restlichen Handlung funktionieren und keinen abgeschlossenen Erzählbogen bilden.

Vielleicht wollte Cage damit Spannung erzeugen, doch sein übertriebener Einsatz von Vor- und Rückblenden, die über zehn Jahre auseinanderliegen, endet in einem totalen Chaos der Gefühle.

Ganz schlimme Auswirkungen hat dieser Ansatz auf die Nebencharaktere. Besonders der Wissenschaftler Dawkins, gespielt von Willem Dafoe, kommt viel zu kurz. Man sieht in seinen wenigen Auftritten die starke Beziehung zwischen ihm und Jodie. Ihr Verhalten zeigt eine tief empfundene Bindung. Aber warum sehe und vor allem erlebe ich diese Entwicklung nicht selbst? Dawkins ist die unterentwickeltste Figur im gesamten Spiel und erhält nur zum Ende einen größeren Stellenwert, weshalb sein krasses Verhalten einfach unplausibel erscheint. Wo ist seine Entwicklung? Man kann mir nicht einfach vier oder fünf kurze Sequenzen mit wenigen Fakten präsentieren und anschließend erwarten, dass ich seine Entscheidungen nachvollziehe. Zudem nutzt man Dafoes schauspielerische Talente nie wirklich aus. Er funktioniert am besten in ausdrucksstarken Persönlichkeiten, in deren Rolle er jeden Moment für sich beansprucht. Er leistet gute Arbeit, doch konnte er aus den gelieferten Texten nicht viel mehr herausholen.

Als Gegenteil präsentiert sich Ellen Page in der Rolle von Jodie Holmes in einer wunderbaren Darbietung. Zwar fühlt es sich so an, als hätte Cage ihren Charakter aus Juno in das Skript geschrieben, doch sie erledigt einen zu fantastischen Job, als dass es mich stören würde. Man vergisst nach kurzer Zeit, dass es sich um Page handelt, und sieht nur noch Jodie. Ihre einseitigen Gespräche mit Aiden bringen den unsichtbaren Charakter erst zum Leben. Ob Cage nun gelernt hat, bessere Dialoge zu schreiben oder die Unterstützung erfahrener Schauspieler bei der Umsetzung half, ist mir vollkommen egal. Wie sehr euch diese Tatsache über Probleme der zusammengewürfelten Handlung hinwegsehen lässt, muss jeder für sich selbst herausfinden.

Keine Angst vorm Tod

Ein zentrales Thema von Beyond, das sich allerdings auch viel zu spät herauskristallisiert, ist der Bezug zum Tod und was danach passiert. Im Verlauf der Handlung verliert Jodie jegliche Angst zu sterben, was sich mit der Ansicht des Spielers deckt. Denn auch ihr braucht euch keine Sorgen vor einem verfrühten Ableben machen. In Beyond: Two Souls existiert kein Game Over. Ihr spielt immer weiter, egal wie schlecht ihr euch dabei anstellt.

Man kann mir nicht einfach vier oder fünf kurze Sequenzen mit wenigen Fakten präsentieren und anschließend erwarten, dass ich Dawkins Entscheidungen nachvollziehe.

Das gesamte Spiel könnt ihr auch zu zweit spielen. Entweder mit Controllern oder per Smartphone beziehungsweise Tablet.

In einigen Szenen entstehen dadurch unterschiedliche Wege. Beispielsweise könnt ihr während einer Flucht vor der Polizei an manchen Punkten geschnappt werden, was euch auf einen alternativen Pfad führt. Doch meist gibt es solche Ausweichmöglichkeiten nicht. Solltet ihr dann jedes Quick-Time-Event vermasseln, kassiert Jodie zwar mehrere Schläge und sogar Messerstiche, bezwingt ihren Gegner aber letztendlich trotzdem ohne Konsequenzen. Sobald ihr euch dieser Tatsache bewusst seid, verfliegt jegliche Spannung in den Kämpfen. Zumal ihr durch die unzähligen Vorblenden sowieso schon wisst, wie das Ganze ausgeht. Heavy Rain bluffte in vergleichbaren Szenen wegen der Sterblichkeit seiner Charaktere deutlich wirkungsvoller und spannender.

Entscheidungen trefft ihr viel mehr durch Interaktionen mit eurer Umwelt. Durch den nicht chronologischen Aufbau hat euer Verhalten zwar keinerlei Auswirkungen auf das restliche Spiel - erst die letzte halbe Stunde entscheidet über eines von 23 Enden -, doch halte ich es persönlich für nicht so wichtig. Betrachtet eure Erfahrung mit Beyond: Two Souls eher als ein Rollenspiel. Verhaltet euch als Jodie oder Aiden so, wie ihr es für richtig haltet. Ihr wollt euch lieber aus Konflikten zurückhalten? Dann lasst Jodie beispielsweise in Ruhe, wenn sie gerade mit ihrem Date spricht. Ist euch lieber nach Chaos, könnt ihr währenddessen auch die gesamte Inneneinrichtung zerstören.

Durch den nicht chronologischen Aufbau hat euer Verhalten keinerlei Auswirkungen auf das restliche Spiel.

Per Druck auf die Dreiecktaste wechselt ihr zu Aiden, der Objekte in eurer Nähe beeinflussen kann.

Welche unterschiedlichen Wege es wirklich gibt, lässt sich schwer abschätzen, da sie meist subtil erfolgen, ohne dass ihr es merkt. In vielen Momenten dachte ich, die einzige Wahl getroffen zu haben. Als ich nach dem Ende allerdings die verpassten Trophäen betrachtete, wunderte ich mich über Situationen, in denen ich mich anscheinend auch anders hätte verhalten können. Ob euch das natürlich für einen zweiten Anlauf reicht, weiß ich nicht. Da mein erster Durchgang knapp zwölf Stunden dauerte, wollte ich nicht sofort wieder zurück. Lieber lasse ich es andere Personen spielen und tausche später Erfahrungen aus.

Dennoch verschenkte man hier zu viel Potenzial. Ich weiß, es klingt krank, doch warum darf ich keine Person umbringen, die nicht eine Waffe auf mich richtet? Einige Leute kann ich kurz würgen, doch entreißt mir das Spiel im letzten Moment die Kontrolle. In einer Szene folgt ihr einem schmierigen Typen hinter ein Haus, um dort für eure 'Dienste' Geld zu erhalten. Warum stoppt das Spiel automatisch diese Szene? Natürlich wäre es unglaublich unangenehm gewesen, wenn Jodie wirklich die Aktion ausgeführt hätte, aber immerhin sprechen wir hier über meine Entscheidungen als Spieler. Gleiches gilt für Situationen, in denen man Jodie einen Auftrag anbietet. Ablehnen kann ich ihn nicht. Das Spiel zwingt mich dazu. Aus Protest ging ich einmal für eine halbe Stunde in die Küche. Als ich zurückkam, hielt Dawkins noch immer seinen Arm ausgestreckt zu Jodie, die ein Geschenk annehmen sollte. Wie genial wäre es gewesen, wenn ich wirklich ganze Missionen hätte überspringen können, um damit Jodies spätere Psyche zu beeinflussen?

Mehr Stick, weniger Tasten

Wie auch Heavy Rain muss man Beyond: Two Souls als eine Art interaktiven Film betrachten. Da ihr nicht sterben könnt, verfliegen viele Herausforderungen und meist übernehmt ihr nur wenige Aktionen selbst. Wer die Quick-Time-Events in Heavy Rain als störend empfand, kommt mit Beyond vielleicht besser klar. Anstatt jedes Mal eine Taste zu drücken, erscheinen weiße Punkte auf Objekten, mit denen ihr interagieren könnt. Drückt einfach den rechten Stick in ihre Richtung und schon führt Jodie die komplette Aktion aus. Momente, in denen ihr mehrere Tasten gedrückt halten oder schnell tippen müsst, beschränken sich auf Actionsequenzen.

Ich weiß, es klingt krank, doch warum darf ich keine Person umbringen, die nicht eine Waffe auf mich richtet?

Optisch habe ich an Charakteren und eurer Umgebung nichts auszusetzen. Nur manche Bewegungen erzeugen einen leichten Uncanny-Valley-Effekt.

Hier verfolgte Entwickler Quantic Dream ebenfalls ein neues System, das für weniger Anzeigen auf dem Bildschirm sorgt. In Kämpfen driftet das Geschehen in eine Zeitlupe ab, sobald ihr eine Aktion ausführen sollt. Achtet dabei nur auf die Bewegung von Jodies Körper, in die ihr dann den Stick schiebt. Duckt sie sich beispielsweise bei einem feindlichen Schlag, zieht ihr euren Daumen nach unten. Es funktioniert überraschend gut und sorgt dafür, dass ihr mehr auf das Geschehen achtet. Gäbe es für versemmelte Eingaben größere Strafen, hätte es jedoch einen wesentlich stärkeren Effekt erzielt.

Eine generelle Empfehlung für Beyond: Two Souls auszusprechen, ist eine unmögliche Aufgabe. Man muss sich nur die bisherigen Schwankungen bei den Bewertungen und Erfahrungsberichten anschauen. Die einen lieben es, während die anderen nicht einmal damit warm werden. Ich liege wohl irgendwo dazwischen. Denn ich hatte auf jeden Fall meinen Spaß mit Beyond. Einige Stellen im Spiel sind hervorragend umgesetzt und zeigen ein Potenzial, das in längeren aber dafür weniger Episoden besser funktionieren würde. Auch wenn man Willem Dafoes ungenutztes Talent fast schon als Verbrechen bezeichnen könnte, gewinnt allen voran Ellen Page meinen höchsten Respekt. Ohne ihre hervorragende Leistung, hätten viele Stellen nicht annähernd ihre Wirkung erzielt.

Leider stand sich David Cage mal wieder selbst im Weg und musste sein Werk durch ein unnötiges Stilmittel sabotieren, dessen Einsatz und Wirkung er wohl nicht richtig versteht. Es wäre sicherlich interessant, das gesamte Spiel von vorne bis hinten zu analysieren, um seine Stärken und Schwächen hervorzuheben, doch damit möchte ich euch nicht langweiligen. Ihr wollt wissen, ob der Titel etwas taugt. Und so leid es mir tut, gibt es darauf keine richtige Antwort. Ich persönliche sehe Beyond: Two Souls im Nachhinein als eine interessante Erfahrung, durch die ich mich bereichert fühle. Doch es gibt zu viele Probleme, über die man dafür hinwegsehen muss. Die beste Empfehlung, die ich euch daher geben kann, ist ein Besuch in der Videothek oder bei einem Freund. Denn selbst Leute, die bei Fahrenheit und Heavy Rain ein Auge zugedrückt haben, dürften hiermit so ihre Probleme haben.

6 / 10

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