Enslaved: Odyssey to the West Premium Edition - Test
Diese Reise ist auch drei Jahre später noch jeden Meter des Weges wert.
Enslaved ist gewissermaßen das Beyond Good & Evil dieser Generation. Ninja Theory's postapokalyptische Spielwerdung des klassischen chinesischen Romans Die Reise nach Westen startete ebenfalls als neue kreative IP in ein feindseliges, spätherbstliches Verkaufsumfeld. Trotz toller Kritiken brachte es der Titel bis heute auf eine ernüchternde runde halbe Million verkaufte Einheiten. Eine Zahl, die sich, wenn man vgchartz glauben mag, nah an dem Volumen bewegt, dass das feingeistige Ubisoft-Action-Adventure vor zehn Jahren über die Ladentheken bewegte.
Doch auch inhaltlich tun sich Parallelen auf. Beides sind warmherzige Abenteuer, denen viel an ihren gut geschriebenen Figuren gelegen ist. Hüben wie drüben geht es um Unterdrückung, Sklaverei und brüchige Allianzen vor einem farbenfrohen, fantasiereichen Hintergrund. In beiden erwehrt man sich seiner Angreifer mit einem einem Knüppel und hier wie dort spielt sogar ein schweineartiger Charakter eine tragende Rolle. Versteht mich nicht falsch, müsste ich mich entscheiden, welches der beiden das größere Spiel ist, ich würde immer auf Beyond Good & Evil zeigen. Und doch war Enslaved eine wundervolle Überraschung, die das kommerzielle Siechtum, das sie ereilte, nicht verdient hatte. Der Markt kann manchmal grausam sein.
Odyssee auf der Suche nach den Einstellungen.
Jetzt hat das Spiel vor kurzem die lange fällige zweite Chance bekommen - in der Premium Edition für den PC. Und die ist auch drei Jahre später noch ein kleines, aber feines Ereignis. Gleich nach dem Start fällt allerdings auf, dass der Titel einen für PC-Verhältnisse ärgerlichen Fehler begeht: In den Grafikeinstellungen gibt es, abgesehen von der Auflösung, so gut wie nichts einzustellen. Das Justieren der Auflösung ist hier das höchste der Gefühle. Qualitätsstufe? Nichts da. Antialiasing? Nein, der Herr! Ambient Occlusion? Was bitte? Das Glück für uns ist allerdings, dass Enslaved in der Unreal Engine erstellt wurde, was bedeutet, dass auch irgendwo eine Konfigurationsdatei liegt, in der man alle maßgeblichen Werte bearbeiten kann.
Und siehe: Wer die MonkeyEngine.ini findet, hat sofort die volle Kontrolle. Hier stellt man vor allem auch das unschöne Motion Blur aus, das zwar auf Konsole mit nicht ganz felsenfesten 720p30 sehr angebracht war, aber in unerschütterlichen 1080p60 auf einmal fürchterlich schmierig, nervös und unpräzise zugleich aussieht. Wie gesagt, ändern, speichern, glücklich sein, aber zum guten Ton würde es heutzutage gehören, dass PC-User das aus dem Spiel heraus erledigen können.
"Man bemerkt sofort, wie gut sich das Spiel gehalten hat."
Ist erst das geschehen, bemerkt man auf jeden Fall sofort, wie gut sich das Spiel gehalten hat. Die Konsolenherkunft ist zwar direkt ersichtlich - bei den Texturen handelt es sich offensichtlich eins zu eins um die teilweise etwas niedrig aufgelösten PS3/360-Originale -, aber es schlägt sich sehr passabel und vor allem detailreich. Es ist mit seiner übertriebenen Farbpalette und etwas groben Umgebungsobjekten zwar näher an einem Spec Ops: The Line, als an progressiveren Unreal-Engine-Spielen, wie etwa Gears of War 3. Aber was soll's: Mit der charmanten Gestaltung seiner verwilderten Großstadtpanoramen gewinnt es ohnehin lieber Herzen als Schönheitswettbewerbe.
Wenn Einer eine Reise tut - und der Andere mit muss ...
Spielerisch erwartet euch die nur zur Hälfte freiwillige Reise zweier Figuren. Der akrobatische Stiernacken Monkey, gesprochen und gespielt von der lebenden Motion-Capture-Legende Andy Serkis ('Gollum') wurde mittels eines potenziell tödlichen Sklavenstirnbands von der rothaarigen Trip dazu gezwungen, ihr nach Hause zu helfen - in eine der letzten florierenden Menschenenklaven. Dazwischen liegen wenig mehr als von der Mutter aller Kriege verwüstetes Brachland, ungezählte Killerroboter und die Trümmer der Zivilisation.
Es ist ein seichtes, filmreifes Action-Adventure der Marke Uncharted mit viel spektakulärer Einbahnstraßen-Kletterei, das allerdings Feuergefechte gegen nicht gerade tief greifende, aber schön anzusehende Nahkämpfe tauscht. Der Clou an der Sache ist das unnachahmliche Tempo, das die sieben bis acht Stunden wie im Flug und ohne jeglichen Leerlauf vergehen lässt, während man merkt, wie sich die Beziehung Monkeys zu Trip nach und nach verändert. Es sind zwei verlorene Figuren, die erst stückweise begreifen, was sie dem unwahrscheinlichen Zufall, der sie zusammenbrachte, zu verdanken haben. Wir haben diese Generation viele Duos erlebt, die uns zeigten, wozu dieses Medium erzählerisch in der Lage ist. Clementine und Lee, Elizabeth und Booker, Ellie und Joel - aber Enslaved war früher dran als sie alle und überzeugte damals schon durch tolle virtuelle Schauspieler.
Das ist auch der Grund, warum man dem Titel verzeiht, dass er spielerisch über die komplette Dauer an der Oberfläche verweilt, nicht alle Mechanismen von der Fiktion so gut gestützt werden, wie das Heads-up Display (die Hoverboard-artige Cloud etwa) und dass es bei der Präsentation hier und da einige Sprünge und fehlerhafte Schnitte gibt. Es ist kein bis in die Haarspitzen durchgestyltes Naughty-Dog-Produkt, aber das ist in Ordnung. Enslaved ist von Anfang bis Ende charismatisch, packend und auf die gute Art eigentümlich. Eine gute Gelegenheit, zum Ende dieser Spielegeneration einen ihrer schönsten Titel noch einmal in Bestform zu erleben.