Far Cry 4 - Test
Lass' ihn raus den Tiger!
Beschriebe man Far Cry 4 als "Far Cry 3 in den Bergen", man träfe den Nagel auf den Kopf. Wunderbar offene Welt, schwindelerregende Wachtürme zum Erklimmen und spannend angelegte Camps zum Befreien. Dazu ein wahnsinniger Despot und Nebenfiguren aus dem Kuriositätenkabinett, wie sie die Houser-Rockstars an einem schwächeren Tag schreiben würden. Alles noch da, alles wie erwartet. Zum dritten Mal liefert Ubisoft einen Shooter, in dem man einen kaputten und von Gewalt regierten Schauplatz zu seiner eigentlichen und überall noch durchblitzenden Ursprünglichkeit zurückführt. Nur, dass man die Ränder der frankokanadischen Open-World-Schablone mittlerweile ziemlich genau erkennt.
Ergo waren die ersten Stunden eine unterhaltsame, aber irgendwo auch erwartbare Schießerei durch einen immerhin unverbrauchten Schauplatz. Überrascht wird man zu keiner Sekunde - bis es eben doch passiert und man auf einmal auf Tage hinaus nichts anderes mehr im Sinn hat, als auch den letzten "Point of Interest" auf der Karte aufzudecken und sich jeden einzelnen Wachposten unter den Nagel zu reißen. In meinem Fall kam der Moment hoch zu Ross. "Ross" taufte ich den ersten Elefanten, den ich nach einem frühen Upgrade des nun deutlich übersichtlicheren Skilltrees unter dem Gesäß hatte.
Im leichten Dickhäuter-Jog genieße ich gerade die Aussicht eine himalayische Serpentine links von mir hinunter, als plötzlich der Pick-up einer feindlichen Patrouille von vorne heranrauscht, kurz vor mir die Handbremse zieht und mit seinem nach Diesel stinkenden Hüftschwung direkt neben mir zum Stehen kommt. Ross mag offenbar keinen Diesel und zeigt der Beifahrertür des Lasters seine beste Hulk-Smash-Imitation. Noch bevor die AK-47-schwingenden Königstreuen aussteigen können, machen sie den dreifachen Rittberger die Klippe hinunter. Es sind diese ungeskripteten, übertriebenen und chaosbefeuerten Momente, in denen das Spiel zeigt, warum Far Cry spielerisch die aktuell wohl stärkste Ubisoft-Marke ist.
Im Gegensatz zu Assassin's Creed und Watch Dogs wirken die Zielmarkierungen auf der Karte in Far Cry lediglich wie Vorschläge, während die dynamischen Elemente - Tierwelt, Physik, Flächenbrände, Patrouillen, und spontan stattfindende Machtkämpfe - als zweite Macht neben dem Spieler das Abenteuer entscheidend formen. Unmöglich zu sagen, wie oft ich beim heimlichen Ausgucken eines Außenpostens von hinten von einem Tiger angefallen wurde, mich ein kontrolliert gelegtes Feuer selbst zum Rückzug trieb oder die Wucht einer Explosion einen brennenden Allradler als tickende Zeitbombe meterweit durch die Luft schleuderte. In Far Cry 4 ist man eher die Schippe im Sandkasten als das Auto auf dem Straßenteppich im Kinderzimmer. Man diktiert die Schlagzahl des Abenteuers selbst, ist aber auch seinen Launen ausgeliefert. Häufig genug mit mal lustigem, mal befriedigendem und auch mal etwas frustigem Resultat.
Bei so viel gefälliger Verspieltheit lässt sich nicht nur über die bereits sehr vertraute Struktur hinwegsehen. Auch dass die eigentliche Geschichte des jungen Kyrati Ajay Ghale, der mit seiner Mutter einst der Diktatur des sadistischen Pagan Min in den Westen entfloh und nun in seine zerrüttete Heimat zurückkehrt, weder sonderlich neu, noch außerordentlich zugkräftig ist, fällt da nicht weiter auf. Tatsächlich sammelt die Handlung diesmal sogar noch ein paar Punkte mehr als im letzten Teil, weil ihr euch dieses Mal regelmäßig zwischen zwei Lösungsansätzen der beiden miteinander zerstrittenen Anführer des Widerstandes, Amita und Sabal, entscheiden müsst. Wo die klischeehaften Nebenfiguren, der nervige Radiomoderator und Troy Bakers leider viel zu häufig abwesender Pagan Min aus verschiedenen Gründen enttäuschen, wird der Spieler wenigstens in die Gestaltung der Geschicke des Landes miteinbezogen. Ein einfacher, aber wirksamer Kniff für mehr Identifikation mit dem, was hier passiert.
Wird einem dann all das Drama, das ein bisschen zu häufig im Tonfall schwankt, dann doch mal zu viel, rennt man einfach in eine beliebige Richtung los, geht auf die Jagd nach verschiedenen Tieren, um aus ihren Häuten mal wieder Waffenhalfter, größere Taschen für verschiedene Munitionsarten oder Portemonnaies zu stricken. Oder man sucht nach geheimen Orten, klettert mit der neuen Abseilfunktion Klippen zu entlegenen Schreinen hinauf oder lässt beim Tiefflug mit der Wingsuit, Gyrokopter oder Segelgleiter die Seele baumeln. Regelmäßig entdeckt man Orte, in die man seine Nase stecken möchte, wird in Gefechte verwickelt oder stolpert spontan über Nebenmissionen, die jede für sich fast immer eine systemisch interessante Herausforderung bieten.
"Es spricht einfach für die Basis dieser Reihe, wenn man sich regelmäßig dabei ertappt, sich in gewisse Dinge und Szenarien kräftig zu verbeißen."
Es spricht einfach für die Basis dieser Reihe, wenn man sich regelmäßig dabei ertappt, sich in gewisse Dinge und Szenarien kräftig zu verbeißen. Ich wusste zum Beispiel, dass die neuen Festungen, die das Konzept der einzunehmenden Außenposten auf die Spitze treiben und jede für sich ein eigener packender Stealth-Level sind, nur sehr schwierig zu erobern sind, so lange man deren Boss noch nicht besiegt hat. Trotzdem legte ich mir schon recht früh im Spiel einen geschlagenen Nachmittag lang die beste Taktik zurecht, bis eine davon mein war, ohne dass der Alarm je erklungen wäre. Schon das Überrennen eines normalen Außenpostens ist ein Triumph, weil dank der nun deutlich vertikaler ausgerichteten Umgebung mehr Optionen für einen perfekt durchgeplanten Angriff gegeben sind. Aber wenn dann eine Festung fällt, fühlt man sich geradezu königlich.
Mit Ausnahme der Handlung lässt sich all das auch zusammen mit einem Freund erleben, was durch den Kumpelfaktor noch einmal gehörig an Drive, Chaos und - ja - auch Taktik gewinnt, wenn man den perfekten Angriff auf feindliche Stellungen plant, sich mit dem Kletterseil an den Hubschrauber seines Kumpels hängt oder einfach nur ein Wingsuit-Rennen vom Berg ins Tal austrägt. War Koop im dritten Teil noch gestelzt und ein irgendwo unnötiges Anhängsel, hat Ubisoft hier im Grunde alles richtig gemacht.
Nach Assassin's Creed Unity steht berechtigterweise die Frage der technischen Güte im Raum. Da aber auch diesmal wieder die recht ausgereifte Dunia-Engine unter der Haube werkelt, gibt es hier nur Gutes zu vermelden. 60 Bilder pro Sekunde sind auf der PS4 zwar vom Tisch, dafür aber sind wenigstens die 30 Bilder sehr stabil, von Tearing ist nichts zu sehen und überhaupt ist das Erscheinungsbild sehr sauber und solide, die Gestaltung der Welt und ihrer Bewohner satt und lebendig. Besonders die Beleuchtung fällt immer wieder angenehm auf, wenn zum Beispiel die untergehende Sonne sanft das Gras streichelt und selbst wehende Fahnen noch knackig scharfe Schatten über den Boden scheuchen. Um eine Steigerung gegenüber Far Cry 3 festzustellen, muss man schon genau auf das Fell der Tiere achten, aber da der Vorgänger bereits ein ausnehmend schönes Spiel war, ist das durchaus in Ordnung.
"Gerade im Clinch mit aggressiven, kleineren Tieren oder Angreifern im Vollsprint auf Ajay zu, ist doch eher 'spray and pray' angesagt."
Abseits der Schwächen in Handlung und Figurenzeichnung störte mich einmal mehr, wie ungenau das Zielen mit dem Controller wird, wenn die Gegner nah herankommen. Ansonsten fühlen sich die Bewegungen der Spielfigur, das Zielen, klettern, springen wirklich ausgezeichnet an, aber gerade im Clinch mit aggressiven, kleineren Tieren - Malaienadler, Honigdachs, Rothunde - oder Angreifern im Vollsprint auf Ajay zu, ist doch eher "spray and pray" angesagt. Ingesamt schieße ich deutlich häufiger daneben als in vergleichbaren Spielen. PC-Spieler mit Maus und Tastatur wird's nicht jucken. Ebenfalls ist ärgerlich, dass sich diverse Aktionen die gleiche Taste teilen. Nur schnell einen erlegten Gegner zu plündern kann schon mal einige unbeabsichtigte Waffenwechsel zur Folge haben und überhaupt könnten die Hotspots für Interaktionen etwas feiner umrissen sein und schneller reagieren.
Wer schon den letzten Teil kannte und schätzte, wird außerdem die Welt ein wenig beliebiger und seltener postkartengeeignet empfinden. Was in der Nahansicht und bis zu den Hüften im Mohn noch toll aussieht, wird mit zunehmender Höhe, besonders, wenn man sich fliegend über die Map bewegt, ein etwas deprimierendes Netzwerk aus Grasgrün und Granitgrau. Sowohl das Afrika aus Far Cry 2 als auch die Rook Islands des dritten hatten unterm Strich interessantere, dichtere Flora und markantere Gegenden zu bieten.
Letzten Endes ist es trotzdem ein Spiel, das seinem Vorgänger nur insoweit nachsteht, als dass es dessen zentrale Schwierigkeiten in Struktur und Erzählung - wenn man sie denn so begriff - auch zwei Jahre später nicht wirklich zu beheben wusste. Es ist ein Stillstand auf hohem Niveau, der in allen maßgeblichen Aspekten mit Leichtigkeit eine Qualität auf Augenhöhe mit Vaas und Co. erreicht. Es liegt bei euch, ob euch das geringe Risiko, das Ubisoft Montreal fährt, gegen den Strich bürstet.
Falls nicht, findet ihr in Far Cry 4 einen einladenden Sandbox-Shooter, der mit majestätischer Weite und Größe punktet und sich bei allem Kalkül einen erfrischenden, ja, erstaunlichen Drang zum Chaos bewahrt hat.