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Eurogamer: Weg mit den Wertungen!

Es ist Zeit für Empfehlungen: Bist du herausragend, eine Empfehlung, gar ein "Finger weg!" oder doch nur gar nichts?

Machen wir es erst mal kurz und schmerzlos, das Wichtigste zuerst: Ab heute, hier und jetzt werdet ihr auf Eurogamer.de - und auch Eurogamer.net und anderen Seiten des Gamer Networks - keine der liebgewonnenen Wertungen von 0 bis 10 mehr sehen. Stattdessen gibt es nun diese Empfehlungen, sortiert von furchtbar bis göttlich in Bezug auf die Qualität eines Spiels:

  • Finger weg!
  • (gar nichts. Keine Wertung. Leere.)
  • Empfehlung
  • Herausragend!

Das neue System

Auf den ersten Blick machen wir uns es einfach. Statt zehn Zahlen und der Null haben wir nun nur noch vier Einteilungen. Ganz unten am Boden des Fasses finden sich die Spiele, bei denen wir ganz klar Finger weg! sagen. Aus welchen Gründen auch immer, sei es technische Unwürde, spielerische Inkompetenz, derbste Langeweile oder alles in Kombination. Es ist bei diesen Dingern egal, ob es jetzt eine 3 oder 2 war: Das ist Mist, das solltet ihr nicht in die Hand nehmen, also Finger weg!

Dann kommt erst mal nicht so viel. Das ganze Spektrum, das folgt, ist eine Mischung aus "Öde!!!", "Für harte Fans vielleicht..." oder "nicht schlecht, ABER...". Mit anderen Worten: Spiele, bei denen eine Zahl allein nicht ausreicht. Bei denen man lesen muss, warum sie vielleicht für einen selbst doch was sein könnten, aber das eben unter Vorbehalt, und bei denen man sich der mal mehr, mal weniger gravierenden Fehler dringend bewusst sein sollte. Also, gar nichts heißt nicht, dass es keine Wertung gibt, sondern dass es ein schwieriger Fall in diesem großen qualitativen Mittelfeld ist.

Dann kommt die Empfehlung, was sich nach "gar nichts" mit einigem Abstand zur häufigsten neuen Einschätzung etablieren dürfte. Ganz einfach, weil es viele gute Spiele gibt, die einem großen Teil der Spieler Freude bereiten dürften. Die nicht perfekt sind, die ihre kleinen Macken haben, aber bei denen man so viel Gutes fand, dass der Tester am Ende des Tages offen und ehrlich sagen kann, dass das Spiel nach Berücksichtigung aller Tatsachen eine Empfehlung ist. Warum so genau? Lest den Test, nichts wird euch diese Bürde ersparen.

Dann gibt es schließlich ganz oben das goldene Krönchen auf dem großen Spielethron, die Titel, die herausragend sind. Wenn etwas herausragend ist, dann ist es nicht perfekt. Aber es ist entweder so verdammt durchtrieben genial gut, dass man es einfach spielen muss, oder es hat die Spielwelt, wie wir sie kennen, den nächsten Evolutionsschritt vollziehen lassen. Oder beides. Oder etwas ganz anderes, das so fantastisch ist, dass wir es uns jetzt gar nicht vorstellen können. Diese Spiele sind eindeutig herausragend.

Zu dieser Einschätzung, auch zu denen, die keine ausgeschriebene bekommen, gehört immer ein kurzer Minitext, eine Art Kleinfazit, das euch schon zum Start des Textes, zusammen mit der Einschätzung, einen Eindruck liefert, was euch im eigentlichen Text erwartet.


Warum? Weil es besser so ist. Für uns alle.

So, vier Wertungen - Finger weg!, gar nichts, Empfehlung, herausragend -, vorher waren es zehn oder elf, je nachdem ob man die Null mitzählt. Viel einfacher für uns jetzt, viel zu ungenau für euch. Oder?

Fragt euch stattdessen, ob es wirklich relevant ist, ob ein Spiel 5 oder 6 Punkte bekommt. In beiden Fällen wird es nur von einer ausgesuchten Gruppe gekauft , die eh vorher wusste, dass sie es haben möchte, weil es nun mal ihr Ding ist. Denn seien wir ehrlich: Ob 4, 5 oder 6, eine echte Empfehlung ist nichts davon und ihr würdet es in keinem Falle blind kaufen. Wenn ihr Interesse an dem Spiel habt, lest ihr den Text, könnt die Argumente abwägen und euch entscheiden, ob es etwas für euch sein könnte. Die Wertung im letzten Detail spielt ab dem Punkt des Entscheidungsprozesses keine echte Rolle mehr, denn wer sagt schon: "Hm, der schlüssige Text klingt, als wäre das was für mich, mit den Schwächen kann ich leben, aber die Wertung sind 5 Punkte, also kaufe ich es nicht"?

Wir können uns stattdessen auf die echte Trennlinie konzentrieren, die schon vorher nicht ganz einfach war, und an dieser werden wir als Tester nun gedanklich sehr viel mehr Zeit zubringen müssen, weil es plötzlich einen echten Unterschied macht. Die 7 war schon immer irgendwie eine Zwischenwertung. Nicht gut genug für höhere Weihen, zu gut für das untere Ende. Aber ist es jetzt wirklich eine Empfehlung? Ein schönes Beispiel wäre Alien Isolation. Ein in vielerlei Hinsicht großartiges Spiel, für manche das Spiel des letzten Jahres schlechthin. Aber es hat so viele Macken, Längen und Eigenheiten, die es Punkte kosten und die in einer traditionellen Wertung auch Berücksichtigung finden wollen. Bleibt also die Mittelwertung 7, die nichts Sinnvolles über das Spiel aussagt. Jetzt müssen wir uns entscheiden. Gar nichts heißt, dass die Schwächen zu heftig sind. Alien-Fans lesen, was Sache ist, der Rest geht mit Vorsicht an das Thema heran. Eine Empfehlung heißt, dass die Stärken nicht vernachlässigt werden sollten, von keinem. Dieses Spiel macht etwas so richtig, dass man es erleben sollte, und das trotz all seiner negativen Eigenschaften. In diesem Falle sagt das, was das Spiel bei uns nun ist, nämlich eine Empfehlung, weit mehr aus, als es eine dieser Zahlen kann. Dessen sind wir uns bewusst und es sind diese spannenden, schwierigen Spiele, über die wir nun länger nachdenken müssen.

Wir glauben, dass wir euch so besser genau die Informationen liefern können, die ihr braucht, um sinnvoll entscheiden zu können, ob wir denken, dass ein Spiel euer Geld wert ist oder ob ihr einfach in den Text müsst, um mehr zu erfahren, weil manche Wertungen einfach nichts Allgemeingültiges darüber aussagen können.

So viel zu diesen Überlegungen. Eine weitere wichtige sind die Spiele selbst und wie sie sich verändert haben. Als Spielwertungen erfunden wurden, gab es kein Online, kein Download, keine Patches. Nur ein Spektrum von "Müll in einer Pappschachtel" bis hin zu "Es hat alles für immer verändert, und das zum Besseren". Spiele waren fertig, egal ob sie es waren oder nicht. Sie waren im Vergleich zu den meisten heutigen Spielen oft schlichter in ihren Mechaniken und Konzepten - was keineswegs immer etwas Schlechtes sein musste - und damit auch leichter in einem Wertungsspektrum erfassbar. Grenzbereiche gab es auch dort, aber heute habt ihr innerhalb eines einzigen Spiels schon viele Grenzbereiche. Die Technik ist ein Traum, es spielt sich fantastisch, aber das ganze Konzept ist viel zu eigen und umständlich. Findet dafür mal eine Wertung. Tolles Solospiel, nur leider streikt sein komplett verbuggter Online-Multiplayer-Modus. Egal für den Einzelkämpfer, eine Katastrophe für den nächsten Typ Spieler. Das lässt sich nicht mit einer Note abdecken. Early Access ist das nächste Thema. Bis dahin war mein einfacher Spruch "Man kann es kaufen, also kann man es bewerten" von einer unumstößlichen Absolutheit. Diese ist nun erschüttert worden und diese Dinge zu bewerten, zu sagen, ob es eure Zeit wert ist, ist nun einfacher, denn wir müssen uns nicht mehr für eine Wertung entscheiden dafür, sondern ob das Spiel in seiner aktuellen Form eine Empfehlung ist. Oder eben auch nicht.


Keine Wertungen = Kein Metacritic

Als wir über dieses neue System intern gesprochen haben, stand eine wichtige Überlegung im Raum: Metacritic. Als eine von nicht so vielen deutschen Seiten waren wir bis heute dort gelistet, so wie auch Eurogamer.net und andere Gamer-Network-Seiten. Nun nicht mehr. Der Grund ist einfach, da, sobald wir anfangen würden, unsere neuen Einschätzungen in Zahlenwertungen umzurechnen, es auch gleich dabei belassen könnten, weil damit der Sinn der Übung komplett verfehlt wäre. Das Angebot, dass Metacritic unsere Tests eigenständig in Nummern umrechnet, konnten wir auch nicht annehmen, da wir plötzlich essentielle redaktionelle Entscheidungen in die Hände einer ganz anderen Seite geben würden, was natürlich überhaupt nicht geht.

Auch sind wir zusammen mit den englischen Kollegen der Ansicht, dass Metacritic und die Reduzierung eines Spiels auf eine aussagefreie Durchschnittszahl der Spielindustrie mehr schadet, als es ihr nützt. Auch wenn ich mich nun nicht mehr auf mitternächtliche Debatten zu Wertungen mit Publishern freuen darf, die ihren Meta-Schnitt noch retten wollen, so sehr ich Metacritic und Co. als reine Auflistung von verfügbaren Tests schätze, so sehr bin ich ein Gegner dieser Durchschnittszahl. Vor allem, weil sie nichts aussagt. Ein Spiel, das alle für okay halten, bekommt 70 Punkte. Ein hochkontroverser Titel, dessen Spektrum von 30 bis 90 Punkten reicht, bekommt vielleicht auch 70. Im ersten Falle sagt es nichts Neues aus, im zweiten ist es eine grobe Missrepräsentation des Spiels. In beiden Fällen ist weder dem Spiel noch dem Spieler noch sonst wem geholfen. Es hat einen unguten Einfluss, Spiele genau auf einen hohen Metascore zu trimmen, indem geschaut wird, was andere Titel taten, um diesen zu bekommen, was wiederum oft zu konservativen Gedankengängen führt, die sich schon bei der ersten Konzeption um diesen letzte, magische Zahl drehen.

Nun nutzen wir die Gunst der Stunde und verabschieden uns aus diesem in den letzten drei Jahren sicher nicht besser gewordenen Zirkus des Glattbügelns der Meinungen, Ansichten und Wertungen und versuchen, die Spiele stattdessen jenseits dessen zu würdigen.

Die einzigen Wertungen, die ihr von uns findet werdet, sind die auf Google. Fünf Sterne bekommen die Spiele, die herausragend sind, vier die Empfehlungen, einen das "Finger weg!"-Zeugs und drei alles andere. Das ist unserem neuen System nicht zu unähnlich und lässt sich auch nicht so leicht in Prozente oder Zehner übertragen, ohne die Intention und Aussage des Tests zu verfehlen.


(nicht) nur Verkaufsversion, (aber!) Online-Titel nur nach dem Launch

Unsere englischen Kollegen führen bei sich ein paar neue Regeln ein, die wir partiell schon nutzen, aber auch ein paar Sachen, denen wir uns nicht anschließen werden. So werden reine Online-Titel oder solche mit einer im Vergleich zum Solo-Teil weit gewichtigeren Online-Komponente erst abschließend gewertet, nachdem sie offiziell gestartet sind und ein paar Tage liefen. Das entspricht auch unserer bisherigen Vorgehensweise bei Eurogamer.de der letzten Jahre.

Was wir nicht tun werden, ist alle Spiele ausschließlich erst dann zu bewerten, wenn sie im Handel erhältlich sind oder zumindest auf einer Konsumenten-Konsole liefen. Unsere sogenannten Debug-Konsolen sind technisch identisch. Wenn das Spiel auf diesen gut läuft, kann man sicher davon ausgehen, dass es auch danach auf "normalen" Konsolen ohne Probleme läuft. Tut es das nicht, werden wir uns wie bisher informieren, ob noch ein Day-1-Patch kommt, und diesen zusammen mit der Verkaufsversion abwarten, bevor wir final werten. Auf getippte "Das werden wir noch in Kürze beheben"-Listen seitens eines Publishers verließen wir uns bisher nicht und werden daran auch nichts ändern. Genauso wenig werden wir Spiele testen, die auf einer Entwicklerumgebung laufen, sprich einem PC, der so tut, als wäre er eine PlayStation. Dies betrifft eh nur Review-Events, etwas, das wir nur sehr ausgesucht in Anspruch nehmen und dann nur einen Test bringen, wenn wir das Spiel wirklich auf der eigentlichen Plattform direkt spielen konnten.


So, das wäre das neue Wertungssystem. Danke, Wertungszahl, dass es dich gab, du hattest deine Zeit, vielleicht sehen wir uns wieder, man weiß nie, was die Zukunft bringt. Wenn das hier nichts wird, dann lassen wir vielleicht das alte anarchische ASM-System wieder aufleben. Aber wir denken, dass das neue System das richtige für diese neue Spielwelt ist und dass wir euch damit besser über das informieren, was wirklich wichtig ist: All die schönen Spiele.

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Martin Woger Avatar
Martin Woger: Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.