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Ein stiller Thriller in Virtual Reality: The Assembly

nDreams verzichtet selbstbewusst auf Gimmicks und große Schockeffekte.

Gut eine Dreiviertelstunde spielte ich auf einem Lokaltermin in München nDreams VR-Abenteuer The Assembly und es fiel vor allem eines auf: Dieses Spiel will wie ein gutes Buch genossen werden. Kein Schocker, (bis hierhin) kein Psychospiel, sondern ein finsterer Science-Fiction-Roman, den man am eigenen Leibe nacherlebt. Verfasst hat die grundlegende Geschichte, die man nach Art gängiger Erkundungsabenteuer selbst vorantreibt - allerdings mit mehr Puzzles, nicht unähnlich dem auf hohem Niveau gescheiterten Pollen -, Tom Jubert.

Schlimme Dinge passieren oft an den gewöhnlichsten Orten.

Der Autor hinter den Texten von The Swapper, FTL, Binary Domain und The Talos Principle bürgt fast immer für etwas andere Narrativen und farbenfrohen Flavour-Text. The Assembly könnte sich nun einreihen in die Riege erinnerungswürdiger Erlebnisse (ernsthaft: spielt The Swapper), wenn ihr den Geschehnissen in der Basis der Geheimorganisation The Assembly aus zwei verschiedenen Perspektiven auf den Grund geht. Tief unter einer amerikanischen Wüste baut dieser Bund an seiner eigenen Version von Rapture, denn sind wir mal ehrlich, was kann schon schiefgehen? Demnach werden auch hier Wissenschaftler mit flexiblen Moralvorstellungen ohne größere Auflagen von der Leine gelassen.

Auch Madeleine Stone halten die Verantwortlichen offenkundig für Assembly-Material, weil sie in einer familiären Verzweiflungslage einen gefährlichen Schritt zu weit ging. Sicher ist man sich ihrer nicht, weshalb man sie kurzerhand schanghait und ihr als unfreiwilligem Gast eine Reihe von Prüfungen vorsetzt. So soll sie einerseits ihre Eignung für die Eierkopf-Illuminati beweisen und andererseits von den Zielen und Möglichkeiten der Gruppe überzeugt werden. Die andere Seite der Geschichte erlebt Caleb Pearson. Der Virologe arbeitet bereits seit einer Weile bei diesem Verein und kommt einer Entwicklung auf die Schliche, die mit einem Mal infrage stellt, welchem Schlag Menschen er sich hier angeschlossen hat. Während Madeleine also Steinchenpuzzles und gestellte Mordszenarien mit ihrem Intellekt zu lösen hat, erkundet man als Caleb den unterirdischen Laborkomplex, ermittelt Passwörter, liest E-Mails und untersucht Petrischalen mit gefährlichem Inhalt.

Steineschieben in VR: Nicht originell, aber gut gemacht.

Nicht nur spielerisch gehen die beiden getrennte Wege, auch ihr Verhältnis zur Assembly verhält sich gegenläufig. Während Madeleine - ob sie will oder nicht - auf dem Weg hinein in diese gefährliche Ideologie ist, seilt sich Caleb gedanklich von ihr ab. Durch das Erleben beider Blinkwinkel erhält nur der Spieler das ganze Bild dieser Organisation. Das sind Einblicke, die den jeweiligen Figuren verwehrt bleiben. Optionale Entdeckungen und verschiedene Enden versprechen überdies eine gewisse Autorenschaft über den Ausgang der Ereignisse. Ich bin gespannt, wie sich das äußert, offenkundige Entweder-Oder-Entscheidungen präsentierten sich mir in den ersten Kapiteln jedenfalls nicht, was auf nuancierte Reaktionen des Spiels auf eure Taten hoffen lässt. Das - oder das Spiel trapst in die Falle, dass ihr nicht merkt, wie ihr beim Durchklicken aller Interaktionspunkte unwissentlich Entscheidungen trefft.

Mich überraschte vor allem, wie ruhig und auf dem Boden geblieben sich das Spiel präsentiert. Die Bedrohung ahnt man eher, als dass man sie spürt, das Laborleben ist erstaunlich alltäglich, wäre da nicht die Erkenntnis, dass hier etwas ganz gefährlich schiefläuft. Madeleines Puzzles sind in Sachen Interaktion clever gelöst und angenehm zu spielen, weil sie viel Kapital aus der VR-Idee schlagen - dank Oculus-Brille ganz nah an Gegenstände heranzugehen, das wird einfach nie alt. Aber hier beschleicht einen ein wenig das Gefühl, das einem bei vielen Puzzlern kommt: "Wenn die Figur angeblich so genial ist, warum kann ich dann diese Rätsel lösen?"

Keine Sorge, dem kleinen Kerlchen schien es eigentlich ganz gut zu gehen.

Das ist offenkundig kein Problem, das The Assembly lösen wird. Muss es auch nicht, wenn es so gut gemacht ist wie hier. Mit der Implementierung von VR für ein Ego-Abenteuer hatte das überschaubare Team ohnehin schon eine ordentliche Herausforderung von der Brust. Laufen per Controller, während man sich per VR-Brille umschaut, ist schließlich ein Garant für schlimme Motion-Sickness. Deshalb integrierte nDreams einige sinnige Komfortfunktionen. Neben dem von mir bevorzugten Teleport - Taste halten, per Blickrichtung Zielort bestimmen und einen Tastendruck und ein Blinzeln später ist man dort - darf man die Sicht auch stufenweise nach rechts und links drehen, denn vorwärts zu laufen per Analogstick macht noch am wenigsten Probleme.

Wenig überraschend ist der Teleport auch hier wieder der Königsweg. Und obwohl The Assembly nicht offiziell ein Roomscale-Spiel ist, dürfte man mit Vive auf dem Kopf sicher auch freien Fußes durch die Umgebung ziehen. Ich sehe jedenfalls nichts, was mich davon abhalten würde. VR-Spiele dieser Art werden noch eine Weile auf diesem Kosten-/Nutzen-Grat zwischen möglicher Übelkeit und einem zugegebenermaßen unschlagbaren Mittendringefühl wandeln, das einen noch tiefer in die Geschichte zieht. Zwar ist Teleportieren prinzipiell wundervoll und The Assembly hat auch bis hierhin keine Actionelemente. Aber in anderen Spielen dürfte es durchaus zum Problem werden, wenn man sich straflos von Gegnern wegbinzeln kann.

The Assembly experimentiert wohl für Apple an der neuen Lightning-Schnittstelle.

Nun gut, ein Thema für ein andermal und ein anderes Spiel. Hier und heute ist die seltsam gelassen Art The Assemblys, einen Thriller potenziell globaler Ausmaße als steriles Kammerspiel zu inszenieren, durchaus erfrischend. Wenn sich das zum rechten Zeitpunkt entlädt und die Erkenntnis- und Dramafrequenz punktgenau hochfährt, könnte sich die unterschwellig aufgebaute Spannung mit einem ziemlichen Knall entladen. Und wenn nicht - nun, dann erleben wir schlimmstenfalls eine Geschichte, die sich im Sande der Wüste verläuft, unter der sie spielt. In zwei Wochen wissen wir mehr.

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