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Vergesst Silent Hill, geht lieber auf den Bauernhof: Der Landwirtschafts-Simulator 17

Es gibt Eier.

Den Landwirtschafts-Simulator habe ich lange Zeit belächelt. Zu Unrecht. Das Ding ist schrecklich anspruchsvoll, es will gelernt, aber auch geliebt werden. Und es ist Zeugnis einer Landwirtschaftskultur von der garantiert kein Politiker will, dass ihre Existenz an die Öffentlichkeit gerät. Es lässt mich ein fauler Landwirt sein, der mit seinem dreckigen Pick-Up-Truck ins Dorf brettert und versucht, Unruhe zu stiften. Es aber nicht schafft und stattdessen dort eine grauenvolle Tristesse erlebt. Denn kein Ort dieser Welt ist trauriger als ein Dorf im Landwirtschafts-Simulator. Ich weiß das. Ich war vor Ort.

Postkommunistische Tristesse - hier im Dorf ist alles Leben schon längst entwichen.

Ich habe es wirklich versucht. Ich wollte zumindest virtuell der lustige Landwirt werden, den mir „Bauer sucht Frau" regelmäßig im Fernsehen zeigt. Das Leben als beliebter Bauer hat ja seine Vorteile: Man sieht, was man geschafft hat, man kann zumindest teilweise von der Hand in den Mund leben. Die Kehrseite ist Einsamkeit. Und der Geruch von Schweine-Exkrementen. Deshalb dachte ich, der Landwirtschafts-Simulator könnte etwas für mich sein - er riecht nicht und bietet mir das Erlebnis, ein Bauer zu sein, in einer sterilen Computer-Umgebung. Allein: Landwirt zu sein ist gar nicht so einfach, ich würde sogar sagen: Es frustriert! Ich habe allein drei Mal versucht, meinen blöden Grubber an meinen Traktor anzukoppeln, um damit mein Feld aufzulockern. Das hat wirklich erst beim dritten Mal geklappt und war unfassbar nervig. Ein Grubber ist übrigens ein Landwirtschaftsgerät, mit dem man seinen Acker auflockern kann. Wusste ich vorher auch nicht. Nach dem anstrengenden Nachmittag mit meinem Grubber war mir jedenfalls ein bisschen nach Ablenkung. Ich beschloss, in meinen Pick-Up zu steigen und einen Ausflug ins Dorf zu machen.

Als ich in mein Auto einstieg, umwehte mich plötzlich ein Hauch von GTA. Endlich auf die Straße, endlich losbrettern, kein blöder Grubber mehr, kein Feld, das Gefühl der Freiheit! Dabei ist der Landwirtschafts-Simulator in gewisser Weise sogar noch entspannender als GTA, denn mir kann nichts passieren. Wer hier mit 100 Stundenkilometern mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kollidiert, bleibt einfach stehen. Es gibt kein Schadensmodell, keinen Unfall, keine Verletzten, keine Polizei. Wer also in Gedanken noch bei seinem Grubber ist und sich nicht so recht aufs Fahren konzentrieren kann - im Landwirtschafts-Simulator ist das überhaupt kein Problem.

Dieser Herr geht gerade seines Weges - um den Häuserblock herum. Wieder und wieder und wieder.

Dann kam ich im Dorf an. Sofort wirkt alles ein wenig gespenstisch. Um die wenigen Häuser laufen die immer gleich aussehenden Gestalten mit gleichgültigem Gesichtsausdruck, sie starren vor sich hin und gehen zielstrebig ihrem Tagwerk nach. Woraus dieses Tagwerk besteht, ist eigentlich in jedem Open-World-Spiel ein Rätsel, das Spaß macht, zu erforschen. Im Fall des Landwirtschafts-Simulators ist die Antwort jedoch etwas zu simpel und sehr unheimlich: Die ausdruckslosen Gestalten laufen immer um den gleichen Block, was die Atmosphäre im Dorf irgendwie noch gespenstischer macht. Was ist mit ihnen geschehen? Wer hat sie zu den Zombies gemacht? Warum? Sind sie etwas noch Schrecklicheres? Bald steht fest: Silent Hill ist ein Vergnügungspark gegen dieses Dorf. Weit weg ist die vergnügliche Atmosphäre von „Bauer sucht Frau". Hier, in diesem Dorf, ist kein Platz für lustige Alliterationen, hier gibt es keine fröhliche Viehhirten, keine geselligen Gemüsebauern und erst recht keine ausdrucksstarken Agrarwirte.

Aber ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, irgendeinen Hort der Zivilisation zu finden. Meine persönlichen Erkenntnisse über die Dörfer der fränkischen Schweiz sagen mir, dass es in jeder Siedlung mindestens zwei Kneipen gibt, ganz egal wie klein sie ist. Tatsächlich zeigt die Auto-Map einige Hotspots an, die potenziell Kneipen sein könnte. Ich mache mich mit meinem Pick-Up auf den Weg finde jedoch nur blau rotierende Items, die entweder gar nicht reagieren oder solche, die sich als Eier-Verkaufsstand entpuppen. Es würde mich nicht wundern, an der nächsten Ecke einem Horror-Clown zu begegnen. Hier unten können wir alle fliegen. Und Eier verkaufen. Immer mehr schleicht sich bei mir das Gefühl ein, dass der Landwirtschafts-Simulator mich bestrafen will. Dafür, dass ich nicht weiter mit meinem Grubber spiele, dafür, dass ich die Sicherheit meines bereits mit drei hervorragenden Feldern ausgestatteten Hofes verlasse um mich im Dorf herumzutreiben, wo die Sünde wohnt.

Hier könnte ich Eier verkaufen. Das macht es alles irgendwie noch gruseliger.

Jede verdient eine zweite Chance. Auch dieses Dorf. Also erkunde ich weiter und finde einen verlassenen Spielplatz, umgeben von alten Autoreifen. Kein Kind spielt hier und die Geräte sehen auch nicht gerade so aus als seien sie in den vergangenen Jahren benutzt worden. Haben die Leute im Landwirtschafts-Simulator keine Kinder? Befinde ich mich hier in einer Art Vorhölle, in der alle Leute gleich alt sind, im Kreis laufen und dazu verdammt sind, den Rest ihrer Tage damit zu verbringen, sich ihr heruntergekommenes Kaff zu betrachten, in dem es keine Vergnügungsmöglichkeiten gibt? Außer Eier kaufen und verkaufen? Vielleicht haben auch sie alle nicht ihren Grubber benutzt wie vorgesehen. Vielleicht bin ich auch nur eine Missernte von diesem Schicksal entfernt.

Spiele ich Bauer in Prypjat?

Es könnte helfen, sich für einen Moment der Stille in mein Auto zu setzen, dachte ich. Dort nämlich, wie auch in allen Landwirtschaftsmaschinen, gibt es in dieser Ausgabe des Spiels erstmals ein Radio. Dort läuft vornehmlich Country, der so seelenlos, wie die Umgebung um mich herum. Als wäre es gar kein echter Country, nur etwas, das Aliens scheinbar vom Hörensagen kannten und nachäfften. Jedenfalls verstärkt diese Musik den deprimierenden Charakter dieser Dorf-Tour nur noch. Ich bin sehr froh, dass der Landwirtschafts-Simulator 2017 kein VR-Spiel ist, denn in diesem Fall hätte ich Angst, blutige Angst.

Eigentlich müsste jetzt irgendwann das Monster kommen. Aber es kommt nicht. So sehr ich mich auch auf verlassenen Spielplätzen, zwischen verrosteten Zäunen und alten Fabrikhallen herumtreibe, nichts passiert. Hier liegt der Hund begraben. Oder läuft irgendwo ewig um einen Häuserblock. Der perverse Horror des Landwirtschafts-Simulators entsteht nicht durch irgendeine dunkle Bedrohung. Er besteht in ihrer Abwesenheit. Das Dorf ist eine trostlose Zwischenwelt, in der es weder Gutes noch Böses gibt, es repräsentiert den neutralsten Status, den eine Gesellschaft einnehmen kann. Alle Leute laufen im Kreis und es gibt Möglichkeiten zum Eierverkauf. Bitte, ich will hier raus. Zurück zu meinem Grubber, wenn es sein muss.

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