Dishonored 2 - Test
Seid einfach ihr selbst. Was immer das sein mag.
Könnte Dishonored 2 die ultimative Sandbox sein? Nein, das sind wohl Dinge wie Garry's Mod. Aber ist es die ultimative Sandbox für Leute, die Garry's Mod nicht mögen? Wie mich? Ich brauche etwas mehr zielgerichtetes Streben, eine Handlung, die mir einen Punkt gibt, den es anzustreben gilt, gleichzeitig aber alle Freiheiten das zu tun. Ist Dishonored 2 dieses Spiel? Ja, ich denke schon. Es ist ein perfekter Titel um über die Mechaniken hinter den Mechaniken nachzudenken. Was will das Spiel von mir? Was seine Entwickler? Was geben sie mir, mit welcher Intention? Warum spiele ich, wie ich spiele? Warum nicht ganz anders, obwohl es ohne Probleme möglich wäre, auf zig Weisen? Was sagt das über mich als Spieler? Was sagt es über mich?
Inhaltlich gibt mir Dishonored 2 da gar nicht genug für an die Hand. Wäre das hier Assassins's Creed, würde ich darüber nachdenken wie ein Assassin's Creed. Über Spannungsbögen, das Verhalten einer KI in der offenen Welt, Charaktere, denen ich begegne. Dishonored 2 hat auch von diesen Dingen etwas, ohne Frage. Es ist immer noch ein Action-Adventure. Es kann von jedem gespielt werden. Es ist Mainstream. Und könnte gleichzeitig nicht weiter weg davon sein. Jeder kann es spielen, sollte es spielen und wird es spielen - in einer gerechten Welt zumindest, in der tatsächlichen traue ich ihm nicht so viel Erfolg zu. Aber jeder wird es für sich spielen, auf seine eigene Weise, sein eigenes Spiel. Was sagt das über diese Spieler aus?
Ich bin mir nicht sicher. Bin ich ein primitiver Spieler, weil ich am liebsten den gradlinigen Kampf suche und das Angebot übernatürlicher Kräfte an meine Figur nicht nutze, obwohl ich es annahm und sie nun habe? Ein besonders guter, weil ich sie nicht nutze, sondern mit dem Hammer, statt dem Feinwerkzeug an die Demontage einer Welt gehe? Bin ich gut, weil ich am Ende niemanden tötete und wenn doch, dann neu einen Spielstand lud? Vermisse ich so sehr die Herausforderung in anderen Spielen, dass ich hier gleich alle Register ziehe und der barmherzige Geist ohne den übernatürlichen Teil sein möchte? Oder ist es doch eine moralische Frage, die mir das Spiel für mich unmerklich abfordert und auf die ich eine Antwort gebe, ohne es zu realisieren?
Keine Ahnung. Diese Fragen bleiben am Ende von Dishonored 2 offen, wie könnte es anders sein. Das Spiel spricht schließlich nicht mit mir. Aber ehrlich gesagt, nach fast 30 Stunden glaube ich, dass es das könnte, wenn es wollte. Intelligent genug scheint es zu sein. Sicher, es ist eine geplante Intelligenz, die sich aus dem nährt, was ein guter Level-Designer leisten kann. Gefüllt mit der berechenbaren Pseudo-Intelligenz einer eigentlich "nur" und bestenfalls guten KI. Letzteres haben die meisten Spiele, ersteres genießen viel zu wenige. Aber viel zu viele behandeln dieses "du kannst, aber du musst nicht" viel zu stiefmütterlich. Insgeheim und auch manchmal offen wollen die Entwickler, dass jeder Spieler alles sieht, was sie sich ausgedacht haben und rein menschlich kann man das sicher auch verstehen. Aber wirkliche Größe erwächst in diesem Medium meist dann, wenn man den Spieler einfach machen lässt und ihm viel mehr Werkzeuge reicht, als er überhaupt in die Hand nehmen kann.
Das erste Dishonored fiel auch in diese Kategorie. Von einfachem Durchschlachten bis hin zum kompletten Ghosting war alles möglich und das zweite geht noch den Schritt weiter, dass es selbst die grundlegendsten Superfertigkeiten für optional erklärt. Und das bringt mich wieder an den Punkt: Warum will ich die eigentlich nicht nutzen? Es ist ja nicht so, dass sie keinen Spaß machen würden. Im Gegenteil, sie sind teilweise brillant. Wie ein Schatten huscht ihr um Gegner, spielt mit der Zeit, startet absurde Kettenreaktionen, in der drei fallen, weil ihr einen betäubt. Zwei verschiedene Figuren, beide mit ihrem eigenen Arsenal an überirdischer Macht. Und erst das irdische Arsenal. Feuer, Ablenkung, Minen unterschiedlicher Art, mal leise, mal laut. Spezialkommandos sind mit übersichtlicheren Waffengurten ausgezogen als Emily und Corvo das tun.
Versuchsweise habe ich Level entvölkert und hatte eine wunderbare Zeit dabei. Ich spielte komplett offensiv, ging auf hohen Schwierigkeitsgraden wie Hasardeuer mit gezogenem Degen auf den Feind zu, der dem Anspruch an diesen Schwierigkeitsgrad angemessen genug reagierte und seine Haut teuer verkaufte, mich oft ins Schwitzen brachte und oft genug auch die Oberhand behielt. Aber ich würde nie sagen, dass das eben nicht das Spiel ist, wo ihr euch allein einer Übermacht von sechs Wachen stellt. Doch, ist es. Auch. Es ist auch das Spiel, in dem ich den gleichen Level alles nahm, was ich an Mächten hatte und mich wie die personifizierte Strafe eines kreativen Gottes durch den Level bewegte, aus Hinterhalten unfaire Mehrfachmorde beging und dann über die Leichen zu meinem Ziel stieg, im Kopf schon neue Möglichkeiten für den nächsten Raum durchgehend. Und das Spiel, in dem mich eben keiner sah, niemand starb und die Macht eines Gottes ausgeschlagen wurde. Prometheus durfte sein Feuer behalten, es wurde nie wirklich gebraucht.
Dishonored 2 begeht dabei auch nicht den Fehler, die Herausforderung einfach so zu lassen, wie sie ist und eine Balance zu finden, die es nicht geben kann. Es gibt drei Zustände in der Welt, abhängig davon, wie viele sterben müssen und wie oft ihr gesehen werdet. Nach wie vor nennt sich das Chaosfaktor, dieser wurde aber noch mal gründlich im Vergleich zum ersten Teil nachjustiert. Bei einem hohen Faktor steigt die Sichtweite der Wachen, die eh schon höher ist, noch mal deutlich an. Sie wechseln sehr schnell von Unsicherheit zum Alarmzustand und es sind mehr von ihnen postiert. Wer mit dem Schwert in der Hand lebt wird nicht auf die etwas verlotterte Moral von Wachen treffen, die sich in Sicherheit wiegen, sondern eine Truppe, die zumindest versucht, bereit zu sein. Es funktioniert noch einmal besser als im Vorgänger.
Wenn wir schon bei den Verbesserungen von Dishonored 2 sind: Mein größter Kritikpunkt wurde deutlich abgemildert. Mal abgesehen davon, dass ihr jetzt eh ohne Zauberei spielen könnt, auch wenn ihr es tut, sind zwei entscheidende Sprüche nicht mehr ganz so mächtig. Im Grunde ließ sich ein Level von Dishonored mit dem Teleport-Sprung und der Detektiv-Sicht ganz entspannt lösen, selbst auf hohen Härtegraden, weil beide Sprüche eine extreme Reichweite hatten. Jetzt nicht mehr. Sie sind ohne Frage immer noch nützlich und erleichtern das Leben ungemein und manchmal immer noch etwas zu sehr. Aber weder springt ihr durch den halben Level, noch könnt ihr durch drei Zimmer gucken. Meist ist es sogar besser, sich um die Ecke zu lehnen - etwas, das ich im ersten Spiel praktisch nie genutzt habe -, weil die Röntgensicht kaum bis zur nächsten Wand reichte. Wo dann zwei Wachen standen, die problemlos durch den Raum gucken konnten, wenn man, sich in vermeintlicher Sicherheit wiegend, gemütlich um die Ecke schlenderte.
Wieder sind die Wege nicht exakt vorgegeben. Gerade mit der Schnellspeicherfunktion - die auch auf Konsolen nicht vergessen wurde! - lässt sich das gut beobachten. Eine Wache geht ihren kurzen Weg noch zu Ende, aber was sie danach tat, unterschied sich oft. Mal ging sie weiter, mal drehte sie sich um, mal lehnte sie sich an ein Geländer und hatte plötzlich den ganzen Raum im Blick. Stealth-Spiele, in denen ihr feste Muster lesen müsst, erkläre ich hiermit endgültig für passé und so viel sind es zum Glück ja auch nicht mehr. Aber so gut wie Dishonored 2 machen es zu wenige. Die Momente, in denen improvisiert werden muss, gehören immer zu den besten und hier ist euer ganzes virtuelles Leben eine Improvisationsarbeit.
Ich bleibe auch dabei, dass ein einziger gut konstruierter Level eine ganze Open-World wert sein kann. Hier bekommt ihr gleich neun davon, die sich praktisch immer in mehrere, große Abschnitte mit immer eigenen Herausforderungen unterteilen. Jeder Level hat etwas, das ihn eigen macht. Ein Trick, der euch Zeitebenen wechseln lässt, ein bestimmter Typ Gegner, ein Hindernis, das es so nur an dieser einen Stelle gibt, und ein wenig Umdenken erfordert. Dazu kommt, dass man sich oft genug auch ein nettes, optionales Rätsel hier und da überlegte, was über die üblichen Stealth-Fragen hinausgeht. Open World fordert von euch die Beherrschung der Figur, um auf Muster zu reagieren, die dann ewig wiederholt werden. Ein guter Level kann die Muster immer neugestalten und ich muss sagen, dass Arkane Studios mittlerweile zu den Besten gehören, was das angeht.
Was jetzt noch kommt, das sind die Dinge, wo ihre Talente dramatisch schwanken. Was sie nicht können oder wo ihnen vielleicht die Idee von zwei Charakteren und einer analogen Regulierung der Spielweisen durch den Spieler "on the fly" zuwiderläuft, das ist die große Handlung. Sie ist nicht schlecht, der Metaplot mit dem Outsider als mystische Figur wird ein wenig vorangebracht, aber im Großen und Ganzen habt ihr das beim letzten Mal schon gespielt und auch da war es alles andere als neu. Zumindest passt der Name.
Was die Erzähler von Arkane wiederum brillant beherrschen, sind die kleinen Geschichten und die Figuren. Jeder hat hier Persönlichkeit und wenn ihr euch die Mühe macht, zusätzlich noch all die kleinen Textfetzen aus Briefen und Büchern auch nur oberflächlich anzugucken, dann wisst ihr genau am Ende eines Stages, mit wem ihr es zu tun habt, warum ihr tut, was ihr tut und dass es oft genug eine Geschichte hinter der Geschichte gibt. Eben eingebettet in eine weitere Geschichte, die dann nicht so toll ist, aber wenn das mal einem Spiel in keiner Weise geschadet hat, dann diesem. Das wäre ja schon fast zu viel des Guten, wenn mich das auch noch an voller Spannung auf der Kante meines Sofas halten würde. Dann würde ich da schon längst auf dem Boden sitzen und es wahrscheinlich nicht mal merken.
Was sie dann wieder nicht können, ist Technik. Oder zumindest Grafik, denn sowohl Steuerung als auch Sounddesign sind tadellos. Ihr bewegt euch geschmeidig und mit fühlbarer Eleganz durch die Welt, bleibt nie an irgendwelchen Ecken hängen und was ihr tun wollt, das könnt ihr auch tun. Wichtig, gerade wenn es so dermaßen viele Möglichkeiten gibt, was das wohl sein könnte. Auch die Sprecher sind hervorragend, im Deutschen wie auch im Original.
Was uns direkt zu dem Grafikpunkt bringt. In der Synchronfassung ist Lippensynchron eine Beschreibung eines Zufalls, der in diesem Spiel von Zeit zu Zeit mal vorkommt. Teilweise ist es für 2016 schon absurd, dabei ist Englisch zu Deutsch eigentlich noch relativ dankbar von dem was ich gehört habe. Was die Umgebung angeht schwankt es von System zu System, wobei die Xbox mal wieder am ungünstigsten wegkommt, die PS4 würde ich sagen minimal besser und der PC natürlich an der Spitze, auch wenn hier die Performance aktuell noch schmerzhaft zu leiden hat - Patch in Arbeit, mal wieder. Aber mit Textur-Ruhm und Streaming-Eleganz bekleckert sich keine der drei Versionen. Manchmal stand ich auf der Xbox zwanzig Sekunden vor dem Kleingedruckten einer Plakatwerbung, bevor es dann plötzlich doch lesbar wurde. Andere Stellen haben einfach keine besseren Texturen als das Mid-Res-Elend, das vor euch wabert. Die Fernsicht verwandelt sich gerne bei großen Distanzen mal in Matsch. Nur auf die nackte Technik reduziert, ist Dishonored 2 Mittelmaß. Bestenfalls.
Völlig egal. Okay, nicht völlig, aber fast. Wenn das Art-Design so dermaßen charakter- und ausdrucksstark ist wie dieses, bei dem Figuren mehr noch als im ersten plastisch und greifbar wirken, wenn jeder Level das gewisse eigene Etwas hat, das ihn von gut zu denkwürdig erhebt, dann ist mir am Ende des Tages egal, dass die Texturen nicht ganz so toll sind. Sicher, besser wäre noch besser, da lässt sich nichts dran drehen, aber da der Stil mit seinen harten Kanten den Schwächen der Engine entgegenkommt, geht nicht so viel verloren, als dass es dem Spiel wirklich schaden würde. Wer eine Technik-Demo sucht hat genug Auswahl am Markt, wer nach einem Pro-Patch fragt... stellt eine völlig legitime Frage, aber die Antwort spielt eigentlich in diesem Falle keine echte Rolle.
Dishonored 2 ist mein Spiel des Jahres. Jetzt schon. Es kommen noch ein paar Gute. Es kamen schon ein paar sehr Gute. Aber Dishonored 2 lässt mich über Spiele nachdenken, wie ich es schon lange nicht mehr tat. Wie ein Spiel auf einem abstrakten, psychologischen Level funktioniert, warum ich spiele, wie ich spiele. Was Spielen für mich eigentlich für einen Reiz hat. All das funktioniert, weil es die Zügel nicht nur lockerlässt, sondern sie euch in die Hand gibt. Es zeigt auf das Ziel, aber wie ihr dort ankommt, das ist eure Sache. Und jeder der Wege ist herausragend, sowohl in seiner kreativen Gestaltung, wie auch den Werkzeugen, die euch diese Reise erlauben. Es stellt die moralischen Fragen nicht auf einem platten Game-of-Thrones-Level, nicht mit einem ach so selbsterkenntnisreichen "die Welt ist grau"-Schema. Es stellt sie einfach gar nicht. Das ist die Welt, das ist die Lage, das ist die lose Richtung. Go.
Ich fürchte, dass Dishonored 2 ein Flop werden könnte. Es ist eigentlich Mainstream, man kann es wie jedes andere Action-Adventure spielen, einfach Gas geben, nie unter die Haube schauen, weder der des Spiels noch der des eigenen Spielerdaseins. Dann spielt man es wie jedes andere dieser Gattung, wird es anschließend ad acta legen und das verpassen, was es eigentlich ausmacht. Was es zu einem solchen Juwel macht. In gewisser Weise ist Dishonored 2 selbst ein Outsider, eine überweltliche Präsenz, die leise ihre Botschaft flüstert und von nur wenigen vernommen wird. Es lässt euch die Wahl, ob ihr seine Kräfte annehmen wollt oder nicht. Es ist nicht böse, wenn ihr es nicht tut und wird euch immer noch eine gute Zeit bieten. Aber am Ende war es dann euer Verlust.
Entwickler/Publisher: Arkane Studios / Bethesda - Erscheint für: PlayStation 4, Xbox One, PC - Preis: ca. 60 Euro - Erscheint am: Erhältlich - Sprache: Deutsch, Englisch und andere - Mikrotransaktionen: Nein