The Surge - Test
Souls of Lords of the Sci-Fi.
Das Verhältnis des Autors dieses Artikels zu Dark Souls ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Mehr noch: des Scheiterns. Tatsächlich besitze ich jeden Teil der Souls-Reihe, bin aber bislang zuverlässig am ersten Endboss gescheitert und habe dem Spiel danach seinen Platz im Regal zugewiesen. Da stehen sie nun hübsch in einer Reihe im Regal, kaum gespielt. Ich erhoffte mir mit Lords of the Fallen einen weicheren Einstieg in dieses schwer zugängliche Genre der besonders schweren Action-Rollenspiele und scheiterte auch hier. Jetzt, endlich, ist der Knoten geplatzt. Dank The Surge.
Entwickler Deck13 hat es tatsächlich geschafft, die bekannte Souls-Formel - hoher Schwierigkeitsgrad, anspruchsvolle Kämpfe, vielfältige Möglichkeiten zur Charakter-Entwicklung - in ein Science-Fiction-Universum zu übersetzen. Und das ist mindestens genauso geheimnisvoll wie die Welt von Lords of the Fallen oder eben von den Souls-Spielen. Ihr beginnt das Spiel als Rollstuhlfahrer, der sich von einer Operation erhofft, wieder gehen zu können. Das passiert auch, aber nach einer Phase der Bewusstlosigkeit findet er sich in einer Welt voller augmentierter Zombies wieder. Cyborgs gewissermaßen, halbtote Menschen, die mit mechanischen Erweiterungen ausgestattet sind und nun nichts Anderes machen als durch die Gegend zu torkeln und mit ihren Energiewaffen auf alles einzuprügeln, was sich bewegt.
Was tut ihr als Spieler nun also? Ihr visiert sie an, entscheidet euch, auf welchen Körperteil ihr losgehen wollt und prügelt dann drauf los. Dabei sind erstens bestimmte Körperteile empfindlicher als andere. Und zweitens könnt ihr mit einem finalen Schlag ein Körperteil abtrennen. Wenn euer Alter Ego Köpfe abreißt, Arme abtrennt oder Beine wegschlägt, sieht das nicht nur extrem brutal aus, es hat auch spielerische Vorteile. Dadurch nämlich sammelt ihr Materialien mit denen ihr die Roboter-Bestandteile eurer Gegner nachbauen könnt. So fertigt ihr euch bessere Arme, Beine, ja sogar einen besseren Brustkorb und einen leistungsfähigeren Kopf. Allerdings: Abtrennen könnt ihr nur solche Körperteile, die keine Schwachstelle des Gegners sind. Und: Wenn ihr genug Exo-Energie habt, die ihr wiederum erhaltet, wenn ihr Gegner trefft. Das bedeutet, dass ihr vor jedem Kampf abwägen müsst, ob ihr nun ein schwereres Gefecht wollt und dafür euren Charakter weiterentwickeln, oder ob ihr den leichten Weg geht, dafür aber am Ende weniger davon habt.
Und das ist, wie für so ein Dark-Souls-like eben üblich, nicht leicht. Bis ich es überhaupt schaffte, die Fabrik zu durchqueren, mit der das Spiel startet, verging gut eine Stunde. Ihr könnt nicht einfach loslaufen und euch durch das Level laufen, wenn ihr das versucht, werdet ihr sterben. Ihr müsst euch stattdessen sehr genau aussuchen, wie ihr den Gegner besiegt und welche Körperteile ihr ihm abreißt, um dann mit all dem zusammengesammelten Kram zurück zur Medibay zu laufen, wo ihr euch schließlich weiter augmentieren könnt. Mehr Schrottmetall sorgt für mehr Steckplätze für Implantate, die wiederum geben euch diverse Spezialfähigkeiten, die unter anderem der Heilung dienen oder dem Auffinden versteckter Gegenstände. Außerdem könnt ihr hier eure Körperteile verbessern. Sterbt ihr dagegen, bleibt euer Schrottmetall auf dem Schlachtfeld zurück. Ihr habt dann nur begrenzt Zeit, es zurückzuholen und schafft ihr es nicht, ist es verloren. Kurzum: Dieses Altmetall ist das, was in anderen Spielen des gleichen Genres Erfahrungspunkte sind. Wofür ihr es einsetzt, ist eine strategische Entscheidung, die wohl überlegt sein will.
Nun muss ich schon zugeben, dass es das Setting ist, das mich bei The Surge gehalten hat. Ich mag Star Wars deutlich lieber als Herr der Ringe. Ich mag Science-Fiction, ich finde diese Spielumgebung unheimlich reizvoll und habe allein deshalb Lust an der Erkundung und der schrittweisen Eroberung der Welt. Cyber-Zombies hier, Drohnen à la Terminator dort, riesige Metallspinnen und Kriegsmaschinen als Endbosse, nur wenige Menschen und die meisten von ihnen in Bedrängnis oder halb tot, diese Art von Dystopie ist nach meinem Geschmack. Raketenbauteile ragen verwaist aus dem Boden, überall Container, Metallschrott, giftige Säuresuppe wabert über den Boden. Neben dieser Liebhaberei ist The Surge aber auch ganz objektiv betrachtet enorm hübsch präsentiert, glaubhaft inszeniert, toll vertont. Das Spiel wirkt alles in allem ausgefeilt, Bugs sind mir nur sehr selten begegnet und wenn doch, handelte es sich dabei meistens um einfache Clipping-Fehler.
Kritik üben lässt sich höchstens am Kampfsystem: Ihr habt zwei Schläge zur Verfügung, einen horizontalen und einen Vertikalen. Beide lassen sich durch längeres Knopfdrücken aufladen und so verstärken. Außerdem könnt ihr natürlich blocken und zurückspringen. Das war es dann aber im Großen und Ganzen auch - The Surge bietet nicht viel mehr als das Standard-Repertoire des Videospiel-Kampfes. Oft kommt es nur darauf an, zu warten bis der Gegner seinen ersten Schlag ins Leere gesetzt hat und ihn dann zu prügeln bis er das Zeitliche segnet. Zu Gegenwehr ist er dann manchmal gar nicht mehr in der Lage. Bam, Bam, Bam, stirb endlich. Das ist die Taktik. Problematisch wird das Spiel deshalb oft nur, wenn mehrere Gegner auf euch losgehen. Die halten sich dann nämlich nicht zurück wie in Assassin's Creed, was bedeutet, dass ihr auch mal einen Angriff abbrechen müsst um einem anderen auszuweichen.
In seinem Kern ist The Surge ein Kreislauf immer gleicher Handlungen. Gegner umhauen, Ressourcen sammeln, möglichst nicht sterben, zurückgehen zur Medibay. Letztere ist gleichzeitig der einzige Ort des Spiels, an dem ihr speichern könnt. Weil das so wichtig ist, schaltet ihr immer wieder neue Abkürzungen frei. Habt ihr die Fabrik am Anfang also einmal erfolgreich durchquert, müsst ihr das kein zweites Mal machen. Könnt ihr aber, grinden lohnt sich schließlich immer. Ihr müsst euch nur darauf einstellen: Ihr werdet die gleichen Orte sehr, sehr oft wiedersehen. Das macht aber nichts, denn ihr werdet auf euren Beutezügen regelmäßig etwas Neues entdecken, Areale freischalten und Fähigkeiten erspielen, von denen ihr gar nicht geahnt habt, dass es sie gibt. Jede davon fühlt sich wie ein kleiner Schatz an, den ihr hütet und pflegt, indem ihr ihn eurem Exoskelett hinzufügt.
The Surge ist ein so gutes Lords of the Fallen in der Zukunft wie es nur geht. Viel besser hätten die Entwickler die Formel nicht in ein Science-Fiction-Szenario versetzen können. Gegner mit großen Energieprügeln umzuhauen macht Spaß, ihnen die Gliedmaßen abzureißen ist eine Freude, die später mit neuen Upgrades auch noch belohnt wird. Eben das motiviert den Spieler, nochmal nach draußen zu gehen, erneut ein paar Feinde umzuhauen und die nächste kleine Verbesserung freizuschalten. Eure Charakterentwicklung fühlt sich nicht unbedingt an als würdet ihr Stufen aufsteigen, es ist eher eine Evolution. Ihr schraubt das Beinteil weg, das Armteil dran, schaltet das neue Waffen-Upgrade frei und auf einmal merkt ihr, dass ihr die Gegner der ersten paar Spielminuten jetzt erschlagen könnt wie jämmerliche Fliegen. Das ist unheimlich befriedigend. Es fühlt sich einfach gut an. Und eben das macht The Surge zu einem guten Spiel. Das Kampfsystem mag ausbaufähig sein. Letzten Endes zählt bei einem gameplay-fixierten Spiel wie diesem aber der schiere Spaß. Und den werdet ihr haben. Versprochen.
Entwickler/Publisher: Deck13/Focus Home Interactive - Erscheint für: PC, PS4, Xbox One - Preis: etwa 50 Euro - Erscheint am: 16. Mai 2017 - Getestete Version: PC - Sprache: deutsch - Mikrotransaktionen: Nein