10 Jahre Eurogamer.de: Dreimal die große Liebe, einmal der große Krach, Teil 2
Sebs 10 Jahre in vier Spielen.
So, drei Spiele aus den letzten zehn Jahren. Was ein Quatsch und wie rücksichtslos gegenüber all denen, die mir in den Minuten des Nachdenkens nicht sofort in den Sinn kamen. Aber so ist das nun mal, wie es aussieht. Hier also drei für die einsame Insel oder was man sonst sagt über Vergötterungen. Sie haben es sich verdient.
Meine drei der letzten zehn Jahre (ohne besondere Reihenfolge)
Dark Souls (2011)
In den letzten Jahren habe ich über keine Reihe mehr geredet als über diese und trotzdem fehlen mir die Worte. Hier ist alles gesagt, was es zu sagen gibt, also erzähle ich euch einfach von meinem definierenden Moment, als ich merkte, wie sehr ich längst mit Haut und Haaren drinsteckte. Es beginnt im September 2011, ungefähr einen Monat, bevor Dark Souls erscheint. Die Pressemuster sind früh auf dem Weg, dazu ein etwa zehnseitiger Start-Guide, verfasst von irgendwem bei Namco oder der zuständigen PR-Agentur (ich muss heute noch lachen, wenn ich an den ängstlichen Ton denke, in dem er geschrieben war).
Da sitze ich und beiße mich durch, vorbei an schwarzen Rittern und Brückendrachen. Schmied André ist mein bester Freund in diesen Tagen, obwohl ich seine Hämmerei hasse, jedes Mal, wenn mich Gargoyles oder Titanitdämon zum Leuchtfeuer über ihm befördern. Er ist fantastischer seelischer Beistand, ein Ruhepol, ein verlässlicher Anker. Er ist es.
Irgendwann stehe ich mit dem Gesicht zu ihm gerichtet und muss dann schnell mal... keine Ahnung, irgendwo hin, in die Küche oder so. Den PS3-Controller werfe ich wie immer in eine zusammengeknüllte Decke auf dem Sofa. Ein wenig zu enthusiastisch offenbar für die R2-Taste und so ramme ich André das Schwert in den Bauch. Es folgt ein Moment totaler Entgleisung, diesem alten Zausel ungewollt wehgetan zu haben.
Als er mich daraufhin angreift, renne ich, so weit mich die Beine tragen. Nur weg da und erst mal den Schock in die Tüte schnaufen. Vielleicht ist nach einer Leuchtfeuerpause ja wieder alles easy?
Nee, alles scheiße. André greift mich weiterhin an, egal wie viel Zeit verstreicht. Ich überlege ernsthaft, an diesem Punkt mit dem Spielen aufzuhören. Ich bin fertig mit der Welt. Ich verliere etwas, zu dem die Liebe in den vergangenen 20 Stunden langsam heranwuchs. Alles scheiße.
Schnell im Wiki nachschlagen geht nicht. Namco hat keine Ahnung. Keiner hat Ahnung oder war nur im Ansatz auf diese Urgewalt von Spiel vorbereitet. Der Bischof hinter den Gargoyles will irgendwas um die 100.000 Seelen fürs Tilgen der Sünden haben und ich bin nicht mal sicher, ob das überhaupt mein Problem löst. Trotzdem grinde ich den Mist zusammen, unten in den Untiefen. Paar Stunden schön Frösche lochen. Alles beisammen.
Ich werde nie vergessen, wie zitternd ich nach dem Bischof die Stufen zu André runtergehe. Und ich werde nie vergessen, wie ich beim Aufspringen aus Freude fast in den Couchtisch rausche. An diesem Tag fingen Videospiele an zu existieren.
Fallout: New Vegas (2010)
Das komplexeste und beste West-RPG der "modernen Zeit" und sechs Jahre nach seinem Erscheinen eine quicklebendige Erinnerung daran, dass wir so viel Glück wohl nie wieder haben werden. Nicht nur, weil sich Obsidian in den vergangenen Jahren intern veränderte, sondern auch, weil sich Bethesda nicht noch mal dermaßen die Blöße geben würde. New Vegas ist ihrem hochsolidem Fundament in jeder Hinsicht überlegen. Es nimmt, was als technischer Unterbau diktiert ist, und macht das Beste draus.
Was in dem Fall steht für ein inhaltlich in sich verknotetes Rollenspiel, in dem man wirklich eine Rolle spielen kann, vom verstohlenen Ninja bis zum Labersack oder Höhlenmenschen, der in Dialogen nur "Uuurgh" und "Jnaaaaarf" herausbekommt (leider schlechter als in Fallout 2). Allein dass man jeden NPC töten kann und die Handlung trotzdem eine schlüssige Lösung findet - wo gibt es so etwas heutzutage?
So sehr ich den Witcher liebe, aber als kampfbetontes Rollenspiel hat es nicht den Hauch einer Chance gegen Obsidians ideenreichen Rat-Pack-Western. Ich könnte mich jetzt um das Ausschmücken der Geschichte bemühen, wie mein Spielstand auf der Xbox 360 nach 30 Stunden unbrauchbar war, weil die Konsole bei jeder Schnellreise abstürzte (hab neu angefangen). Ich könnte von dem Ghul in Freeside erzählen, wie ich ihn bis aufs Unterhemd ausnahm und mich anschließend miserabel fühlte.
Es gibt so viele tolle Locations in New Vegas - Helios One, Camp McCarran -, eine territoriale Aufteilung, die in Anbetracht der Fraktionen Sinn ergibt. Hier saß nicht jemand und schrieb die Hauptgeschichte, der Nächste die Quests und der Dritte die Lore-Einträge. Hier greift alles so bewundernswert ineinander, wie man es heute selten erlebt. Und die DLCs, besonders Old World Blues, sind eine der letzten leitenden Arbeiten des fantastischen Chris Avellone, bevor er das Studio verließ. Ich könnte glückselig heulen bei der Vorstellung, dass es dieses Spiel gegeben hat. Und gleich danach noch mal, weil es wohl das Letzte seiner Art ist.
Super Mario Galaxy (2007)
Hier könnte und wollte ich nicht mal trennen zwischen Teil eins und zwei. Beginnen wir mit Musik.
Warum Nintendos Sternstunde zu den Besten überhaupt zählt, wird schon an diesem Frechdachs von einem Musikstück deutlich. Weil es die Freude transportiert, die man beim Spielen verspürt, und sich dem Takt des Geschehens beugt. Galaxy startet mit einer sanften Aussicht auf seinen Umfang. Die Einleitung entreißt Mario dem vertrauten Umfeld des Pilzkönigreichs und wirft ihn kopfüber auf einen grasbewachsenen Planetoiden, wo Schneehasen zu einer Schatzjagd laden.
Mit einfachem Fangenspiel lässt euch Nintendo auf seinen Koloss los, ohne dass das Umrunden kleiner Planeten einer Erklärung bedürfte. Das Bewegen, das Wiimote-Schütteln beim Herumschwingen an übergroßen Pusteblumen, das Erklimmen der Bienenmutter, das Schweben inmitten kosmischer Greifpunkte mit dem Stern um die Ecke - all das tut man intuitiv, weil es sich richtig anfühlt, nicht weil es das Spiel diktiert. In Sachen Spielbarkeit macht Nintendo niemand etwas vor und Super Mario Galaxy ist der beste Beweis dafür. Auch der scheinbar unbedeutendste Aspekt des Designs existiert zugunsten der Freude desjenigen, der hinter dem Controller sitzt und den Klempner durch Asteroidenfelder oder über Kuchenplaneten lenkt.
Ich halte Mario 64 abseits seines weltverändernden Status für das bessere Spiel, was die Erkundung außerhalb der Levelabfolgen angeht. Sunshine ist hier sogar noch einen Schritt weiter. In Galaxy stecken die elf seitdem vergangenen Jahre, die handwerkliche Perfektion, mit der die Japaner zu Werke gehen. Man könnte es heute nehmen, mit einem HD-Messer auf die Wii U schmieren und die versammelte Entwicklerlandschaft beschämen. Kein Druck, Nintendo, kein Druck...
Schlimm
Arcania (2010)
Ich neige zu Verdrängung unbequemer Tatsachen, daher war das hier keine einfache Kiste. Und zugegeben, es gibt definitiv schlechtere Spiele als Arcania. Kaputtere ganz besonders, aber keines ist so mies geschrieben, so haltungslos runtergeledert, dass man sich als halbwegs anspruchsvoller Spieler in jedem Dialog schämt.
Ich will hier nicht mal groß auf der Gothic-Schiene rutschen, das hatten wir alles schon hundertmal. Arcania war abseits seines Erbes komplettes Unvermögen, was Weltengestaltung und Quest-Design angeht, angereichert mit langweiligen und berechnend gestalteten Dungeons. Die Aufträge der Marke "Ork hat Schlüssel für die Truhe, in der das Buch liegt für den Hanswurst, der mir dann einen neuen Schlüssel für Kiste mit Item X gibt" bringen mich heute noch zum Lachen. Obwohl ich das meiste verdrängt habe, was sich da vor sechs Jahren auf meine Festplatte erbrach. Wenigstens die Landschaften waren schön anzusehen. Können auch nicht alle von sich behaupten.
Ehrennennungen
Bulletstorm: Ein Spiel wie die Rainer-Brandt-Eindeutschung eines Bud-Spencer-Films: bis ins Absurde übertrieben und am Ende des Tages bleibt nur ein grinsendes Kopfschütteln. Man lacht über sich und die Leichen, die man an Kakteen aufspießt, über die wahnwitzige Action und die knallige Welt um sich herum. Das Spiel mit der Peitsche, das Hin und Her zwischen Kicks und derbem Splatter, die Ragdoll-Animationen - ich liebe Bulletstorm wie kaum einen anderen Shooter.
Bayonetta: Ein Freund und ich haben uns den Arsch abgelacht in fast jeder Szene, der man hier Zeuge wird. Von Anfang bis Ende steigert sich das Spiel in einen Rausch, den man nur als Dabeigewesener verstehen kann, statt sich ausgelaugt über die mit Müh und Not erreichte Zehn-Stunden-Marke zu schleppen. Allein die Credits...
Pikmin 3: Der Krieg im Vorgarten, mit Konservendosen statt Panzern und Pikmin statt Gewehren. In kindlicher Perspektive zelebriert Nintendo die Liebe zur Natur, das Überwindenkönnen von Grenzen, egal wie aussichtslos es scheinen mag. Wie immer bei Nintendo ist kein Abhang umsonst, keine Mauer sinnlos. Alles besteht mit dem Bestreben puren Genusses dieses großartigen Strategiespiels, das in der Form wohl von niemand anderem hätte kommen können.
Donkey Kong Country Returns: Wie früher hockt man in Minenwagen, schwingt sich an Lianen auf bewegte Plattformen und der Level selbst macht erdrutschartig einen Abgang. Die Retro Studios - ein Entwickler, von dem man sooo viel mehr sehen möchte - finden genau den richtigen Weg zwischen Tradition und Moderne und treffen einen Nerv, von dem andere nicht mal wissen, wo er sitzt.
Left 4 Dead, Rainbow Six Siege, Worms 2, Soul Calibur 4, GTA Online: Weil es meine meistgespielten Online-Spiele auf der Xbox sind. Danke für diese vielen tausend Stunden.