10 Jahre Eurogamer.de: Dreimal die große Liebe, einmal der große Krach, Teil 3
Alex' vergangene zehn Jahre in vier und ein paar zerquetschten Spielen.
Der unverbindliche Vorschlag, uns auf eine Top 3 unserer Lieblingsspiele der letzten zehn Jahre zu beschränken und diese in eine Reihung zu bringen, die unsere Wertschätzung den entsprechenden Titeln gegenüber widerspiegelt, kam, glaube ich, vor ein paar Wochen von mir. Ich hatte erwartet, dass es schwierig werden würde, trotzdem hatte ich nicht damit gerechnet, in welchem Umfang mir das Kopfzerbrechen bereiten würde.
Meine drei Lieblingsspiele der letzten zehn Jahre
3. Rainbow Six: Siege (2015)
Das war schon ein echter Heureka-Moment, als ich vergangenen Samstag noch im Bett gedanklich der Zusammenstellung dieser Liste nachhing. An Schlaf war nicht zu denken, ließ ich doch alle 10/10 und Goldmedaillen Revue passieren, versuchte, mich an die Jahresbestenlisten zu erinnern, um auch ja keinen Titel zu vergessen. Die Plätze eins und zwei standen fest, nur der dritte war noch zu vergeben. Und dann passierte es irgendwann: Wieder einer dieser Flashbacks zu einer Mehrspielerpartie Rainbow Six: Siege vom Nachmittag. Ich ärgerte mich offenbar immer noch darüber, wie wir die entscheidende Runde wegen eines schlechten C4-Wurfs meinerseits und einer gewissen Wand, die ich besser verstärkt hätte, verloren hatten. So oft, wie das passierte, wie meine Gedanken zu bereits geschlagenen Schlachten oder noch auszutüftelnden Taktiken abschweiften, hatte ich meine "Nummer drei" bereits seit Monaten unter der Nase.
Es ist ein bisschen unheimlich, wie Siege meinen inneren Dialog nach einer kurzen Pause bis zum Frühjahr mittlerweile wieder beherrscht. Jedes Spiel musste sich seither daran messen lassen, wie viel Spaß, Spannung, Aufregung und geniale Team-Momente es in eine fünfminütige Runde quetschen kann. Diese Dynamik, diese Logik im Ablauf und dieses wechselhafte Wesen, dass sich keine zwei Runden gleich anfühlen. Selbst nach neun Monaten entdeckt man noch neue Manöver und Taktiken und lernt die Qualitäten bisher nicht genutzter Spielfiguren zu schätzen. Ein annähernd perfektes Design - auch wenn die technische Umsetzung noch zu wünschen übrig lässt und der Look einer der langweiligeren einer größeren Produktion der letzten Jahre ist. Alles andere, was seit April an Spielen so reinschneit, muss um die Krumen Zeit betteln, die Siege so übrig lässt. Und wenn man bedenkt, wie ausgepumpt man sich nach zwei Stunden hiermit fühlt, ist das nicht allzu viel.
Abgesehen von der nicht unbedeutenden Tatsache, dass es mit seiner gezielten Umgebungszerstörung mein Verständnis von Level- und Kartendesigns als statische Räume komplett umgekrempelt hat, liegt Sieges größte Errungenschaft aber woanders: Eigentlich mag ich gar keine klassischen Mehrspieler-Shooter. Meine Reflexe und Zielgenauigkeit sind bestenfalls durchschnittlich. Das behäbigere Tempo und ein Ablauf, der List, Geduld und Übersicht belohnt, holen Leute ab, die in Battlefield und CoD nur Sekunden nach dem Spawn schon wieder im Dreck liegen. Damit ist Siege gleichzeitig komplexer und schwieriger zu lernen als gängige Shooter und heißt Einsteiger trotzdem irgendwo herzlich willkommen. Dieses Spiel hat einige schmerzhafte Lernerfahrungen parat, die zu machen ungeheuren Spaß bereitet. Ich liebe es aufrichtig, fühle mich in ihm wohl und sehe den Tag noch nicht kommen, an dem ich ihm den Rücken kehre.
2. DayZ (2012)
Der Social-Engineering-Simulator überhaupt. Das Spiel, das den Survival-Trend insbesondere auf Steams Early-Access-Plattform lostrat - wofür es einige Leute mittlerweile verfluchen - und in dem man echte und ehrliche Angst um sein Leben empfinden kann. Fight-or-Flight, wenn man im Gras liegt, urplötzlich Kugeln von irgendwoher über den Kopf hinwegsausen und man keinen Schimmer hat, was man tun sollte, um seinen Hals zu retten. Gerade fühlte man sich noch wie an einem schönen Sommerspaziergang zwischen Wiesen und Wäldern im tschechischen Nirgendwo, jetzt liegt man wie paralysiert auf dem Bauch und fürchtet um all die Dinge, die man in mühsamer Schleicharbeit in der letzten Ortschaft fand.
Die Standalone-Version ist noch längst nicht auf dem Stand, den zuletzt die Mod hatte, setzt ihre Schwerpunkte lieber auf der virtuellen Selbstversorgerschaft im Kleinen, beim Craften und Anpflanzen. Das führt dazu, dass die besten DayZ-Momente immer noch ins Jahr 2012 zurückreichen, in die rund um die Uhr durchspielten Monate mit der Arma-2-Modifikation. Als eine Fünfergruppe schwerbewaffneter Überlebender mit zweifelhaften Intentionen mit einem Hubschrauber auf dem Krankenhaus der größten Stadt, Chernogorsk, landete und ein Freund und ich versuchten, ihnen das Fluggerät abspenstig zu machen. Als man auf dem Weg nach Norden im just reparierten Geländewagen auf einmal beschossen wurde, einen Reifen verlor und dann mitten im Gefecht einen Reparaturversuch starten musste. Als man in einem unachtsamen Moment am Arsch der Welt mit vorgehaltener Waffe überfallen wurde und sich mit bis zum Hals schlagenden Herz aus der Situation herausreden musste.
Dieses Spiel schreibt mühelos große Geschichten, wirkt wechselweise beruhigend und immens spannend. Im Verlauf einer dieser denkwürdigen Geschichten habe ich vor gut vier Jahren einen Freund gewonnen, mit dem ich auch heute noch fast täglich in Kontakt stehe. Und obwohl ich mir bewusst bin, dass Online-Titeln dieses Potenzial inhärent ist, haben wir aufgrund der zusammen erlebten DayZ-Abenteuer irgendwie eine besondere Verbindung. Klingt komisch, ist aber so. Gut 1500 Stunden dürfte ich insgesamt in DayZ, dessen diverse Mods und die Standalone gesteckt haben. Und weil jedes Leben ein bisschen anders abläuft, werden es mit Sicherheit noch ein paar hundert mehr.
1. Portal 2 (2011)
Meiner Meinung nach das perfekte Videospiel, die lustigste Komödie und der spannendste Thriller in einem. Wie oft habe ich nach dem Durchspielen das letzte Stück noch einmal auf Youtube geschaut, mir A-Capella-Versionen der finalen Turret-Opera angehört und Freunden und Fremden von diesem Erlebnis vorgeschwärmt. Medienübergreifend eines inspiriertesten und erinnerungswürdigsten Finales überhaupt, und das in einem Medium, das sich traditionell eher schwertut, einen guten Schlusspunkt zu treffen. Dass der eigentliche Ablauf des Puzzlelösens auf so schwindelerregend innovative Weise geschieht, gerät da fast zum Beiwerk. Eine Waffe, die Löcher verschießt - keine Einschusslöcher, danke Wheatley - und den Raum so krümmt, dass man man für einen Augenblick an zwei Orten gleichzeitig sein kann, das ist so fantastischer Nerd-Kram, dass einem der Kopf schwirrt.
Und dann die Details - leichte Spoiler folgen -, wie etwa, dass das nur auf einem bestimmten Untergrund klappt, warum das so ist und welche Folgen das an einem entscheidenden Moment am Ende nach sich zieht (wer wollte, könnte mit diesem Werkzeug die komplette Erdatmosphäre ins All hinauspusten, denkt mal drüber nach). Dazu der gesamte pechschwarze Hintergrund einer Anlage, die von vorne bis hinten von verrückten Professoren erdacht scheint. Jeder von ihnen hätte wohl blendendes Bond-Bösewichtmaterial abgegeben, wenn GlaDOS nicht so kurzen Prozess mit ihnen gemacht hätte.
Es gibt da diese Phase zwei Drittel durchs Spiel hindurch, irgendwo in der verfallenen alten Testanlage von Aperture Science, da dachte ich hin und wieder, dass sich Portal 2 ein bisschen zu ziehen beginnt. Immer wenn das passierte, kam der grandiose J.K. Simmons als Cave Johnsen, um mir aus den Lautsprechern heraus einen irre komischen Spruch um die Ohren zu hauen. Portal 1 war schon ein Juwel, Teil zwei ist aber so dermaßen treffsicher und randvoll mit Gags, Charakter und bahnbrechendem Art-Design, dass man nur den Hut davor ziehen kann, was ich hiermit tue. Mein Spiel der letzten Dekade.
Ein Spiel, das ich der Welt bis heute übelnehme
The WarZ (2012)
Jede Zeile, die ich schreibe, ist zu viel. Deshalb kurz: The WarZ war nicht nur ein unglaublich mieses, hastig zusammengeschustertes Stück Sch**** von einem Spiel, es war auch in doppelter Hinsicht mutwilliger Copyright-Nutznießer - World War Z und DayZ - und ein ruchlos durchsichtiger und ekliger Klon von Dean Halls seinerzeit himmelstürmender Arma-2-Mod DayZ. In jeder Hinsicht verabscheuungswürdig, irreführend beworben und inhaltlich ohne auch nur die Spur einer versöhnlichen Facette. Schnell wieder vergessen und sorry, dass ich euch kurz wieder daran erinnert habe.
Knapp daneben ist auch nicht immer vorbei - oder: die Nennungen ehrenhalber
The Last of Us (2013): Was für einen schönen Spagat diese packende Erzählung vom Ende der Welt in seinen Systemen doch schlägt - zwischen planungsgetriebenem Survival und der Notwendigkeit, auf eine bissige und anpassungsfähige KI in Sekundenbruchteilen unter Aufwendung wertvoller Ressourcen zu reagieren. Ein moderner Klassiker.
XCOM (2012): So macht man Remakes: Den Geist der Vorlage einfangen, ohne ihre besten Tricks nur wiederzukäuen. Dass diese Neuauflage meines All-Time-Lieblingsspiels noch dazu an meinem Geburtstag erschien, kann kein Zufall gewesen sein.
MGS 5 (2015): Das vielleicht am besten designte Spiel, das mir in den letzten zehn Jahren unterkam. Wäre Kojima mit der zweiten Hälfte nicht sichtlich die Zeit davongelaufen, die letzten Schleifchen an seine Saga zu machen, wäre es unter den ersten Dreien gelandet. Ich verstehe jeden, der sich einen anderen Abschluss gewünscht hätte.
Gleichzeitig kenne ich kein Spiel dieser Komplexität, das so sehr auf jede Aktion des Spielers vorbereitet gewesen wäre. Oder kennt ihr eins, in dem man eine Mission bestehen kann, noch bevor sie überhaupt begonnen hat? Als Spiel an sich und als Werk mit problematischer Entstehungsgeschichte ungemein faszinierend.
Rocket League (2015): Bewundernswert puristisch und wahnsinnig befriedigend. Gleich hinter MGS5 das nach objektiven Gesichtspunkten vermutlich im Design beste Spiel, das ich die letzten zehn Jahre erleben durfte. Reiner Wettbewerb, hier ist nichts dem Zufall überlassen und gleichzeitig die Skill-Decke höher und die Schwelle zum Einstieg niedriger als bei 99 Prozent vom Rest der Games da draußen. Ich bin nicht einmal sicher, wie das möglich ist.
FTL Faster Than Light (2012): Kann ich den Engi, der den Maschinenraum bemannt,"Scotty" nennen? Ja? Okay, Instant-Favorit! Ich bin ein einfacher Mensch, was soll ich sagen.
Spaß beiseite: Selten machten Selbstgeißelung und endloses Versagen, nur in der Hoffnung auf den einen perfekten Run, so viel Spaß wie hier. Tolle Musik auch.
The Walking Dead Staffel 1 (2012): Ich wünschte mittlerweile, sie hätten die Reihe nicht weitergeführt. Nicht nur hat sich die Formel spürbar abgenutzt, auch war es eine schiere Erlösung, als die Figuren diese Tortur am Ende der ersten fünf Episoden schließlich hinter sich hatten. Es war alles - und mehr - gesagt, ein Adventure mit der vielleicht rührendsten Vater-Tochter-Beziehung, seit es Videospiele gibt, erzählt. Dieses Spiel hat mein Herz gebrochen mit dem einen letzten Satz, den ich Clem zum Abschied sagte. Das war der perfekte Schlusspunkt und für mich das Beste, was unter dem Titel The Walking Dead je erschienen ist.
Vanquish (2010): Traumkombo aus Shinji Mikami und Platinum Games, herrlich zerbröselnde Mechs auf einer von Space-Sowjets besetzten Raumstation und Raketenrucksäcke, um auf den Knien mit 200 Stundenkilometern in Bullet-Time über den Boden zu knattern. Wie in dem einen guten Robert-Rodriguez-Film, den es nie gab. Der vermutlich aufregendste Third-Person-Shooter einer Generation, die dieses Genre perfektionierte. Trotzdem natürlich komplett untergegangen. Ich habe die Hoffnung auf eine PC-Umsetzung noch nicht aufgegeben.