Wird 2014 das schwächste Spielejahr seit langem? - Kommentar
Wenn zwischen vielen anständigen Spielen irgendwie die Würze fehlt.
Jetzt sind fast alle Katzen aus dem Sack. Die E3 2014 war eine gute Show ohne große Aufreger und mit vielen Spielen, die ich lieber heute als morgen spielen würde. Und doch bestätigt sie nur einen Gedanken, der mich schon eine ganze Weile umtreibt: Leute, ich glaube, 2014 wird kein allzu gutes Jahr.
Einen Großteil der vielversprechenden Titel, die in den vergangenen Tagen auf der wichtigsten Videospielemesse der Welt vorgestellt wurden, bekomme ich nämlich nicht "morgen" zu spielen, sondern erst 2015, im Jahr des Hoverboards und sich selbst schnürender Nikes. Ganz zu schweigen von den Verschiebungen, die von vorneherein klar waren. Am liebsten würde ich mich einfrieren lassen, um 2014 möglichst schnell hinter mich zu bringen.
Damit hier keine Missverständnisse entstehen, müsste ich vielleicht erst einmal meinen persönlichen Begriff von einem "guten Jahr" etwas eingrenzen. Das definierte sich für mich noch nie über die durchschnittliche Qualität seiner Spiele. Gute bis sehr gute Neuentwicklungen und routinierte Weiterführungen bekannter Konzepte gab und gibt es auch dieses Jahr wieder, während uns der eine oder andere Indie mit seinem Elan und Erfindergeist überraschen wird. Aber das ist eine Aussage, die man jedes einzelne Mal treffen kann, wenn man zwölf Seiten eselohrigen Kalender durch das Nachfolgemodell austauscht.
Was einen Jahrgang für mich ausmacht, das waren schon immer die Perlen, die unvergesslichen oder wegweisenden Spiele, über die man Romane schreibt, so lange bis es keiner mehr lesen will. Die echten 10/10er. Spiele, von denen man Bekannten erzählt, die weder Lust noch Interesse an derartig blumigen Abhandlungen oder Spielen überhaupt haben. Egal. Diese Spiele bekommen es trotzdem hin, dass man Verwandten, Freunden, Fremden (?) ein Pfund Grillgut an die Backe labert. Sie sind es, die einen Jahrgang zu mehr machen als nur einer Zahl; die mit einem Streich zwölf Monaten ein Gesicht und einen guten Charakter verleihen.
Noch in zehn Jahren werde ich mich an 2010 erinnern, den Erstkontakt mit Minecraft, Red Dead Redemption, Fallout: New Vegas. 2011 hatte Skyrim, Deus Ex und Dark Souls und noch wenn ich alt bin, werde ich von 2012 noch immer als das Jahr sprechen, in dem an meinem Geburtstag ein neues XCOM erschien, und ich die Wartezeit darauf mit DayZ, dem visionärsten Konzept seit Ewigkeiten, und The Walking Dead verdaddelte. 2013 bleibt mir wegen BioShock Infinite und The Last of Us ewig im Sinn. Die Stunden, die ich mit anderen über deren Enden sprach, gibt mir keiner zurück - und wenn es doch einer versucht, setzt es Schläge.
"Was einen Jahrgang für mich ausmacht, das waren schon immer die Perlen, die unvergesslichen oder wegweisenden Spiele, über die man Romane schreibt, so lange bis es keiner mehr lesen will."
2014 dagegen: eine Menge fraglos ordentlicher Titel, gute Unterhaltung, die ihr Geld wert ist, sogar ein neues Dark Souls haben wir bekommen. Von Langeweile ist nichts zu sehen, das stellen Dinge wie Wolfenstein und vergleichbar routinierte Kost sicher. Aber die großen Spiele mit dem dreifachen A, bei denen es in ein paar Jahren nicht nur den Investoren kribbelt - ich sehe sie nicht. Und selbst, wenn man etwas tiefer stapelt: Wo sind die Spektakel, die Spiele mit Event-Charakter, deren Erscheinen einen ganz besonderen Tag markiert, eben weil man nicht alle ein bis zwei Jahre einen von der Sorte bekommt? Metal Gear Solid hat sich gen 2015 verabschiedet, The Witcher 3 ebenso wie Batman: Arkham Knight. The Order 1886 wird 2014 genauso wenig fertig wie The Division. DayZ ist so nah und doch so fern und sowohl über Elite: Dangerous als auch Star Citizen könnte man dasselbe sagen.
Hinter uns liegen ein im Grunde formidables Titanfall, das an mir vorbeizog wie eine laue Frühlingsbrise - frisch, aber endlich - und ein Watch Dogs, das mit starkem Finger darauf zeigt, was noch kommen mag, am Hier und Jetzt aber nicht interessiert ist. Mit dem neuen Dragon Age und Sunset Overdrive empfehlen sich Kandidaten aus unseren von der Redaktion gewählten Top 10 der E3-Shows der großen Anbieter nach starken Auftritten ebenfalls als Vorfreude-Objekte, auf die meine Beschreibung passen könnte. Nach einem schwachen direkten Vorgänger beziehungsweise einem tristen letzten Spiel des Entwicklers bin ich aber vorsichtig.
Was gibt's noch? Destiny hängt wie ein schönes Versprechen über dem Frühherbst, doch auch davon verspreche ich mir nur einen von zwei Borderlands-Fixes dieses Jahr, wenngleich in einer deutlich anregenderen Welt, irgendwo zwischen Avatar und den Rockplattencovern der Siebziger. Ich hoffe, ich irre mich. Und Alien: Isolation sieht spitze aus, aber das war bei Colonial Marines auch nicht anders. Der Rest ergeht sich im gediegenen Standard, an dem an und für sich nichts auszusetzen ist: Ein neues Assassin's Creed, in dem man sich offensichtlich endlich ducken kann, ein Far Cry 4, in dem hoffentlich weniger zwanghaft Sendetürme freizuspielen sind, Battlefield und Konsorten.
Das klingt unglaublich abwertend, ist aber nicht so gemeint. Diese Titel sind ebenso das Blut, das durch die Adern dieser Industrie fließt, wie die besonderen "Alle-Jubeljahre-Spiele", nach denen ich mich hier ein bisschen hilflos verzehre, ohne zu wissen, was genau ich erwarte. Sie alle sind hochprofessionelle Spieleware erster Güte, mit der man die Zeit gut rumbringen wird. Aber wo sind sie, die Spiele für immer™, die von denen es in fünf Jahren HD-Remasters und Fanseiten geben wird, die weit über ihre Launch-Phase hinaus existieren? Wo sind die Spiele, die reihenweise neue Forenspitznamen und Memes hinter sich herziehen werden, wie ein lahmes, von einem Pfeil durchbohrtes Knie?
Vielleicht gehört es einfach zum Jahr nach dem Generationenwechsel, wenn sich die Entwickler mehr Zeit einräumen, um ihre neuen Ideen an die ungewohnte Hardware anzupassen. Vielleicht steh' ich nur mit einem Fuß in meiner Spieler-Midlife-Crisis. Vielleicht, ganz vielleicht, überrascht uns ja auch noch jemand - bitte, bitte, No Man's Sky - noch bevor die Silvesterkorken knallen.
Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber ich weiß, dass 2015 - zumindest für mich - ein besserer Jahrgang wird.