2015! - Unterschätzte Juwelen
Mehr Liebe für Underdogs!
Jeder macht mal Fehler, lässt liegen, was er sich eigentlich mal hätte genauer anschauen sollen, oder vertut sich bei einem flüchtigen Blick auf eine Neuerscheinung. Manchmal ertrinkt man auch einfach unter einer Flutwelle interessanter, aber schlicht zu vieler Spiele und ziert sich deshalb, bestimmten Games eine echte Chance zu geben. Diese Rubrik würdigt deshalb all die Spiele, auf die 2015 nicht laut genug Loblieder gesungen wurden, diejenigen, die besser sind als ihr Ruf oder ihre geringe Verbreitung vermuten lassen. Unterschätzte Juwelen eben. Wir hoffen, für euch sind ein paar dabei. Und wenn nicht, konnten wir zumindest diesen paar Spielen ein bisschen vom Endjahresrampenlicht spendieren.
Axiom Verge (PC, PS4, Mac, bald PS Vita)
Viel fällt einem dazu nicht mehr ein: Ein Mann, Tom Happ, designt, programmiert und vertont über Jahre hinweg nach Feierabend den vielleicht spektakulärsten Entwurf zum Thema Metroidvania seit Koji Igarashi in gute, aber bequemliche Routine verfiel. Axiom Verge ist ein wundervolles Sci-Fi-Erkundungsabenteuer in schrägen, offen angelegten NES-Welten mit ausgefallenen Gadgets. Fein verzahnt, perfekt zu kontrollieren und betörend im Klang überraschen immer wieder neuzeitliche Grafikeffekte und originelle Waffenideen. Dafür, dass dieses spezielle Subgenre der 2D-Action so dermaßen beliebt ist und Happs Beitrag dazu so unbeschreiblich gut, dass Samus Aran sich ohne mit der Wimper zu zucken an diese Expedition dranhängen würde, ist es erstaunlich ruhig um Axiom Verge geblieben.
Jetzt ist die Vita-Version direkt um die Ecke und für Käufer der PS4-Variante rückwirkend kostenlos. Vielleicht ist das ja noch einmal ein Anreiz für einige, sich in diese unheimliche Parallelwelt aufzumachen. Ich hatte in jedem Fall eine Menge fremdartigen Spaß. Es kommt selten vor, dass man in 2D das Gefühl hat, sich tatsächlich über einen unerforschten Planeten zu kämpfen. Probiert es aus - oder hört euch um Gottes Willen zumindest einmal den Soundtrack an, denn der verrät schon so einiges übers Spiel. (Alexander Bohn-Elias)
Test zu Axiom Verge
Axiom Verge auf Steam kaufen (aktuell 17,99 Euro) oder im PlayStation Store (aktuell 17,99 Euro).
Rebel Galaxy (PC)
Wie hat es Alex so schön in seinem Test ausgedrückt: "Das Firefly-Spiel, das wir nie bekamen." Schon als ich die Preview-Version von Rebel Galaxy vor einigen Monaten spielte, kam mir direkt die kurzlebige, aber umso genialere Sci-Fi-Serie in den Sinn. Das lag natürlich vor allem an der Hintergrundmusik, aber auch der Rest weckte dezente Erinnerungen daran. Die Suche nach der eigenen Tante wird später zur Schnitzeljagd nach außerirdischer Technologie, die euch kreuz und quer durch verschiedene Sonnensysteme führt. Ob ihr nebenbei noch als Kopfgeldjäger arbeitet, Rohstoffe aus Asteroidenfeldern abbaut oder ganz einfach zum Piraten werdet, liegt ganz alleine an euch.
Letztlich geht es darum, genügend Kohle zusammenzukratzen, um euch ein neues Schiff und bessere Ausrüstung zu kaufen. Gleichermaßen müsst ihr keine Angst davor haben, von irgendwelchen komplexen Spielmechaniken erschlagen zu werden, wie man sie in manchen Weltraumspielen findet. Der Einstieg ist einfach, das Spiel aber nicht zu leicht und es hält euch eine ganze Weile bei Laune. Und wenn ihr dann damit durch seid, könnt ihr euch ja noch mal Firefly und Serenity anschauen. Davon kann man ja nie genug kriegen. (Benjamin Jakobs)
Test zu Rebel Galaxy
Rebel Galaxy auf Steam kaufen (aktuell 19,99 Euro)
Grey Goo (PC)
Als schon in der Kindheit geprägter Command-and-Conquer-Fan hatte ich große Erwartungen in Petropglyphs "Grey Goo". Immerhin besteht ein Großteil der Belegschaft aus ehemaligen Mitarbeitern der aufgelösten Westwood Studios - da konnte man schon auf einen Pseudo-C&C-Nachfolger hoffen. Ich für meinen Teil wurde nicht enttäuscht. Die Kampagne frühstückt alle drei Fraktionen in einem Stück ab und ist, wie bei guten Dingen üblich, viel zu schnell vorbei. An der Optik gibt es nichts zu meckern und mit Updates kommen immer mehr abwechslungsreiche Karten hinzu, die insbesondere bei den Mehrspielerwettbewerben richtig zur Geltung kommen. Das liegt vor allem daran, dass sich Grey Goo wie ein Anti-StarCraft spielt. Es gibt keine spezifischen Baulisten, die millisekundengenau eingehalten werden müssen, um einen Klick schneller als der Gegenspieler zu sein. Spezialfähigkeiten bei Einheiten existieren nur sporadisch und wenn, dann geht die Sache automatisch. Mikromanagement - was ist das? Es gibt nicht mal sonderlich viele Einheiten, die den drei Fraktionen zur Auswahl stünden (zwischen neun bis zwölf), was auch gerne als Kritikpunkt am Spiel zu vernehmen ist.
Der letzte Punkt lässt sich zwar nicht abstreiten, allerdings hängt das immer vom Blickwinkel auf das große Ganze ab. Grey Goo ist im Vergleich zu Konkurrenten wie StarCraft ein sehr minimalisiertes RTS, bei dem weniger die Einheiten im Vordergrund stehen, als die Nutzung der verschiedenen Terrain-Eigenschaften und der clevere Basisbau. Höhenunterschiede (zum Beispiel durch Klippen, Abgründe, etc.) und Objekte wie Mauern, Gewässer, Bäume beeinflussen die Sichtlinien der Einheiten sowie der Verteidigungsgebäude, können aber auch für strategische Manöver wie Hinterhalte, Blockaden, Ablenkungsmanöver, Mehrfrontenschlachten genutzt werden. Verschanzt sich der Gegenspieler hinter einer Mauer, muss man ihn heraus und in einen Hinterhalt locken. Ist keine direkte Schusslinie möglich, rücken Einheiten mit parabelförmiger Flugbahn oder Lufteinheiten nach - genau dieses Taktieren macht Grey Goo so spannend. (Markus Hensel)
Test zu Grey Goo
Grey Goo Limited Steelbook bei Amazon bestellen (aktuell 19,99 Euro)
Her Story (PC/Mac)
Zwar wurde Her Story auf den diesjährigen Video Game Awards mit zwei Preisen ausgezeichnet, doch die überraschte Reaktion vieler Leute zeigte, wie unterschätzt diese kleine, narrative Perle weiterhin ist. Und obwohl die grundlegende Handlung von Her Story sicherlich kein Meisterwerk darstellt, gehört die innovative Erzählstruktur zu den faszinierendsten Spielelementen der vergangenen Jahre. Ihr müsst die kompletten Geschehnisse selbst aus kleinen Videoschnipseln zusammensetzen und diese auch erst einmal finden. Das komplette Spiel verbringt ihr mit dem Durchstöbern einer alten Polizeidatenbank, um anhand mehrerer Verhöre derselben Frau die Hintergründe eines Mordes zu verstehen.
Leider kann die altbackene Suchmaschine nur fünf Beiträge gleichzeitig anzeigen, weshalb man Namen oder Begriffe aus den Videos wählen muss, um damit seine Ergebnisse genauer einzugrenzen. Im ersten Moment ist alles noch sehr verwirrend, da man zufällige Berichte über einen Mordfall hört und im nächsten Video plötzlich von diversen Kindheitserinnerungen gesprochen wird. Doch Stück für Stück verbindet man die Punkte und fügt nach zwei bis drei Stunden zumindest die grobe Handlung zusammen, wobei der Titel genügend Spielraum für zusätzliche Interpretationen lässt. Freunde unkonventioneller Geschichten sollten sich Her Story auf jeden Fall einmal genauer ansehen. (Björn Balg)
Test zu Her Story
Her Story auf Steam kaufen (Aktuell 5,99 Euro)
Renowned Explorers: International Society (PC)
In diesem Jahr hat Undertale die meisten Lorbeeren dafür abbekommen, dass man es auch gewaltfrei spielen kann. Doch auch Renowned Explorers gebührt reichlich Lob, weil es seine Konfrontationen mit Gegnern umdenkt, wenn ihr denn wollt. Eure "Angriffe" - die Anführungszeichen müssen da stehen - zielen darauf ab, die Stimmung des Kampfes zu verändern. Eure Aktionen können also ermutigende Worte sein, hinterhältige Beleidigungen oder echte, ehrliche Attacken. "Freundlich" schlägt "Hinterhältig", "Hinterhältig" "Aggressiv" und "Aggressiv" "Freundlich". In diesem Zyklus obliegt euch allein die Kampfgestaltung. Man muss es schon sagen: Vom kleinen Utrechter Studio Abbey Games, das mit dem Godgame Reus vor einer Weile einen durchaus beachtlichen Erfolg feiern konnte (mehr als 800.000 verkaufte Einheiten), kam in diesem Jahr mit Renowned Eplorers ein kleines, aber feines Erkundungsspiel in der Schnittmenge zwischen FTL-artigem Kreuzzug und rundenbasierter Taktik heraus.
Und das hatte mehr Aufmerksamkeit verdient, als ihm letztendlich zuteil wurde. Vielleicht lag's am Namen, vielleicht war das Timing schlecht, vielleicht schmeckte es an einigen Ecken zu sehr nach Brettspiel? Sehr schade in jedem Fall. Das Spiel hat eindeutig Vision und ein gut ausgearbeitetes Konzept, während man Zug um Zug mit seiner selbst zusammengestellten Crew und den Ressourcen im Blick auf die Jagd nach verlorenen Schätzen geht. Es ist die Sorte Geheimtipp, die fast, ohne dass man es merkt, Stunde um Stunde auch am Laptop noch fesselt und so Zugfahrten und lange Flüge wie im Nu verstreichen lässt. Der hohe Wiederspielwert auf der Jagd nach dem Rang des größten Erkunders kriegt einen irgendwie immer wieder für eine neue Runde rum. Wenn Erkundertum, Rundentaktik und allgemein ein gemütlicheres Tempo euer Ding sind, findet ihr hier ein erstaunlich tiefschürfendes Spiel eines überaus talentierten Entwicklers. (Alexander Bohn-Elias)
Renowned Explorers: International Society auf Steam kaufen (Aktuell 19,99 Euro)
DriveClub Bikes (PS4)
DriveClub ist ein Paradebeispiel, wie man sich selbst das Leben mit einem verfrühten Release ruinieren kann. Ist der Ruf erst ruiniert... kommt man schwer aus dem Loch wieder raus. Was sehr schade ist, denn inzwischen ist DriveClub zusammen mit Forza Horizon 2 die Speerspitze des Arcade-Racings. DriveClub Bikes - entweder einzeln für kleines Geld oder als noch günstigeres Add-on - steht dem in nichts nach. Es ist praktisch die erste richtig gute Bike-Arcade seit gefühlt Hang-On-Tagen, und das ist echt lange her. Sicher, die Auswahl an Motorrädern ist sehr übersichtlich, aber da es im Grunde eh nur die Super-Bike-Klasse gibt, lässt sich das verschmerzen. Als Ausgleich gibt es ja eine Menge Tracks, und meine Güte, sehen die gut aus. Stellt das Ding auf ein Arcade-Bike-Kabinett, den Sound schön laut und ich würde es großzügig mit Euros füttern.
Das Fahrgefühl entspricht dieser Idee. Es geht nicht um die Feinheiten der Gewichtsverteilung, das Bike ist praktisch nicht umzuwerfen. Wartet auf den richtigen Punkt in der Kurve, legt euch voll rein und schießt mit atemberaubender Beschleunigung wieder raus. Da mag Milestone noch so toll alles Mögliche simulieren, das hier ist genau, was ich bei einem Bike-Spiel haben möchte. Entsprechend kurz ist meine Wunschliste bei Verbesserungen. Die grausige Gummiband-KI darf gerne gegen eine gute Gummiband-KI getauscht werden. Es ist schade, dass DriveClub seit dem verunglückten Start anscheinend nicht so viel Liebe einfahren kann, wie es mittlerweile sollte. Aber gönnt zumindest dem Motorradzusatz eine echte Chance. So viel Spaß auf zwei Rädern bekommt man selten, vor allem nicht in dermaßen schicker Form. (Martin Woger)
Test zu DriveClub Bikes
DriveClub Bikes als Standalone kaufen (aktuell 19,99 Euro) oder als Add-on für DriveClub (aktuell 14,99 Euro). Basisspiel DriveClub versandkostenfrei bei Amazon bestellen (aktuell 34 Euro).