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25 Jahre später: Wie ein verschollenes DICE-Spiel von den Toten auferstand

Ultracore von Strictly Limited Games archiviert ein Stück vergessene Spielgeschichte.

Viele Jahre lang galt der Action-Plattformer Hardcore als verschollen. Einst vom Battlefield-Studio DICE für das Mega Drive, das Sega Mega CD und den Commodore Amiga entwickelt, wurde das Projekt kurz vor der Vollendung eingestellt. Eine Zeit lang befasste sich keiner mehr damit. "2001 durchstöberten der damals dort arbeitende Mikael Kalms und ein anderer DICE-Mitarbeiter einen Abstellraum im Büro auf der Suche nach Daten des Spiels", erzählt Dennis Mendel, Mitgründer von Strictly Limited Games, im Gespräch mit Eurogamer.de.

"Sie wussten, dass sich die Chancen auf den Fund nützlicher Spieldaten von Jahr zu Jahr verringerten und rechneten damit, dass es dort an irgendeinem Ort herumliegt", fährt er fort. "Sie entdeckten einen Amiga-4000-Prototyp und waren in der Lage, den Inhalt der sterbenden Festplatte wiederherzustellen (das meiste davon). Darauf befanden sich die Dateien, nach denen sie suchten. Die Rechte lagen beim damaligen Publisher Psygnosis. Und abseits der komplizierten Probleme mit der Lizenzierung wäre es nötig gewesen, das Spiel auf die damals aktuellen Konsolen zu portieren. Mikael hatte kaum Zeit für seine Hobbys, geschweige denn für die Erstellung von Portierungen. Daher ruhten die Dateien mehr als ein Jahrzehnt auf einer portablen Festplatte und warteten auf eine Gelegenheit zur Veröffentlichung."

Dennis Mendel (links) und Benedict Braitsch.

Lange Zeit tat sich nichts, bis im November 2017 die Vorbereitungen für die erste Veröffentlichung von Strictly Limited Games (Tokyo 42) abgeschlossen waren. Bis dahin hatte das Team mehrere Monate mit der Suche nach einem tollen und unveröffentlichten Spiel eines japanischen Kultentwicklers verbracht. "Wir arbeiteten an der Pressemitteilung, die uns als neuen deutschen Vertrieb kleinerer Auflagen ankündigt", erzählt Mendel. "Wir fügten eine kleine Passage hinzu, die unsere Suche nach verlorenen Schätzen andeutete. Einfach um den Leuten mitzuteilen, dass wir einen echten Unterschied auf dem Markt machen möchten und nicht einfach 'ein weiter Publisher' sind."

Vor vielen Jahren wiederentdeckt, brauchte es noch eine ganze Weile, bis es erscheint.

"Dieser Part erhielt mehr Aufmerksamkeit, als wir erwarteten", fügt er hinzu. "Eines Tages kontaktierte uns eine Person (die jetzt Teil des Ultracore-Teams ist) und sagte, sie kenne da einen Typen (Mikael Kalms), der nach einer Möglichkeit sucht, Hardcore endlich zu veröffentlichen. Natürlich waren wir mehr als erfreut darüber und wollten mehr darüber erfahren. Da wir zu dem Zeitpunkt mit Sony arbeiteten, sprachen wir mit mehreren Leuten, um herauszufinden, wie sich dieses Projekt realisieren ließe. Zum Glück unterstützten sie alle diese Idee. Um den Übergang so reibungslos wie möglich zu gestalten, änderten wir den Namen des Spiels in Ultracore."

In den letzten beiden Jahren hat Strictly Limited Games daran gearbeitet, das Spiel fertigzustellen und zu veröffentlichen. Damals war es zu 99 Prozent fertig. Die Einstellung des Projekts erfolgte seinerzeit aufgrund der Einführung neuer Plattformen. Da stellt sich die Frage: Warum erschien es nicht einfach für diese Systeme?

"Das Spiel hatte das gleiche Problem wie viele andere 2D-Spiele zu dieser Zeit", erläutert Mendel. "Nach der Einführung der neuen und leistungsstarken, 3D-fähigen Hardware in Arcade-Maschinen und zuhause galten 2D-Spiele überwiegend als veraltet. Die Leute hatten Lust auf diese neuen, beeindruckenden Spiele wie Virtua Fighter, Tekken, Daytona oder Ridge Racer. Daher suchten die Hardware-Hersteller nach passenden Spielen, die die 3D-Leistung ihrer Plattformen untermauerten."

Fast fertig und damals doch eingestellt.

"Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist es in gewisser Weise nachvollziehbar, dass Hardcore nicht als Spiel in Frage kam, um die Leistungsfähigkeit der PlayStation zu demonstrieren", fügt er hinzu. "3D war die Zukunft, 2D die Vergangenheit ... so ungefähr. Es freut mich, dass in den letzten fünf bis zehn Jahren - dank der fantastischen Indie-Titel und dem Erfolg der Retro-Mini-Konsolen - diese altmodische Ansicht aus den Köpfen verschwand. 2D- und 3D-Spiele existieren friedlich nebeneinander, es sind zwei Seiten derselben Medaille."

Der Vorteil bei Ultracore war, dass das Spiel inhaltlich im Grunde fertig war. "Es erforderte dahingehend nicht viel Arbeit von unserer Seite", erklärt Benedict Braitsch, ebenfalls Mitgründer von Strictly Limited Games. "Wir nahmen einige Optimierungen der Boss-Mechaniken vor, um es ein wenig herausfordernder zu machen, und beseitigten einige Bugs. Das Schwierigste war die Portierung auf die modernen Konsolen, wofür wir das Mega-Drive-Spiel als Basis nutzten. Vor allem die Portierung der Vita-Version unterschied sich deutlich von den anderen Plattformen, was an den Einschränkungen des Systems liegt. Uns war wichtig, eine qualitativ gute Portierung abzuliefern. Dafür waren viele kleine Verbesserungen am Code notwendig, um sicherzustellen, dass es gut auf allen Plattformen läuft."

"Wir haben nichts am Inhalt des Spiels geändert", versichert er. "Natürlich waren ein paar Bugfixes erforderlich, damit es sich gut spielt. Wir haben die Steuerung überarbeitet, damit sie komfortabler ist. Zuvor war es nötig, dass der Charakter stehenbleibt, um zu schießen. Und das Zielen fühlte sich ein wenig schwerfällig an. Jetzt ist es deutlich besser und funktioniert mit Controllern wie dem DualShock 4."

Ihr ballert jede Menge Feinde über den Haufen.

Ergänzt hat Strictly Limited Games das Spiel um einen neuen, optionalen Soundtrack. Damit reagiert das Unternehmen auf die positiven Reaktionen der Fans in Bezug auf den Track, der damals für die Ankündigung des Spiels im Trailer Verwendung fand. Dieser modernere Soundtrack umfasst Stück verschiedener Synthwave-Künstler wie Scandroid, Mega Drive, Fury Weekend, Waveshaper und andere.

Für das Unternehmen ist es das erste Projekt dieser Art und ein aufregendes dazu. Und ebenso eines, das eine Menge Zeit beansprucht. "Die komplette Organisation eines solchen Projekts ist mit Sicherheit schwierig", erzählt Braitsch. "Das Entwicklerteam stellte sich im Grunde von selbst zusammen. Ein großer Kopf nach dem anderen schloss sich dem Vorhaben an, Ultracore zurückzubringen. Das Team strahlte überall diese Passion und diesen Enthusiasmus aus. Letzten Endes ist es eine Leistung des gesamten Teams, das fantastische Arbeit geleistet hat."

Dabei setzt Strictly Limited auf die Fähigkeiten verschiedener erfahrener Leute. Einer von ihnen arbeite noch mit Dev-Kits des Sega Mega Drive, ebenso kennen sie alle Unterschiede zwischen den modernen Plattformen. "Sie sind Experten in ihrem Gebiet und ohne sie wäre es unmöglich, das Spiel fertigzustellen", sagt er.

Sieht auf jeden Fall nach Retro aus.

Aber was macht dieses Spiel so einzigartig, dass sich der ganze Aufwand dafür lohnt? "Ich erinnere mich noch gut an die Vorschauartikel in einigen deutschen Spielemagazinen Anfang der 90er", reminisziert Mendel. "Meine Eltern hatten einen Buchladen, als ich noch ein Schüler war, daher las ich damals jedes einzelne Videospielmagazin. Sie priesen Hardcore an, das von den gleichen Leuten stammte wie diese unglaublich unterhaltsamen Pinball-Spiele (Pinball Dreams und Pinball Fantasies)."

"Die meisten Leute hatten nie die Chance, es zu spielen", ergänzt er. "Es wäre einfach gewesen, diese Vorschauartikel als Marketing-Blabla abzutun und zu glauben, dass das Spiel nicht gut genug war. Jetzt haben wir die Ehre, Ultracore endlich zu veröffentlichen, was - so hoffen wir - das Gegenteil beweist. Wie erwähnt, fiel das Spiel dem Zeitgeist dieser Phase zum Opfer. 3D-Spiele waren cool, 2D-Spiele galten als Relikte einer alten Generation von Spielsystemen."

Damit möchte er zugleich ein Signal an die Gesellschaft senden. "Es zeigt, wie essenziell es ist, Videospiele als wichtiges Kulturgut anzuerkennen", erklärt Mendel. "Es ist zwingend erforderlich, dass sie für künftige Generationen erhalten bleiben und kein Wegwerfprodukt sind, das du einfach vergisst. Diese Erkenntnis lieferte uns das Kino. Hier gelten dutzende Filme als verloren und die Geschichte wiederholt sich bei Videospielen."

Und hier noch in Bewegung.Auf YouTube ansehen

Warum es sich lohnt, ein damals eingestelltes Spiel heute zu kaufen? "DICE hat sich in den letzten 25 Jahren zu einem der erfahrensten Entwicklerstudios auf der Welt entwickelt", sagt er. "Bei der Vorstellung, dass dieses Spiel für immer verloren wäre, läuft es mir kalt den Rücken runter. Ultracore ist ein wertvoller Teil der Spielegeschichte. Zu sehen, wie viel Liebe zum Detail zum Beispiel in das Design der Gegner und in die Explosionen floss, macht uns zuversichtlich, dass das Spiel die Erwartungen moderner Spieler perfekt erfüllt."

Und Ultracore ist keine einmalige Sache. Auf der Webseite des Spiels spricht Strictly Limited Games von "kommenden Abenteuern auf dem Gebiet der Spielearchäologie" - und das nicht ohne Grund. "Das alles liegt uns sehr am Herzen", sagt Mendel. "Das Geld, das mir mit den limitierten physischen Editionen einnehmen, nutzen wir zur Finanzierung weiterer Projekte wie Ultracore. Wenigstens eines davon kündigen wir in den nächsten paar Monaten an und diesmal ist es ein echter Schatz aus Japan! Bei diesem Spiel war einiges an Detektivarbeit nötig, wir reisten dafür bis in ein kleines, japanisches Bergdorf. Es war all die Mühe wert und wir genossen das Treffen mit dieser wundervollen Person, die damals dabei half, die japanische Arcade-Geschichte und den Markt zu formen."

Ultracore erscheint für PlayStation 4 und Vita, vor wenigen Tagen kündigte das Team eine Switch-Version an. Und der Rest? "Ja, wir veröffentlichen es auf allen aktuellen Spielekonsolen und vielleicht sogar mehr ...", deutet er an.

Vorbestellungen des Retro-Platformers sind jetzt hier möglich.

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