40 Jahre Electronic Arts: Der große Spieleonkel hat Geburtstag
"It's in the game."
Ich erinnere mich noch genau daran, wie die Testversion dieses angeblich einzigartigen Spiels eintraf. Eigentlich hatte ein Kollege dessen Rezension auf dem Plan, aber ich war so gespannt darauf, dass ich kurz vor Feierabend schon selbst mal reinschaute. Und von der ersten Sekunde an nahm mich das, was ich dort gespielt habe, mit einer so großen emotionalen Intensität gefangen, dass ich die Testkonsole (so war damals noch) einfach mit nach Hause nahm, um übers Wochenende in einem Erlebnis zu versinken, das bis heute zu den für mich prägendsten zählt. Dieses Spiel heißt Mirror's Edge und es ist nur einer der Gründe, aus denen Electronic Arts bei mir trotz aller berechtigten Kritik einen gewaltigen Stein im Brett hat.
Tatsächlich ist es heute auf den Tag genau 40 Jahre her, dass EA vom ehemaligen Apple-Mitarbeiter Trip Hawkins gegründet wurde und eins ist mir sofort klar geworden, als ich mal kurz den Blick in die Vergangenheit schweifen ließ: Electronic Arts ist in meiner Spiele-Vita immer da gewesen. Es ist der einzige ständige Begleiter, dessen Logo auf den Artworks von Titeln aller Genres prangt, darunter wohlklingende Klassiker wie M.U.L.E., Wasteland, Road Rash oder mit Indianapolis 500 gar eine der ersten ernsthaften Rennsport-Simulationen überhaupt.
Ach, und was hab' ich gekichert, als wir in Caveman Ugh-lympcis über Dinosaurer Stabhochsprung ausübten! Wer da nicht hoch genug kam, landete nämlich prompt im Maul des Biests. Ehepartner-Weitwurf gab's auch sowie das gleichzeitige Wett- und Weg-Rennen vor einem Säbelzahntiger. Hat das hier jemand gespielt? Summer, Winter oder California Games waren nie meins, aber die Ugh-lympiade war famos.
Dabei hat EA schon früh angefangen Spiele nicht nur zu produzieren, sondern auch selbst zu entwickeln. Das ebenfalls namhafte Skate or Die war wohl die erste Eigenproduktion – danke an dieser Stelle an Mobygames und Wikipedia, deren Informationen und ellenlange Listen erst klar machen, wie viel das große Softwarehaus zum besten Zeitvertreib der Welt beigesteuert hat. Wobei ich "Electronic Arts" übrigens für einen ziemlich coolen Namen halte. "Elektronische Kunst" ist so schön pragmatisch, drückt mit Blick nach vorn aber auch selbstsicher aus, was in diesem Medium alles drinsteckt. Vergesst nicht: Die 80-er waren in Sachen Toleranz gegenüber Videospielen ganz andere Zeiten!
Auch wenn EA in seinen Anfangsjahren vorrangig auf PCs unterwegs war, also die damals noch stärker für sich stehenden Computerspiele veröffentlichte, und sich unter anderem als Herausgeber diverser Hardcore-Simulationen hervortat. F/A-18 Interceptor und die Vertreter der Reihe Jane's Combat Simulations fallen mir da ein sowie die Tatsache, dass ich es trotz des riesigen Handbuchs nie geschafft habe, mich in deren hervorragendes F-15 reinzufuchsen.
Auf jeden Fall war EA bei den Simulationen auch direkter Konkurrent von MicroProse, dessen Namen ich unter anderem deshalb hoch halte, weil sie mit Microprose Formula One Grand Prix einen meiner größten Zeitfresser überhaupt herausgebracht haben – nur dass es ausgerechnet EA doch tatsächlich gelang diese Liebe auf die lange Bank zu schieben. Da stand ich nämlich in einem "meiner" Computerläden und rätselte, wie ich mein schwer verdientes Taschengeld investieren sollte. Denn eigentlich wollte ich F1GP zwar unbedingt haben, nur lächelte mich direkt daneben eine Box mit dem Schriftzug "Populous II" an. Was man da alles machen konnte! Erdbeben auslösen, Windhosen herbeirufen, Feuer regnen lassen und sogar die komplette Landschaft physisch verändern. Ich hatte den Vorgänger nie gespielt, aber diese Möglichkeiten übten einen so starken Reiz auf mich aus, dass ich zum Bullfrog-Titel griff und die Formel 1 zunächst mal im Regal stehen ließ.
Peter Molyneuxs Bullfrog war ja eins der ganz wichtigen, weil oft wegweisenden Studios innerhalb der EA-Familie. Was waren alleine Syndicate und sein für mein Empfinden unterschätzter Nachfolger klasse! Oder nehmt Dungeon Kepper und Theme Park: Die dürften einige von euch ebenfalls Dutzende Stunden gekostet haben – wenn das mal reicht.
Und ich darf Origin nicht vergessen, das mich mit Wing Commander 4 ins aufregendste Pantoffelkino geschickt hat, welches man zu dieser Zeit erleben konnte. Weltraumkatzen fand ich ja – sorry, Leute – immer albern. Aber als ich mich mit Blair mitten im Gefecht dazu entschloss überzulaufen, später das Auslöschen eines ganzen Planeten miterlebt habe und Admiral Tolwyn schließlich in einem emotionalen Zusammenschnitt ("And it is your fault!") der Prozess gemacht wurde, war ich unheimlich dankbar dafür, dass Electronic Arts dieses für seine Zeit überwältigende Epos finanziert hat.
Stimmt schon: Spätestens an diesem Punkt kommt man schwer umhin, auch dieses andere Electronic Arts zu erwähnen. Jenes EA, das eine lang Zeit den Ruf hatte, sich bekannte Studios einzuverleiben, um sie nur wenige Jahre später einzustampfen oder anderweitig untergehen zu lassen. Origin gehört leider ebenso dazu wie Westwood, das einst nicht weniger erreicht hatte als mit Dune 2 und Command & Conquer die moderne Echtzeitstrategie zu erfinden. Nicht einmal fünf Jahre nach dem Kauf durch EA wurden dort schon die Tore geschlossen.
Dass es auch anders geht, hat man mit BioWare, DICE und Maxis bewiesen, die bis heute aktiv sind und als Teile der EA-Familie so gewaltige Marken wie Battlefield, Mass Effect oder Die Sims erschaffen haben. Gut, böse Zungen könnten behaupten, dass die Firmen- und Spielekultur auch dort inzwischen auf dem Zahnfleisch geht. Wie alleine SimCity an seinen Fans vorbei entwickelt wurde...
So richtig beliebt hat man sich am sonnigen Firmensitz in Redwood, Kalifornien, aber erst mit erschreckend rücksichtslosen Vorstößen im Bereich der Mikrotransaktionen gemacht. Da war Need for Speed World zum Beispiel einer der prominentesten Vertreter für dreistes Pay-to-Win, weil man sich für Onlinerennen gegen andere Spieler einfach bessere Autos kaufen konnte. Hat EA daraus gelernt? Nun, zumindest sollte die Charakterentwicklung in Star Wars: Battlefront 2 ursprünglich an Lootboxen geknüpft sein, die man auch für Echtgeld hätte kaufen können. "It's in the game!" Ja, genau. Und es ist noch schneller da, wenn man nach dem Vollpreis noch mal draufzahlt.
Nun will ich den klangvollen Slogan gar nicht durch den Schmutz ziehen. Auch wenn der inzwischen ausgemustert wurde, war er immerhin mehr als 20 Jahre lang eine Art Markenzeichen etlicher EA-Sports-Titel. Und man muss EA zugutehalten, dass es virtuellen Sport freilich nicht erfunden, aber doch groß gemacht hat. Als Redakteur habe ich lange die Tiger-Woods- und NHL-Serien begleitet und nicht gerade selten sind die – vereinfacht formuliert – nur daran gescheitert, dass ihre Vorgänger schon verdammt gut waren.
Puh... wo hört man eigentlich auf, wenn man vier so prall gefüllte Jahrzehnte Revue passieren lässt? Das tolle Army of Two habe ich ja noch gar nicht erwähnt, obwohl man es als eins der ersten Spiele nicht nur kooperativ spielen konnte, sondern wo sich beide Kumpels auch sinnvoll ergänzt haben. Noch wichtiger war Crysis, das grafisch damals einen so fetten Krater hinterlassen hat, dass die Spielewelt und auch Digital Foundry heute noch fragen: "Can it run Crysis?" Und meine Güte, wie viel Zeit und Geld ich alleine in Rock Band gesteckt habe, bevor ich nur deshalb sogar angefangen habe Schlagzeug zu spielen.
Mit Medal of Honor hat EA außerdem eine ganze Generation Zweiter-Weltkriegs-Shooter geprägt. Zumal dem Publisher sogar der Coup gelang mit Vince Zampella und Jason West die Macher des großen Konkurrenten Call of Duty anzuwerben, woraufhin deren Respawn-Studio nicht nur zweimal Titanfall entwickeln, sondern mit Apex Legends gleich noch das Battle Royale aufmischen würde. Wenn ihr mich fragt, geht seitdem ohne kontextsensitiven Ping jedenfalls nichts mehr! Und richtig, mit Jedi: Fallen Order haben die beiden sogar einen starken Star-Wars-Titel produziert – drei weitere sind bereits in Arbeit.
Mit anderen Worten: EA hat noch lange nicht genug! So manche Krise musste man zwar schon bestehen und einige hat man gar selbst ausgelöst. Abseits davon erfreut sich der alte Onkel der Spielhersteller allerdings bester Gesundheit und stapft trotz der großen Vier ohne echte Midlife-Crisis in Richtung Zukunft. Aktuell im Programm: die erwähnten Star-Wars-Titel, eine Neuauflage von Dead Space, ein bisher unangekündigtes Remake, ein Sportspiel (doh!) sowie ein weiteres Spiel, das bei einem "Partner" entsteht. Und das dürfte längst nicht alles sein.
So, wie es aussieht, wird uns Electronic Arts also noch eine Weile weiter begleiten und ich bin tatsächlich froh darüber. Man kann der börsennotierten Gelddruckmaschine so einiges vorwerfen – ohne mindestens genauso viele einzigartige Erlebnisse wäre die Spielewelt aber eine ganze Ecke ärmer. Und so freue ich mich, dass ich diesem Giganten der Spielewelt nach langen 40 Jahren "Alles Gute zum Geburtstag!" wünschen kann. Hoch die Tassen – Today it's in the glass!