60 Parsecs! - Gehirnparasiten und Tausend andere Arten, das Zeitliche zu segnen
Fast schon ein Infocom-Revival! Aber ich erkläre ihnen nicht, dass ein Parsec eine Entfernungs- und keine Zeiteinheit ist.
Mehr als 600.000 Mal hat sich 60 Seconds!, das erste Spiel des polnischen Indie-Studios Robot Gentleman, verkauft, erklärt mir der Mitbegründer und amtierende Creative Director Dominik Gotojuch im Gespräch. Ein beachtlicher Erfolg für die Handvoll Entwickler aus Posen, die Im Rahmen der Poznan Game Arena mit 60 Parsecs! gerade den Nachfolger des bitterbösen Survival-Abenteuers angekündigt haben. Wenn 60 Seconds! an Euch vorbeigegangen ist: In einem fiktiven Szenario des Kalten Krieges der 1950er-Jahre kommt es zur atomaren Apokalypse und Ihr habt zu Beginn die titelgebenden 60 Sekunden Zeit, um Eure Liebsten zu retten und möglichst viele Gegenstände aus einem Haus zusammen zu raffen.
Ist der Countdown abgelaufen, geht es ab in den Atomschutzbunker und rein in das nun alltägliche Grauen aus Überfällen radioaktiver Küchenschaben, fehlender Vorräte und ungebetener Besucher. Und das alles geschieht, während Ihr der Familie dabei zuschaut, wie einer nach dem anderen langsam den Verstand verliert. Die nicht allzu heimelige Story wird in Form eines textlastigen Adventures mit minimalistischer Comicgrafik präsentiert und besticht durch die teils völlig absurden Geschehnisse und tiefschwarzen Humor. 60 Parsecs! folgt exakt dem gleichen Spielprinzip, verlagert die Geschichte diesmal aber in den Weltraum. Ihr erlebt den Ausbruch des Atomkrieges an Bord einer Raumstation und bekommt wieder das knappe Zeitlimit, Mitreisende und hoffentlich nützliche Gegenstände einzusammeln, bevor es mit maximal drei weiteren Menschen in die klaustrophobische Enge eines Rettungsraumschiffs geht. Von nun an heißt es: Hauptsache den nächsten Tag überleben. Keine leichte Aufgabe, denn als Kommandant der zusammengewürfelten Schicksalsgemeinschaft sollen Entscheidungen getroffen werden, die sich im Nachhinein als katastrophal falsch erweisen können.
So gilt es vorrangig, die körperliche, geistige und emotionale Gesundheit der Reisenden im Gleichgewicht zu halten. Fällt einer der Protagonisten wegen Unterernährung oder geistiger Umnachtung aus oder hasst Euch, weil ihr seine oder ihre Bedürfnisse einfach ignoriert, fehlen eben auch die entsprechenden Fähigkeiten der Person in Gefahrensituationen. Ärgerlich, wenn gerade die Intelligenzbestie der Truppe bei einem wichtigen philosophischen Streitgespräch mit einem außerirdischen Wesen schmollt oder schlichtweg bereits verhungert ist. Obwohl, dann hat es auch ein Maul weniger zu stopfen, denn die Vorräte an Dosensuppen, die einzige Nahrungsquelle im Spiel, gehen schnell zur Neige. Da stellt sich dann schon schnell mal die unbequeme Frage, was man alles für das eigene Überleben machen würde. Neben dem Mikromangement der menschlichen Grundbedürfnisse, wurde das Spielprinzip um zwei wichtige Elemente bereichert. Zum einem gibt es nun ein umfangreiches Craftingsystem, um lebensnotwendige Dinge herzustellen. Ausreichend gesammelte Ressourcen vorausgesetzt, können Verbrauchsgegenstände, wie Suppe, Medizin, Heftpflaster oder Sockenpuppen zur Wiederherstellung der geistigen Gesundheit - es geht doch nichts über ein klärendes Gespräch mit einer Sockenpuppe - bevorratet werden. Allerdings kann immer nur ein Gegenstand pro Runde erschaffen werden. Dumm, wenn aber gleich mehrere lebenserhaltene Dinge schon am nächsten Tag dringend gebraucht werden. Dann muss halt abgewogen werden, wer entbehrlich ist und wer nicht.
Zum anderen kann das Raumschiff über ein Rastersystem zu verschiedenen Zielen im All bewegt und Mannschaftsmitglieder auf Expeditionen geschickt werden. Dazu ist natürlich Treibstoff notwendig, wieder eine Ressource, die man genau im Auge behalten muss. Da an jedem Tag, sprich in jeder Runde, nur eine einzige Aktion, wie Crafting, Nahrung vergeben oder Reisen möglich ist, hat jede Entscheidung wirklich auch eine signifikante Bedeutung. Lieber auf Nummer sicher gehen und die medizinischen Vorräte auffüllen oder gleich ein neues Ziel im Weltraum ansteuern, wo vielleicht wichtige Ressourcen oder neue Gegenstände zu finden sind? Nachher ist man dann immer schlauer. Wenn dann noch ein bisschen Pech dazu kommt und ein zufälliges Ereignis die Ressourcen halbiert oder die Crew auf unfreundliche Aliens trifft, dann ist die Mission ganz schnell gescheitert. Ich habe es beim Probespiel der Demoversion nicht zu einem glücklichen Ende geschafft, sondern bin an unterschiedlichen Dingen gescheitert. Einmal befällt meine Mannschaft ein ekliger Weltall-Virus, ein anderes Mal hassen mich alle wegen meiner dämlichen Entscheidungen und ignorieren mich fortan und in einem besonders unglücklichen Fall hatten sich Gehirnparasiten der Marke Futurama eingenistet.
Ob es überhaupt ein richtiges Happy End geben kann, wollte mir Dominik Gotojuch nicht verraten. Sein Tipp: Es einfach immer wieder neu versuchen, einen anderen Charakter als Kommandanten auswählen, der über andere Stärken und Fähigkeiten verfügt oder mal eine Pistole herstellen, damit ich mich gegen unliebsame Besucher wehren kann.
Erschaffen wurde das Weltraum-Szenario übrigens bei ausführlichen Bier-&-Brainstorming-Sitzungen, in denen alte SF-Filme und Serien in Dauerschleife liefen, erzählt mir Agata Bednorz, die als 2D Artist bei Robot Gentleman arbeitet. Für den Cartoon-Look des Spiels hat sie sich dabei stark von Pulpmagazinen und Comicheften der 1950er und 1960er-Jahre inspirieren lassen. Das sorgt für reichlich Retro-Charme und immer wieder gibt es gut versteckte popkulturelle Anspielungen und witzige Details zu entdecken.
Was 60 Parsecs! für mich persönlich ganz besonders reizvoll macht, ist nicht nur das komplexe Management-System, es sind vor allem die vielen kleinen Geschichten, die erzählt werden. Jede Runde beginnt mit einem Eintrag im Logbuch, in dem oftmals über mehrere Bildschirmseiten neue Situationen akribisch beschrieben werden. Das geht von der Ausführlichkeit der Beschreibungen und dem hohen Anteil an schrägen Ideen und schwarzem Humor her schon stark in die Richtung der alten Textadventures von Infocom, wie beispielsweise Leather Goddesses of Phobos.
So mache ich unerwartet die Bekanntschaft mit dem bösen Alien Xontar, den ich nicht mit Gewalt, sondern nur mit dem Zitieren von Nietzsche und Heidegger von seinem Plan abbringen konnte, uns zu vernichten. Muss man erst mal drauf kommen. Ein Glück, dass ich als Gesprächspartner meinen intelligentesten Mitreisenden ausgesucht hatte und nicht den geistig bescheiden ausgestatteten Muskelprotz. Aber vielleicht hätte der einen anderen Weg gewählt und wäre ebenfalls erfolgreich gewesen. Muss ich zum Release im nächsten Jahr unbedingt ausprobieren.
Entwickler/Publisher: Robot Gentleman / Robot GentlemanErscheint für: PC, PS4, Xbox One, Nintendo Switch - Geplante Veröffentlichung: 2018 - Angespielt auf Plattform: PC