8 kleine und große Dinge, die Dragon’s Dogma 2 klüger macht als viele andere Spiele
Keins für jedermann. Für mich aber umso mehr.
Hach, Dragon’s Dogma 2. Ich bin mittlerweile tief drin im zweiten Durchlauf und habe jetzt schon so viel gesehen, das mir beim ersten Mal entging. Noch immer drehen sich die meisten meiner Gedanken tagsüber um dieses besondere Spiel. Trotzdem weiß auch ich, dass Dragon’s Dogma 2 mit all seiner Verschrobenheit sicher nichts für Jedermann ist. Für die ist dieser Artikel.
Es ist ein Versuch, ein paar Dinge aufzuzeigen, die Dragon’s Dogma 2 für mich so besonders machen. Große und kleine Sachen, die es für mich von anderen, eventuell oberflächlich ähnlichen Spielen abheben, die ich einfach smart und attraktiv finde. Das heißt nicht, dass es nicht auch ein paar Dummheiten anstellt – die Art, wie einige Plot-Fäden entweder schwierig zum Ende zu verfolgen sind oder einfach fallen gelassen werden, wäre eine davon. Aber hier geht es darum, was besonders ist und dafür sorgt, dass Dragon’s Dogma 2 gute Chancen hat, mein Spiel des Jahres zu werden.
Die acht coolsten Dinge an Dragon’s Dogma 2
1. Die Nacht
“Die Nacht dreht sich um dich allein” haben Wir Sind Helden vor über 20 Jahren mal gesungen. Auch wenn ich damals noch unverbesserlicher Metal-Head war, hielt ich das immer für einen sehr wahren Satz. Dragon’s Dogma 2 zeigt mir, dass das ein gefährlicher Trugschluss war: Man kann zwar nur fünf Meter weit sehen – und damit wenig mehr als sich selbst – aber hinter dieser Dunkelheit lebt noch eine ganze Menge anderes Zeug, das da noch ein Wörtchen mitzureden hat. Wildtiere, deren Augen den Schein eurer Fackeln reflektieren, aber auch Monster, die man bei Tage gerne weiträumig umschifft, in die man im Düsteren aber unversehens hineinstolpert.
Bei Nacht ist Dragon’s Dogma ein anderes Spiel und ich bin jedes Mal wieder beeindruckt von der Klippe, die mein Helden-Selbstbewusstsein hinunterpurzelt, als würde es der Sonne unter dem Horizont hinterher tauchen wollen. Wenige andere Spiele sind so konsequent, bei Nacht das Licht derart weit runterzufahren.
2. Teures Leben
Vergessen wir die Riftkristalle, von denen hat man immer mehr als man jemals ausgeben kann. Aber fast alles andere ist in einem Maße knapp, das aktiv den Spaß erhöht, den man mit Dragon’s Dogma 2 hat. Auf eine neue Rüstung muss man schon mal richtig Gold ansparen, für bestimmte Upgrades neben Gold bestimmte Monsterressourcen mitbringen, die ebenfalls nicht auf Bäumen wachsen und jede Kaufentscheidung für einen Gegenstand ist auch eine gegen einen anderen. Deshalb schraubt man sehr viel bewusster an seinem Charakter, überlegt exakt, was man sich leisten kann und sollte. In vielen anderen Spielen ist die wirtschaftliche Seite irgendwann hinfällig, in Dragon’s Dogma 2 dagegen spürbarer Bestandteil des Spielablaufs.
3. Die Welt ist gefährlich, nicht nur die Feinde
Egal, ob man gerade in Vermund oder Batthal unterwegs ist: Die Welt von Dragon’s Dogma 2 besticht durch einen natürlichen Lauf der Landschaften. Wo in anderen offenen Welten das schroffste und abenteuerlichste Gelände als unerreichbare Tapete am Horizont vor überwiegend bestens erschlossenen Gegenden lockt, läuft es hier ganz anders. Oft ist man sich nicht mal sicher, ob man sich noch auf dem Weg befindet, der auf der Karte klar und deutlich eingezeichnet ist. “Komme ich da hoch?”, “sollte ich überhaupt hier sein?” und “ich glaube, ich kann diesen Vorsprung da erreichen” sind – auch aufgrund der hohen Mobilität der Spielfigur – einige der häufigsten Gedanken, die einem beim Erkunden der extrem in die Vertikale streckenden, verschachtelten Umgebung kommen.
Es ist eine unwegsame, ungezähmte Welt, der man auf den ersten Blick ansieht, dass sie Geheimnisse vorm Spieler hat. Sie verlockt gerade, sich in ihr zu verirren und sich bei einem unbedachten Kletterversuch alle Knochen zu brechen. Ich liebe das.
4. Höhlen und Dungeons
Der Reiz von Dragon’s Dogmas Höhlen ist ein Resultat aus den drei vorangegangenen Punkten. In dieser Welt wirkt ein Loch in einem Felsmassiv so wahnsinnig verlockend, weil Dragon’s Dogmas Mut zur Dunkelheit und der natürliche, wie gewachsen wirkende Verlauf der Felsmassive den Eindruck verstärken, tief in die Eingeweide dieser Welt vorzudringen. Die Knappheit von Ressourcen und die Kostspieligkeit guter Ausrüstung macht die möglichen Funde wertvoller als die bloße Steigerung der Werte, die sie bedeuten. Weil Höhlen oft auch an überraschende neue (oder alte) Orte führen, erleichtern sie überdies oft auch aufwendige Reisen. Wie damals, als man noch ein Kind war, und sich Welten wie diese herbei imaginierte, verspricht eine Höhle immer ein Abenteuer. In Dragon’s Dogma versinnbildlichen sie mehr als in vielen anderen Games, dass diese Welt mehr ist als das, was man auf den ersten Blick sieht.
5. Mut zur Lücke, Lust auf Konsequenzen
Mein fünfter Punkt ist sicher der kontroverseste. Aber ich liebe, dass Dragon’s Dogma 2 den Mut hat, mich Dinge verpassen zu lassen. In meinem ersten Durchgang hatte ich irgendwie nicht so recht Zeit, mich mit Glyndwyrs Torschlusspanik vor seiner Bogenprüfung auseinanderzusetzen und vermutete in ihm wenig mehr als einen Nebenquest-Stichwortgeber. Dass mir damit der komplette Handlungsstrang um die Elben durch die Lappen ging, hätte mich in vielen anderen Spielen geärgert. Tat es aber nicht, denn Dragon’s Dogma vertraut darauf, dass es zu jeder Zeit genügend anderes zu tun gibt. Und so war es dann auch. Dadurch wird das Abenteuer mein ureigenes, auch wenn das zur Konsequenz hat, dass ich im ersten Durchlauf nicht alles erlebt habe, was das Spiel zu bieten hat.
Ich höre jetzt noch Geschichten von Quests, Charakteren und Möglichkeiten, die mir bisher nicht untergekommen sind und bin auch deshalb sehr gerne im New Game Plus unterwegs.
6. Die Welt funktioniert nach nachvollziehbaren Regeln
Gut, über die mangelnde Ausdauer des Helden im Vollsprint müssen wir nicht reden. Das ist mir fast zu nahe an der Realität. Aber die meisten Regeln in dieser Welt bestechen dadurch, dass sie für alle gelten und nicht nur für euch. Ein NPC, den ihr mochtet, ist euch abgekratzt? Dann ein wenig später in die Leichenhalle der Region, einen der kostbaren Lazarussteine auf ihm verwenden und der Wiedergänger wird es euch danken. Das Spiel reibt euch diese Art von Bruch mit etablierten Videospielgesetzmäßigkeiten nicht unter die Nase. Die Erkenntnis, dass ich auf diesem Wege eine nicht komplett unwichtige Figur zurück ins Leben holen und ihre Questline fortsetzen konnte, war einer der coolsten “Mann, was bin ich doch für ein toller Hecht”-Momente dieses Jahr.
Die vielen smarten Arten, auf die die Physik von Welt und Effekten logisch das Spielerlebnis gestalten, würden hier den Rahmen sprengen. Aber es ist einfach irrsinnig spektakulär, einen gigantischen Tornado zu beschwören, der nicht nur die Bäume und das Gras wackeln lässt, als käme gerade ein Hubschrauber runter, sondern sogar Rehe und Karnickel 80 Meter hoch in die Luft schleudert. Und eine Prozession von Geflüchteten KI-Figuren aus einem Ort etwas später in einem anderen ankommen zu sehen, als hätten sie physisch den Weg durch diese Welt zurückgelegt, wirkt einfach schön lebendig.
7. simuliertes Teamwork
Was auf den ersten Blick wie eine Notlösung wirken könnte, ein Mehrspielererlebnis zu simulieren, ohne die eigentliche Arbeit machen zu wollen, ein solches zu entwickeln, entwickelt sich zum fesselnden Spielelement: Die Vasallen. Formt euren Hauptvasallen so, dass er eurem Spielstil zuarbeitet und wählt eure Gastvasallen so, dass sie dieses Gespann gut ergänzen. Es fühlt sich so wahnsinnig gut an, wenn man das perfekte Team zusammen hat, dass man jedes der niedlichen High-Fives der Figuren untereinander vor dem Fernseher mitmachen wollt. Wie oft ein Feind meinem Magischen Bogenschützen gerade einen mächtigen Hieb zu verpassen drohte, nur damit mein Kriegerin-Pawn wie ein Blitz von der Seite angerannt kommt, um ihn im letzten Moment aus dem Weg zu räumen!
Das Spiel arbeitet viel mit diversen Arten von Stunlock, bei dem man an normaler Bewegung oder am Kämpfen gehindert wird. Oder es verwickelt euch in Kombos, aus denen ihr nicht ohne Weiteres ausbrechen könnt. Oft wirkt es, als wären diese allein als Möglichkeit im Spiel, damit ihr ein Party-Mitglied retten könnt oder es euch. Das passiert mit der Zeit immer öfter und ist einfach jedes Mal ein schöner, simulierter Teamgeist-Moment. Vasallen halten Gegner am Boden, damit man als Bogenschütze im Vorbeigehen den Genickschuss setzt, wie ein mittelalterlicher Terminator. Sie fangen euch, wenn ihr von einem abhebenden Halbdrachen abstürzt oder schleudern euch mit dem ihrem Schild auf eine Anhöhe, auf der ihr einen Schatz habt aufblitzen sehen. Manchmal wünschte ich, ich könnte Vasallenaktionen noch gezielter auslösen, aber ich fürchte, es würde dem wortlosen Zusammenspiel auch ein wenig den Zauber nehmen.
8. Dragon’s Dogma 2 denkt einen Schritt weiter als viele andere Spiele
Tja, wie meine ich das? Ich glaube, es ist die Art, wie Dragon’s Dogmas Quest-Design euch zwar Ziele definiert, nicht aber vorgibt, wie ihr sie zu erreichen habt. In vielen anderen Open-World-Spielen verlaufen Missionen nach Mustern wie diesem: Markierung zum Missionsort folgen, Stealth-Element / Verfolgen / Belauschen oder Gegend nahe dem Zielpfeil untersuchen, dann Kampf. Immer wieder werden starre Elemente neu kombiniert, die ihr nacheinander abarbeitet. Dragon’s Dogma Questdesign ist sicher nicht über jeden Zweifel erhaben und könnte allgemein erzählerisch interessanter sein. Aber es ermächtigt den Spieler, seine eigenen Lösungen zu finden und das ist schlicht zauberhaft.
Eine simple Bring-Quest lässt sich zum Beispiel nicht nur dadurch lösen, einen wichtigen Gegenstand bei einer Zielperson abzuladen. Dieses Spiel ist nur am Ergebnis interessiert: Zielperson X muss Gegenstand B erhalten. Eure Lösung kann also auch sein, die Zielperson zum Gegenstand zu bringen, anstatt andersherum. In einer Schleppmission mit arg zerbrechlicher Ware war das eine so wahnsinnig smarte Lösung, dass ich es kaum glauben konnte. Diese Art von Struktur und Design-Denke schätze ich sehr. Mich erinnert das an Lieblingsspiele wie Metal Gear Solid 5 oder Outer Wilds. Ich fühle mich auf eine Art für voll genommen, die ich selten spüre und für die ich diesen Spielen sehr dankbar bin.
Dragon’s Dogma 2 also – ein Spiel, das nicht jeder mögen muss, aber eines, dem ich den aktuellen Erfolg von ganzem Herzen gönne. Ich denke, auf einen dritten Teil werden wir nicht wieder 12 Jahre warten müssen.