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A Case of Distrust - Test

Verbrechen und schlechter Fusel.

Eurogamer.de - Empfehlenswert Badge
Text-Adventure mit tollem Art-Style, spannender Geschichte und dichter 20er-Jahre-Atmosphäre. Figuren sind leider etwas eindimensional.

Wenn ich A Case of Distrust mit einem Wort beschreiben müsste, würde ich sagen, es ist beruhigend. "Beruhigend" nicht im Sinne von meditativ. Die Geschichte des Spiels ist durchaus spannend, es hat überraschende Wendungen und viele kleine Details, die Aufmerksamkeit verdienen. Beruhigend ist viel mehr die Grafik und die Art, wie man A Case of Distrust spielt. Wir haben es hier mit einem Text-Adventure zu tun, nicht jedoch im klassischen Sinne. Ihr gebt also nicht über einen Parser Befehle ein, aber das komplette Spiel findet in geschriebenen Dialogen statt. Die Grafik dient lediglich der Illustration. Deren minimalistisches Design ist inspiriert von der Arbeit des amerikanischen Designers und Filmemachers Saul Bass. Und obwohl der zum Ende der 20er Jahre gerade mal zehn Jahre alt war, passt seine Arbeit perfekt in das Setting. Jede Szene sieht ein wenig aus wie ein Retro-Filmplakat, mit einer dominierenden Farbe und Scherenschnitt-artigen Figuren, die sich nur durch leichte Farbvariationen vom Hintergrund absetzen.

Euer Büro - hier gibt es leider noch nicht mal Futter für die Katze.

Schauplatz ist das San Francisco der 20er Jahre, es herrscht Prohibition und dennoch ist Alkoholmissbrauch ein Problem, umso mehr, weil illegal hergestellter oder importierter Fusel oft von zweifelhafter Qualität ist. Protagonistin Phyllis Malone hat es als alleinstehende und berufstätige Frau in dieser Zeit gleich doppelt schwer, von vielen wird sie in ihrem Job als Privatdetektivin nicht ernst genommen. Und doch lässt sie ein zunächst harmlos erscheinender Auftrag plötzlich ganz tief in die kriminelle Unterwelt der Stadt rutschen. Eigentlich beschäftigt sich Malone ja nicht mit der wirklich harten Kriminalität, stattdessen ist sie darauf spezialisiert, Ehebrecher zu überführen. Weil sie aber Geld braucht, nimmt sich auch den Fall von Mr. Green an. Der hat einen anonymen Drohbrief erhalten und will jetzt wissen, wer der Absender ist.

Wie das Spiel grundlegend funktioniert, lernt ihr schon in der ersten Szene. Eure Katze hat Hunger, sie lässt euch aber erst gehen, wenn ihr ihr bewiesen habt, dass ihr noch nicht mal mehr Geld habt, um euch das Futter zu leisten. Also sucht ihr euer eigenes Büro ab und macht euch über jeden einzelnen Ort automatisch Notizen. Konfrontiert ihr dann die Katze mit der richtigen Notiz - dem leeren Schrank, in dem normalerweise das Essen steht - lässt sie euch gehen. So funktioniert grundsätzlich auch das komplette weitere Spiel. Ihr bewegt euch nur in wenigen Schauplätzen, die ihr allesamt per Textmenü anwählen könnt. Diese Orte könnt ihr absuchen und die anwesenden Personen befragen. Konfrontiert ihr dann andere mit bestimmten Hinweisen, entwickelt sich die Geschichte weiter.

Der Inhalt der Flaschen, die am Boden liegen? Der ist in dieser Frau, die auf dem Stuhl liegt.

Zu Beginn plätschert die Geschichte ein bisschen vor sich hin, schnell merkt ihr aber, dass mit eurem Klienten Mr. Green irgendwas nicht ganz stimmt und das auch der Drohbrief nicht das ist, wonach es zunächst aussieht. Dabei helfen euch genau jene Figuren, die ihr in einem solchen 20er-Jahre-Szenario auch vermuten würdet. Der redselige, wenn auch etwas grantige Barkeeper etwa, der seine Augen und Ohren überall hat. Der väterliche Kriminalpolizist, der hart mit dem Alkoholschmuggel und der aufblühenden amerikanischen Mafia zu tun hat und sich deswegen nicht groß mit eurem kleinen Fall auseinandersetzen kann, zumindest aber für den ein oder anderen Ratschlag gut ist. Und die versoffene Ehefrau von Mr. Green, die die Hälfte des Spiels nur von Schnapsflaschen umringt wie sediert in ihrem Stuhl hängt.

Diese Figuren sind zunächst nett, weil sie die Atmosphäre gut unterstreichen. Sie nutzen sich aber schnell ab und sind letzten Endes dann doch eine Spur zu eindimensional. Eine wirkliche Wandlung macht zwar teilweise die Protagonistin selbst durch, nicht jedoch die anderen Figuren. Dafür haben sie aber zugegeben auch nicht allzu viel Zeit, denn um das Spiel durchzuspielen werdet ihr nur etwa drei Stunden brauchen. Zur Atmosphäre tragen allerdings die Taxifahrer bei, die euch von Schauplatz zu Schauplatz bringen. Ihr habt immer die Wahl, ob ihr schweigen oder mit ihnen sprechen möchtet, aber ich würde letzteres immer empfehlen. Die Taxifahrer erlauben den direktesten Einblick in die Welt der einfachen Leute in den 20er Jahren, sie erzählen euch freimütig ihre Meinung zur Europapolitik der USA nach dem ersten Weltkrieg, ihre Meinung zur Rolle der Frau und manchmal auch einfach persönliche Geschichten. Manche plappern mehr als andere, einige sind sympathisch, andere entpuppen sich als Gegner des Frauenwahlrechts. Untermalt wird all das mit leichten Jazz-Melodien - wirklich sehr nett.

Das Notizbuch - unverzichtbar, um Zusammenhänge herzustellen und 20er-Jahre-Leute zu verhören.

Die Herausforderung, die ihr spielerisch in A Case of Distrust lösen müsst, ist eigentlich nur, herauszufinden, wen ihr gerade mit welchem Hinweis konfrontieren müsst. Das herauszufinden, ist meistens nicht allzu schwer und die Lösung ist logisch, wenn ihr die Geschichte aufmerksam verfolgt. In seltenen Fällen kommt ihr aber auch einfach nicht drauf und dann entwickelt sich das Spiel zu einem gigantischen Marathon im Herumprobieren - umso mehr, nachdem euer Notizbuch irgendwann randvoll ist mit Notizen. So kann es schon passieren, dass ihr mal eine Stunde lang nur herumprobiert. Diesbezüglich steht A Case of Distrust vielen anderen Adventures um nichts nach, ein bisschen nervig kann das aber doch sein. Die Lösung eines Rätsels ist dann aber umso befriedigender. Auch, weil sie meistens einen weiteren Teil der Geschichte enthüllt oder zumindest erklärt, was die Motivation einer bestimmten Figur ist. Das Spiel ist übrigens hervorragend geschrieben - wenn auch leider nur in englischer Sprache verfügbar. Die solltet ihr gut beherrschen, denn das Spiel spart nicht mit 20er-Jahre-Slang. Das Wort Dick wird hier nicht in jenem Sinne verwendet, den ihr heute am ehesten kennt ... es ist vielmehr ein abwertender Begriff für einen Privatdetektiv, am ehesten noch vergleichbar mit dem deutschen Wort Schnüffler.

Dieser Herr ist so unsympathisch wie er wirkt.

Mich hat an A Case of Distrust vor allem seine Atmosphäre beeindruckt. Zusammen mit der simplen, aber hübschen Grafik und dem Jazz-Soundtrack erzeugt das Spiel ein Gefühl, als würdet ihr wirklich in den 20er Jahren von Ort zu Ort fahren und mit den Leuten sprechen - zumindest so, wie man sich diese Zeit eben vorstellt. Torpediert wird dieses authentische Gefühl von den teilweise etwas flachen Figuren, die in Dialogen nur selten überraschen. Das wiederum trägt aber zumindest dazu bei, dass die Rätsel in den meisten Fällen berechenbar bleiben und nie unlogisch oder willkürlich wirken. A Case of Distrust lohnt sich für alle, die ruhige Adventures mögen und dem Flair der 20er Jahre nicht abgeneigt sind.

Entwickler/Publisher: The Wandering Ben/Serenity Forge - Erscheint für: PC - Preis: 14,99 Euro - Erscheint am: erhältlich - Getestete Version: PC - Sprache: englisch - Mikrotransaktionen: Nein

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Markus Grundmann Avatar
Markus Grundmann: Seine ersten Videospiele konsumierte Markus auf dem Game Boy. Heute spielt er so ziemlich alles, bei dem er auf Knöpfe drücken kann – mit besonderer Vorliebe für Nintendo und extravagante Indie-Titel.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

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