A Gremlin in the Works - Buchrezension
Zeitzeugen, ungefiltert
Die frühe bis mittlere Spiele-Szene Englands dürfte mittlerweile die bestdokumentierte überhaupt sein. Zuletzt hatten wir hier die Bitmap Brothers, davor Sensible Software und nun ist Gremlin dran, eine Erfolgsgeschichte in den 80ern und 90ern und ein schnelles Ende mit eher mäßigem Schrecken zum Ende des Jahrtausends. Die Geschichte vom Aufstieg des kleinen Computerladens in Sheffield hin zu einem kleinen internationalen Publisher mit einer Reihe von Studios und Projekten. Die des Niedergangs, weil für diese Größenordnung zwischenzeitlich einfach kein Platz in der Spielewelt war. Aber auch, weil manche der führenden Köpfe hinter dem Gremlin-Logo nicht wirklich in der Lage waren, mit allen Entwicklungen Schritt zu halten. Nicht, dass man ihnen das immer vorwerfen könnte, im Nachhinein, mit 15 Jahren Abstand, lässt sich vieles leicht sagen.
Das Lesen zwischen den Zeilen wird hier auch zur Kunst. A Gremlin in the Works, so der vollständige Titel dieses außergewöhnlichen Doppelbandes, besteht nur aus Interviews, die der ebenfalls aus Sheffield stammende Mark James Hardisty zusammengetragen hat. Dazu trieb er gefühlt jeden auf, der mal was mit Gremlin zu tun hatte, für sie arbeitete, an ihrem Haus vorbei ging oder mal einen Brief schrieb. Angefangen vom Gründer Ian Steward bis hin zu Infogrames' Bruno Bonnell sind es 40 oder 50 Leute, die hier einen erstaunlichen Einblick nicht nur in Spiele, sondern auch Zeitgeist der jeweiligen Ära geben.
So viel zur Warnung: Wenn ihr ein hübsches Bilderbuch zum nebenbei Blättern sucht - was in keiner Weise verwerflich wäre -, dann ist Gremlin in the Works nicht das Richtige. Es ist ordentlich bebildert und entwickelt auch auf einzelnen Seiten Artbook-Ambitionen, aber die sind auf der nächsten Seite vergessen, wenn es direkt weitergeht. Auch sind es nur Interviews oder vielmehr direkte Erzählungen in ständig wechselnder Besetzung. Das erfordert mehr Aufmerksamkeit und Ausdauer als bei einem aufbereiteten Text wie The Bitmap Brothers Universe.
Darin liegt aber auch viel des ungewöhnlichen Reizes: Gremlin in the Works ist ungefiltert. Viel wird ausgesprochen, was gut sichtbar zwischen den Zeilen liegt. Einiges, von dem der Interviewer denkt, dass es wichtig sein dürfte, wird von den Gesprächspartnern eher mit einem gedanklichen Schulterzucken abgetan. Mit dem Fortschreiten der Seiten bekommt ihr als Leser ein gutes Gespür für die einzelnen Akteure dieses eigentlich fast proto-britischen Hauses aus dieser Zeit, was sie umtrieb, für sie wichtig war und was nicht. Es hilft zu erklären, warum Gremlin manche Spiele machte, andere nicht, wo ihre Probleme und ihre Stärken lagen. Wer nur in Wikipedia schaut, wird sich wundern, warum Gremlin es Ende der 90er, als sie DMA Design kauften - die gerade das heißeste Eisen mit einem kleinen Titel namens Grand Theft Auto waren - es nicht schafften, daraus mehr direkte Wirkung für sich selbst zu ziehen. In Gremlin in the Works dürft ihr hinter die Kulissen schauen und erfahrt, was die Gremlin-Seite davon abhielt, GTA zu ihrem Standbein zu machen.
Ebenfalls faszinierend ist die Lust und der Frust, den der Wechsel von kleinen Ein-Mann- oder Mini-Team-Projekten hin zu Großproduktionen in den späten 90ern mit sich brachte. Ihr habt einige der Gremlin-Entwickler zu diesem Zeitpunkt seit Mitte der 80er begleitet und so könnt ihr die Entwicklung, die jetzt der eine oder andere Flüchtige aus Großstudios durchmachte, der sein Glück in kleinen Indie-Studios suchte, in ihrer ursprünglichen Fassung in die andere Richtung erleben.
Es gibt natürlich keinen Mangel an Anekdoten. Die Anfangsjahre sind voll davon, wie ein Laden namens Dollarsoft entstand - ein 13-Jähriger und sein geschäftstüchtiger Vater -, wie ein Lotus-Fahrer dem Komponisten des Lotus-Soundtracks erzählt, dass er es liebt, die Lotus-Soundtracks in seinem echten Lotus beim Fahren zu hören, die wilden Zeiten der sich in Monaten statt Jahren weiterentwickelnden Heimcomputer der 80er.
In der Bebilderung ist es zwar kein Artbook, aber doch deutlich ambitionierter als viele andere "historische" Bücher dieser Art. Auf jeder zweiten Seite findet ihr ein paar nett arrangierte Bilder der Kreativen - praktisch durchgehend männliche 80s-Nerds in den Mittzwanzigern -, vor allem aber Artworks und Screenshots. Nicht einfach nur mal eben reinkopiert, sondern durchaus mit einer gewissen Liebe aufbereitet und präsentiert, dazu auch fast immer ein paar Zeilen Begleittext. Es ist dabei erstaunlich, was alles ausgegraben wurde, vor allem ein paar Stücke Korrespondenz lassen euch in das lockere Geschäftsgebaren einer anderen Zeit gucken. Auf den ersten Blick mag Gremlin in the Works nicht sonderlich beeindrucken, aber wenn man ein wenig Zeit hineinsteckt, dann zahlt sich das auch auf diesen Seiten aus.
Aber nicht nur der Inhalt ist ein echter Gewinner, von der Aufmachung her gehört das Buch zu den besten. Ihr bekommt für umgerechnet 30 Euro zwei Bände: Einmal 1983 bis 1989 mit dem alten Logo auf der Front und 1990 bis 2015 in Band 2, natürlich mit dem 90er-Logo. Das "bis 2015" sollte man dabei nicht ernst nehmen, von den 260 Seiten des zweiten Bandes behandeln gerade mal die letzten 60 die Infogrames-Übernahme, Sheffield House, den Verkauf von DMA Design und Sumo Digital. Wenn ich etwas auszusetzen habe, dann dass ich diesen Teil lieber noch etwas ausführlicher gehabt hätte. Aber dafür gibt es als Trost ein paar Seiten über unveröffentlichte Spiele und Hogs of War, eines der letzten großen Projekte, dann schon als Sheffield House. Die Bindung der Bücher ist tadellos, das Papier fest und hochwertig, die Hardcover stabil und wertig. Und damit es im Regal noch schicker aussieht, stecken beide Bücher in einem stabilen, ebenfalls minimalistisch schwarz gehaltenen Schuber.
A Gremlin in the Works gibt es nur auf Englisch, mit einer Übersetzung ist nicht zu rechnen. Der Preis liegt bei 30 bis 35 Euro, unser Exemplar wurde uns von Funstockretro.co.uk zur Verfügung gestellt, wo ihr auch andere spannende Retro-Bücher und -Dinge findet.
A Gremlin in the Works ist definitiv eines der besten Bücher zum Thema Spiele-Historie, auch wenn ich das im ersten Augenblick nicht so empfand. Ich vermisste den gerafften, erzählenden Stil anderer Autoren, die chronologisch sortierte Aneinanderreihung von Interviews und Gesprächen erschien mir umständlich für den Leser und erweckte den Verdacht, dass Autor Hardisty sich einen Arbeitsschritt sparen wollte. Nach ein paar Kapiteln jedoch fand ich immer mehr in das Mindset der Erzählenden, ihre unterschiedlichen Ansichten, ihre Leidenschaft für unterschiedliche Aspekte der Spiele und der Arbeit und es entfaltete sich eine Art Kopfkino zu diesem Studio, das weit besser funktioniert als das reine Nostalgie-Anbiedern vieler anderer Bücher. Gremlin in the Works geht in seiner Detailtiefe dank des Fokus auf ein Haus wie auch der Vielzahl an unterschiedlichen Gesprächspartnern noch über Bücher wie Britsoft hinaus. Welchen Erkenntnisgewinn ihr jetzt wirklich draus zieht, das wird unterschiedlich sein, aber das Entstehen und Vergehen eines Softwarehauses in dieser Feinheit durch die Erzählungen Dutzender Akteure zu erleben, hübsche Gestaltung und genügend visuelle Eindrücke inklusive, ist wirklich etwas Außergewöhnliches.