Skip to main content

Adr1ft beweist: VR funktioniert auch ohne Schienen

Ein kleiner Schritt für Adam Orth - ein großer für VR-Spiele.

Beim Namen Adam Orth alleine klingelt's sicher nicht bei allzu vielen Lesern. Was aber, wenn ich das Hashtag #dealwithit erwähne, die Kontroverse eines gewissen Microsoft-Angestellten, der 2013 wegen des geplanten Always-on-Systems der Xbox One Zoff mit dem Netz anfing? Richtig. DER Adam Orth. Orth hat die erhitzte Internet Diskussion mit dem Job bezahlt, viel von dem Gift abbekommen, das unzählige aufgebrachte User in seine Richtung spuckten. Ihr wisst schon. Die Sorte, die so häufig an der Sache vorbei direkt aufs Herz zielt, persönlich wird. Orth nutzte die Zeit nach der Online-Eskalation, um sich zurückzuziehen und neu zu sortieren. Mit Adr1ft, einem Spiel über einer im Weltraum gestrandeten Astronautin, will er nun sein Internet-Phärisäertum Erlebte verarbeiten.

Der große Aufreger, der eine so ungesunde Eigendynamik entwickelte, ist mittlerweile fast drei Jahre her, und wer Orth seine Äußerungen von damals noch immer persönlich krumm nimmt, hat vermutlich auch damals scharf in seine Richtung geschossen. Seither ist viel Wasser den Rhein heruntergeflossen und sein neues Projekt verdient in jedem Fall eine Chance, und sei es nur, weil so selten ein Spiel wie Adr1ft daherkommt. Zum einen zeigte schon Alfonso Cuaróns Gravity, wie viel Bildschirm-Magie der luftleeren, leb- und schwerelosen Weite des Raumes innewohnte. Ob der oftmals überbordenden Sci-Fi-Laserschlachten, die für gewöhnlich in diesem Medium so stattfinden, vergisst man diese so einzigartige Seite des Alls regelmäßig - die Isolation, die Machtlosigkeit.

Die Illusion, im All zu sein, ist in VR ziemlich überzeugend.

Fast interessanter ist aber, dass Adr1ft etwas versucht, das bisher die wenigsten Oculus-Rift-Titel - wer keines der Virtual Reality Headset in seinem Budget eingeplant hat, kann das Spiel trotzdem erleben - sich getraut haben. Seit Jahren präsentieren Entwickler in überwältigender Mehrheit Oculus-Projekte, bei denen der Spieler kaum direkte Kontrolle über die Bewegungen der Spielfigur hat. Fast jedes Spiel, das sich einem auf Messen und Presseterminen um den Kopf wickelt, verläuft wie auf Schienen. Das ist der Vorsicht der Designer geschuldet, die wissen, schnelle Bewegungen auf unvorhergesehenen Bahnen erzeugen in dieser Darstellungsform schneller Übelkeit als Donald-Trump-Wahlwerbespots. Fast konnte man über das letzte Jahr das Gefühl bekommen, mit VR stünde nur die nächste Welle optisch und vom Mittendrin-Gefühl zwar beeindruckender, letzten Endes aber oberflächlicher Technik-Demos an.

Fast alles, was man bisher sah, erzeugte ein bisher nie da gewesenes Gefühl der Präsenz in einem virtuellen Raum. Und doch, das was man darin tat, erinnerte eher an eine Art High-End-Kinect, das zum Spielen auf lange Sicht nicht viel taugt. Dazu die ganzen Predigten der VR-Plattformhersteller, nicht zuletzt von Palmer Luckey, der nicht müde wird, zu betonen, dass Virtual-Reality-Spiele von Grund auf mit den Brillen im Sinn designt werden müssen. Wo sollten da traditionelle Spielkonzepte bleiben? Adr1ft hat vergangenen Dienstag nun zumindest in Ansätzen eine ermutigende Antwort darauf gegeben: Wenn man es richtigmacht, sind auch traditionelle Ego-Konzepte mit freier Fortbewegung der Spielfigur kein nennenswertes Problem.

Auch für visuelle Abwechslung nimmt man sich unter den Sternen Zeit.

Das Szenario erfüllt dabei eine der wichtigen Voraussetzungen für brechreizfreies VR: Ihr befindet euch im All, in völliger Schwerelosigkeit. Die Bewegungen und Drehungen des Blickwinkels mittels Schubdüsen sind langsamer als in einem Action-Spiel. Und doch wird man hier und da ein bisschen seekrank. Wie im Flugzeug, wenn das Innenohr mal wieder meldet, "du bewegst dich", während das Hinterteil sich sicher ist, dass man sitzt. Doch auch das erfährt durch den Schauplatz in Null-G eine neue Berechtigung, denn Astronauten geht es auf der ISS wenig anders. Es ist immer ein Abwägen, ob man das Spielen will. Das muss jeder für sich entscheiden: Natürlich gibt es angenehmere Gefühle als das leichte Kribbeln in der Magengrube, wenn es einen ein bisschen zu sehr herumwirbelte. Aber zum einen gewöhnt man sich tatsächlich daran und zum anderen integrierte Three One Zero ein cleveres System namens SAS, das in vergleichbarer Form auch realen Astronauten auf Missionen hilft. Bis auf einen kleinen Kreis in der Mitte wird das Sichtfeld abgedunkelt und damit schlagartig das schwummrige Gefühl neutralisiert.

Wenn man Oculus den Zuschlag gegenüber einem normalen Fernseher oder Monitor gibt, ist der Zugewinn an Immersion einfach unbeschreiblich. Man wähnt tatsächlich seinen Kopf im Innern eines Astronautenhelmes, mit feinen Rissen im Glas, die entstanden, als die Raumstation der Spielfigur sich um sie herum in ihre Einzelteile zerlegte und mit HUD-Anzeigen auf der Mattscheibe links und rechts. Mit großen Augen und nach Luft schnappend schaut man sich um, als sich die ringförmige Anlage hoch über dem blauen Planeten auflöst. Ab jetzt wird ums Überleben gekämpft. Tatsächlich beginnt das Hirn schnell, die sensorischen Leerstellen zu füllen, und gaukelt dem Spieler effektiv vor, er wäre tatsächlich schwerelos. Doch auch in Sachen Handhabung wirkt Oculus kleine Wunder. Zwar steuert man die Figur traditionell per Xbox Controller, aber wie viel intuitiver es doch ist, sich einfach durch die Neigung des Kopfes in der Spielwelt umzuschauen.

Hier wird wohl Sauerstoff-Nachschub produziert.

Auch kontert man damit selbst instinktiv irgendwann etwaige Motion Sickness, einfach indem während der Drehung der Spielfigur den Punkt fixiert, den man anfliegen möchte. Nach einer Weile kann man so das Gefühl, im All zu treiben deutlich intensiver auf sich wirken lassen. Überhaupt ist es faszinierend, wie viel natürlicher sich das alles anfühlt: Man schaut zuerst in eine Richtung, bevor man sich dorthin bewegt. Es ist schwer zu beschreiben. Nachmachen und Ausprobieren - wie immer bei VR - ist meiner Meinung nach unbedingt empfehlenswert.

In meiner vergleichsweise kurzen Zeit mit dem Spiel konnte ich leider nicht ganz so tief in die Mechnanismen eintauchen, wie in das allgemeine Gefühl, auf einem frisch eröffneten Weltraumschrottplatz gefangen zu sein. Fest steht, man spielt die Kommandantin der Mission, eine gewisse Alex Oshima. Sie ist die letzte Überlebende, hat aber wohl auch etwas auf den Kopf bekommen und nun keine Erinnerung mehr an die letzten Tage. Audio-Logbücher und E-Mail-Verkehr an Terminals, die man in weniger beschädigten Sektionen einsehen kann, füllen die Lücken und nach und nach wird das endgültige Ziel der Mission klar: Den Kern des Stationscomputers zu reparieren, damit man eine der verbleibenden Rettungskapseln zurück auf die Erde nehmen kann.

Gravity lässt grüßen. Allerdings betont Orth, dass Adr1ft unabhängig von dem Film entstanden sei.

Unterwegs repariert man seinen beschädigten Raumanzug und erhält so unter anderem das Privileg, nicht alle gefühlte 60 Sekunden eine neue Sauerstoffflasche zu suchen, was einerseits regelmäßig für Spannung sorgte - schaffe ich es noch zum Kanister, bevor Alex erstickt? -, andererseits aber auch schnell eine gewisse Routine in der steten Suche nach den grün blinkenden Flaschen einsetzen ließ. Allerdings machte mich Orth während des Spielens darauf aufmerksam, dass ich auch ein bisschen selbst schuld am hohen Verbrauch war: Die Schubdüsen des Anzugs und meine Atemluft teilen sich denselben O2-Tank. Ich Weltraum-Noob hielt während der Bewegung stet den Stick in die gewünschte Richtung, gab also Dauerschub. Dabei genügt All natürlich ein kurzer Stoß in eine Richtung, um ewig mit demselben Tempo diesen Vektor entlangzutreiben. Schon hier kommt also eine Prise Tiefe ins Spiel.

Kampfelemente wird es laut Orth jedenfalls nicht geben. Das hier ist damit ein Spiel, das sich der Erkundung der Umgebung, leichten Puzzles und dem Ergründen der Geschichte verschrieben hat. Für mich ist die Aussicht, 40.000 Kilometer über der Erde um das Leben meiner Spielfigur zu bangen, in jedem Fall Triebfeder genug.

Auf YouTube ansehen

Ergo kam ich mit einem durchweg guten Gefühl aus London zurück. Hatte ich in letzter Zeit häufig Sorge, VR würde sich schon bald auf Grafikdemos mit wenig bis gar keiner Bewegungsfreiheit und Spieltiefe einschießen, beweist Adr1ft, dass Spiele ohne Sitz- oder Schienenpflicht der Spielfigur durchaus möglich sind. Klar, Three One Zero verzichtet ebenfalls auf allzu schnelle Bewegungen des Blickwinkels, um sein Glück nicht zu sehr zu strapazieren. Aber das ist dann ein Problem, mit dem sich das nächste Studio befassen kann, das VR als Videospielplattform ernstnimmt. Ich muss schon sagen: Die Aussicht, mit in der Leere baumelnden Astronautenstiefeln über dem so friedlich wirkenden blauen Planeten zu schweben, werde ich schon ein bisschen vermissen, bis Adr1ft im März erscheint.

Schon gelesen?