Agarest: Generations of War
Das letzte PS1-Spiel
Wow, ist das hässlich. Agarest: Generations of War hat einen ganzen Schwung an Eigenschaften, aber die Erste, die mir einfällt, ist „hässlich“. So abgrundtief, grottenolmig, herzerreißend hässlich, dass ich immer noch kaum glauben mag, dass dies kein PS1-Download ist. Wenn die Menüs und Animezeichnungen nicht in der für die PS3 normalen Auflösung laufen würden, wäre ich überzeugt, hier mit einem verschollenen Werk der 2,5D-Ära konfrontiert zu sein.
Der erste Kampfscreen dieses Taktik-Rollis mit bekanntem Schachbrett-System ist nicht nur der einzige, den ihr für eine sehr lange Zeit zu sehen bekommt – bevor dann weitere, ebenso abstoßende folgen –, er gewinnt hiermit auch offiziell den Sonderpreis für die am niedrigsten aufgelöste Textur des Jahres 2009. Und 2008. Und 2007. Und 2006. In 2005 gab es wahrscheinlich irgendwo was Vergleichbares. Die Sprites sind kein Stück besser.
Dass sie offenbar als 2D hineingepappt sind, ist nicht das Problem. Dass die Pixel pro Sprite anscheinend einzeln bezahlt werden mussten und bei 16 x 16 das Geld ausging hingegen schon eher. Und den absolut krönenden Abschluss bildet die große Übersichtskarte. Sicher, sowas muss nicht in 3D mit Polygonbergen sein. Aber die völlig frei drehbare 2D-Ansicht offenbart nicht nur geradezu surreal anmutende Figuren, die auf der von der Seite zu sehenden Linie der gekippten Karte abstehen, sie lässt sich sogar von unten begutachten, nur dass die Figuren dann nicht korrekt mitplatziert werden. Fasst also bloß nicht die Kontrollen auf der Übersicht der Welt an, es kann nichts gutes dabei herauskommen.
Dass das Spiel ja bereits 2007 in Japan erschien, kann angesichts solch kompletter technischer Ignoranz kaum eine Ausrede sein. Und es ist wirklich schade, dass Agarest ein solches Verbrechen begeht, denn das Spiel hinter dem Schleim kann sich durchaus sehen lassen. Klar, Taktik-Rollenspiele auf einem Schachbrettmuster mit starkem RPG-Einschlag gibt es im Dutzend billiger und auch wesentlich tiefgründiger als hier. Es ist aber diese Reinheit der Umsetzung – damit ist nicht die Optik gemeint, über die ich den ganzen Tag herziehen könnte –, die wirklich begeistert.
Der zügige Ablauf ist dabei ein zweischneidiges Schwert. Jede Runde ist in zwei Sequenzen eingeteilt. Zuerst wird gezogen, ihr seht dabei aber nicht, wie der Computer reagiert. Ihr seid grundsätzlich zuerst dran und sobald ihr auf „Ausführen“ klickt, bewegen sich beide Parteien. Ihr werdet so zwar der Möglichkeit der Reaktion auf die Züge der KI beraubt, die diese Möglichkeit hat und auch nutzt, aber zumindest kommt man schnell an den Punkt, an dem es interessant wird.
Jeder einzelne Kämpfer kann nach und nach ein reichhaltiges Set aus Angriffen physischer und magischer Natur zusammenstellen, von denen jeder einzelne Aktionspunkte kostet. Von diesen regeneriert ihr pro Runde eine bestimmte Zahl, die ihr sammeln könnt. Sind genug Punkte vorhanden, lassen sich in einer Runde auch mehrere Attacken ausführen, so weit die Punkte halt tragen. Richtig gewählt ergänzen sich dann auch die Attacken zu besonders effektiven Varianten, die mehr sind als die Summe ihrer Teile.
Besonders spannend wird es beim Kombinieren der Angriffe mehrerer Streiter. Ihr müsst eure Truppe in einer bestimmten Konstellation zueinander aufbauen, damit ihr alle Punkte der so verbundenen Kämpfer in einen Pool werfen könnt. Das hat den Vorteil, dass der Schnellste als Erster ziehen darf, aber auch die Angriffe der langsamen Tanks mit in die Attacke auf einen besonders gefährlichen Feind einbezieht, bevor dieser überhaupt zum Zug kommt. Das beste und spannendste Feature in diesen sonst eher soliden als aufregenden System.
Wahrlich episch wird es beim Inhalt. Ihr bestreitet die 100 Stunden nicht durchgehend mit einem Helden, sondern bis zum Ende eines Kapitels muss dieser heiraten und mit seiner Dame der Wahl einen Erben zeugen, der dann den Kampf in die nächste Runde trägt. Effektiv bedeutet das einen … befremdlichen Dating-Teil mit Anime-Bildern, die alle nicht-Alleinstehenden mitunter in Erklärungsnöte bringen. Halbfreizügige, offensichtlich minderjährige Animedamen kann man nicht einfach so im Raum stehen lassen.
Der Plot entwickelt sich letztlich ok. Nicht mehr und nicht weniger. Die Welt muss gerettet werden, ob ihr das nun im Guten oder im Bösen tut. Viele der Nebenhandlungen, gerade das Zwischenmenschliche, verlässt kaum das Niveau der Durchschnitts-Animeserie, aber der Gesamtrahmen passt. Nehmt noch ein paar Gilden zum Waffenbauen und Monsterzüchten dazu und ihr müsst nur noch hinter die abgrundtiefe Hässlichkeit blicken, um ein gutes Spiel zu finden.
Denn das, was hier in Agarest: Generations of War optisch geboten wird, glaubt in 2009 echt kein Mensch. Auch nicht in 2007, also keine Ausreden. Jenseits des Pixelmatschsumpfes liegt dann das verheißungsvolle Land des Generationen überspannenden Plots, der sich dank der brauchbaren Figuren anständig entwickelt und von zwar kleinen, aber teilweise wirklich feinen Runden-Taktik-Kämpfen zusammengehalten wird. Es ist ein Spiel für Japan-Anime-Taktik-RPG-Fans, die gelegentlich für die Perlen des Genres noch die PS1 anwerfen. Und diese hierzulande recht eingeschränkte Zielgruppe muss sich dann auch optisch nicht umstellen. Das nenne ich mal maßgeschneidert.
In Japan vor langer Zeit erschienen, ist Agarest nun bei uns erhältlich. Es entspricht scheinbar der US-Version mit englischer und japanischer Sprache. Das Handbuch ist in Deutsch. Eine scheinbar leicht aufgehübschte 360-Version erschien Ende 2008 in Japan, aber ich kann noch nicht sagen, ob es sich lohnt, auf einen "Irgendwann, wenn überhaupt"-Release hierzulande zu warten.