Agatha All Along Finale: Grandios durchdachtes Fernsehen voller Twists und versteckter Geheimnisse
Fast, wie wenn Chazz Palminteri die Kaffeetasse runterfällt. Nur eben mit Hexen.
SPOILER für die komplette Serie "Agatha All Along"
So, Leute! Wie gut waren bitte Agatha All Along Folge 8 und 9, die heute in Spielfilmlänge Marvels vermeintliche “das will doch keiner sehen”-Produktion passend zu Halloween beendeten? Bereits die vorletzte Episode war eines Finales würdig – was man im Grunde schon letzte Woche von der siebten (“Death’s hand in mine”) hätte sagen können, alleine der Machart wegen. Aber nach all den Wendungen der Lilia-Folge, die einen die bisherigen Ereignisse mit neuen Augen sehen ließen, machten die Autoren von Agatha All Along noch sehr viel weiter und zogen mir auf dem Endspurt noch mehrmals die Beine unterm Hintern weg.
Ich kann es nicht anders sagen: Nach dem schlimmen Secret Invasion ist Agatha All Along sagenhaft gut strukturiertes Mystery-Fernsehen. Es ist eine Show voller Twists, aber von der guten Sorte, die nicht nur dazu da ist, damit sich die Autoren clever fühlen können. Diese Enthüllungen sorgen dafür, dass man die komplette Show mit dem Wissen vom Ende noch einmal sehen will, um vielleicht dieses Mal ein paar der schon früh klug platzierten Hinweise aufzuschnappen.
Warum können nicht alle Marvel-Serien so gut geschrieben sein?
Wo fängt man nur an mit dem Lob? Agathas undurchsichtiger Pakt mit dem Tod (Plaza) flößte Folge acht direkt zu Beginn unterschwellige Spannung und zusätzliches Misstrauen in unsere Protagonistin ein. Jens Einsicht, dass Agatha ihre Kräfte auf dem Gewissen hat und wie sie sie danach wiedererlangt, war so wundervoll gespielt von Sasheer Zamata, dass auch vom Zuschauer parallel dazu eine Last abfällt. Dann waren da Billys Zweifel, einen “Ort” für die Seele seines Bruders zu finden, die mir das Herz brachen (“am I killing this boy so my brother can live?”), worauf umgehend die Realisation folgte, dass Agatha ihr Kind nicht für das Darkhold geopfert hat – “No, Billy, some boys just die.” – wo Kathryn Hahn wieder einmal beweist, mit welchem Talent sie zwischen lauten, komödiantischen Stoffen und aufrichtig und zerbrechlich menschelndem Drama hin- und hertänzelt.
All diese anrührend gefühligen Momente waren nur das Vorgeplänkel für das eigentliche Finale. Das drohte zunächst, das Rückspiel des enttäuschenden Wandavision “Endkampfes” zwischen Agatha und der Scarlet Witch zu werden, hielt sich diesmal aber angenehm zurück. Billy im Comic-akkuraten Wiccan-Kostüm zu sehen, ließ mich glatt vergessen, dass mich Marvels leichtsinnige Frequenz eigentlich stört, mit der sie gerade das MCU mit unfassbar mächtigen Figuren fluten. Dann Agathas Todeskuss und anschließend der große Moment, in dem Billy realisiert, dass er den Hexenweg selbst erschaffen hat. Das war im Grunde der “Die üblichen Verdächtigen”-Moment des MCU – der nur dadurch noch stärker wird, dass sich Folge neun fast in Gänze mit Agathas Vorgeschichte befasst.
Wir erfahren, wie Aubrey Plaza als der/die Tod Agatha bei der (Tot-)Geburt ihres Kindes einen Aufschub gewährt. Wir sehen, wie sie mit ihrem Kind Nicholas zusammen Jagd auf die ihr verhassten Hexen macht und dass der Hexenweg lediglich Gegenstand eines Reiseliedes war, das ihr Sohn mit ihr zusammen als Zeitvertreib komponiert hatte. Über die Jahrhunderte wurde das Lied zur Legende uminterpretiert – und Agatha nutzte die Kraft dieser Legende, um andere Hexen ihrer Kräfte zu berauben.
Und ja, wir erfahren, dass Agatha Jen, Lilia und Alice schon am ersten Tag töten wollte, und dass sie selbst überrascht war, plötzlich in ihrem Keller eine Tür zum angeblichen Hexenweg vorzufinden. Schaut man die frühen Folgen noch einmal, gibt es demnach endlos viele Anzeichen für jedes einzelne Geheimnis (auch Kleinigkeiten, wie dass Lilia schon in Folge zwei beiläufig sagt, dass ihr Haltbarkeitsdaten nichts ausmachen, weil sie, wie wir erst fünf Folgen später erfahren, Zeit nicht linear erlebt) – es ist wahnsinnig smart geschrieben und macht Spaß, beim erneuten Durchgang noch mal auf solche Kleinigkeiten zu achten. So aufmerksame, detaillierte Drehbücher hatten Marvel-Stoffe bisher selten.
Alles in allem eine großartige Serie, die von Anfang an wusste, wo die Reise hingehen würde und die die richtigen Leute fand, um wirklich mit Spaß bei der Sache zu sein. Wir bekamen zu Beginn von Folge acht sogar noch einmal ein Wiedersehen mit Alice, die nach all dem Charakteraufbau in Folge fünf viel zu schnell aus der Serie geschieden war. Ali Ahn darf noch einmal zeigen, was sie kann, als sie auf die Frage des Todes, ob sie bereit sei, ein resignierendes “Nein” entgegnet, bevor sie Plaza dennoch durch die letzte Tür folgt. Was für ein Abgang…
Wenn es nach mir ginge, würde ich Showrunnerin Jac Schaeffer lieber gestern als heute die Schlüssel zum MCU zuwerfen. Hier weiß jemand, wie man eine gute Geschichte aufbaut. Danke für diese lustige, spannende, verblüffende und überraschend rührende Serie!