Age of Empires 4 - Test: Keine Revolution, aber eines der besten RTS seit Jahren
Age of Empires 4 revolutioniert nicht das Genre, erweist sich aber als eines der besten Strategiespiele der vergangenen Jahre.
Von Anfang an hatte es Age of Empires 4 nicht leicht. Nach all den Jahren thront Teil zwei der Reihe in der Gunst der Fans weiterhin über allen anderen und nach der langen, langen Auszeit - AoE3 erschien 2005 - stellte sich die Frage, ob Age of Empires einfach so zu alter Form zurückfinden könnte? Die kurze Antwort darauf ist: ja, und wie! Relic Entertainment ist es gelungen, diese magische Formel von einst aufzugreifen, zu modernisieren und mit einem Schuss Eigenständigkeit zu versehen. Das Resultat ist eines der besten Echtzeitstrategiespiele seit Jahren.
Dabei war das bei weitem keine leichte Aufgabe, denn jeder Teil der Reihe hat so seine Fans. Und das alles unter einen Hut zu bringen... sagen wir es so, ich bin froh, dass ich mir darüber keine Gedanken machen musste. Im Kern ist es aber Age of Empires 2, das überwiegend als Vorlage für den vierten Teil dient. Ohne Frage das beste Vorbild, das sich Entwickler Relic aussuchen konnte. Und das Beste daran: sie werden ihm gerecht.
Age of Empires 4 ist wie eine Rückkehr nach Hause
Für alle, die mit der Serie vertraut sind - vor allem, aber nicht allein mit dem zweiten Teil - fühlt sich Age of Empires 4 wie eine Rückkehr nach Hause an. Ich weiß instinktiv vom ersten Moment an, was ich wie machen muss, wofür ihr meine Dorfbewohner brauche, was sie tun können, welche Bewegungen und Kommandos ich ausführen muss. Ich könnte es wahrscheinlich im Schlaf spielen, aber ich schaue lieber zu, wie meine Siedlungen zum Leben erwachen, wachsen und gedeihen und große Armeen hervorbringen, die später hoffentlich den Feind überrennt.
Und wenn ihr keine Erfahrungen mitbringt: macht nichts! Age of Empires 4 heißt alle Willkommen. Veteranen und Neulinge gleichermaßen. Den Einstieg erleichtern Tutorials, Tooltips und alle möglichen Hilfestellungen. Und es bietet obendrein eine ganze Reihe an Optionen für die Barrierefreiheit, von Untertiteln über größere Texte und Farbfiltern bis hin zur sprachlichen Wiedergabe, bei dem Name und/oder Funktion eines Benutzeroberflächenelements vorgelesen werden - wenngleich das in der getesteten Version eher merkwürdig klang. Wie ein Roboter, der nur im Ansatz die deutsche Sprache beherrscht.
Einer der Grundpfeiler von Age of Empires 4 und zugleich eines der Highlights sind die Kampagnen. Vier Stück gibt es davon und sie bieten euch mit mehr als 30 Missionen einiges zu tun. Interessant ist hier vor allem die gewählte Machart. Durch die Einbeziehung von echten Filmaufnahmen im Dokumentarstil wirken alle Kampagnen bis zu einem gewissen Grad dokumentarisch, befassen sich mit der Entwicklung der jeweiligen Zivilisation und Kulturen über die Jahrhunderte hinweg und vermitteln obendrein noch Wissen zu diesen, zu Technologien und Taktiken. Das alles ist wunderbar professionell umgesetzt und sorgt für ein zusätzliches Maß an Authentizität, das - wenigstens für mich - interessanter ist, als all das zum Beispiel in Textform in irgendeiner Art von Enzyklopädie nachzulesen.
Die Erzählungen der Sprecherin erstrecken sich zudem bis hinein in die Missionen der Kampagnen, sorgen so für eine Art von rotem Faden, der sich durch alles hindurch zieht. Die Kampagne der Normannen beginnt zum Beispiel mit der Schlacht von Hastings im Jahr 1066, in der Wilhelm der Normanne nach England übersetzt, um das Königreich zu erobern. Bei jeder der Kampagnen seht ihr anfangs sowohl das Start- als auch das Endjahr, in dem Fall endet alles im Jahr 1217 in Lincoln mit dem Sieg von Henry III. Dabei ist es immer interessant zu sehen, wie sich Kampagneninhalte und Filmaufnahmen ergänzen. Ihr seht zum Beispiel echte Schauplätze, um die ihr gerade noch virtuell gekämpft habt, erhaltet einen Eindruck davon, wo eine Schlacht stattgefunden hat oder die nächste stattfindet. Das stärkt zusätzlich das Mittendringefühl und den geschichtlichen Aspekt des Spiels, das nicht nur die Geschichte für sich als Grundlage nutzt, sie nun vielmehr noch stärker, aktiver und bildlicher an euch vermittelt. Gerne mehr davon
Vier abwechslungsreiche Kampagnen
Wie erwähnt habt ihr vier Kampagnen zum Start, die sich von der Schlacht von Hastings im Jahr 1066 bis zum Fall von Kasan im Jahr 1552 über mehrere Jahrhunderte erstrecken. Abseits der Auseinandersetzung zwischen Normannen und Briten verschlägt es euch in den Hundertjährigen Krieg, ihr befasst euch mit dem Vorstoß des mongolischen Reichs in den Westen und erlebt den Aufstieg Moskaus nach eben jenem Eroberungsfeldzug der Mongolen. Insgesamt ein recht umfangreiches Paket zum Start, das euch viele, viele Stunden beschäftigt.
Relic gelingt es dabei, für ausreichend Abwechslung zu sorgen. Ihr habt kürzere und längere Missionen. Einsätze, in denen ihr ganz klassisch eure Siedlung aufbaut und alles erobert. Und welche, in denen ihr nur mit einem vergleichsweise kleinen Trupp unterwegs seid, begrenzte Ressourcen habt und eure Leute bestmöglich einsetzen müsst. Hier und da ist das auch ganz gut auf die jeweiligen Eigenheiten der Zivilisationen abgestimmt, zum Beispiel können die Mongolen ihre Gebäude kurzerhand zusammenpacken und an anderer Stelle neu aufbauen - so bringt ihr zum Beispiel eure Kasernen, Ställe und so weiter näher an die Frontlinie heran oder zieht mit eurer Siedlung zum nächsten Hotspot, an dem es noch ausreichend Rohstoffe zu sammeln gibt. Schade ist nur, dass die Marine in den bisherigen Kampagnen nicht so sehr im Mittelpunkt steht, hier konzentriert sich doch alles mehr auf Gefechte an Land.
Was den Gameplay-Flow anbelangt, setzt Age of Empires 4 weiterhin auf das bekannte Rohstoff-Quartett aus Nahrung, Gold, Holz und Stein. All das braucht ihr, um eure Gebäude zu bauen, Einheiten zu rekrutieren, neue Technologien zu erforschen und im Zeitalter voranzuschreiten. Dieser grobe Aufbau und Ablauf ist im Kern identisch mit früheren Teilen, Änderungen betreffen eher einzelne Gebäude und Einheiten. Nehmen wir zum Beispiel die Mongolen. Während die Gold wie ihr es kennt mit Dorfbewohnern abbauen, platzieren sie auf einem Steinbruch ein Gebäude, das mit der Zeit automatisch das dort vorhandene Gestein abträgt. Befindet sich dann noch ein Stall oder ein anderes Militärgebäude im Einflussbereich eines solchen Obo - ihr könnt nur einen gleichzeitig haben -, ermöglicht das eine doppelte Produktion von Einheiten und die Erforschung besserer Technologien, die Stein voraussetzen.
Unter der Haube ändert sich in Age of Empires 4 das ein oder andere
An anderer Stelle ist es nun möglich, dass Fußsoldaten Rammböcke und Belagerungstürme direkt im Feld errichten, ihr braucht dafür keine Belagerungswerkstatt (die bringt noch eine Reihe anderer tödlicher Spielzeuge mit sich). Das macht euch flexibler, indem ihr die Sachen ganz einfach direkt in Frontnähe aufbaut, statt sie erst langwierig über die Karte zu karren. Französische Speerkämpfer sind so schon effektiv gegen berittene Gegner, haben aber zusätzlich noch die Möglichkeit, den Gegner kurzzeitig zu betäuben, indem sie die Speere in den Boden rammen und die Angreifer hineinreiten lassen. Und der Mönch ist in Age of Empires 4 ebenso in der Lage, gegnerische Streitkräfte zu bekehren - sogar in einem größeren Wirkungsbereich als nur eine einzelne Einheit -, muss dafür aber ein Relikt bei sich tragen und so lange überleben, bis seine Bekehrung abgeschlossen ist.
Das Spiel gewinnt so ein wenig an Komplexität, es gibt mehr Dinge zu beachten und zu beherrschen. Das sorgt umgekehrt für mehr Dynamik und Spontanität auf dem Schlachtfeld, indem ihr zum Beispiel einen Rückzug vortäuscht und Gegner an eine bestimmte Stelle lockt, um dann von den Seiten aus Wäldern heraus mit nicht sichtbaren, versteckten Truppen über ihn herzufallen. In anderen Szenarien lässt sich die KI gerne mal hervorlocken, indem ihr mit berittenen Bogenschützen so weit nach vorne prescht, dass Gegner auf euch aufmerksam werden und euch folgen - aber nur bis zu einem bestimmten Punkt, an dem sie umdrehen. Besonders effektiv ist diese Taktik mit den Mangudai der Mongolen, berittene Bogenschützen, die selbst dann feuern können, während sie in der Bewegung sind. Gegner locken und auf Abstand bleiben, bis er umdreht, währenddessen bleibt er immer im Pfeilhagel und verliert eine Einheit nach der anderen, während ihr so gut wie nichts einsteckt, wenn ihr clever agiert. Was wie gesagt nicht mit allen klappt und einer der Vorzüge der Mongolen ist.
In den Kampagnen führt euch das Spiel nach und nach durch die verschiedenen Zeitalter. Ihr habt natürlich nicht von Beginn an Zugriff auf alles, erst nach und nach lernt ihr alles kennen, was für die jeweiligen Zivilisationen verfügbar ist. In dem Sinne sind die Kampagnen zugleich ein ausgedehntes Tutorial. Habt ihr sie durchgespielt, solltet ihr die jeweilige Zivilisation und das, was sie ausmacht, gut beherrschen. Was dann aber nur für vier Stück gilt, insgesamt gibt es acht und somit noch vier weitere, mit deren Taktiken und Besonderheiten ihr euch zum Beispiel in Skirmish-Gefechten vertraut macht.
Engländer, Chinesen, Franzosen, Heiliges Römisches Reich, Mongolen, Rus, Delhi-Sultanat und Abbasiden-Dynastie sind von Beginn an im Spiel und sie alle haben einzigartige Einheiten, Boni und Dinge, die sie auszeichnen. Nicht jede ist für jeden Spieler oder jede Spielerin geeignet, das liegt dann an euch, herauszufinden, mit wem ihr am besten klarkommt. Mongolen können zum Beispiel keine Farmen bauen, dafür aber Weiden, die nach einer bestimmten Zeitspanne ein neues Schaf ausspucken, dass ihr dann als Nahrungsquelle verwendet. Ebenso erhalten sie zusätzliche Rohstoffe durchs Plündern. Das geschieht automatisch kurz vor der Zerstörung eines gegnerischen Gebäudes. Weiterhin ist es ihnen aufgrund ihrer Mobilität nicht möglich, Wälle und Mauern zur Verteidigung zu errichten. Dafür starten sie direkt mit dem maximalen Bevölkerungslimit und müssen keine Häuser errichten.
Die Wahl der Zivilisation macht in Age of Empires 4 einen Unterschied aus
Im Endeffekt kommt es darauf an, zum einen seine gewählte Zivilisation zu beherrschen und in der Lage zu sein, ihre Stärken effektiv auszunutzen. Zum anderen ist die richtige Planung wie gewohnt von entscheidender Bedeutung. Das gilt für den Multiplayer umso mehr, damit ihr nicht früh zum Opfer anderer Spieler und Spielerinnen werdet, die zuerst aufs Militär gesetzt haben. Hier ähnelt Age of Empires 4 gleichermaßen dem zweiten Teil, was viele Fans glücklich machen dürfte.
Beim Aufstieg in ein neues Zeitalter entscheidet ihr euch indes für eines von zwei Gebäuden, das ihr dann errichtet. Diese Wahrzeichen bringen unterschiedliche Boni mit sich, die sich auf die Umgebung um sie herum und eure Einheiten auswirken. Büßt ihr diese Wahrzeichen und euer Dorfzentrum im Kampf ein, verliert ihr. Dahingehend gibt es im Multiplayer drei verschiedene Siegbedingungen, die ihr nach Lust und Laune miteinander kombiniert - oder komplett ohne sie spielt. Zu den Siegbedingungen zählen die Zerstörung aller Wahrzeichen, die Eroberung aller Heiligen Stätten auf der Karte sowie der Bau und die anschließende Verteidigung eines Weltwunders für zehn Minuten.
All das lässt sich vergleichsweise schnell erreichen, was dafür spricht, dass ein Ziel von Relic darin bestand, die durchschnittliche Dauer eines Multiplayer-Matches zu verringern. Aber wie gesagt, ihr könnt auch komplett ohne diese Bedingungen spielen und dann kommt es darauf an, wer zuletzt mit einem gesunden Bein auf dem Boden des Schlachtfeldes steht - was dann ein Weilchen dauern kann. Gut, dass beides möglich ist. So macht Relic beide Seiten glücklich: Die, die kurze Matches möchten, und die, die die Zeit in stundenlangen Online-Gefechten gern aus den Augen verlieren.
Was bleibt am Ende? Ein Spiel, das sich ohne Frage am Besten von Age of Empires 2 orientiert, dem Ganzen aber seinen eigenen Stempel aufdrückt, um nicht einfach ein Klon dessen zu sein. Dafür gibt's ja die Definitive Edition von Teil zwei, die sich heute noch prima spielen lässt. Oberflächlich ähneln sich die Spiele, im Detail gibt es viele Unterschiede, zum Beispiel, dass Pfeile in Age of Empires 4 immer ihr Ziel treffen. Gebäude könnt ihr indes nicht mehr als eine Art Wall nutzen, die Wegfindung der Truppen funktioniert prima und normalen Soldaten ist es nicht möglich, massive Steinwälle zu Fall zu bringen (außer die Tore). Und und und. Serienveteranen bemerken massenhaft Änderungen, die Age of Empires 4 zu einem ganz eigenen Biest machen, nicht zuletzt aufgrund der spürbaren Unterschiede zwischen den Zivilisationen, die sich nicht allein darauf beschränken, welche Arten von Einheiten sie bauen können.
Age of Empires 4 Test - Fazit
Was ihr am Ende bevorzugt, das müsst ihr allein für euch entscheiden. Ich kann nur sagen, dass mich Age of Empires 4 von Beginn an so sehr begeistert hat, wie es Teil zwei seinerzeit tat. Ich liebe den dokumentarisch angehauchten Stil, in dem die Kampagnen aufgebaut sind. Die Zivilisationen spielen sich schön unterschiedlich. Alles fühlt sich so vertraut an und bietet doch so wahnsinnig viele Änderungen, die es frisch erscheinen lassen. Es spricht für Relic, dass nichts davon den vertrauten Flow des Gameplays massiv stört, sondern vielmehr bereichert. Age of Empires 4 ist Age of Empires, wie es zu seinen besten Zeiten war, verpackt in ein modernes, hübsches Gewand, das wahrscheinlich nur der Auftakt für viele, viele Stunden Spielspaß ist, die uns die Entwickler in den kommenden Jahren noch bescheren werden. Ich kann jedem AoE- und Echtzeitstrategie-Fan nur ans Herz legen, sich Age of Empires 4 einmal anzuschauen. Die Rückkehr des Franchise nach all den Jahren hätte nicht besser verlaufen können. Ja, es revolutioniert nicht das Genre, aber das muss es nicht, um mit Leichtigkeit einer der besten Genrevertreter seit vielen Jahren zu sein.