Age of Wulin - Kommt nach China, lasst euch versklaven!
Bettler, Sklaven und Spione: Im 14. Jahrhundert waren die Sitten am großen Fluss ziemlich rau.
China ist ein faszinierendes Land. Hört man ja immer wieder hier und da, meist von Leuten, die gerade in diesem Land waren und lange Bus- und Bahn-Touren zu anscheinend wirklich faszinierenden Orten machten. Gewaltige Städte, gewaltige Tempel, Flüsse, Landschaften. Viel gibt es ja nicht, was dort nicht gewaltig zu sein scheint. Ich kann sogar noch einen draufsetzen. Ich kam grad aus dem China um 1390 und schon damals war dort alles ganz schön gewaltig.
Tourismus im 14. Jahrhundert
Nein, keine Zeitmaschine, die ist leider immer noch nicht ganz fertig, es musste mal wieder ein Spiel reichen, und dieses heißt Age of Wulin. Seit nunmehr vier Jahren in der Entwicklung gehört es zu den Spielen, bei denen man immer wieder mal denkt „gibt's das eigentlich noch?", aber ja, gibt es und es nähert sich nun auch in Europa seiner Beta. Aber die Warterei hat sich gelohnt, wie eine Reise zu ein paar Sehenswürdigkeiten andeutete.
Natürlich nicht das Mainstreamzeugs, das man heute kennt. Weder die Große Mauer noch die Verbotene Stadt waren zu dieser Zeit gebaut und da bei dem chinesischen Entwickler auch ein paar Historiker mit an Bord waren, hielt man sich sehr akkurat an das, was es gab und wie es wohl ausgesehen haben muss. So könnt ihr beispielsweise die damals wie heute beliebten Longman Grotten besichtigen - Felsklippen, in die Zehntausende unterschiedlich großer Buddhastatuen geschlagen wurden - oder die Reste der Wüstenstadt Loolan. Ist diese heute eine ganz schöne Ruine, war es das auch damals schon, aber im Verfall noch weit weniger fortgeschritten. Zahllose solcher Orte, manche groß, manche eher eine Randnotiz, fanden ihren Weg in das Spiel, das sich auch sonst sehr historisch wertvoll gibt.
Kleidung, Vegetation, Architektur und Alltagsgegenstände wurden immer mit Blick auf „was war damals" nachempfunden und das Ergebnis kann sich sehen lassen. Natürlich habe ich keine Ahnung, wie es damals in China aussah und ich bin sicher, dass hier schon noch der Neuwagenlack über einer ganzen Welt mehr glänzt, als er es Ende des 14ten Jahrhunderts tat, aber es fühlt sich „echt" an. Echt genug jedenfalls.
Als MMO scheint Age of Wulin stark in Richtung Sandbox zu tendieren. Ihr habt vier verschiedene Startpunkte mit einer eigenen, umfangreichen Haupt-Story-Quest, die euch wohl eine ganze Weile beschäftigen wird. Aber PvP und Koop sind feste Bestandteile der Welt, die hier immer wieder euren Weg kreuzen, da ihr, um wirklich in dem Spiel weiterzukommen, nicht ohne die Anderen könnt.
Wettstreit der Philosophien und Kampfkünste
Die beiden wichtigsten Gründe dafür heißen Gilden und Schulen. Einer der Letzteren müsst ihr euch bei der Erschaffung anschließen und hier zeigt sich, wie auch in der Spielwelt selbst, die Orientierung Wulins an einem hierzulande eher unbekannten Roman-Genre, das in China seit Jahren bei den Verkäufen durch die Decke geht: Wuxia (grob „Wuuscha" ausgesprochen, Lautschrift wird hier scheinbar nicht unterstützt ...).
Ob eine Schule das Schwarz oder das Weiß des Yin und Yang ist, könnt ihr aus dem Kodex einer Schule ablesen.
Es ist das, was bei uns der historische Roman ist, nur mit mehr Abenteurer-Anteil und Martial Arts und weniger geschichtlicher Akkuratheit über das Leben von Kirchenerbauern und Wanderhuren. Einige der Schulen kennt man aus der Realität, die Shaolin zum Beispiel dürften die Bekanntesten sein. Die Hälfte der acht Schulen jedoch sind frei erfunden, schließlich braucht man ja auch ein paar ausgewiesene Schurken.
Ob eine Schule das Schwarz oder das Weiß des Yin und Yang ist, könnt ihr aus dem Kodex einer Schule ablesen. Manche wollen, dass ihr noble Quests annehmt, Bettlern Geld gebt und der Schule helft, wo ihr nur könnt. Andere sehen das weit lockerer, sie verzeihen euch praktisch alles, solange es nur eurem Fortkommen und vor allem dem der Schule dient. Treffen hier zwei Philosophien aufeinander, kracht es schon mal gerne. Richtig rumpeln kann es jedoch, wenn ihr einer Schule angehört und dann noch einer Gilde, deren aktuelle Leitung von euch Dinge verlangt, die dem zuwiderlaufen.
Die Gilden sind natürlich komplett spielergesteuert, bis zu 400 Mitglieder stark und können sich dynamisch immer wieder neu ausrichten. Territorien können beansprucht, Burgen annektiert und Gesetze erlassen werden. Sandbox-Gesellschaftsstrukturen halt. Aber auch die Schulen können von Spielern übernommen werden. Die Regeln sind hier strenger und es sieht nicht so aus, als würden berufene Spieler eine Schule komplett neu ausrichten können, aber auch hier wird es einen gewissen Spielraum geben, in dem die Verantwortlichen selbst entscheiden, wie die Welt zu laufen hat und wann man sich mal mit bis zu anderthalbtausend Spielern auf dem Schlachtfeld treffen sollte, um das auszudiskutieren.
Jeder braucht Arbeit
Zum Start ist das für euch alles ferne Zukunftsmusik. Ihr schließt euch einer Schule an und müsst erst mal zusehen, überhaupt in der Welt klarzukommen. Dabei kann ein Beruf natürlich wie im richtigen Leben helfen und die Zahl derer ist nicht niedrig. Von Bettler über Händler bis zu Dorfpolizist oder Straßenmusiker steht euch auf legaler Seite alles offen und ist, wollt ihr es ein wenig am Rande praktizieren, mit kleinen Minispielchen verbunden - Qin-Hero - oder Streife laufen. Geld verdient ihr dabei nicht nur on- sondern auch offline. Eure Figur bleibt in der Spielwelt und geht ihrem Tagesgeschäft nach, sobald ihr euch wieder einloggt, habt ihr ein wenig mehr Geld. Oder findet euch versklavt bei einem lokalen Menschenhändler wieder.
Von Bettler über Händler bis zu Dorfpolizist oder Straßenmusiker steht euch auf legaler Seite alles offen und ist, wollt ihr es ein wenig am Rande praktizieren, mit kleinen Minispielchen verbunden.
Es gibt nämlich auch die dunklen Beschäftigungen und als Dieb könnt ihr euch bis zum professionellen Kidnapper hocharbeiten. Wollt ihr das versuchen, betäubt ihr das Opfer und werft es über die Schulter, um es gegen richtig gutes Geld zu verkaufen. Das Dumme für euch ist, dass es halt schon auffällt, was ihr tut und die Belohnung, ein Kidnapping zu stoppen ist fast genauso hoch. Es lohnt sich also für so ziemlich jeden in der Umgebung, euch nachzustellen. Ihr müsst also keine Sorgen haben, dass eure Figur jedes Mal beim Einloggen für jemand anders Frondienste verrichtet. Sollte es doch mal so weit sein, könnt ihr euch für kleines Geld freikaufen oder einfach flüchten, was meist auch nicht zu schwer sein dürfte. Ihr habt euer normales Leben also zügig zurück und könnt auf die Jagd nach dem Kerl gehen, der euch das antat oder euch im Zuge dessen gleich als Kopfgeldjäger verdingen. Ein ehrbarer Beruf in der Grauzone des Lebens.
Lese und lerne (zu kämpfen)
Dabei kommt es natürlich früher oder später zum Kampf und hier zählen weniger Level und Punkte, sondern mehr, welche magischen Schriftrollen ihr im Portfolio habt und vor allem welcher Schule ihr angehört. Manche bevorzugen waffenloses Kung-Fu, andere setzen auf solches mit Schwertern, Doppelklingen oder anderen traditionellen Waffen. Das Ergebnis verlässt dann den realistischen Anstrich des Spiels und orientiert sich mehr an Crouching Tiger, Hidden Dragon. Lauft über Wasser, fliegt mit dem Schwert voran oder beschwört das Chi der Erde, um sie beben zu lassen. Es sind magische Fertigkeiten, aber statt Feuerbällen sind es halt Waffen- und Martial-Arts-Künste, was natürlich weit besser hierhin passt.
Einige dieser Moves sind schön anzusehen, aber von dem, was ich bisher im Ablauf sah, wird Wulin kein Rad neu erfinden. Jede Menge Slots für die Schriftrollen, die euch diese Fertigkeiten geben, Cooldown-Zeiten und Angriffsketten, Buffs und Heilung, was man so kennt. Wie sich die Feinheiten dessen ausspielen, muss natürlich erst in einer viel längeren Session ergründet werden. Der Ersteindruck: solide und manchmal auch hübsch anzuschauen.
Da diese Schriftrollen nun mal das Herz eurer Kampfkunst sind, ist die Frage, wo ihr sie herbekommt. Wieder sind es die Gilden und Schulen, die sie horten und die Bibliotheken in Wulin nicht nur zu Deko-Gebäuden verkommen lassen, sondern zum vielleicht wichtigsten Besitz, den eine Anlage haben kann. Dies ist auch einer der Gründe, warum ihr im Spiel nicht weit kommen werdet, solltet ihr die Anforderungen eurer Schule gänzlich ignorieren. Dann gibt es keinen Aufstieg in ihr und kein neues, mystisches Wissen.
Stealth-Angriffe auf die Bibliothek
Da Schulen selbst aber auch neues Wissen anhäufen müssen, vor allem das, welches die Konkurrenz bitter verteidigt, könnt ihr Aufträge annehmen, die euch in das Herz des Gegners schicken. Eine andere Schule zu bestehlen, ist nicht ganz einfach, da es neben den NPC-Wachen auch Spieler-Charaktere geben kann, die dort off- oder sogar online Wachdienst schieben, je nachdem wie wertvoll das Gut ist. Diese auszutricksen ist nicht ganz einfach. Reichen bei den NPCs schon ein paar Steine, um sie in bester Stealth-Manier in die andere Richtung zu schicken, solltet ihr für alles andere von irgendwoher zu dem Ziel passende Kleidung organisieren. Notfalls im immer aktiven PvP. Manche der Anlagen werden eine echte Herausforderung sein, andere - weitläufige, unübersichtliche Tempelanlagen beispielsweise - eher leichter zu beklauen. Aber so oder so, werdet ihr erwischt und nicht nur verprügelt, sondern von den NPCs gestellt, könnt ihr auch schon mal im Knast landen.
Eine andere Schule zu bestehlen, ist nicht ganz einfach, da es neben den NPC-Wachen auch Spieler-Charaktere geben kann, die dort off- oder sogar online Wachdienst schieben.
Je nach Schwere des Vergehens könnt ihr mit einer winzigen Geldstrafe davon kommen, aber auch wirklich einsitzen müssen. Da Gefängniszeit wertvolle Online-Zeit ist, solltet ihr besser den Wächter bestechen oder gleich Freude alarmieren, damit sie das Gefängnis stürmen. Habt ihr keine Freunde, weil ihr ein solcher Erzverbrecher wart, dass ihr den Tod verdient, dann sollt ihr ihn auch bekommen. In einem öffentlichen Schauspiel werdet ihr auf dem Schafott live einen Kopf kürzer gemacht. Nein, es gibt kein Perma-Death. Aber der Debuff soll der heftigste sein, den das Spiel zu bieten hat, sodass ihr für ein Weilchen effektiv auch wirklich tot sein könntet.
Diesen Debuff können auch zahlende Spieler nicht einfach so loswerden. Age of Wulin wird ein Free-2-Play-Spiel werden, das seine Geldhoffnungen auf die Eitelkeiten der Spieler setzt. In Asien ist dieses Konzept ja ausgesprochen erfolgreich, kauft man zu hohen Feiertagen auch seiner Online-Figur gern alles, was dazugehört, wird sich zeigen, ob das hierzulande ebenso gut ankommt. Wahrscheinlich werden es eher die Komfort-Funktionen sein. Die Spielbalance sollen sie nicht beeinflussen, wie sie sich genau ausspielen, wird man sehen. Es sieht aber im Augenblick zumindest nichts nach Pay-2-Win aus.
Age of Wulin ist eine dieser gewaltigen Asia-Sandboxen, in denen es eine Million Dinge zu tun gibt, zu viele, um sie in einem einzelnen Artikel alle anreißen zu können. Was hier jedoch bei mir für den richtigen Funken Begeisterung sorgte, war nicht offline entführt zu werden oder andere kleine witzige Ideen, sondern der große Eindruck. Die Welt des alten China wurde zwar gemäß der Intention mit ein wenig Kitsch, aber auch viel Hintergrund umgesetzt und wirkte bereits in dieser kleinen Vorstellung spannend genug, um selbst nur als Tourist hier die eine oder andere Stunde verbringen zu wollen. Wie die Kernelemente der Schulen und Gilden sich ausspielen, die Spieler-getriebene Wirtschaft sich entwickelt und vieles mehr, das sind Dinge, die sich erst in viel längeren Sessions beweisen müssen, selbst wenn sie jetzt schon interessant klingen. Die Ideen, die Umsetzung sieht sehr solide aus und ich freue mich auf die ersten Beta-Runden. Mal sehen, was ich zuerst besuche und wen ich dort so kidnappe. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass ich es bin, der sich plötzlich als unterbezahlter vorindustrieller Handtaschen-Fälscher wiederfindet.