Agony - Test
Der Name ist Programm.
Der Pitch war faszinierend: Ein Spiel über die Hölle, das sich selbst die schauerlichsten Einfälle nicht verbieten lassen wollte. Mir schwante damals bereits, dass die betonte Grausamkeit am Ende Überhand nehmen und mich betäuben würde, aber ich war für alles offen.
Bezeichnenderweise haben sich die Polen von Madmind nun doch ein paar Sekunden aus den Endsequenzen verkniffen und zu ein, zwei Gelegenheiten auch andernorts vorsichtig die Schere angesetzt. Wie das bei der Community ankam, könnt ihr euch denken.
Dem Spiel deshalb kategorisch den Daumen nach unten zu geben, wie es auf Steam gerade dutzendfach passiert, fände ich in erster Linie putzig, wenn es nicht so traurig wäre. Klar, das war miserabel kommuniziert und "Kunst" im weitesten Sinne sollte - zumindest im theoretischen, luftleeren Raum - natürlich alles dürfen. Es deprimiert mich dennoch, dass man Parolen wie "Zensur" und "Angriff auf die Meinungsfreiheit" heutzutage auffällig oft durchs Netz schallen hört, wenn ein Künstler es sich spart - Obacht, spekulative Beispiele -, mit Resten einer Abtreibung um sich zu werfen oder Geschlechtsorgane plakativ schäbig in die Kamera zu halten.
Das ist die Sorte Dinge, die man aus kreativer Sicht als "niederer Beweggrund" einstufen könnte und es wäre schön, wenn Entwickler und andere Kunstschaffende vorher prüften, ob und wo sie billige Schockeffekte oder schlechte Scherze im Namen kreativer Freiheit über Pietät und guten Geschmack stellen. Und wenn wir uns überlegten, wo für uns der Reiz und der Wert darin liegt. Mir geht's an dieser Stelle wirklich nicht um Zensur oder nicht. Es ist nur so, dass mir persönlich "weil freier Ausdruck erlaubt sein sollte und Zensur böse ist" (was stimmt) als alleiniger Grund nicht reicht, weil er die Diskussion kategorisch von den Inhalten ablenkt. Der Diskurs sollte nicht darüber im steten Gange sein, was Kunst darf, sondern was sie kann und sollte.
Wäre Agony ein besseres Spiel, wäre es beinahe tragisch, wie der selbstverordnete Maulkorb seines Entwicklers das Gerede darüber so dominiert. Leider ist es ein Schlechtes. Gleichzeitig ist es wunderbar ironisch (nach der offiziellen Alanis-Morissette-Definition), dass das zentrale Problem dieses Ego-Horror-Spiels nicht darin liegt, gewisse Dinge nicht zu zeigen. Das Spiel ist immer noch konkurrenzlos widerlich und perfide und ab und an angemessen surreal. Und doch merkt man schnell, dass Madmind an seiner Höllenvision besser noch großzügiger die Schere angesetzt hätte. Überlegt mal: So gut wie alles, woran man sich erinnert, wenn man den Namen "Event Horizon" hört, sind die erschütternden Blicke, die man für Sekundenbruchteile in seine Hölle werfen durfte. Hätte der ganze Film auf "der anderen Seite" gespielt, der Eindruck hallte nicht annähernd so albtraumhaft lange nach.
Madmind dagegen denkt gar nicht daran, seine morbidesten Schrecken abseits der Kamera ihr Ding machen zu lassen, hält immer voll drauf und steigt so bereitwillig mit der Fantasie seiner Spieler in den Ring. Wie konnte man glauben, diesen Kampf zu gewinnen? Ist der Weiße Hai nicht hundertmal grusliger, bevor das Pappmachè-Wackelmaul das erste Mal aus dem Wasser springt? Schaudert es einem bei dem Gedanken an The Rings Samara nicht umso schlimmer, so lange man sich vorstellen musste, was das Mädchen im Schrank gesehen haben muss, bevor es sein Leben ließ? In Agony gibt's Blut, Gekröse, Brüste, tumorige Wucherungen und Torbögen aus riesigen ausgeschlagenen Zahnkränzen wohin man nur blickt. Nach 30 Minuten erteilte mich auf der Flucht aus dieser ausschnittweise zugegebenermaßen interessant anzusehenden Unterwelt betäubende Teilnahmslosigkeit.
Nun gut, es sollte nun mal die Hölle als zentraler Schauplatz sein, aber dann sollte man auch eine Idee haben, das Abenteuer in Sachen Schrecklichkeit zu eskalieren oder anderweitig interessant zu halten. Spielerisch wird das schon mal nichts. Weil Madmind seine Fetch-Quests durch verwirrend strukturierte Labyrinthe so liebt und die Wegfindungshilfe gerne die Routen zu Zielen aufzeigt, die man längst erreicht hatte, verlauft ihr euch, regelmäßig an Umgebungsobjekten hängenbleibend, in diesen uniform mies ausgeleuchteten Umgebungen, nur um hier und da unvermittelt in den Tod zu stürzen.
Besonders schlecht ist das deshalb, weil Dämonen diese Hallen und Gänge patrouillieren, gegen die ihr nichts ausrichten könnt. Nur verstecken in kaum sichtbaren Aussparungen in den Wänden oder in überdeutlich und lila glühend markierten Leichenstapeln, das geht. Und natürlich rennen, aber solange man nicht weiß wohin, ist das eine schlechte Idee. Einer der entmutigenderen Einfälle seit langem ist, dass ein Rücksetzpunkt nach drei Bildschirmtoden gelöscht wird und ihr zu dem davor zurückkehrt. Cool, mehr Backtracking durch verwirrend aufgezogene Gebiete, die ihr bereits durchquert habt. Anstatt "jetzt erst recht" provozierte das in meinem Fall meistens eher ein "ok, ich hab' echt genug für heute".
Zugegeben, nicht immer, wenn man stirbt, muss man zu einem Rücksetzpunkt zurück. Ein paar Sekunden Zeit hat man schon, als frei umherschwirrende Seele in einen der anderen klongesichtigen Verdammten zu schlüpfen, die in Dauerschleife wirre Dinge murmelnd die fleischigen Kerker bevölkern, und so das Abenteuer fortzusetzen. Gleich zwei Mal verlor ich jedoch wertvolle Respawns am letzten Spiegel, weil ich vor einem Verdammten schwebte, der sich ohne ersichtlichen Grund einfach nicht übernehmen lassen wollte. Erst später fand ich heraus, dass ich den Gepeinigten erst die Leinensäcke von ihren Köpfen ziehen musste, damit sie als Rücksetzpunkt fungieren können. Das Spiel selbst erwähnt nie was davon. Und selbst als ich das begriffen hatte, verirrte ich mich auf der Suche nach einem neuen Wirt regelmäßig, "starb" endgültig und musste am letzten Spiegel weitermachen. An einer anderen Stelle verhinderte zudem ein Bug, dass ich meinen Geist nach meinem Tod bewegen konnte. Besten Dank dafür!
Überhaupt erklärt das Spiel wenig, ist unfassbar träge zu steuern und gibt wahnsinnig schlechtes Feedback über alles, was mit Interaktion oder dem Lösungsweg zu tun hat. Die prominent vertretenen Schleichpassagen durch Level, deren Form und weiteren Verlauf man selten gut sehen oder abschätzen kann, kommen einem da als erstes in den Sinn: Wann man gesehen wird, was erlaubt ist und was nicht, wie weit die eher komisch als gruselig animierten Biester sehen oder hören, solche Dinge. An einer Stelle offerierte mir das Spiel, dass ich einen von ihnen von hinten in eine Grube stoße, was mir trotz erfolgreichem Anschleichens und brav gedrückter E-Taste gleich drei- oder viermal nicht gelang und mit meinem unmittelbaren Tod endete. Sowohl beim Halten des Buttons als auch beim kurzen Drücken bin ich schon gestorben, weil sich das Vieh dann doch umdrehte.
Und dann die stetigen Wiederholungen in manchmal durchaus kreativen, oft eintönig-deprimierenden, aber immer undurchsichtig und konfus aufgezogenen Umgebungen. Drei abgetrennte Körperteile suchen und irgendwo platzieren, um das Tor zu öffnen, Fackel finden, um eine hölzerne Barriere niederzubrennen. In einem Raum mit sieben Siegeln an jedem einzelnen regungslos für drei Sekunden stehen, damit der Charakter sie sich einprägt, einen Gang später daran scheitern, wie vorgesehen eine M.C.-Escher-Wand hochzulaufen, um an der Decke weiterzugehen, weil man nicht exakt den richtigen Punkt anvisierte. Sich in dieser Spielwelt aufzuhalten, ist auf eine ungute Art anstrengend. Nichts hiervon ist unterhaltsam, vieles passiert unter Androhung, es noch mal zu machen, sollte man sterben. Ich weiß, dass dieses Spiel die Pein im Namen trägt. Aber zumindest fesselnd sollten die grundlegenden Interaktionen und der Loop des Spiels schon sein, die Handlung faszinieren. Stattdessen gibt es eher zum Schmunzeln anregende Dialoge, Gegner die aus dem Nichts auftauchen, Sackgassen, Todesstürze und so weiter und so fort. All das ist einfach Interaktions- und Leveldesign - und das muss an dieser Stelle erlaubt sein - aus der Hölle.
Dass dann vor allem auf Konsole noch schlimme Bugs, Tearing und Berichten zufolge auch kaputte Spielstände hinzukommen (einiges davon ist dem Vernehmen nach durch zwei recht flink nachgereichte Patches von je knapp 4 GB mittlerweile behoben), passt da traurigerweise ins Bild. Es gibt sogar Anschlussfehler in geskripteten Sequenzen. Einer der Verdammten baut in fast schon komischer Manier eine Mauer, in der gut ein Drittel der Steine aus deformierten Babys besteht, die bei dem Vorhaben natürlich zerquetscht werden. Mitten im Bauvorgang geht die komplette Animation auf einmal von vorne los. Was für eine Wohltat, dass die Zensur nicht so weit ging und ich das noch miterleben durfte.
Wer wegen der Zensurdebatte in Agony einen weichgekochten Feigling von einem Gruselspiel statt des versprochenen, endlos obszönen Höllentrips erwartet, dem kann ich Entwarnung geben. Schnitte hin, Zensur her: Viel widerlicher als das hier dürfte es auf Jahre hinaus nicht werden. Als Erfolg im Sinne der erklärten Mission im Vorfeld oder als sehenswert würde ich das mechanische und strukturelle Elend, das sich hier auf gute acht Stunden ausbreitet, trotzdem nicht bezeichnen. Es gehört zum normalen Rüstzeug unseres Verstandes, dass der Schock- und Ekelfaktor von diesem Machwerk nach einer halben Stunde abfällt wie Reste verwesenden Fleisches von einer alten Leiche. Was bleibt, ist das traurige Gerippe eines Spiels, das auf seiner ach-so-bösen Höllenfahrt aus den Augen verlor, warum Ekel und Provokation nicht alles sind.
Entwickler/Publisher: Madmind Studio / Deep Silver - Erscheint für: PC, PS4, Xbox One - Preis: 25,99 Euro - Erscheint am: erhältlich - Sprache: SPRACHEN - Mikrotransaktionen: nein - Getestete Version: PC, PS4
PC-Spiele testen wir auf Lenovo Legion PCs und Laptops, die uns seitens von Lenovo zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt wurden. Hier erfahrt ihr mehr über Gaming-Laptops 2018 im Allgemeinen und hier geht es zur Website von Lenovo Legion Gaming.