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Jupp, Tokios Akihabara sprengt euch beim ersten Mal das Hirn

Bizarro Retro Porno in the Belly of the Miez.

Als Japan-verbundener Spieler habt ihr sicher von Akihabara gehört. Mir war der Name bis zur ersten Japan-Reise vor Kurzem schwammig als Umschlagplatz für alles Elektronische und Manga-Bezogene bekannt, ohne im Grunde wirklich etwas darüber zu wissen. Im Tokioter Zentralbezirk Chiyoda gelegen, ist es eine Einkaufsmeile mit dem gleichnamigen Bahnhof als Ausgangspunkt. Egal, woher ihr in Tokio mit der Bahn kommt - Akihabara ist gut ans Netz angebunden. Egal, ob ihr Spiele aus den letzten dreißig Jahren, eine Steve-McQueen-Actionfigur, CDs als Anime-Figuren verkleideter Mädchenbands, Bill-Murray-Spielkarten oder ein originalverpacktes Sega Mega-CD kaufen wollt - einzig das Bankkonto könnte Einspruch erheben.

Wieso das kleine Areal so fasziniert, wird spätestens beim als "Electric Town" ausgeschilderten Westausgang klar. Ein Straßenzug von nicht mal einem Kilometer Länge, mit zehnstöckigen und höheren Gebäuden auf beiden Seiten.

Leuchtreklame, so weit das Auge reicht, besonders beeindruckend in den Abendstunden. Kommt gegen 20 Uhr hierher und ihr treibt durch ein glühendes Lichtermeer. Selbst als Leute und Lärm gewohnter Berliner gestaltet sich der erste Besuch atemberaubend bis einschüchternd. Weniger aufgrund der Menschenmassen, die sich amüsiert aus Hallen voller Greifautomaten in die Haupt- und die paar umliegenden Nebenstraßen ergießen. Es ist das Zusammenspiel aller Sinneseindrücke, die zu verarbeiten anstrengend sein kann.

Im Umkreis liegen unzählige Maid-Cafés und in berüschte Dienstkleidung gehüllte Mädels verteilen Flyer. Sie quietschen männliche Passanten in so zuckersüßer Tonlage an, dass ich mich manchmal frage, ob das überhaupt noch eine gesprochene Sprache ist. Irgendwann höre ich nur noch einen stechenden Zwischenton in einer Geräuschkulisse aus Laden-Jingles, Gejohle und J-Pop, der sich von den Lautsprechern der Hausfassaden seinen Weg bahnt. Steht man an der richtigen Stelle, wenn sich ringsum die schallgedämpften Spielhallentüren öffnen, dröhnt es aus allen Himmelsrichtungen. Schräg gegenüber hängt eine Videowand mit einem Clip der "Girl-Metal-Vokal-Band" Babymetal, aber davon kriegt man ein paar Schritte weiter schon nichts mehr mit.

Man kann hier Ewigkeiten damit zubringen, auf acht Stockwerken die Vitrinen Dutzender Trading-Card-Geschäfte zu durchstöbern, japanische wie westliche Spielsysteme. Das Aufspüren der wertvollsten zum Kauf ausgestellten Karte hält meine Frau und mich fast zwei Stunden bei Laune. Ich beginne mit einer 29.800-Yen-Karte (255 Euro) für ein Spiel namens "Wixoss". Sie legt nach mit 77.800 Yen (668 Euro), ebenfalls Wixoss. Oft müssen wir eine Weile suchen. Nach hinten raus wird es immer schwerer. Dieses Gebäude ist bis unter die Decke voll mit Karten, jede Etage, auch mit Figuren, Büchern und Roboterbausätzen. Ganze Glasschränke sind jungen Damen aus japanischen Idol-Groups gewidmet. Teures Zeug mitunter, vor allem wenn ihre Unterschriften und noch ein paar Glückwünsche drauf sind. 67 Euro kostet das Bild eines Mädels, wie es mit dem Hund Gassi geht.

Gewonnen hat schließlich Magic: The Gatherings "City of Traitors". Im Austausch gegen schlappe 850.000 Yen (7300 Euro) reicht sie euch der freundliche Verkäufer aus dem verschlossenen Schaukasten. Falls es jemand schaffte, allein diese oberste Ablage auszuräumen, wäre das überschlagen Beute im Wert von 40.000 Euro. Die wertvollste Fußballkarte ist übrigens eine mit Franz Beckenbauer drauf und kostet kaiserliche 19.800 Yen (170 Euro). Beim Rückweg die Rolltreppen runter wird mir zwischen vierter und dritter Etage langsam wieder bewusst, wo ich gerade einen Teil des Nachmittags gelassen habe. Nicht in dem einen stadtweit von nah und fern aufgesuchten Trading-Card-Tempel, sondern einer Straße voll davon. Als verließe man gerade ein kleines, in sich geschlossenes Universum.

Um die Ecke kann man Resident-Evil-"Green-Herb-Curry" zum Selberkochen mitnehmen, eine ganze Etage mit Tales-of-Merchandise abklappern, im Yodobashi-Akiba neunstöckig Elektronik von Massagesesseln bis E-Gitarren shoppen. Mittags lässt sich im "Club Sega" eine Gruppe Deutscher beobachten, die sich vor dem Greifautomaten mit einer im Breath-of-the-Wild-Design gefertigten Zelda-Uhr versammeln und "Viel Glück" wünschen. Abends amüsieren sich im selben Laden vier Japaner vor einem anderen Automaten. Sie grölen bei jedem Fehlversuch, sich eine Figur aus der Mangaserie "Love Live! School Idol Project" zu angeln.

Was auch immer man an aktueller Elektronik sucht - hier ist ein guter Startpunkt.

Wer es drauf anlegt, kann samstags um 22 Uhr im Ladenregal zwischen Chris Redfields und Yoshis Outfit wählen. Oder eine Verkleidung in Form vollgeschissener Unterhosen, je nach Vorliebe und Gesellschaft, in der man sich bewegt. Ein eigenes Kapitel sind die Don-Quijote-Mega-Discounter, am ehesten vom Format eines Karstadt. Das sage ich kopfschüttelnd und schulterzuckend, weil es in Deutschland nichts halbwegs Vergleichbares gibt, wo man rund um die Uhr Nahrung, Elektronik, Zangief-Hanteln, Klamotten, Dildos, Chipmunk-Masken und Pflegecremes findet. Beim Erkundungsversuch aller bis obenhin vollgestopften, winzigen Gänge kann man ermüden, ohne einmal vor die Tür zu treten. An Spielen führen sie nur das Nötigste und Aktuellste - 3DS, Switch, Wii U -, aber wir haben das gute Zeug in Akihabara praktisch um die Ecke.

Was man an einem Samstagabend eben so gebrauchen kann.

Beim Ausgang zur Straße bemerke ich einen Verkaufsstand mit Spielen, aufgebaut zwischen Rolltreppe und Crêpe-Imbiss. Zwei Männer betreiben ihn jeden Sonntag an dieser Stelle. Vor anderen Geschäften werden sie nicht geduldet, sagen sie, also versuchen sie ihr Glück hier. In Karteikästen haben sie eine kleine, fein gepflegte Auswahl an Nintendo-Cartridges. Vom Famicom über den Gameboy bis zum N64, manche in bewundernswert erhaltener Originalverpackung. Ich kaufe Super Mario 64 in einer 1997 Japan-exklusiv erschienenen Version mit Rumble-Pack-Unterstützung (Shindou Super Mario 64). Mir gefällt das Cover, auf dem sich Mario und Bowser mit schmollend verschränkten Armen voneinander abwenden.

Nur ein kleiner Stand zwischen Tür und Angel, aber schon hier macht das Kramen richtig Spaß.

Obwohl der Stand flohmarktartig wirkt, erinnert nichts an Fridas Rumpelkiste vom Berliner Mauerpark. Ein auf alle Game-Shops in Akihabara übertragbarer Umstand, jeden einzelnen, den ich besuche. Hingehunztes werdet ihr nicht finden, anders als in Deutschland, wo Retro oftmals bedeutet, unterm PS2-Regal eine Bananenkiste voller vergilbter SNES-Module hervorzuächzen, die seit Monaten kein und in den Jahrzehnten davor zu viel Sonnenlicht abbekommen haben. (Ich kann nur die allgemeine Situation im Vergleich grob umreißen. Falls es einen engagierten Händler in Gütersloh geben sollte, sorry). Weder 2nd Reality aus Hamburg noch Freeman Games aus Berlin, beides ordentlich bestückte Gebrauchtspielhändler, teils bis runter zum NES, kommen auch nur in die Nähe.

In Akihabara ist Retro fester Bestandteil, und wenn es bloß ein unauffälliges Regal mit einsortierten (Super-)Famicom-Modulen ist. Einen neuen PS4- oder Vita-Titel sieht man praktisch überall, vor allem wenn er Senran Kagura: Peach Beach Splash heißt und beworben ist wie auf dem Bild unterhalb. Läden wie Book Off oder Trader pflegen in der untersten Etage Veröffentlichungen für aktuelle Systeme, auch Xbox One, im Fall von Trader mitunter sogar in den US-Versionen.

Es geht wohl darum, mit Wasserkanonen auf andere Mädels zu schießen. Im Laufe des Jahres soll Beach Peach Splash auch nach Europa kommen.

Trader betreibt allein in Akihabara mehrere Filialen und ist ein guter Startpunkt. Die hohen Gebäude und gelb-blauen Schriftzüge sind selbst im Lichtermeer schwer zu übersehen. In der 3DS-Ecke stehen Verpackungen, die ich noch nie gesehen habe und gewiss nicht mehr wiedersehen werde, sofern diese Spiele niemand für den Westen Release-fein macht. Man darf sich einem Publisher wie Atlus für jedes einzelne, das sich hierher verirrt, verbunden fühlen.

Die Treppen hoch steht das Retro-Sortiment, darüber Filme und noch weiter oben Pornos, wahlweise reale oder gezeichnete. Der Laden schräg gegenüber verkauft davon auf fünf Etagen mehr, als man je anschauen könnte. Regalweise drängen sich DVDs dicht aneinander. Die Gänge sind schmal, Räume kaum größer als 20 Quadratmeter.

Auf kompaktester Fläche findet man asiatische Produktionen zum Abdecken jeglicher vorstellbarer Neigungen. Darunter ein auf Cheerleader-Upskirting spezialisierter Vier-Stunden-Film, bis runter zum widerlichen Zeug mit festen Körperausscheidungen. Manche sind auch nur halbfest, wie man kleinen Bildschirmen entnehmen kann, die hier und da an den Regalen klemmen. Keine Ahnung, ob ich jemals so genau hinschauen oder der Typ den Mund so weit aufreißen wollte, aber jetzt ist es für uns beide zu spät.

So sieht er aus, der Eingang in die Hölle.

Mindestens bedenklich sind Hentai-Anime-Produktionen mit jungen Mädchen, die wenigsten älter gezeichnet als dreizehn. Auf einem der Bildschirme läuft ein Ausschnitt. Ein Mädchen hält ein Eis in der Hand, die Freundin leckt ekstatisch daran. Der Eisverkäufer beobachtet sie zufrieden. In dem Moment, als ich denke, dass er gleich voll durchzieht, startet der Clip von vorn. Wieder verlässt man ein eigenes Universum und immerhin lernt man noch etwas dabei. Zum Beispiel, dass man im Laden keinen Motorradhelm tragen und an den waagerecht auf Überkopfhöhe angebrachten Stangen keine Klimmzüge machen darf. Gelbe Schilder weisen darauf hin.

Auf der Straße hat sich derweil eine Gruppe aus acht Menschen eingefunden, die als Nintendo-Figuren verkleidet in Go-Karts sitzen. Ein schmächtiger Japaner hängt wie ein Schluck Wasser in einem bemitleidenswerten Bowser-Kostüm und winkt den Passanten zu. In Akihabara kein unüblicher Anblick. Im Gegensatz zu anderen Teilen Tokios sind Cosplay und überschwängliches Ausleben desselben hier akzeptiert.

Das Bild ist in einem anderen Teil von Tokio entstanden. In Akihabara sieht man deutlich mehr dieser illustren Gesellschaften.

Wer viel Geld loswerden und keine Frau mit angelegten Katzenohren bezahlen will, damit sie süße Bildchen ins Essen malt, findet im Umkreis die feinsten Retro-Läden. Wo Trader am ehesten den unterkühlten Charme einer Gamestop-Filiale mit deutlich mehr Auswahl und besserer Pflege versprüht, sind es die kleinen, verkramten Shops, in denen man sich fasziniert durch nahezu jede Spielbibliothek wühlen kann.

Ein paar der besten liegen in Seitenstraßen, wenigstens ein Stück abseits dröhnend beworbener Spaßhallen der Hauptstraße. Ihnen allen zu eigen ist die Hingabe zum Erhalt ihrer kleinen Schätze, egal ob Sega Saturn, PC Engine, Sony, Famicom Disk System oder, deutlich seltener, Microsoft draufsteht.

Super Metroid in Originalverpackung, Zustand zum Niederknien, umgerechnet 60 Euro. In Deutschland fast ein Ding der Unmöglichkeit. Laden: ''Friends''.

Sobald sich irgendwo eine Gebrauchsspur auch nur im Ansatz erahnen lässt, wird der Artikel von "Neuwertig" auf "Gut" zurückgestuft. Alles ist in einem Topzustand, sämtliche Aufkleber sind penibel erhalten. Kein Etikettengeschmiere, kein Name des Vorbesitzers oder Verkaufspreis, wie man es auf deutschen Trödel- und Weihnachtsmärkten oft sieht. Jedes einzelne Spiel in jedem Geschäft steckt in einer Folie und oft muss ich zweimal hinsehen, ob ich nicht doch ein fabrikverschweißtes Pikmin, Secret of Mana oder Shenmue in der Hand halte.

In der Ecke eines Geschäfts steht ein Mitarbeiter hinter einem kleinen Tisch. Mit Reinigungsbenzin und Tuch bearbeitet er ein Gameboy-Spiel, Verpackung, Inlay, schließlich Handbuch und Plastikhülle. Zwanzig Minuten lang widmet er sich diesem einen Spiel, säubert sämtliche Bestandteile, hält sie immer wieder prüfend nach oben, bessert nach, benutzt einen Staubpuster für schwer zugängliche Stellen. Es ist die Gameboy-Version von NFL 95, ausgerechnet Football. Der Laden heißt "Mandarake" und bietet auf acht Geschossen alles an, was mit Manga, Anime, Gaming, Spielzeug und individualisierbaren Puppen zu tun hat. Seine Kollegen sind nicht untätig. Zwei verpacken Ware, der dritte schlägt Amazon-Preise für Wii-Spiele nach.

Jupp, ein Stockwerk nur für nach eigenen Vorstellungen individualisierbare Puppen. Ich glaube nicht, dass ich je wieder ruhig schlafen kann.

Die Gaming-Auswahl bei Mandarake, diese schieren Dimensionen, es ist das Beeindruckendste, was ich je gesehen habe. Man weiß nicht, wo man zuerst hinschauen soll: die nach Systemen geordneten Regalreihen entlang oder in die zahlreichen Vitrinen voller liebevoll verpacktem Zubehör und Sammlerstücke. "Selten" sind keine bei uns einst teuren Lieblinge wie Chrono Trigger oder Super Mario RPG - die nackten Cartridges kriegt ihr umgerechnet für unter zehn Euro, mit Verpackung werden im Schnitt 30 Euro fällig. "Selten" ist die auf 200 Stück limitierte S.T.A.R.S.-Edition des Code-Veronica-Dreamcast-Bundles, hier zu erstehen für knapp 4900 Euro. Auch nicht jeden Tag sieht man ein Wario Land für den Virtual Boy, eine gut erhaltene Pocketstation oder ein lauffähiges Mark One von Sega.

Nur ein kleiner Ausschnitt aus einem Regalteil.

Vor dem Dreamcast-Regal höre ich ein paar Deutschen zu. Einer deutet auf die mittige Reihe und sagt so etwas wie: "Das ist schon doppelt so viel, wie es bei uns insgesamt gibt". Zum Vergleich gehe ich in Berlin noch mal in einige Läden: abgepulte Preisschilder mit Kleberesten hier, zerkratzte Logos da. Wer einmal in Akihabara nach gestrigen Spielen schaute, ist ein Leben lang verdorben. Nicht nur im Mandarake, auch woanders hört man Besucher ein ungläubiges "Wooow..." prusten. Ein Schwede erzählt, dass er von seinem Zuhause zum nächstgelegenen Händler mit Spielangebot locker zwei Stunden unterwegs ist. Ohne Amazon und Ebay wäre er aufgeschmissen, sagt er. Der Anblick überwältigt ihn wie jeden anderen.

Das Geschäft heißt "Super Potato" und ist fast schon eine Art Retro-Zeitstrahl, den man wegen der reichhaltigen Auswahl ebenso besucht wie wegen der Einrichtung. Jede Etage ist bis in die letzte Ecke dekoriert mit Plüschfiguren, Postern, alten Werbeanzeigen und buntem Nippes. Seitlich platzierte Anspielstationen laden zu einer Runde Super Mario World, gegenüber läuft der japanische Golden-Eye-Werbespot in Dauerschleife, und wer mag, kann jederzeit einen Virtual Boy ausprobieren. Schon beim Überschreiten der Türschwelle atmet man unweigerlich Videospielkultur in vollen Zügen.

Wer diese Schwelle übertritt, wird Retro nie wieder so sehen wie vorher.

Mandarake mag die größere Auswahl führen, aber Super Potato ist der mit Abstand nerdigste Shop, den ich in Tokio sehe. Seine markige Atmosphäre erkauft er sich mit den höchsten Preisen. Wer Schnäppchen abgreifen will, hat diese Adresse nicht oben auf der Liste. Die Leute kommen für das Drumherum, die Einrichtung, die Liebe zum Medium und seinen Erhalt, die aus jeder Ecke trieft. Sie wühlen in der Mega-Drive- oder Sega-Saturn-Sektion, danach hocken sie sich in die oberste Etage, wo Spielautomaten zu einer Runde Street Fighter oder Metal Slug verleiten. Wieder können Stunden vergehen, bevor man zurück ins Tageslicht tritt.

Nächster Stopp ist das "Retro Game Camp", ein privat geführtes Unternehmen mit Graffiti-Schriftzug und zwei Niederlassungen, einer auf jeder Straßenseite. Vor dem Eingang schmettert das Legend-of-Zelda-Hauptthema in Dauerschleife aus einem Kassettenrekorder. In Pappkartons daneben liegt der Ramsch, umgerechnet zwischen 40 Cent bis drei Euro pro Modul. Der Zustand aller Spiele ist tadellos, im Laden sowieso. Es ist die Art von "kleiner Händler um die Ecke", den man gern unterstützt, weil die Atmosphäre verkramt ist und die Preisgestaltung fair.

Viele Shops verkaufen nicht nur Spiele, sondern, äh, alles.

Auf kleinster Fläche findet man trotzdem eine Menge. Vor allem eine Menge heraus. Etwa wie sorgfältig Hardware zum Kauf aufbereitet werden kann. Man muss sich schwer am Riemen reißen, sieht man die vielen Gamecubes, Sega Saturns, Neo Geos und all die Peripherie aus appetitlich angerichteten Schaukästen blitzen. Mehrere Reihen sind dem 3DS und verschiedensten Gameboy-Color-Modellen gewidmet, fein säuberlich in Folien aufgehängt. Second Hand hat oftmals etwas Schmuddeliges an sich, nicht nur wenn es um Elektronik geht. Hier macht es richtig Spaß. Außerdem erfährt man, dass die japanischen Cover von Mario Tennis 64 und Mario Golf 64 aussehen wie Photoshop-Unfälle. Controller gibt es entweder originalverpackt oder in bestem Zustand. Nirgendwo ist ein verkalkter N64-Stick zu sehen.

Der letzte Shop heißt "Friends" und ist aus mehreren Gründen besonders: 1) Man findet ihn nur schwer. Als Tourist zufällig über den Eingang zu stolpern, das hängt daran, ob man ein krakeliges Schild mit einer bemitleidenswert gezeichneten Super-Mario-Mütze entziffern kann. 2) Er hat die günstigsten Preise von allen. 3) In der Etage darüber ist ein Etablissement, das man der Webseite nach durchaus als Puff einordnen könnte, aber was weiß ich schon.

Friends liegt ein paar Meter außerhalb des Hauptstraßentrubels, versteckt in einer Seitenstraße und nur erkennbar am besagten Schild. Der Schriftzug "GAME" ist irgendwo dazugeschrieben, aber wenn man vorher dreimal am Eingang vorbeiläuft, bringt das so viel nicht. Friends ist der eigentümlichste aller besuchten Läden. In der halben Stunde, die ich hier verbringe, gibt es genau einen weiteren Kunden. Der Verkäufer in der unteren Etage nimmt mich wahr und wendet sich dann schnell wieder seinem Mark One zu, das ein japanisches Kartenspiel über eine eine 30-cm-Röhre flimmern lässt. Was das genau ist, frage ich. Mit einer Handbewegung deutet er, mich nicht zu verstehen. Ich störe nicht weiter.

Und die an die Tür getackerte Zettelwirtschaft soll man erkennen können. Fragt mich nicht, was in dem Teen-Laden darüber genau passiert.

Lieber kann man sich in den Regalen verlieren und findet wie in allen Läden ein picobello in Schuss gehaltenes Angebot. Selbst "Akzeptabel" gleicht mehr einem deutschen "Sehr Gut" bei Ebay. Auffällig vor allem hier ist das Klassifizierungssystem für den Zustand von Verpackung, Datenträger und Handbuch, dem einige Händler folgen. Eine einfache ABC-Skala. A bedeutet "nahezu neuwertig", ein C "schwer beschädigt/beschmutzt". Nur bekomme ich die "schweren Schäden" an diesem Tag nicht zu Gesicht. Gemessen an den Statuten des japanischen Retro-Marktes kommt mir ein C vor wie: Hier eine abgewetzte Kartonkante, dort ein Knick, der nicht auffällt, bis man ihn direkt ansieht. Sonst nichts.

Ich halte so manche C-Verpackung in der Hand. An keiner ist etwas auszusetzen. Diese Makel können vermutlich allein durch die Lagerung über Jahre entstehen oder wenn man kein Acrylglas benutzt, wie es einige Läden tun. Das ist insofern beachtlich, da der Preisunterschied zwischen einem Turbo Outrun fürs Mega Drive mit C- und einem mit A-Hülle 2200 Yen betragen kann. Umgerechnet 19 Euro weniger für ein Case, das man schon mit der Lupe abtasten muss.

Friends reserviert auf seinen zwei Etagen ganze Regalreihen für Soundtracks. Die teuersten Stücke stehen verschlossen in den obersten Ablagen, darunter die aus elf CDs bestehende "Breath of Fire: Original Soundtrack - Special Box" (344 Euro). Das Gleiche bei Spielen. Schade, dass ich kein Japanisch verstehe und so schnell nicht herausfinden werde, was so alles im verrammelten Sega-Saturn-Schränkchen weggeschlossen ist. Ein Titel ist auf jeden Fall Street Fighter Zero 3.

Friends hat eine Menge Soundtracks im Angebot, darunter richtig kostspielige Stücke. Alles, was ein wenig wertvoller ist, findet sich in einem abgeschlossenen Fach wieder.

Um 21 Uhr schließt der Laden. Beim Rausgehen kann man alte Weekly-Famitsu-Ausgaben mitnehmen, gestapelt neben der Treppe. Sie stammen von 2015. Ich blättere ein wenig, dann geht es nach draußen. Eine junge Frau freut sich tierisch über ein Pikachu-Plüschtier, das ihr männlicher Begleiter aus einem Automaten befreite. Eineinhalb Stunden später ist die Straße deutlich leerer, viele Rollläden sind inzwischen heruntergelassen. Einige Mädels verteilen immer noch Flyer. Wer wollte, könnte in der Halle um die Ecke eine Runde "Densha De Go!" einlegen, ein Zugsimulator von Taito. Es nimmt mir hoffentlich niemand übel, dass ich das zumindest für heute lieber anderen überlasse.

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