Alan Wake
Time to rise and shine, Mr. Wake.
„Das Durchschnittliche gibt der Welt ihren Bestand, das Außergewöhnliche ihren Wert.“ (Oscar Wilde)
Mit Alan Wake wurde die Welt gerade ein ganzes Stück reicher.
Aber was macht einen Horror-Thriller-Shooter, eine reine Single-Spieler-Erfahrung - und nichts anderes ist oberflächlich betrachtet Alan Wake - zu etwas so besonderem? Es ist die Liebe zum Detail, möglicherweise der nicht gerade kurzen Entwicklungszeit geschuldet, die jeden Aspekt dieses Spiels einen außergewöhnlichen Feinschliff gibt. Es ist dieser Unterschied, der ein in acht Monaten entwickeltes Sequel einer großen Serie aus einem großen Haus von etwas trennt, das eine Persönlichkeit mitbringt, die allein schon so ziemlich jeden kleineren Mangel aufwiegen würde. Nicht, dass Alan Wake davon viele hätte.
Fangen wir mit der Welt von Bright Falls an. Dass die Geschichte in den waldigen Rockies, irgendwo im Nordwesten der USA spielt, dürfte mittlerweile bekannt sein. Wer einmal das Glück hatte, diese Gegend zu besuchen, wird schnell merken, dass die Entwickler sich hier nicht auf Postkarten verließen, sondern die Mischung aus wilder Natur und ungebändigter Schönheit erfahren haben, um sie dermaßen plastisch einzufangen. Die Nacht springt förmlich aus dem Monitor, die Geräusche des DTS-Mix nehmen einen rundherum gefangen und dank einer elaborierten Engine wirkt jeder Fleck dieser Welt natürlich. Immer wiederkehrende Muster lassen sich kaum ausmachen, jeden Baum, jede Hütte, scheint es wirklich nur ein Mal zu geben.
Aber nicht nur die Welt, auch ihre Bewohner scheinen in ihr ein Eigenleben zu führen, ohne dass davon viel gezeigt werden würde. Man kann einer Figur schnell anmerken, ob jemand einfach nur sagte „Das hier ist der Sheriff“ oder „Das ist Sarah Braker. Sie hat eine Geschichte, eine Persönlichkeit und einen Hintergrund, der sie formt. Ich habe mir all das ausgedacht, als ich sie zum Sheriff in meiner Story machte.“ Und man muss es nicht einmal erzählen, um den Spieler das Gefühl zu geben, dass diese Dinge da sind. Er muss sie auch nicht wissen, sie sind für die Geschichte nicht direkt wichtig. Für die Glaubwürdigkeit der Welt sind sie jedoch unverzichtbar. Diese Ehre haben hier nicht nur die Hauptcharaktere erfahren, bei beinahe jedem, der einem in Bright Falls über den Weg läuft, hat man den Eindruck, dass hinter ihm ein Leben steckt. Es sind kleine Gesten, Details, Hinweise, die nicht stören, die sich beinahe unbemerkt einfügen und die genau das sind, was bei so vielen Spielen fehlt. Und die Alan Wake ungewöhnlich machen.
Was die Geschichte angeht, wird es schwierig bei Vergleichen in der Spielewelt. Ich werde nicht verraten und nichts spoilern. David Lynchs Twin Peaks hat sicher einen Einfluss gehabt, nicht nur bei der Wahl der Location. Andere Mystery-Autoren hinterlassen ebenfalls ihre Spuren. King gehört sicher dazu, ein Hauch Lovecraft, ein wenig hier und ein wenig da. Es liegt aber auch ein Touch der eigenen Kreativität in der Erzählung, und das Ergebnis lässt den Spieler nach 10-15 Stunden rundum zufrieden zurück. Auch hier wieder: Politur und Liebe zu Feinheiten. Die Handlung wird in sechs Kapitel aufgebrochen und jedes davon hat einen wundervollen Cliffhanger, nach dem man sofort weiterspielen möchte. Hätte man das Spiel als Download, ein Kapitel pro Woche, verkauft, ich hätte die Tage bis zur nächsten Folge gezählt. Der Einsatz von Musik hilft natürlich dabei. Etwa ein Dutzend Songs - zwei oder drei exklusive, der Rest teilweise sehr bekanntes Material - wird mit erstaunlichem und, wiederum für ein Spiel, ungewöhnlichem Geschick eingesetzt, um die Atmosphäre des Moments zu transportieren. Ehrlich gesagt, diese Auswahl steht der eines Tarrantino nicht groß nach.
Viele der Einstellungen sind von der Kameraarbeit moderner TV-Serien inspiriert und zufällige Schwenks durch die Landschaft sucht man vergeblich. Der Look bleibt geschliffen, die Ausleuchtung von Szenen und Spielabschnitten durchdacht und wieder macht sich die lange Entwicklungszeit bemerkbar. Das gilt zum Glück ebenso für die Grafik-Engine. Klar, der Über-Blast seit dem ersten Trailer ist abgeflaut, daran kann kein Zweifel bestehen. Es gibt an einigen Stellen ein leichtes Tearing, in Extremfällen sackt die Framerate ein wenig weg und die Wechsel zwischen Cut-Scene und Spielgrafik könnten auch sauberer sein. Nichts davon ist ein Drama, aber nach der langen Wartezeit darf man auch an Kleinigkeiten herumkritteln. Trotzdem dürfte man sich auf der Xbox 360 immer noch schwer tun, ein deutlich schöneres Spiel zu finden. Dazu noch eines, das einen distinguiert eigenständigen Anstrich dank eigenentwickelter Software mitbringt. Ich weiß nicht, welchen Namen Remedy seinen Tools gab, aber es muss sich nicht vor den besten Momenten der Unreal 3 verstecken. Im Gegenteil, die meiste Zeit wirkt Alan Wake wesentlich frischer. Es ist halt nicht wieder die gleiche Schattierung, die man schon so oft sah, die ewige Abwandlung von etwas, was schon hundertmal über den Screen flimmerte. Es schwingt immer etwas Unverbrauchtes mit, etwas Außergewöhnliches.
Das war fürs erste auch das letzte Mal, dass ich dieses Wort in Verbindung mit Alan Wake mit solchem Enthusiasmus benutze, denn jetzt kommen wir zum eigentlichen Spiel. Es ist nicht so, dass hier nicht mit dem gleichen Maß an Sorgfalt vorgegangen wurde. Kein Aspekt des eigentlichen Spiels macht einen irgendwie unfertigen Eindruck. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier kein Rad neu erfunden wurde. Das Kampfsystem ist ein klassischer Survival-Third-Person-Shooter, der Resident Evil allerdings eine Sache voraushat: Während ihr zielt und schießt, ist Laufen nicht nur möglich. Es ist lebensnotwendig.