Alice: Madness Returns
Ganz schön wahnsinnig
Sind wir mal ganz ehrlich: Wenn Electronic Arts damals bei Alice nicht American McGees Namen auf die Packung geschrieben hätte, würde sich heute niemand mehr an den ehemaligen Doom-Level-Designer erinnern. Genau wie John Romero und andere „Videospiel-Größen" hat er es nie geschafft, an seine Glanzzeit anzuknüpfen. Stattdessen hat er gleich mehrere maximal mittelprächtige Titel auf den Markt geworfen, die nur eine Besonderheit hatten: Sie wurden in China produziert und das lange, bevor das Land zu solch einer wirtschaftlichen Supermacht wurde.
Der Nachfolger zu seinem über zehn Jahre alten Titel ist insofern als eine Art Comeback zu sehen. American McGee will es noch einmal wissen und präsentiert mit Alice: Madness Returns zumindest auf den ersten Blick ein hübsches und vor allem vielschichtiges Action-Adventure, das sich zum Glück an den Klassiker anlehnt, ohne als simple Kopie durchzugehen. Die Story ist dabei zumindest auf den ersten Blick wenig originell. Alice kämpft genau 11 Jahre nach dem Erstling mal wieder um ihre seelische Gesundheit und taucht dazu tief in die Welt von Wunderland ein, wo sie neben vielen alten Gegnern und Freunden auch ein ganzer Haufen neuer Gefahren und Abenteuer erwarten.
Was sofort ins Auge fällt: Alice selbst sieht wunderbar schön-schaurig aus. Ihr blutunterlaufenen Augen, ihre wunderschön animierten Haare und ihr wahnsinniges Outfit versetzt Fans sofort in Alice-Stimmung. Bewaffnet mit einem simplen Kückenmesser, das sich im Wunderland in die mächtige Vorpal-Klinge verwandelt, einem Pfefferstreuer, den sie wie eine Gatling-Kanone auf die Karten-Soldaten abfeuert, einem dicken Pferdekopf als Knüppel und einem Teekannen-Granatwerfer geht es in die ersten wahnsinnigen Level-Konstruktionen. American McGee hält sich dabei an den irren Stil des Originals und präsentiert euch verdrehte Burgen, seltsame Plattformen und verdrehte Kartenhäuser, die in einer Welt ohne physikalische Grenzen durch das allumfassende Nichts schweben.
Das Design ist hier wirklich erstklassig. Man kann sich an diesen wahnwitzigen Schöpfungen kaum sattsehen. Nur technologisch muss man leichte Abstriche machen. Texturen, Effekte und Polygon-Menge können nicht mit einem Devil May Cry, Castlevania oder God of War mithalten. An dem Spiel wird zwar aktuell noch gearbeitet, aber in den verbleibenden zwei Monaten wird sich da nicht allzu viel ändern.
Auch spielerisch wirkt der Titel im ersten Moment altbacken. In den anspielbaren zwei Leveln ging es anfangs über Plattformen und vorbei an vielen Standard-Gegnern. Die Kämpfe selbst sind zumindest hier noch nicht sonderlich anspruchsvoll. Ihr könnt Gegner fest anvisieren, mit einem Regenschirm Angriffe blocken, euch in einen Schmetterlingsschwarm verwandeln, um Attacken auszuweichen, und euch zumindest an dieser Stelle noch relativ frei mit eurem Waffenarsenal durch die Feinde schnetzeln. Erst als Gegner mit Schilden auftauchen, funktioniert das simple Draufhalten nicht mehr. Mit der Steckenpferd-Keule müsst ihr zuerst die Deckung brechen, um die fiesen Quälgeister anschließend mit mächtigen Schlägen in Grund und Boden zu prügeln. Wie es sich für einen modernen Titel gehört, könnt ihr diese Fähigkeiten nach und nach aufrüsten, eEuren Schlägen mehr Durchschlagskraft und eurer Pfefferstreuer-Kanone eine größere Munitionskapazität verschaffen.
Das Gegnerdesign wird im Laufe der Demo immer furchterregender. Fiese Totenkopfkarten mit angenähten Armen, einer verzerrten Fratze und einem blutenden Loch im Körper stürzen sich gleich Dutzendfach auf euch. Besonders fies ist eine Szene im nächsten Abschnitt. Alice findet sich in einem Garten-Labyrinth wieder und sucht verzweifelt den Ausgang. Auf einmal tritt der Scharfrichter des Herzkönigin aus der Hecke und lässt seine butige Sense kreisen. Es gibt kein Durchkommen und kein Ausweichen. Ihr müsst fliehen. Mit der Kamera auf dem Henker hetzt ihr durch die verdrehte Grünfläche, springt über Hindernisse und erreicht zum Glück am Ende eine Freifläche. Ein Kuchen mit einem fetten „Iss mich" steht einladend auf einem Teller. Alice greift zu, würgt hastig die Backware hinunter und wächst innerhalb weniger Sekunden zu einem Riesen heran. Damit hat sich das Verhältnis Jäger und Beute umgedreht. Grinsend hebt sie den Fuss, tritt einmal kräftig zu und verwandelt den zitternden Schergen der Herzkönigin in eine undefinierbare, blutige Masse. Rache kann ja so süß sein.
Im weiteren Verlauf wird die Änderung der Größe immer wieder eine Rolle spielen. Alice kann sich nämlich mit einem magischen Trank auch verkleinern und so vorher unerreichbare Orte erreichen. Puzzles sind also genauso mit von der Partie wie blutige Action. In manchen Leveln stellt ihr euch als Riese gleich einer ganzen Armee und verhindert den Angriff auf eine Burg oder ihr schlurft in Mini-Größe durch Durchgänge und entdeckt versteckte Artefakte. Viel war von diesem Abwechslungsreichtum in der Demo zwar noch nicht zu sehen, doch wenn die Versprechen des Alice-Schöpfers in Erfüllung gehen, steht uns ein solider Titel ins Haus, der Spaß macht. Mehr muss es manchmal nicht sein.
Wenn sich die kleine, finstere Göre mit ihrem wallenden Haar durch die skurrilen Gegner metzelt, fällt es leicht, American McGees Ausrutscher zu vergessen. Alice: Madness Returns macht aus dem Wahl-Chinesen vielleicht keine Videospiellegende, doch es sieht danach aus, dass er zumindest teilweise an seine verlorene Form anknüpfen kann. Besonders in puncto Design ist der Titel eine wahre Pracht und wird Freunde skurriler Szenarios begeistern. Was die Chinesen hier auf eure Bindehaut projizieren, ist schön wahnsinnig und so überdreht, dass ich mich auf das Endprodukt freue. Okay, die angespielten Level waren spielerisch nicht gerade eine Ausgeburt an Originalität, aber wenn American McGee keinen absoluten Mist erzählt, wird sich das Spiel im weiteren Verlauf noch deutlich steigern. Ich bin gespannt.
Alice: Madness Returns erscheint am 16. Juni für Xbox 360, PS3 und PC.