Alienation - Test
Titel: generisch. Zutaten: bekannt. Durchführung: Huihuihui.
Mikael Haveri hatte letzten Herbst schon recht, als er neben mir auf der Event-Couch die Unterschiede zwischen Helldivers und Alienation hervorhob. Zwar schießt man auch hier kooperativ von oben auf Horden von Aliens. Aber am Ende geht es im neuen Spiel der Finnen eben doch durch großteils handgemachte Level - und zwar als unterschiedliche Klassen von Soldat, die auf der Suche nach immer stärkeren Waffen und den dazu passenden Verbesserungen keinen Stein auf dem anderen lassen. Eine Invasion als Rechtfertigung für hemmungslose Selbstoptimierung.
Absprache begünstigt auch hier das Vorankommen, ist allerdings nicht ganz so unabdinglich wie in Arrowheads durch "Friendly Fire" mit einigem sozialen Sprengstoff gesegneten Konkurrenzspiel vom letzten Jahr. Klar, einzelne Skills heilen die Mitspieler oder spendieren ihnen vorübergehend einen Schild in Laufrichtung. Das sind jedoch Hilfsmaßnahmen, die ohne größere Koordination schon sinnig greifen. Kommt man sich in die Quere, blendet im schlimmsten Fall das unbeschreibliche Effektgewitter, bei dem Housemarque nach Resogun mal wieder aus dem Vollen schöpfen.
Die Abgrenzung von Helldivers ist in Sachen Spielgefühl also durchaus gegeben, diese Spiele sprechen den gleichen Spielertypus an, ohne sich gegenseitig die Butter vom Brot zu nehmen. Helldivers für schnelle, aber sehr taktische Hektik, Alienation für Spektakel und Sammelsucht. Tatsächlich beherrscht Alienation die Kunst, die verschiedenen Waffentypen so kraftvoll und zum Grinsen anregend umzusetzen, vielleicht noch ein wenig besser. Wie hier einem alles um die Ohren fliegt, Gebäudeteile herunterstürzen und Feinde, Autos und sonst was durch die Luft gepfeffert wird, erinnert mal wieder wohlig daran, dass heutzutage nicht mehr nur Riesenteams und deren Vollpreisspiele für Augenmassagen gut sind.
Natürlich, gerade mit mehr als zwei weiteren Mitspielern geht die Übersicht im Schrapnellgewitter schon mal verloren. Allerdings rang ich dem Spiel mit der Zeit und zugewonnener Routine wieder viel von der Übersicht ab, die mir in den ersten Stunden noch oft verloren ging. Auch hier gilt: Wer sich dem richtigen Problem - lies "Gegnerschwarm" - zuerst zuwendet und die Räume nutzt, die ihm die riesigen Karten gewähren, kommt oft erst gar nicht in die Bredouille, nicht mehr zu wissen, wo oben und unten ist.
Apropos Karten: Jede Mission - hier werden die üblichen Standards zwischen Sabotage, Gegenstandsbeschaffung und Gegnerdezimierung geboten - in den vier großen und über den Globus verteilten Gebieten setzt euch eigentlich keine Grenzen. Wenn ihr im Süden Pripyats (weitere Lokalitäten sind unter anderem Alaska und Brasilien) abgesetzt werdet, um im unteren Kartendrittel etwas zu erledigen, dürft ihr auch nach Lust, Laune und ohne tickende Uhr im Nacken über den Rest der Map streifen. Dort erscheinen ständig neue Gegnermobs, optionale Attentatsziele (besonders harte Versionen bekannter Feinde) oder Hinterhalte, die mit Extra-Belohnungen locken.
Unterwegs dürft ihr die gefundenen Checkpunkte auch zerstören. So riskiert ihr zwar, beim Bildschirmtod an den Anfang der Karte zurückgesetzt zu werden - bereits erreichte Etappenziele merkt sich das Spiel aber -, die Belohnung, die es am Ende des Auftrages setzt, fällt dann jedoch umso üppiger aus. Bis zu drei dieser Respawn-Masten könnt ihr einen "stapelbaren" Bonus verleihen. Sterbt ihr, ist er weg. Wer mag, darf aber weitere Checkpunkte suchen und demolieren. So hält man sich regelmäßig deutlich länger in den Missionen auf als die normalerweise üblichen 20 bis 30 Minuten.
Denn sich hier dem Grind hinzugeben, das macht schon eine ganze Menge Spaß. Waffen kommen in den Stufen Standard, gewöhnlich, ungewöhnlich, selten und legendär daher. Ab "ungewöhnlich" bekommen Maschinenpistole, Plasma-Schrot, Revolver, Railgun, Raketenwerfer und Co. ein eigenes kleines Netzwerk an Slots, in das ihr Kerne unterschiedlicher Beschaffenheit und Güte einsetzen dürft. Man denke an die Sockel in den Waffen gängiger MMOs, die man dann mit Kristallen versieht. So steigert ihr Feuerrate, Magazingröße, Schaden, Crit-Neigung oder Reichweite etwaigen Flächenschadens. Je drei Kerne dürft ihr auch zu einem der jeweils höheren Stufe fusionieren, auch wenn es manchmal sinniger ist, mehr niedrigstufigere Kerne zu haben, um eventuell bestehende Angrenzungsboni nutzen zu können.
Wundervoll ist die Möglichkeit, jeden Wert gegen gesammelte Rohstoffe neu auswürfeln zu können. Das kann schon mal in die Hose gehen, wenn man zu hoch pokerte und die letzten Metalle dafür verwendet, die Feuerrate seiner Lieblingswaffe dem Würfelglück zu überlassen. Aber auf der anderen Seite es fühlt sich auch toll an, wenn man Glück hatte und alle Balken seines bevorzugten Werkzeugs auf der guten Seite der Skala landen. Was diese Sorte Tuningpotenzial der Waffen bewirkt, beseitigt für mich einen meiner größten Kritikpunkte an vielen Loot-Spielen: Oft ist die Halbwertszeit einer neu gefundenen Superwaffe einfach zu gering. Viel zu schnell kommt oft etwas Besseres daher. Hier optimiere und tüftele ich und halte mein Arsenal damit länger aktuell.
Was die eigene Spielfigur angeht: Das Level-Cap erreicht man bei Stufe 30, danach geht nur noch der "Hero-Level" rauf, der die Gesundheit eures Kriegers steigert. Bis dahin rüstet man den Saboteur, Biowaffenspezialisten und den Tank der Runde mit drei aktiven und drei passiven Skills auf, die der Rollenverteilung gut in die Karten spielen, ohne dass man allzu lange drüber nachdenken müsste, was man nun als Nächstes wählt. Platz für Spezialisierung ist da nicht viel, man nimmt von allem ein bisschen. Bei dieser Sorte Tempo-Shooter ist es aber in Ordnung, dass das Spiel sich mehr in Richtung Action lehnt als in den RPG-Bereich. Schade ist allerdings, dass kein Raum für optische Individualisierung vorgesehen ist. Nicht so schlimm, so nah ist man an seiner Figur ja eh nicht, dass es großen Unterschied machen würde.
Ein echter Schönheitsfehler unterlief Housemarque unterdessen bei der Struktur. Das Spiel legt separate Kampagnenspielstände an, die es nicht vorsehen, die Kämpferklasse zu wählen. Wenigstens nach dem Beenden der 20 Missionen langen Kampagne hätte man dem Spieler anbieten sollen, mal eine andere Rolle zu probieren und dabei vielleicht den einen oder anderen Bonus zur neuen Figur hinüberzuretten. Stattdessen startet man von vorne, in der ersten Mission, mit demselben (namenlosen) Charakter in einer Art New Game Plus. Das ist an und für sich auch gut und ich werde das sicher noch eine ganze Weile weiterspielen. Aber verschiedene Spielfiguren auf demselben Spielstand zu haben, wäre eine deutlich bessere Lösung.
Und noch etwas: Die Entwickler hätten die Weltkarte nach dem Ende der Kampagne ruhig offen lassen sollen, anstatt den Spieler wieder an den Anfang zu setzen. Einzelne Level noch mal zu probieren - dafür muss man sie erst wieder freispielen, was nicht nur schlimm restriktiv ist, es erschwert auch die Suche nach Mitspielern.
Wirklich böse sein kann ich diesem Spiel trotzdem nicht. Es sieht zu gut aus, der Loot-Zyklus ist zu einnehmend und die generelle Action - nicht, dass mich das bei diesem Team noch wundern würde - geht einfach zu gut von der Hand. Ach ja, 30 Bilder pro Sekunde sind es leider geworden, aber das habe ich zum Schluss nicht mehr gemerkt und bei dieser Optik irgendwie auch nicht anders erwartet.
Am Ende ist Alienation eben sein eigenes Ding. Wie so viele Spiele dieses Studios spielt man zwar sichtlich ein Remix bewährter Konzepte. In Sachen Durchführung ist es aber ungemein rund und auf systemischer Ebene enorm befriedigend. Es ist eben so: Mit der Housemarque kann man wenig falsch machen.