Skip to main content

Alt+F40: Tränen lachen mit Chivalry 2 und Chicory - und wie Prodeus liefert, was viele am neuen Doom vermissten

KW 25/2021: Wo Simulationen zu weit gehen, wächst kein Gras mehr.

Da sind wir wieder! Nach meiner kurzen Post-E3-Rekonvaleszenz gibt es nicht gerade wenig zu erzählen. Zu Hause herrscht zwischen dem Einjährigen und dem gerade Vierjährigen aktuell ein bisschen ... na ja, Krieg. Ursache? Das Übliche, wie im echten Leben: Streit um Ressourcen - von der Auf-dem-Schoß-sitzen-Zeit bis runter zu einzelnen von Hunderten Schleich-Tieren wird gerade alles neu ausgehandelt. So langsam bekommen wir das Gefühl, die beiden Zwerge bräuchten mal Urlaub voneinander. Lösung: Viel Exklusivzeit mit je einem Elternteil für beide.

Wäre alles nicht so knifflig, wenn wir alle vier immer ausgeschlafen wären. Aber egal, wann man sie ins Bett bringt, der Kleine braucht ab halb fünf, fünf immer das Elternbett und fängt dann an, seinen Dickschädel wie eine Abrissbirne von einem Kopf zwischen Mama und Papa hin und herzuwerfen. Diffuses Quengeln (weil müde) inklusive. Wer sich nicht duckt, hat Pech. Es wird Zeit fürs Meer. Den einen Monat schaffen wir auch noch.

Ansonsten liebt der Ältere - ein absoluter Tiernarr - jetzt Kochbücher. Letztens blätterte er durch einen Tim-Mälzer-Schinken und fragte bei der Ansicht eines vom Fleischerhaken hängenden Schweines, ob das Tier tot sei und bemerkte mit engem Hals, "aber Tiere sollen doch leben". Kurz die Sache erklärt, dass das der mehr als verständliche Grund ist, warum viele Leute kein Fleisch essen. Anschließend meint er: "Ich esse jetzt nur noch Huhn". Nicht sicher, ob er verstanden hat, dass Hühner den gleichen Weg gehen, bevor sie auf seinem Teller landen. Aber immerhin haben wir die Tür zu diesem schwierigen Thema jetzt aufgestoßen.

Inhalt


Was die blutigste Schwertkampf-Sim und das süßeste Indie-Spiel der letzten Jahre gemeinsam haben

Wenn ihr das Spiel nur vom Namen kennt, ist Chivalry 2 vielleicht nicht, was ihr denkt. Der Name deutet eine trockene Mittelalter-Simulation an, wo in Wirklichkeit eines der aufregendsten, weil chaotischsten Schlachtengemälde auf euch wartet, das ihr euch vorstellen könnt. Ein wildes Schwert- (und Speer- und Axt- und Morgenstern) Gekloppe, mit massig Blut und fliegenden Körperteilen. Es ist weniger mit individuellen Heldentaten befasst, als mit der Absurdität, einen in Metall gehüllten Körper nach dem anderen in den Fleischwolf einer mittelalterlichen Schlacht zu werfen, bis alle "Tickets" aufgebraucht sind. Aber es ist auch spannend, weil die Simulation der Kämpfe und wie man sein Werkzeug schwingt, im Duell durchaus tiefschürfend aufgezogen ist. Natürlich lernt man schnell, dass selbst der beste Kämpfer vielleicht noch gegen zwei, kaum aber gegen drei Feinde zugleich bestehen kann, die es auf ihn abgesehen haben. Aber wenn man seine Ziele mit Bedacht wählt, kommt man mit seinen Leben weiter als so mancher anderer Spieler und landet weiter oben auf dem Leaderboard.

'Einigen wir uns auf unentschieden' - der hier wollte noch. Auch einhändig!

Das andere Spiel, das mich dieser Tage sehr beschäftigt, ist das wahnsinnig niedliche Chicory, das in der Tradition so einiger Spiele der "Nuller Jahre" steht, in denen man einer ausgeblichenen Welt die Farbe zurückgeben soll. Hier nur mit den Mitteln eines klassischen Action-Adventures, wenngleich ohne Einsatz von Schwert und Schild. Nachdem der "Wielder" des magischen Pinsels, der der Welt von Luncheon seine Farbe verlieh, in einer tiefen Sinnkrise steckt, müsst ihr, als deren Hausmeister den Job übernehmen. Gott, fasst das Spiel viele berührende Themen an. Vor allem, wenn man in einem ansatzweise kreativen Beruf arbeitet und / oder das eigene Werk oft die Blicke Dritter auf sich zieht, wird man sich mit den Motiven hier sehr identifizieren können. Aber auch abseits dessen ist es ein sehr gelungenes Adventure, dem viele Mechaniken einfallen, um mit der Ausmalbuch-Ästhetik der Welt zu interagieren.

Es scheint, als hätten diese beiden Spiele nichts miteinander gemeinsam - auch wenn man in beiden Fällen reichlich Farbe (hauptsächlich Rot in einem von beiden) in der Welt verteilt - doch dem ist beileibe nicht so: Beide Spiele haben bis ins Optionsmenü hinunter einen blendenden Sinn für Humor, den ich gerne öfter sähe. Vielleicht nicht denselben, aber in der gleichen Menge. Sobald man in Chicory die Starttaste drückt, merkt man, hier hatte jemand Spaß. Die Antworten für diverse Variablen heißen "Totally", "Nuh-uh", "Oh yeah" und "Nada" und es gibt einen Menüpunkt, mit dem man die flätschigen "Wet-sounds" des Pinsels abschalten kann, wenn man will. "Love 'em" oder "Let's not" sind hier die möglichen Antworten und es ist nur eine Kleinigkeit, aber mir macht derartige zur Schau gestellte Liebe für die kleinsten Details wahnsinnige Freude. Und ich muss wohl einfach gestrickt sein, aber bei Chivalry "Epische Leichenqualität" einstellen zu können, traf mich so unvorbereitet, dass der 16-jährige, der irgendwo noch in mir wohnt (und nie aufräumt) bei jedem Matchbeginn debil brüllend nach "epischen Leichen" verlangt.

Prädikat: Episch. Man beachte den Tutorial-Tipp links.

Chivalry nimmt sich zu keiner Sekunde ernst und findet so viel Spaß im Chaos, dass man sich an alte Arena-Shooter erinnert fühlt. Geplante Hinterhalte regen zu nervösem Kichern an, die dämlichen Schlachtenrufe und Emotes, die alle Spielerinnen und Spieler auch fleißig spammen, ergeben zusammen mit den oftmals schreiend komischen Ragdolls und entwaffnend schrecklichen Metzeleffekten einen erstaunlich lustigen Ritter-der-Kokosnuss-Simulator, in den man sich bestens reinsteigern kann. Auch Chicory mag absurden Humor, aber es ist einer, der in den Dialogen und expliziter Situationskomik zum Ausdruck kommt, wenn zum Beispiel das zweistufige Hilfesystem in einem Anruf bei der Mutter besteht (Stufe eins), die dann auch gerne an den Vater - ein Waschbär aus welchem Grund auch immer - für konkrete Lösungsvorschläge weitergibt (Stufe zwei).

Ich glaube, was ich sagen will, ist: Wir leben in einer Zeit, in der Spiele sich häufig viel zu ernst nehmen. Und dass mehr und mehr Titel den Ernst des Lebens mit Comedy zu brechen versuchen, ist zugleich Beleg und Lösung dafür. Chivalry und Chicory machen nicht nur Spaß und fesseln mit cleveren Systemen, sie bringen mich - jedes auf seine Art - zum Lachen. Dafür bin ich dankbar.


Weitere Notizen - KW 25/21

Text(e) in Arbeit: Nächste Woche ist mal wieder Hardware angesagt: Die Tastatur Razer Huntsman Mini gefällt mir mit (oder trotz) 60 Prozent-Faktor und tollen PBT-Tasten ziemlich gut, auch wenn ihr Einsatzbereich natürlich klar und auch ein wenig eng definiert ist. In jedem Fall werde ich euch nächste Woche auch von einer Entdeckung namens Wildermyth berichten, die mich mit ihrem Mix aus von Entscheidungen getriebenem Rollenspiel mit Pen-and-Paper-Flair und hübscher Rundentaktik mit Paper-Mario-artiger Stofflichkeit begeistert. Wer nicht auf den Test warten will und die Beschreibung mag, schaut einen Trailer und kauft es dann direkt: Wildermyth auf Steam. Da kann wenig schiefgehen. Und dann ist da noch Red Solstice 2, das leider nicht alles richtig macht, aber dennoch ein paar von den guten Knöpfen bei mir drückt.


Musiktipp der Woche: Wye Oak - "Fortune" Eine meiner Go-to-Bands der letzten Jahre. Ist zwar ein ziemlicher Indie-Akt, aber wie auch Sharon van Etten platziert dieses Duo aus Baltimore immer mal wieder einen ihrer Songs in TV-Serien oder Filmproduktionen. Das aufwühlende "Civilian" hat vielleicht der eine oder andere am Ende der zweiten Staffel The Walking Dead gehört. Dazwischen wurde Wye Oak etwas elektronischer und experimenteller, aber der schöne Wechsel zwischen verträumt und krachig war nie so richtig weg. Das Stück Fortune vom letzten Jahr ist ein emotionales Amalgam der verschiedenen Stilrichtungen, die die live auf volle Band-Maße angewachsene Gruppierung bisher verfolgte, und gräbt sich mit einer packend wühlenden Basslinie tief in den Gehörgang und zu einem Gänsehaut-Finish vor. Die können's!

Auf YouTube ansehen

Höhepunkt der Woche: Ich hatte das hier schon vor einer Weile auf dem Zettel, dann aber wieder vergessen - und jetzt ist mit Prodeus plötzlich einer der vielversprechendsten Retro-Shooter als Game Preview im Game Pass. Also, wenn ihr dieser Tage durch die Lawine an Games auf der Suche nach etwas Neuem scrollt, ein bisschen weiter runter blättern! Dieses Werk einiger ehemaliger Raven-Software-Entwickler bringt ziemlich gut auf den Punkt, was wir damals an Doom toll fanden, und dreht mit Biss und viel Pixel-Stil noch einige Regler des Klassikers auf 11. Vor allem in Sachen "Squishiness" der Feinde, die sich im Kugelhagel förmlich in roten Matsch auflösen. Gerade die Feindes-Sprites faszinieren, denn die Entwickler machten sich die Mühe, sie aus 16 verschiedenen Richtungen zu zeichnen.

Lo-Fi, schnörkellos und ohne Kompromisse oder neumodische Anwandlungen, ist das hier ziemlich genau das, was der eine oder andere Purist an den beiden neuen Dooms vermisst haben dürfte. Besonders cool - und heute ist wohl der Tag der coolen Menüs - ist die Option, mit dem man die Gegner-Sprites durch superflüssig animierte 3D-Modelle austauschen kann. Extrem cooles Teil und eine schöne Überraschung!

Holy Moly!

Mittelpunkt (?!) der Woche: Die neuen Story-Missionen von Sea of Thieves sind wundervoll inszeniert. Aber ich weiß immer noch nicht, wie viel Spaß es macht, zusammen durch Einsätze zu marodieren, die so häufig Tempo und Interaktivität rausnehmen. Vielleicht ein Fall von "Pass auf, was du dir wünschst!", nachdem man im Vorfeld der Veröffentlichung von Sea of Thieves so viele kritische Stimmen gehört hatte, warum es unbedingt ein Open-World-Koop-Spiel sein musste? Vielleicht geht es auch nur mir so, aber insbesondere in einer Gruppe, in der nicht jeden Mitspieler die Handlung offensichtlich gleich brennend interessiert, manche das Feuer auf NPCs eröffnen oder einfach Sachen machen, die der gescriptete Ablauf gerade nicht vorsieht, sprang der Funke nicht so recht über. Wie war das für euch? Eigentlich weiß ich A Pirate's Life durchaus zu schätzen, vor allem, wenn man den Aufwand betrachtet, der da betrieben wurde. Aber ich habe mich auch immer wieder dabei ertappt, dass ich das freie Spielen und Entdecken in der offenen Seewelt ein wenig vermisste. Mal schauen, ob das Gefühl anhält...

Manchmal muss man schon ein bisschen Zeit überbrücken. Zum Glück gibt einem Sea of Thieves dafür buchstäblich jedes Instrument in die Hand.

Tiefpunkt der Woche: Eigentlich schon letzte Woche, aber das ist so schlimm, dass es zwei Wochen in Folge ein Tiefpunkt sein kann: Lawn Mowing Simulator 2021, "coming Summer 2021". Dabei habe ich nicht einmal eine Ahnung, ob es technisch gesehen ein brauchbares Spiel ist. Vielleicht ist das gut gemacht. Eventuell steckt viel Leidenschaft für akkurates, moosfreies, englisches Grün drin. Vielleicht sind Sound und Feedback der geschnittenen Halme sogar maximal befriedigend. Aber hier sage ich aus Prinzip "Nein".

Schluss mit der nur halb ironischen Durchsimulation profanster Lebensbereiche und Tätigkeiten (no offense, ihr Lastwagenfahrer, ohne euch wären wir am Arsch!). Für mich ist das das Gegenteil dessen, was ein Videospiel ausmachen sollte. Eskapismus, was anderes sehen, in fremde Rollen schlüpfen, Dinge tun, die man selbst niemals könnte, Voyeurismus meinetwegen - deshalb gibt es Games. Virtuelles Rasenmähen wie dieses ist dagegen der Inbegriff von Youtube- beziehungsweise Streamer-Köder, dessen bloße Existenz mich deprimiert.

Wird mal wieder Zeit zum Düngen, denke ich. Ab wann fängt man an, die unteren Blätter zu kürzen?

Schon gelesen?