Intellivision Amico - Die Idee, die Technik und die Spiele
Was soll das eigentlich sein, ein Intellivision?
Hey, ein weiterer Name von damals wird mal eben ausgeschlachtet und verhunzt... Oho, was ist das denn? Das sieht ja mal nicht nach der üblichen Fertigbauteile-Technik aus der unteren Schublade von Alibaba aus. Das sieht anders aus. So generell anders. Spannend sogar. Was genau bist du also, du Intellivision Amico?
Die Vorgeschichte
IntelliVision dürfte höchstens den Ältesten unter uns Gamern ein Begriff sein oder eben den historisch interessierten. Selbst für mich war das End-70er-System eine Generation zu früh dran. Es war einer der üblichen Atari-Konkurrenten, aber einer von der ambitionierten, innovationsfreudigen Sorte. Es gab ein Sprachmodul und es sollte eine Tastatur geben, um es in einen Heimcomputer zu verwandeln und damit eine ganz eigene Business-Katastrophen-Story seiner Zeit wurde. Und es hatte statt eines Joysticks einen Controller mit einem 16-Wege-Steuerkreuz, lange bevor es Steuerkreuze gab. Und 16 Tasten! Eine mehr als ein DualShock 4 hat. Nicht, dass eines der doch recht primitiven Spiele diese gebraucht hätte, aber man war bereit für die Zukunft, die dieses IntelliVision nie erleben sollte.
Schnellvorlauf. 2018 oder kurz vorher: Tommy Tallarico, vor allem bekannt für jede Menge Soundtracks seit den 90ern, beschließt, dass die Welt zurück zu den Basics gehen sollte. Zumindest sollte sie wenigstens die Option haben. Er gründet Intellivision Entertainment. Dann zeigt er der Welt kurze Zeit später, was er sich für das neue Intellivision - jetzt mit kleinem v - ausgedacht hat und dass es recht zügig gehen wird. 2019 sind bereits Entwicklerkits im Umlauf und im Mai wird der erste große Exklusivtitel genannt: Earthworm Jim 4. David Perry und eine ganze Reihe der Entwickler aus dem originalen Team sind an Bord. Und nach und nach kommen immer mehr Spiele dazu, die zeigen, wie man sich das alles vorstellt.
Die Idee
Es geht nicht darum, den großen Konsolen technisch Konkurrenz zu machen, nicht mal der Switch. Es geht um 2D- und 2.5D-Spiele - 3D wird ausdrücklich als Ausnahme genannt -, die schnell zu erfassen sein sollen, die immer einen Couch-Multiplayer haben müssen und es vor allem durch die Qualitätskontrolle seitens Intellivision Entertainment schaffen. Im Prinzip will man das erreichen, was Ataris alte Konsolen an seinen besten Tagen auszeichnete: Simples Pick-up-and-Play für jeden, einen gewissen Aracde- und 16-Bit-Flair, aber mit neuen Titeln und vor allem einem Qualitätslevel, der Garantien bietet, wenn man eines der Intellivision-Spiele kauft. Die übrigens auch alle unter zehn Dollar kosten sollen, also auch aus dieser Sicht dazu einladen, schnell mal etwas auf Glück zu kaufen, wenn Freunde da sind und dann direkt loszulegen. Denn das ist die wichtigste Essenz all dessen: Auf der Couch einfach die Controller nehmen und loslegen, mit Kindern, Familie und/oder Freunden für eine halbe Stunde Spaß haben - oder auch gern mal länger -, sich freuen und dann das Spielzeug wieder beiseitelegen. Kein Core-High-End-Gaming, keine große Lernphase, keine Updates. Einfach mal ne Runde zocken. So die Idee.
Die Hardware
Auf den ersten Blick hat der Amico schon eine gewisse Ähnlichkeit zu dem alten IntelliVision. Wenn man stark blinzelt und es aus dem Augenwickel erwischt, sicher. Auch Vergleiche zu Star Trek: The Next Generation-Props aus den 90ern sind nicht ganz abwegig. Wenn man es einfach so irgendwo liegen sieht, könnte man es auch für ein High-End-Baby-Phone halten. Für alles Mögliche, aber eine Spielkonsole wäre jetzt bei den meisten wohl nicht der erste Gedanke.
Das liegt daran, dass das Konzept der Controller recht radikale Züge zeigt, so wie es damals das alte IntelliVision auch tat. Im Grunde ist es der gleiche Controller wie damals. So wie die Enterprise A im Grunde das gleiche Schiff ist wie die F. Statt der 16 Tasten auf der Front habt ihr nun einen kleinen 3.2-Zoll-Touchscreen mit einer Auflösung von 320*240. Aus den 16 Wegen des alten Steuerkreises wurden nun 64, es gibt einen Gyro- und Beschleunigungssensor. Force Feedback ist natürlich dabei und die vier Tasten an der Seite gibt es auch noch. Jeder Controller hat Lautsprecher und Mikrofon und natürlich sind sie nicht mehr mit Kabel zur Basis-Station verbunden.
Es ist natürlich eigentlich nicht die "Basis-Station", aber es sieht halt ein wenig wie eine Telefon-Ladeschale aus und diese Aufgabe wird nebenbei auch noch erfüllt. Die beiden Controller werden induktiv geladen, während die Konsole selbst über einen USB-C-Anschluss betrieben wird, ganz im Sinne des Anytime-Anwhere-Gedanken, zu dem ein proprietäres Netzteil nicht passen würde und ein dicker Stromanschluss angesichts der übersichtlichen Rechenpower auch nicht nötig ist.
Als CPU dient eine 1,8 GHz-8-Kern-Lösung, die noch nicht näher spezifiziert wurde, aber ziemlich sicher auch sonst in Mid-Range Android-Geräten zu finden sein dürfte. Dazu passen die 2GB RAM und 16GB Flash, die mit einer SD-Karte und/oder USB erweitert werden. Wie gesagt, man kauft dieses Gerät nicht für den Technikrausch, den dicke CPUs einem geben.
Das Betriebssystem klingt dagegen interessant, es ist eine Mischung aus Linux und Android, spezifisch für den Amico zusammengestellt, wobei der Android-Teil definiert und der Linux-Teil "flexibel" sein soll. Wie man sich das genau vorstellen muss, das werden uns dann die Hacker und Modder zeigen, die Doom darauf zum Laufen bringen. Ja, Doom. Doom läuft auf C64 und Canon-Kameras, dann wird das wohl auch hier kommen.
Eine große Besonderheit darf nicht unerwähnt bleiben: Wie bei den PlayLink-Titeln der PS4 könnt ihr jedes Handy als Controller-Ersatz nehmen. Entsprechende App vorausgesetzt, sollen alle Funktionen auch damit bedienbar sein, wenn ihr sonst nicht genug Controller für alle habt. Durchaus praktisch, schließlich werden die Amico-Controller nicht so billig sein, dass man die sich auf Halde legen möchte, wenn doch mal mehr Leute da sind.
Bis es soweit ist, hier aber erst mal zu den Spielen, die offiziell erscheinen.
Die Spiele
Es gibt einen Pack aus sechs Titeln, der gleich mit dabei ist - und da ist zwar viel dabei, aber noch kein Earthworm Jim 4. Noch, von sechs Titeln wurden nur fünf genannt, aber ich denke, dass Earthworm es nicht sein wird. Wobei ich mich natürlich gern überraschen lasse.
Intellivision Skiing (Pack-in Game): Habt ihr zuletzt Lonely Mountains gespielt? Im allerbesten Falle ist das hier die familienfreundliche Version dessen. Im Grund ist es nichts anderes, als es Skiing vor fast 40 Jahren auf dem IntelliVision war. Ihr fahrt einen Berg runter, weicht Hindernissen aus und sammelt Punkte, indem ihr durch Tore fahrt. Simpel und wenn man es richtig macht - sprich: von der Steuerung und dem Streckendesign hängt am Ende alles ab -, dann kann so etwas ein kleiner Klassiker werden.
Cornhole (Pack-in Game): In den USA muss man wohl niemanden erklären, was Cornhole ist. Das dürfte auch der Grund sein, warum es hier im Set drin ist. Ich musste nachgucken. Man nimmt eine angeschrägte Fläche, wie es aussieht ungefähr die Größe einer Tür, in der ein nicht zu großes Loch ist. Jeder bekommt ein paar Säckchen, die mit Mais gefüllt sind und wirft sie. Wenn ein Säckchen auf dem Brett liegen bleibt, gibt es einen Punkt, fällt eins in das Loch, gibt es drei Punkte. Ich denke, das ist irgendwo auf einem Feld entstanden und ja, es klingt ganz spaßig in Verbindung mit kleinen Motion-Controllern, die Kinder hier garantiert auch in den TV segeln lassen werden.
Farkle (Pack-in Game): Noch ein in den USA sehr populäres Spiel, diesmal mit Würfeln. Das Ziel ist es, Punkte zu erwürfeln, ähnlich wie bei Macke oder Zehntausend. Das Gimmick: Ihr seht die Würfel auf dem Screen des Controllers und führt eine Bewegung wie mit einem Würfelbecher in Richtung Screen. Dann purzeln die Würfel "vom Controller auf den Screen".
Astrosmash (Pack-in Game): Okay, das war einer der Bestseller auf dem IntelliVision damals, aber tendenziell nur, weil es kaum Solo-Aracde-Games dafür gab. Ansonsten war Astrosmash ein eher simples Shoot-em-Up, bei dem sich das Schiff nur horizontal nach unten bewegt. Heute ist die Konkurrenz generell doch etwas größer. Es ist kein zeitloser Klassiker wie Moon Patrol und andere Arcade-Sachen, die auf den Amico kommen sollen. Und so wirkt eine etwas buntere Version dessen eher wenig beeindruckend. Vielleicht reißt der Sound etwas heraus.
Shark! Shark! (Pack-in Game): Noch ein alter IntelliVision-Titel, wobei ich sagen muss, dass der Look etwas billig wirkt. Während Skiing stylisch genug scheint, kann Shark! Shark! nicht ganz mithalten. Aber: Rückschlüsse darauf, wie viel Spaß man damit haben kann, lässt das natürlich nicht zu. Bis zu vier Spieler steuern je einen kleinen Fisch, der frisst kleinere Fische und wächst dabei. Wenn der Fisch größer wird, wird er auch träger und hat es nicht leicht, das schnellere Futter zu fangen oder dem immer wieder auftauchenden Hai auszuweichen.
Breakout: Hier könnte eine Touchpad-Steuerung, feinfühlig umgesetzt, viel ausmachen. Breakout mit einem Drehregler mag ich ganz gern, auch wenn ich nie wirklich gut darin war. Auf so ziemlich jeder normalen Plattform habe ich es gehasst, weil kein Steuerkreuz dem gewachsen ist. Und ein gutes Koop-Breakout, das kann ich mir sehr gut vorstellen.
Missle Command: Bisher definitiv mein Highlight. Das Spiel an sich ist zeitlos und unverwüstlich. Ich hab kürzlich erst eine Runde auf MAME gespielt und manche Dinge halten sich, zumindest für zehn Minuten. Das hier ist jedoch noch mal eine andere Hausnummer und damit meine ich nicht die vielen bunten Farben. Von dem, was bis jetzt zu sehen oder vielmehr zu hören war, sticht der Sound heraus. Dieses 2020-Remaster alter Atari-Sounds klingt sehr wuchtig und unheimlich, das könnte einen guten Teil des Spaßes und der Atmosphäre ausmachen.
Night Stalker: Bisher auch ein Highlight, auch hier ist des der Sound, aber auch der sonstige Look. In einem 1-Screen-Labytrinth spielt ihr Deathmatch oder PvE - wenn ich das richtig gesehen habe - und der düstere Look zusammen mit der Cyberpunk-Version von Atari-Sounds sieht sehr unterhaltsam aus.
Das waren die Titel, die man zumindest mal kurz zu Gesicht bekam, angekündigt sind noch viel mehr. Vieles davon sind wie diese Spiele Remakes alter Aracde-Titel, zum Beispiel Kung-Fu Master, Lode Runner, Frogger (natürlich), Pong und eine Reihe mehr. Dann haben sich ein paar SEGA-Dinge daruntergemischt, wie ein neues Ecco The Dolphin oder Toejam & Earl. Diese, zusammen mit dem großen Highlight Earthworm Jim 4, sind dann allerdings die Titel, die ihr wohl erst 2021 zu Gesicht bekommen werdet.
Der Preis
Mit 230 Dollar - Euro-Preise wurden noch nicht genannt - für Basis-Station plus zwei Controller und sechs Spiele klingt das jetzt erst mal alles nicht nach einem Schnäppchen, wer eine der hübschen Limited Editions möchte, muss sogar 250 oder 280 Dollar ausgeben. Immerhin braucht man erst einmal nicht mehr Controller, da man ja Handys nutzen kann. Trotzdem, das ist schon nicht ohne. Intellivision sieht sich dabei allerdings weniger in Konkurrenz zu den klassischen Core-Gamer-Konsolen und mehr als eine digitale und erweiterbare Alternative zu familiären Brettspielabenden. Wenn die Verarbeitung so ist, dass sie den Launen schlechter Verlierer im Alter von um die sechs standhalten kann, dann könnte der Preis von der Warte gerechtfertigt sein. Zumal die Spiele sich ja im Bereich bis maximal 10 Dollar bewegen sollen und damit die Folgekosten dieser Erweiterbarkeit übersichtlich bleiben.
Hier könnt ihr das Intellivision Amico auf der Seite von Intellivision vorbestellen.
Und hier ein paar Gedanken zu der Idee hinter dem Intellivision.
Hier geht es zu Ankündigung der VIP-Vorbestellung für das Intellivison
Die Zukunft
Wie schon gesagt, Intellivision sieht sich nicht mal mit der Switch, der bisher familientauglichsten Couch-Abend-Konsole, in Konkurrenz, sondern mehr mit der etwas angestaubten Brettspielsammelbox. In diese Richtung gehen jenseits von ein paar Core-Gaming-Exoten wie R-Type, Coudy Mountains oder Earthworm Jim 4 die meisten Games mit einer Mischung aus Multiplayer-tauglicher Aracde-Action, simplen Sportspielen oder Brettspieladaptionen. Der klare Gedanke ist die Familie oder Freunde, eine Couch, Getränke abhängig von der Situation und direkter Spaß zum sofortigen Loslegen. Als so ein "Spielzeug" für alle Altersgruppen sehe ich hier für den Intellivision Amico durchaus eine valide, nicht zu kleine Nische und auf jeden Fall eine sinnvolle Ergänzung zu den klassichen Konsolen.