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Amiga, C64 und ZX Spectrum: A Visual Compendium - Buchrezension

Wohlige Nestwärme für alle, die dabei waren.

Eurogamer.de - Empfehlenswert Badge
Sehr schön gestaltete Erinnerungshilfen, reich an unterhaltsamen Kommentaren, aber wenig, was über fröhliche Nostalgie hinausgeht.

Ungesunde Windstärken, Regen, früh wird es dunkel. Die ideale Jahreszeit, um sich mal bei Kerzenschein mit einem Buch einzurollen, wenn man gerade Zombie-Apokalypse spielt und so tut, als wäre der Strom ausgefallen. Die Türen sind vernagelt, das Regel ist mit Büchsen zum Aufkochen auf dem Bunsenbrenner gut gefüllt, das Trinkwasser gesichert, die Nachbarn wundern sich schon lange über nichts mehr. Die perfekte Ausgangslage, um von vergangenen, besseren Zeiten zu träumen. Den 80ern zum Beispiel, als die Heimcomputer die Welt beherrschten und frei durch die weiten Steppen der ungezügelten Informationslandschaft zogen.

Commodore 64, Amiga & Sinclair ZX Spectrum: a Visual Compendium

Diese fortlaufende Reihe - nehme ich zumindest an, es gibt wenig Gründe, nicht weitere Bücher mit anderen Systemen zu veröffentlichen - ist eine in jedem Buch in sich geschlossene Bestandsaufnahme des jeweiligen Computers, seiner vielen Spiele und Entwickler, und mehr auf eine Art, die perfekt passt: komplettes Chaos. Sicher, es gibt eine Ordnung, die vorgestellten Spiele sind chronologisch geordnet, das heißt, dass die gezeigten Grobpixel im Verlauf eines Buches hübscher und bunter werden. Das ist es aber auch schon. Kein Spiel schien zu obskur, als dass es nicht doch eine Chance gehabt hätte, eine Seite zu bekommen - auch wenn natürlich nur ein winziger Prozentsatz der jeweiligen Bibliothek das am Ende wirklich geschafft hat -, kein Seitendesign zu bunt, um nicht doch den Weg vom zugedröhnten Layouter bis in die Druckmaschine zu finden.

In gewisser Weise fangen die drei Bücher damit den Stil der Spielerzeitschriften dieser Zeit ein. Vor allem natürlich der britischen, die mit Bunt und Bunter hausieren gingen, als gäbe es kein Morgen, aber auch Magazine wie meine innig geliebte ASM waren nicht glücklich, wenn nicht jede Seite eine neue Farbe präsentieren konnte. Hier ist das nicht ganz so willkürlich, auch wenn es beim ersten Durchblättern schwer daran erinnert. Es liegt aber daran, dass die Visual Compendiums eben keinen Enzyklopädie- oder ähnlichen Anspruch erheben.

Wenn ihr durch eines der drei Bücher blättert, dann soll eine Erinnerung bei euch getriggert werden. Deshalb gibt es fast keine akkurat abgebildeten Screenshots. Stattdessen wird der Screen eines Spiels als Ganzes in ein doppelseitiges Artwork verwandelt, das so zurechtgestutzt wurde, dass die Essenz dieses Spiels für jeden, der es kannte oder zumindest diese Ära persönlich erlebt hat - ob nun heute als enthusiastischer Nachgänger oder damals live ist, denke ich, egal -, sofort greifbar ist. Das sind keine Bücher, die sagen "Hey, dieses Spiel solltest du dir angucken, weil...", sondern ganz klar "Hey, weißt du noch damals...?".

Der inhaltliche Erkenntnisgewinn hält sich damit auch in Grenzen. Mit einem Spiel auf jeder Doppelseite, einem mal durchaus, mal nicht so sehr interessanten Statement einer mal mehr, mal weniger namhaften Persönlichkeit der Zeit - Charles Cecil, Chris Hülsbeck, Ron Gilbert, Brian Fargo, David Perry, Robert White, um nur ein paar der bekannteren aus über 100 zu nennen - und ein paar Grundinfos zum Jahr und Titel findet sich da nicht viel. Macht aber auch nichts, darum geht es schließlich nicht. Stellt es euch wie eine dieser Fernsehshows vor, in denen alte 80er-Klassiker laufen, während irgendwelche Gestalten mit ihrem Senf dazu den Song ruinieren. Das, nur halt in nett, weil in entspannter Buchform ohne nicht zu stoppende Quasselstrippen und mit coolen alten Spielen. Insoweit ist der Name "Compendium" glatt gelogen. Ein Kompendium ist eine Art Lehrbuch oder Nachschlagewerk. Das sind die drei wirklich nicht, aber das tut der Freude am Blättern und Bewundern keinen großen Abbruch.

Grundlegende Unterschiede zwischen den drei Büchern jenseits der unterschiedlichen Systeme und dazu passender Kommentargeber gibt es kaum. In jedem von ihnen finden sich eine Handvoll Interviews mit mal eben nicht mit den üblichen Verdächtigen, sondern gerade hierzulande eher unbekannten Entwicklerpersönlichkeiten, die auf zwei, drei Doppelseiten einen recht persönlichen Blick in diese jeweilige Zeit gewähren. Wiederum, das ist weder abschließend noch universell anwendbar, aber es gibt ein gutes Gefühl, wie es in der Zeit der Heimcomputer zuging, die nach heutigen Maßstäben fast archaisch und wild wirkt. Nicht unbedingt eine bessere Zeit - wenn es so etwas über so lange Zeiträume und in dem Zusammenhang überhaupt gibt -, aber eine definitiv andere.

Das zeigen auch das jeweils halbe Dutzend Firmenprofile. Manche sind heute noch so mythenumwoben wie geläufig - Llamasoft, DMA Design, Cinemaware, Vortex Software -, andere sind vergessene Götter einer vergessenen Zeit. Ich habe in meinem Leben zuvor nichts von Durell Software, Odin Computer Graphics oder Thalamus gehört, aber von ihrem so kurzen wie intensiven Leuchten in einer anderen Welt zu lesen - so fühlt sich vieles von dem hier heute an -, das war ausgesprochen unterhaltsam. Der Amiga und der Spectrum bekommen ein paar Seiten zu den unterschiedlichen Iterationen der Hardware gewidmet und im Falle von C64 und Spectrum gibt es einen kurzen Blick auf die Wildwestwelt des 80er-Spielejournalismus. Magazine wie Crash oder Zzap!64, egal wie professionell sie damals hergestellt und verlegt wurden, zeugen von einer Menge Anarchismus in einer Branche, die gerade erst lernt, dass nicht alles mit Computer trockene IT sein muss, und zum Start einmal richtig die Flügel ausbreitet. Abgerundet wird jedes Buch durch ein Kapitel über Ladebildschirme (C64), eine russische Homebrew-Szene (Spectrum) oder legendäre Tools wie Deluxe Paint und X-Copy (Amiga).

Die Covergestaltung aller drei Bücher mag sehr ähnlich sein, das Layout auch, die Papierqualität ist bei allen dreien sehr hoch, aber in einem Punkt fällt der zweite Band - Amiga - leider ganz schön aus der wortwörtlichen Reihe. C64 und Spectrum sind in festes Hardcover gebunden, unter dem Schutzumschlag zeigt sich das gleiche Cover direkt auf die Pappe gedruckt noch einmal. Die Bindung ist stabil und hochwertig, die etwas über A5 großen Bücher sind handwerklich tadellos. Der Amiga-Band jedoch ist ein Softcover mit einer Bindung, die geradezu Bruchstelle schreit. Wenn man es mal richtig aufklappen möchte, und da es genau das ist, was man bei so einem Buch machen will und soll, ist das hier leider eine Guru-Meditation der Bindetechnik. Es fällt jetzt nicht gleich auseinander und ist am Ende zumindest etwas stabiler, als es sich im ersten Moment anfühlt, aber der dünne Pappschuber, den nur der Amiga-Band hat, macht das leider nicht wirklich wett. Fünf Britische Pfund mehr geben euch die gleiche Aufmachung wie die anderen beiden, das solltet ihr euch gönnen. Genug zum Blättern gibt es bei allen dreien: Spectrum kommt auf 300, Amiga auf knappe 400 und der C64 auf fast 500 Seiten.

Alle drei Bücher sind komplett in Englisch und es ist nicht mit einer Übersetzung zu rechnen. Kaufen könnt ihr sie zum Beispiel über Funstockretro.co.uk, wo sie einzeln ca. 30 Britische Pfund - 35 Euro - kosten, oder als Dreierpack mit Bonus-T-Shirt 90 Euro (Amiga dann in der guten Hardcover-Version).

Keines der drei Visual Compendiums ist eine Pflichtlektüre in irgendeiner Form. Es ist kein echtes Heranführen völlig unbeleckter Interessierter, es sind nicht mal Kompendien oder auch nur Semi-Sachbücher. Es ist ein glückliches Suhlen in einer mythischen Vergangenheit, dem ich mit Freude über die Feiertage immer wieder mal für ein halbes Stündchen nachging. Ich schaue mir das Bild zu The Sentinel, Antiriad, Rocker Ranger, Dream Web oder Lemmings an, lese die paar Zeilen, freue mich. Habe nicht viel Neues erfahren und bin doch glücklich. Sinclair ZX Spectrum, Commodore 64 und Commodore Amiga: A Visual Compendium sind einfache, fast schlichte Bücher, trotz ihres Farbrausches. Aber sie sind mit viel Liebe gestaltet und es gelingt ihnen nicht nur, das einzufangen, was sie gesucht haben. Sie schaffen es auch, dieses Gefühl an euch weiterzugeben. Wenn ihr denn dabeigewesen seid.

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Martin Woger Avatar
Martin Woger: Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

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