Skip to main content

Amnesia: A Machine for Pigs - Test

In diesem Schlachthaus kommen vor allem die Erwartungen der Fans unters Fleischerbeil.

Damit hatte ich nicht gerechnet, auch wenn ich es im Grunde hätte kommen sehen müssen. Frictional Games überließ die Entwicklung von A Machine for Pigs den Dear-Esther-Machern und erwies der vielleicht einflussreichsten Horrorspiel-Marke der letzten Jahre damit keinen Gefallen. Dan Pinchbeck von The Chinese Room ist zwar ein außergewöhnlicher Autor, hat Ton und Stimmung fest im Griff und eine fast poetische Sprache. Über die interaktive Seite seiner Werke gibt es aber so gut wie nichts zu sagen. Es ist schlicht nichts da.

Notschlachtung zentraler Spielelemente

In Dear Esther, einer traumwandlerischen Reise durch die Trümmer zweier Leben, hat der Verzicht auf klassische Spielelemente Fantastisches bewirkt. Das Zusammenspiel von Erzählung, Musik und Gestaltung konnte ungebremst seine maximale Wirkung entfalten. Doch so leid es mir tut: In einem Spiel wie Amnesia funktioniert das nicht. Dieser, dank Youtube schon legendäre, Videospiel gewordene Albtraum definiert sich über Wehrlosigkeit, die Angst vorm Dunkeln und den schwindenden Verstand der Hauptfigur. Man fürchtet um sein Leben, wenn auch nur virtuell. Und es sind die mehr oder weniger klassischen Videospiel-Versatzstücke, die genau diesen Effekt garantieren.

Technisch hat sich wenig getan, was im Vergleich zum jüngst erschienenen Outlast ein wenig enttäuscht. Dennoch ein sehr stimmungsvoller Look.

Ohne Inventar gibt es keine Kombinations-, Physik- oder Schlüssel-und-Schloss-Rätsel, die den Spieler grübeln und suchen lassen und ihn so ablenken, um ihn im schreck-taktisch besten Moment an einem regungslosen Monster im Schlagschatten vorbeizulotsen. Ohne Ressourcenknappheit, schwindende Ölvorräte und Zündhölzer, dafür mit fast endlos haltbarer Laterne bekommt man weniger Angst, irgendwann im Dunkeln dazustehen und weder Ausgang noch die blutrünstigen, entstellten Kreaturen wirklich sehen zu können. Und ohne Wahnsinns-Effekte bleibt man jederzeit allzu sehr Herr seiner Sinne.

Dazu kommt eine Struktur, die nur 'Vorwärts' und kaum 'Zurück' kennt, was natürlich der Narrative und dem Tempo zugutekommt, die Verlorenheit in einer feindseligen Umgebung, die The Dark Descent so gut vermittelte, jedoch niemals auch nur ansatzweise einfangen kann. Klar, in Dear Esther wollte man den Fluss der Geschichte nicht bremsen, was ja im Grunde auch für Amnesia ein hehres Ziel ist. Wenn man dann aber einfach nur jeden Gang bis an sein Ende geht und dort - und hier zitiere einen Satz aus der mitgelieferten Komplettlösung des Spiels, der sich fast auf jede Situation anwenden lässt - "alle Schalter umlegen, die man umlegen kann, und dann die Leiter runterklettern" muss, dann ist man mit dem Streamlining übers Ziel hinausgeschossen.

Lesefluss wider Spielfluss

Und trotzdem flutscht die Handlung nicht so, wie es wohl gemeint war. Die Notizen, die sich Oswald Mandus auf seinem Lovecraft'schen Abstieg in die Eingeweide einer mysteriösen Maschine macht, bremsen den Spieler fast in jedem neuen Raum mit reichlich gut geschriebenem Lesestoff. Das gab es so auch schon in Dark Descent, diente hier aber auch als dringend benötigte Atempause vom unablässigen Terror. Hier erinnern sie nur regelmäßig daran, dass in diesem Spiel so gut wie gar nichts passiert. Oft kommt es vor, dass zwischen zwei Notizen nur zwei leere Zimmer und eine geöffnete Tür liegen. Mit ein bisschen Glück habe ich dazwischen noch einen Hebel umgelegt. Aus voller Fahrt rappelt man also regelmäßig gegen literarische Wände. Wenn man dann noch dazu mal wieder mehrfach das Symbol unten rechts übersah, das einen auf eine neue Notiz aufmerksam macht, muss man sich schon mal durch einen ganzen Stapel verpasster Schriebe wühlen.

"Die Kreaturen, die einem in Machine for Pigs nach dem Leben trachten sind seltsam passiv, die Begegnungen mit ihnen kann man an einer Hand abzählen."

Auch das Körpergefühl tritt auf der Stelle und fällt Outlast gegenüber ab.

Und dann ist da noch die Tatsache, dass einem selten wirklich etwas passieren kann. Die Kreaturen, die einem in Machine for Pigs nach dem Leben trachten, sind seltsam passiv, die Begegnungen mit ihnen kann man an einer Hand abzählen. Taktischer Rückzug, Licht löschen und sich in einem Schrank verstecken, ist nicht gefragt. Seht ihr einen Schatten in der Ferne, bewegt ihr euch meist in einem Raum mit viel optischer Deckung und mindestens einem alternativen Weg zum Ziel. Fast immer wuselt man sich schlicht auf der abgewandten Seite irgendwelchen Level-Inventars zum Ausgang und ist dann in Sicherheit. Ansonsten hilft es, um sein Leben zu rennen und den rettenden Schalter oder Mechanismus zu erreichen. Das ist einfach zu simpel und zu starr im Ablauf.

Wer sich die Zeit nimmt, jedes Dokument und jede Notiz aufmerksam zu lesen, wird allerdings durchaus seine Freude daran haben, die düstere Geschichte um den Erfinder Oswald Mandus zusammenzupuzzeln. Wenngleich man an dieser Stelle durchaus Zweifel anmelden darf, ob die Amnesie-Prämisse auch dieses narrative Konstrukt wirklich zu stützen in der Lage ist. Zudem wirken die häufig mutwillig vage, lyrische Beschreibung und die bequeme Auslassung von Informationen hier und da ordentlich prätentiös. Nichtsdestotrotz denke ich immer noch daran, frage mich, was hier eigentlich passiert ist, und freue mich darauf, mich über die Handlung mit anderen auszutauschen.

Kurze Außenbereiche lockern den Katakombenkoller etwas auf.

Zum Ende hin schwingt sich der Titel atmosphärisch tatsächlich in beachtliche Gänsehautregionen auf, woran vor allem die fantastischen Sprecher und die tolle Musik gewaltigen Anteil haben. Doch dann ist es bereits zu spät. Zu viele Räume hat man hinter sich, in denen außer knarzenden Dielen nichts passierte, zu viele Hebel hat man umgelegt, ohne nachzudenken oder zu wissen warum. Und bis überhaupt einmal etwas passiert, ist einem Oswald Mandus schon so unsympathisch, dass man sein Schicksal eher mit der Neugierde eines Kindes verfolgt, das eine Fliege mit nur einem Flügel beobachtet. Nicht ganz vier Stunden habe ich gebraucht, vermutlich weniger, und wenn ich so darüber nachdenke: mit Ausnahme von vielleicht zwei Stellen wurde mir nie so richtig mulmig.

A Machine for Pigs ist eine voll automatisierte Geisterbahn, in der kurz nach Fahrtbeginn der Strom ausfällt. Ab und zu wackeln die Schausteller von außen an den Trägern oder scheuchen eine bemitleidenswerte Freakshow-Attraktion von links nach rechts durchs Bild, während einem der Chef dieser Kirmes im Zwei-Minuten-Takt einen finsteren Brief über die dachlosen Pappmaschee-Wände wirft. Gut geschrieben sind sie ja, doch die ganze Zeit über wünscht man sich nichts sehnlicher, als dass endlich jemand den Sicherungskasten finden möge.

5 / 10

Schon gelesen?