Angry Birds 2 - Test
Nein, Kind, du hast schon alle deine Kristalle auf den Kopf gehauen. Du musst eine halbe Stunde warten.
Ganz ehrlich, ich habe mich wirklich auf Angry Birds 2 gefreut. Das erste Spiel nenne ich bis heute als gutes Beispiel, wie man ein einfach zu erlernendes, aber herausforderndes Mobile-Game fast perfekt umsetzt. Es war taktisch, es basierte ausschließlich auf Skill, Planung und mitunter dem Quäntchen Glück, dass der blöde Vogel halt doch noch diese eine Strebe einer Konstruktion erwischt, obwohl man nicht ganz perfekt traf. Jeder Level war elegant zu lösen, wenn man denn wusste, wo man welchen Vogel hinschleudern musste, und geschickt genug war, das zu tun. Ein fast perfektes, kleines Spiel.
Danach folgte mehr vom Gleichen mit einer Unzahl an Franchises. Jedes hatte ein paar witzige spielerische Gimmicks und auch diese Games waren nett. Dann folgten die Free-2-Plays und ich konnte sie tolerieren, weil sie eh nicht so gut waren wie die „echten" Angry Birds. Und nun also endlich, nach langen Jahren, der legitime Nachfolger. Der Schock sitzt noch tief. Man will kein Geld von mir. Oder vielmehr, man möchte mehr Geld von mir als je zuvor. Aber dazu gleich mehr, erst einmal zum eigentlichen Spiel, bevor das in der Vollkatastrophe des Pay-to-Play ganz untergeht.
Ihr arbeitet euch wie gehabt durch eine lange Schlange an Levels (um die 250 bis jetzt, weitere folgen stetig) und durch verschieden Grafikthemen-Landschaften. Es gibt eigene Gimmicks in den meisten davon, zum Beispiel Ventilatoren, die die Vögel abdriften lassen, aber unbeirrt davon ist nach wie vor das Ziel, mit einer begrenzten Anzahl an Vögeln alle Schweine im Level zu erledigen. Das geht am besten, indem ihr auf die abenteuerlichen Konstruktionen aus Stein, Holz und Eis zielt, auf denen sie hocken - die richtige Kettenreaktion bringt immer noch das ideale Ergebnis. Für die Nummer zwei dachte sich Rovio ein paar Neuigkeiten aus. Nicht so sehr aufseiten der Vögel, die zum größten Teil ihre üblichen Fertigkeiten beibehielten, sondern im Ablauf einer Stage. Ihr habt eine bestimmte Zahl an Vögeln, es wird aber gewürfelt, welche und in welcher Reihenfolge. Gleichzeitig besteht nicht nur jeder Stage aus zwei, drei oder mehr Abschnitten. Diese Abschnitte werden auch zufallsbasiert ausgetauscht und die Materialien wechseln in jedem Durchgang.
Ich nehme an, dass dies für mehr Abwechslung sorgen soll, es ist jedoch ein Aufweichen des Spielkerns. Genau zu planen, welcher Vogel was wann tun muss, war der strategische Aspekt des Originals. Jetzt kann ich nur hoffen, dass ich einen blauen Eisvogel dabei habe, sollte sich die Stage für Eis entscheiden. Was sie meist nicht tut. Es ist wohl Teil des Konzepts, dass man immer die falschen Vögel hat. Macht es durchaus herausfordernder, aber eben auch unfair glücksbasiert. Dass ich Vögel auswählen kann, hilft nicht, wenn ich nicht weiß, welches Material ich beschießen muss. Dreimal scheint eine Stage fast unmöglich, beim vierten Anlauf ist es ein Kinderspiel. Dass Glück nur eine ganz kleine Rolle spielt, die Zeiten sind vorbei, und das ist für mich definitiv keine gute Neuerung.
Aber selbst das macht Angry Birds 2 nicht zu einem schlechten Spiel. Die Umsetzung ist inzwischen so perfekt, dass es einfach eine Freude ist, einen Vogel sausen zu lassen und das folgende Chaos zu genießen. Die Präsentation ist definitiv ihr bisheriges Meisterstück, es gibt Tonnen von niedlichen Animationen, die einen schmunzeln lassen. Die Bosskämpfe alle paar Level sind herausfordernd und unterhaltsam, eigentlich macht Angry Birds 2, obwohl es nicht so viel anders macht, und das nicht immer an den richtigen Stellen, verdammt viel Spaß. Oder würde es, wenn ich es nicht zutiefst verachten würde.
Ganz ehrlich, ich bin kein Fan von Free-to-Play, aber es gibt Spiele, die es okay oder sogar gut umsetzen. Hearthstone, diverse Mobas oder World of Tanks zum Beispiel. Damit kann man gut leben, man gibt gelegentlich sogar gern ein wenig Geld aus, fühlt sich anschließend besser. Dann gibt es Pay-to-Win, und das mag niemand, denn wer will schon Geld ausgeben, um eine Chance zu haben? Noch unbeliebter ist Pay-to-Play. Hier müsst ihr alle paar Minuten wie bei einer alten Arcade-Maschine Geld nachwerfen, um weiterspielen zu können. Extrem teuer und nervig. Und dann haben wir Angry Birds 2, einen monströsen Free-to-was-auch-immer-Clusterfuck, der all diese schönen Dinge vereint.
Ihr habt Bonus-Magie - nicht unbekannt aus anderen Angry-Birds-Spielen in der einen oder anderen Form -, die euch ungemein aushilft, was man durchaus Pay-to-Win nennen kann. Da ich diese Dinger aber eh nie nutze und es kein direktes PvP gibt, das sie beeinflussen, sind sie nicht wirklich das Problem. Was alles in sich zusammenfallen lässt, sind die fünf Leben. Schafft ihr einen Level nicht oder wollt ihn neu starten, kostet euch das ein Leben. Das ist richtig, fünf Levelneustarts und es ist vorbei. Für eine halbe Stunde. So lange dauert es, bis sich die fünf Leben wieder aufgefüllt haben. Wollt ihr das beschleunigen, müsst ihr Kristalle einsetzen. Den Timer zu beschleunigen kostet euch etwa 60 Kristalle, was in reale Währung übersetzt etwa 70 Cent bedeutet.
Die ersten 30 oder 40 Stages sind nicht das Problem, sie sind einfach genug. Dann kommen langsam die ersten, die ihr mehrmals probieren müsst, bis ihr Erfolg habt, und dahinter kommen immer mehr, in denen fünf Leben praktisch nichts sind. Schon gar nicht, wenn es die drei Sterne sein sollen. Ein großer Teil meines Spaßes mit dem ersten Angry Birds bestand darin, eine Stage immer wieder zu probieren, bis ich endlich den perfekten Run hatte. Das konnte bei den hohen Leveln schon mal ein wenig dauern, so um die 50 oder 100 Versuche bei mir. Kein Problem, ein Neustart dauerte keine zwei Sekunden. Hier muss ich nicht nur alle Stages eines Levels erneut spielen, ich schaffe es auch besser mit fünf Versuchen, wenn ich nicht eine halbe Stunde warten oder arm werden möchte. Durchgerechnet am Beispiel der hundert Versuche? 14 Euro bitteschön. Oder 10 Stunden Wartezeit.
Dazu kommt das übliche Nerven, dass ihr doch bitte eure Facebook-Freunde belästigen mögt oder dass ihr den schwachsinnigen Arenamodus spielen sollt. Das und mehr hält euch die Karotte vor, dass es ja Gratiskristalle gibt. Das stimmt auch, aber es sind so wenige, dass es praktisch keine Rolle spielt.
Spielt ihr Spiele immer nur für fünf Minuten und legt sie dann für eine halbe Stunde zur Seite? Super, Angry Birds 2 ist ideal für euch. Es wird euch gar nicht auffallen, dass Rovio nicht nur die Umsetzung seiner Vogelphysik, sondern auch alle Register des schlechten Free-to-Play perfektionierte. Auch wenn ich die Neuerungen wie die Zufallselemente der Level nicht für eine gute Neuerung halte, ist Angry Birds 2 immer noch ein im Herzen gutes Spiel. Leider aber eben auch eines, das euch für keine fünf Minuten in Ruhe lässt, bevor ihr zahlen, facebooken oder noch mehr zahlen sollt. Im Gegensatz zu früher gibt es auch keine Premiumversion. Diese würde ich durchaus empfehlen, selbst wenn sie acht oder zehn Euro kosten sollte, kein Problem. Der Content ist da, der Spaß auch, aber hier wird er durch all die Taschenräubermechaniken komplett zerstört.
Was dabei besonders sadistisch ist: Angry Birds ist ein Spiel, das Kinder lieben! Ich sah und sehe immer noch Kids, die das Spiel stundenlang auf Papis iPad spielen. Natürlich möchten sie Angry Birds 2 haben, sie wollen alles haben, wo Angry Birds draufsteht. Auch Angry Birds 2. Und dem Kind zu sagen, dass es jetzt eine halbe Stunde warten soll, weil Papi nicht aus Geld gemacht ist, könnte ein paar interessante Lektionen für den Nachwuchs und die bösartigen Untiefen des Videospielmarktes nach sich ziehen.