Anna Extended Edition – Test
Sie retten, was zu retten war, aber eine gründliche Politur ersetzt keinen Neuanfang.
Normalerweise schmeiße ich mich sofort in die Richtung eines schlechten Spiels, denn selbst wenn sich die Erfahrung als purer Horror herausstellt, fliegt mir das Material für den Artikel nur so um die Ohren. Außerdem ist danach das Kapitel abgeschlossen und ich muss mich nicht länger damit beschäftigen. Zumindest ging ich bisher davon aus. Gott, bin ich naiv.
"Bleib positiv", dachte ich mir. Schließlich verspricht Entwickler Dreampainters in der Enhanced Edition von Anna viele neue Features und Verbesserungen, die einen erneuten Test rechtfertigen. Im Grunde applaudiere ich dem italienischen Team sogar für diesen eisernen Ehrgeiz, doch sollte man sich nie so sehr in ein fehlgeschlagenes Projekt verbeißen und die Arbeit lieber auf ein vollkommen neues Spiel konzentrieren. Wieso? Weil manche Überarbeitungen neue Probleme mit sich bringen.
Zündungsfehler
Direkt beim Start des Spiels begegnet mir das erste böse Omen. Bereits auf dem Starbildschirm musste ich den ersten Seufzer ablassen, als sich der Mauszeiger von einer Position zur nächsten teleportierte und sogar das Menü nicht aus dem Ruckeln kam. Seltsam, immerhin läuft die normale Version, die ihr aus irgendeinem Grund ebenfalls spielen könnt, ohne Murren auf der gleichen Maschine. Ein schneller Blick ins Steam-Forum öffnet eine Vielzahl an Posts über technische Schwierigkeiten, mit denen ich meine Wohnung zehn Mal tapezieren könnte [so eine Wohnung hatte ich auch mal - Alex]. Unter Windows dürft ihr vor dem Start gerne die Finger kreuzen und hoffen, dass sich euer System nicht dem Spiel verweigert. Wer auf einem Mac spielt oder Linux verwendet, besitzt anscheinend noch schlechtere Chancen.
Anstatt mich einfach vor eine verschlossene Tür mit einem Symbol darüber zu stellen, deutet eine Steinplatte an der Seite nun einen kaputten Mechanismus an, den ihr reparieren müsst.
Nachdem ich mein Schicksal akzeptierte, spielte ich in den Einstellungen herum, die weniger Möglichkeiten bieten als ein Text-Adventure, und konnte kurz darauf endlich das Abenteuer starten. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich ehrlich gesagt schon überhaupt keine Lust mehr, weil mir neben diesen Problemen immer noch die Erfahrung vom letzten Besuch der alten Sägemühle die Vorfreude dezimierte.
Doch zu meinem Erstaunen musste ich feststellen, dass hier wirklich nicht nur an ein paar Kleinigkeiten geschraubt wurde, sondern echte Veränderungen erfolgten. Anstatt mich einfach vor eine verschlossene Tür mit einem Symbol darüber zu stellen, deutet eine Steinplatte an der Seite nun einen kaputten Mechanismus an, den ihr reparieren müsst. Beide Teile eines fehlenden Zahnrads verstecken sich an nachvollziehbaren Orten und lassen sich schnell zusammenbinden. Nach weniger als fünf Minuten setzte ich den ersten Schritt ins Haus. Ich konnte es kaum glauben. Das Rätsel ergibt endlich einen Sinn. Was ist denn da los? Haben sie wirklich gelernt, wie man ein gutes Adventure auf die Beine stellt? In diesem Moment vergaß ich die hakelige Steuerung und freute mich zum ersten Mal wirklich auf die kommenden Momente, um zu sehen, an welchen Dingen noch gebastelt wurde.
Auf Überraschung folgt Enttäuschung
Sofortige Ernüchterung setzte ein. Ja, einige Puzzles bieten nun wesentlich offensichtlichere Lösungen und ihr findet mehr Hinweise in Büchern, die euch zum Ziel führen. Trotzdem schlichen sich dabei wieder neue Unklarheiten ein. So müsst ihr in einem Zimmer das Wasser für ein Ritual beleuchten. Wie macht ihr das? Natürlich! Hängt eine Öllampe an einen Haken und lasst sie mit einer Kette hinunter. Klingt logisch? Nun ja, nicht wenn die Lampe keinen Henkel besitzt und sich der Haken durch das Glas bohrt. Wie soll ich denn bitte erahnen, dass diese Konstruktion funktioniert, wenn das Spiel zuvor viele offensichtliche Kombinationen ablehnt?
Aber dafür gibt es ja nun die eingebaute Hilfefunktion, von deren Existenz ich nicht überzeugt bin. Es gibt eine Einstellung für die Hilfe im Menü, die ihr entweder durch einen Tastendruck aufruft oder eine bestimmte Zeit abwartet. Um das System zu testen, stellte ich die Hilfe auf 'Komplett' und den Timer auf drei Minuten. Selbst nach 20 Minuten, in denen ich keine produktiven Fortschritte machte, verweigerte mir das Spiel seine Hilfestellung. Anschließend probierte ich es direkt über die Taste und erhielt als Dank bloß einen nüchternen Satz, der eher einer Missionsbeschreibung gleicht. "Finde einen Weg, wie du das Siegel mit den fünf Augen brechen kannst", erschien mehrmals auf dem Bildschirm. Danke! Und ich dachte, ich müsste eine Kartoffel an die Wand malen.
Funktioniert also nicht. Kann ich mit leben, wenn die meisten Rätsel dieses Mal etwas mehr Logik erfordern und nicht in wildes Raten ausarten, obwohl hier besonders die neuen Bereiche zum Ende hin groteske Exemplare bieten. Viel wichtiger und interessanter ist jedoch die Frage nach dem eigentlichen Ziel des Spiels. Sorgt es für Horror?
Nope. Nichts da. Kein Grusel, kein Schrecken und schon gar keine Angst vor den kommenden Bereichen. Das einzige Feature von Anna sind wie beim ersten Besuch auch die paranormalen Ereignisse, von denen es genau 16 Stück gibt. Mehr nicht. Ok, ab und zu spricht eine Stimme zu euch oder ihr hört eine Frau im Zimmer nebenan winseln, doch ihr gewöhnt euch so schnell an die enge Umgebung, dass ihr sie irgendwann gar nicht mehr wahrnehmt.
Das Problem mit den übernatürlichen Erlebnissen liegt weiterhin in ihrer Implementierung, deren Sinn sich mir völlig entzieht. Hier wird ganz kurz jedes einzelne Event erklärt. Ihr lauft durch das Haus und hört plötzlich ein Geräusch oder merkt, dass der Boden vibriert. Schon wisst ihr, dass gleich etwas passiert, und schaut euch dann für fünf bis zehn Sekunden lächerliche Raucheffekte sowie harmlose Schatten an, die nichts weiter außer Brüllen können und sich teilweise wie ein Dubstep-Effekt anhören. Schon sind sie wieder vorbei. Ihr zuckt kurz mit der Schulter, bringt ein 'Meh' über die Lippen und setzt die Suche nach dem nächsten Gegenstand unbeeindruckt fort.
Um ein Gefühl der Verwundbarkeit zu vermitteln, besitzt eure Spielfigur nun ein Sanity-Meter, das nach einigen Erlebnissen sinkt und letztendlich zum vorzeitigen Ende führt. Eine nette Idee, mit der man zwanghaft versucht, das bereits bestehende Konzept gruseliger zu gestalten. Leider spürte ich keine bedrohlichen Auswirkungen bis zum Ende, da einige Aktionen für geistige Rehabilitation sorgen und ich mir so nie Sorgen machen musste. Aber warum die Leiste überhaupt im Menü anzeigen? Somit weiß ich jedes Mal meinen aktuellen Stand und erkenne sogar, welche Events negative Effekte mit sich bringen. Es wäre wesentlich sinnvoller gewesen, die Anzeige versteckt zu halten und Auswirkungen lieber direkt im Spiel zu zeigen. Dadurch entstünde wenigstens eine Art von Ungewissheit, die euch ständig im Nacken sitzt.
Die Extended Edition ist einen Tick besser als die erste Ausgabe, so viel sollte trotz technischer Probleme feststehen. Besonders die zuvor abstrusen Rätsel offenbaren ihre Logik wesentlich deutlicher, auch wenn ein paar davon weiterhin kaum Sinn ergeben. Neue Versuche, wie die interne Hilfefunktion oder das Sanity-Meter, sind nette Ansätze, die allesamt fehlschlagen, aber trotzdem den Willen der Entwickler demonstrieren.
Nur wollen sie sich niemals das offensichtliche, ernste Problem eingestehen, dass Anna schon von der Konzeptionierung her ein fehlgeschlagenes Produkt ist. Und das kann man auch mit dem größten Aufwand niemals reparieren, solange man nicht komplett bei Null anfängt. Wenn man sich wie bei den nutzlosen Events in eine Ecke fährt, muss die Notbremse gezogen werden, anstatt den Aufprall mit ein paar Airbags zu dämpfen. Lasst Anna zurück in ihrer modrigen Hütte und nehmt dafür die gesammelten Erfahrungen mit. Akzeptiert fehlgeschlagene Ideen und erschafft etwas vollkommen Neues! Oder wagt einen zum Scheitern verdammten Drittversuch, um im nächsten Jahr wieder einen Punkt mehr zu bekommen, anstatt direkt mit einer besseren Wertung zu beginnen. Eure Entscheidung.