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Anna - Test

Amnesia zu kopieren wirkt so einfach. Erst ein grober Reinfall zeigt, wie schwierig es wirklich ist.

Die Erfolgsformel für ein ertragreiches Computerspiel ohne großen Kostenaufwand erscheint recht simpel. Man wähle die Ego-Perspektive, kreiere ein Horror-Szenario, packe ein paar Rätsel - am besten mit Physik-Engine - dazu und schont hat man einen Indie-Hit, der sich in kurzer Zeit im Internet verbreitet und durch Videos rapide an Popularität gewinnt. Einfacher zum Geld kommt man nur mit der noch viel älteren Formel der Unterhosenwichtel.

Entsprechend dieser Abfolge erinnert Anna frappierend an Amnesia: The Dark Descent und lockte wie viele andere auch mein Interesse. Doch genau wie bei einem guten Rezept reicht eine blinde Befolgung der Zutaten eben nicht immer aus. Fingerspitzengefühl gehört auch dazu.

Zunächst erweckt der Beginn noch einen vielversprechenden Eindruck. Ihr findet euch mitten in einem Wald vor einer alten Sägemühle wieder, deren Fenster mit Brettern zugenagelt und Türen fest verschlossen wurden, sodass kein Sonnenlicht ins Innere dringt. Euer Protagonist ist auf der Suche nach einer gewissen Anna, die ihm aus bestimmten Gründen viel bedeutet. Da die Geschichte den einzig wirklich gut gelungenen Aspekt des Spiels darstellt, möchte ich darauf nicht weiter eingehen, um nicht auch noch den letzten Spaß zu verderben, den man hier haben kann.

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In dem kleinen Garten vor der Hütte fällt zunächst das äußerst grelle Licht auf. Mir ist klar, dass dies einen Kontrast zu dem abgedunkelten Verschlag schaffen soll. Bei den Blend-Effekten hat man es aber eindeutig übertrieben. Nachdem ich mich also an das Gefühl gewöhnt habe, auf meiner Netzhaut Spiegeleier braten zu können, suche ich die Umgebung nach nützlichen Gegenständen ab. Bei der Interaktion nervt bereits die zu sensible Steuerung - und nein, man kann sie nicht verändern - sowie das unpraktische Interface. Klickt auf ein Objekt und danach auf Benutzen, Untersuchen oder Aufheben. Da ihr jedes Item entweder nur Aufheben oder Benutzen könnt, hätte man nur die zwei Maustasten belegen müssen. Auch im Inventar, das zur Hälfte mit sinnlosem Zeug gefüllt ist, klickt ihr zuerst auf das gewünschte Objekt, dann neben das Menü und schlussendlich auf den anvisierten Punkt.

Ein wenig Fummelei muss ja das Erlebnis nicht unbedingt stören. Also finde ich mich damit ab und suche weiter. Hinter einer Klappe, die sich nur sperrig greifen und bewegen lässt, finde ich das erste Teil einer Glasplatte, die ich zum Öffnen der Tür benötige. Die Zweite liegt anscheinend im Wasser unter ein wenig Schlamm. Wieso ich nicht einfach hineingreifen und es holen kann, weiß ich nicht. Vielleicht leidet mein Typ ja unter Mysophobie(http://de.wikipedia.org/wiki/Mysophobie) - ich möchte auch einmal belesen klingen - und würde bei Berührung ohnmächtig in den Bach fallen. Jedenfalls soll ich die beiden riesigen Felsen an den Seiten umkippen, damit das Wasser den Dreck wegspült. Für einen Einsatz mit bloßer Muskelkraft ist der Herr sich wohl zu fein, da ich nur einen kleinen, zerbrechlichen Stock benutzen kann. An dieser Stelle musste ich für einen Moment ungläubig den Kopf schüttelnd aus dem Fenster starren. Wo bleibt denn da die Logik? Mir fehlt es an Muskelkraft aber ein kleiner Zweig, der beim Angucken zerbricht, reicht als stabiler Hebel?

Da hat aber jemand die Blend-Effekte entfernt.

Ich könnte wirklich das komplette Spiel so weiter machen und bei über der Hälfte der Rätsel nach dem Sinn fragen. Meist existiert dieser nur in den Köpfen der Entwickler. Noch ein kleines Beispiel, falls ihr mir nicht glaubt. In einer der insgesamt vier Räume der Hütte befindet sich ein gewaltiges Loch, bis zum Rand gefüllt mit Wasser. An einer Seite erscheint ein kleiner Lichtstrahl. Aus purer Verzweiflung kombinierte ich das Licht irgendwann mit einer Handvoll Sägemehl und erschuf so einen Weg, auf dem ich über dem Wasser stehen konnte.

Doch nicht nur bei den eigentlichen Rätseln hinterfragt ihr den Gedankengang der Entwickler. Sogar das eigentliche Ziel ist nie wirklich klar. Ihr habt es nach dem holprigen Start endlich in die Hütte geschafft. Was nun? Verwirrt lauft ihr ständig in alle Ecken, um irgendwo Sachen zu finden, die ihr notgedrungen mit allem verbindet. So ratet ihr euch durch das gesamte Abenteuer, das dadurch auf die schlimmste Weise gestreckt wird. Ohne Hilfe hat mein erster Durchgang fast vier Stunden gedauert. Um ein weiteres der drei Enden zu sehen, benötigte ich dann keine 20 Minuten. Zwei der Enden bestimmen sich allein durch eure Geschwindigkeit. Für das Letzte benutzt ihr lediglich eine andere Tür und löst ein paar abschließende Knobelaufgaben. Von unterschiedlichen Erlebnissen kann hier nicht die Rede sein.

Augen sind ein gängiges Thema in Anna.

Ach ja, Anna soll ja ein Horrorspiel sein. Deswegen habe ich es mir überhaupt angesehen. Zugegeben, als ich es entnervt in die Sägemühle geschafft hatte, dauerte es ein bisschen, bevor mich die Atmosphäre packte. Optisch wirkt es im Inneren schon ein gutes Stück gruseliger. Bis auf das Licht im Wasser, erhellen nur ein paar kleine Kerzen die klaustrophobischen Räume, und sobald ihr ohne jegliche Musik mit den Geräuschen allein gelassen werdet, steigt die Paranoia. Nur leider fand irgendjemand seinen Sound so gut, dass er den Spieler ständig damit beeindrucken wollte. Jedes Mal, wenn ihr die beruhigenden Klänge einer seicht säuselnden Frauenstimme hört, entflieht jegliche Angst aus euren Knochen.

Das große Feature von Anna sollen die ständigen paranormalen Ereignisse sein, die überall in den dunklen Kammern auftauchen. 'Ständig' solltet ihr dabei mit 'viel zu selten' austauschen. Außerdem passieren sie manchmal in anderen Räumen und ihr hört nur ein entferntes Geräusch. Sogar wenn ihr direkt danebensteht, reicht es nur für einen kurzen Jumpscare, da ihr nie in Gefahr seid. Lauft weg, dreht euch ohne Bestrafung um oder geht weiter auf die Effekte zu. Sie verlieren unglaublich schnell an Reiz. Einzig und allein die gelungenen Geräusche, die ihr keinem Punkt im Raum zuordnen könnt und an Eternal Darkness erinnern, bereiten wirkliche Angst. Ihr seht sie nicht, ihr wisst nicht, ob gleich irgendetwas passiert oder wo ihr sicher sein könntet. Ihr hinterfragt jeden eurer Schritte und blickt panisch in alle Ecken, um die Quelle zu finden. Das nennt man Horror. Stellt man dagegen nach fünf Minuten den Boogeyman in den Raum, der wie ein Pfau nach Aufmerksamkeit brüllt, schreitet ihr beim nächsten Mal unbeeindruckt an ihm vorbei.

Schaut cool aus. Bekam ich trotz mehrfachen Durchspielens nicht zu Gesicht...

An einigen Stellen aktiviert ihr durch eure zufälligen Interaktionen die Veränderung des Hauses. Die neue Optik gestaltet sich jedes Mal immer wahnsinniger und erzielt den Effekt, dass ihr trotz eurer Aktionen keinen wirklichen Einfluss auf eure Umgebung habt. Doch wieso darf ich diese Verwandlung nicht aktiv miterleben? Nein, stattdessen fällt meine Figur in Ohnmacht und wacht erst nach dem Abschluss der Transformation wieder auf.

Ganz ehrlich, ich könnte dieses Spiel Stück für Stück auseinanderpflücken, doch das soll erst einmal genügen. Wegen der wirklich interessanten und durch kurze Dialoge im Hintergrund erklärten Geschichte bin ich davon überzeugt, dass Entwickler Dreampainters ein großartiges Horror-Erlebnis schaffen wollte. Doch leider ist ihnen die fehlende Expertise und teilweise schlampige Umsetzung in die Quere gekommen. Hier hat man sich die offensichtlichen Einzelteile von Amnesia genommen, ohne zu wissen, wie man sie wieder zusammensetzt oder warum sie dort platziert wurden. Ein paar wenige Stellen konnten mich wirklich erschrecken oder Angst erzeugen, lange angehalten hat es nie. Dafür sind die Elemente nicht durchdacht genug und Dinge wie das beruhigende Musikstück oder die grauenhaften Rätsel mitsamt der unfreundlichen Bedienung erdrücken jede Panik mit ihrem schlechten Design.

So, jetzt setzt euch noch einmal mit der Kritik zurück ans Zeichenbrett, erforscht die wirkliche Herkunft der Angst und gebt euch Mühe bei den Rätseln, deren Anzahl ruhig reduziert werden kann, wenn ihr dafür eine größere Spielwertigkeit erschafft. Denn so kann ich das Projekt selbst für die mageren acht Euro nicht empfehlen. Da erhaltet ihr ohne Geldeinsatz bei Slender oder den ersten beiden Exmortis-Teilen wesentlich mehr Horror.

4 / 10

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Björn Balg Avatar
Björn Balg: Freier Autor und wahrscheinlich der letzte Mensch ohne einen Facebook-Account. Liebt Trash und verbringt zu viel Zeit mit dem Ansehen von Katzenvideos.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

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