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Anno 2070 - Test

Irgendwas ist immer

Blue Byte und Related Designs sind nicht unbedingt zu beneiden gewesen: In vier massiv erfolgreichen Titeln beackerte die Anno-Reihe seit 1998 das Zeitfenster zwischen Spätmittelalter und Neuzeit und bediente damit eine doch recht spezielle Klientel. Die erfreute sich nämlich seit jeher vor allem an den Schaukasten-Qualitäten der wunderschönen Aufbausimulation. Anno war immer ein faszinierendes Fenster in eine lang vergangene, einfachere und zugleich schwierigere Zeit.

Mit der Entscheidung, das Spielgeschehen in die Zukunft zu verlegen, war der Bruch vorprogrammiert. Die Frage war nur, ob und wie sehr er schmerzen würde. Denn klar war auch, dass die Reihe nicht länger in changierenden Abständen zwischen den letzten 500 Jahren hin und herspringen konnte. Es ist einfach so: Das Schrauben und Feilen an den Kern-Konzepten steigert definitiv Belange wie Komfort, Logik und Langzeit-Appeal. Eine perfektionierte Balance sowie wahlweise gestraffte oder komplexere Abläufe und Verzahnungen sprechen für sich genommen aber noch lange nicht das "Spaßzentrum" im Hirnkasten an. Sie sind lediglich Mittel zum Zweck.

Es war das Gestern, bei dem man dringender ansetzen musste. Die Welt aus dem Rückspiegel war ausgeschöpft, altbekannt und eigentlich zu Genüge durchgekaut. Ein Tapetenwechsel notwendig. Die Verantwortlichen legten also den Vorwärtsgang ein und laden ein in eine verhältnismäßig nahe Zukunft, in der Hoffnung, der Spieler fühlt sich wieder als Entdecker, wenn er mit großen, faszinierten Augen in diesen Schaukasten blickt, um dessen Abläufe zu entschlüsseln.

Wie könnte es anders sein, hat die globale Erwärmung das Überbevölkerungsproblem im Jahr 2070 mittlerweile auf ihre Art gelöst und große Teile der Erdoberfläche kurzerhand in eine Unterwasserlandschaft verwandelt. Abgesehen von der Erde neuer Kleider haben wir es hier aber immer noch unübersehbar mit einem Anno zu tun. Man kümmert sich nach wie vor hauptsächlich darum, die Bedürfnisse seiner Bewohner zu decken, um Wachstum zu gewährleisten, handelt und löst eher selten Mal einen militärischen Konflikt, der meist auf das eigene Handeln oder nicht Handeln zurückzuführen ist.

Die Kampagne besteht aus elf Missionen und ist unverändert eher ein ausgewalztes Tutorial, bei dem ihr in den ersten zwei Dritteln ein bisschen zu sehr hin und hergeschickt werdet, um für eure Kontaktpersonen den Laufburschen zu spielen: Zur Erledigung von Auftragszielen liefert ihr hauptsächlich Rohstoffe im Tausch gegen Items oder schlicht den Start der nächsten Etappe auf dem Weg zum Ende. Dazu ist die Geschichte ein wenig dröge inszeniert, Spannung kommt eigentlich erst gegen Ende ein wenig auf, als eine mächtige künstliche Intelligenz anscheinend versehentlich im HAL-9000-kompatiblen Modus gestartet wurde.

Den angepeilten Lerneffekt erzielt die locker 15 Stunden in Anspruch nehmende Geschichte aber sehr wohl und so könnt ihr bestens gerüstet in die sieben umfangreichen Szenarien oder den sehr angemessen getauften Endlosmodus starten. Neu ist, dass ihr vor jedem Einsatz in diesen beiden Modi eine Start-Fraktion wählt, wobei wir es hier weniger um Parteien oder Nationalitäten handelt, die sich gegenseitig ausschließen würden und zu der das jeweilige Gegenstück dann die Feind-Fraktion der folgenden Karte darstellt.

"Ist die ersten zwei Stufen lang noch alles in bester Ordnung, gerät die heile Welt mit der Ankunft der zweiten Fraktion schlagartig ein wenig in Schieflage."

Im Gegenteil, so sehr die Ecos und die Tycoons auch auf philosophischer Ebene divergieren - man denke an die Differenzen zwischen Grünen und der FDP - so besteht doch eure zentrale Aufgabe darin, diese beiden Geistesströmungen samt ihrer unterschiedlichen Wirtschaftskreisläufe wenn schon nicht in Einklang, dann zumindest auf eine Kompromiss-Ebene zu bringen, die eure Waren- und Handelskreisläufe nicht zum Erliegen bringt und zugleich keine Kriegserklärungen eurer Nachbarn provoziert. Ihr wählt also im Grunde nur euren Ausgangspunkt, bevor ihr mit Bevölkerungsstufe drei (von fünf) auch die Gebäude der zweiten Partei errichten dürft, was nicht nur neue Möglichkeiten, sondern auch Herausforderungen mit sich bringt.

So deckt etwa ein neues Atomkraftkraftwerk den Energiebedarf sehr viel effektiver als Windräder (die man hier ein bisschen unlogisch über die gesamte Karte verteilen muss, damit sie den optimalen Wirkungsgrad erreichen) sorgen aber in der Bevölkerungsschicht der Ecos für Unmut. Jede der beiden Fraktionen hat verschiedene Bedürfnisse und diese erfolgreich zu jonglieren, ist gerade im Endlosspiel das höchste der Gefühle.

Ist die ersten zwei Stufen lang noch alles in bester Ordnung, gerät die heile Welt mit der Ankunft der zweiten Fraktion schlagartig ein wenig in Schieflage. In Kleinarbeit errichtete Ernte-Kreisläufe geraten zum Beispiel durch eine negative Umweltbilanz und die damit verbundenen sauren Regenfälle und mangelnden Nährwerte des Bodens schnell komplett aus dem Tritt. Auf Bevölkerungsstufe fünf kommt mit den Techs gar noch eine weitere Partei hinzu. Die lässt euch neben einigen anderen Errungenschaften sogar auf dem Meeresboden weitersiedeln, was durch einen ansehnlichen Effekt visualisiert wird, wenn man mit dem Mausrad bis unter die Wasseroberfläche und wieder heraus zoomt.

Alexander Bohn-Elias Avatar
Alexander Bohn-Elias: Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

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