Anno 2070
Die Welt in 59 Jahren...
Woran denkt der deutsche Spieler, wenn er den Namen Anno hört? An wuselnde Männchen. An das europäische Mittelalter. An Handel, Kooperation und Entwicklung. Orient und Okzident. Und vielleicht auch noch an den etwas fragwürdigen Werbespot mit Sky Dumont... woran man aber sicherlich nicht denkt, sind rauchende Schornsteine, Ölpumpen, Schweinemastfarmen und Ölplattformen. Kein Wunder also, dass sich bei der ersten Vorstellung der neuen Anno-Episode erst ein wenig Bauchgrimmen breit macht. Folgt etwa der Deutschen liebstes Aufbauspiel jetzt auch dem immer noch vorherrschenden Trend in Richtung „grim & gritty"?
Aber nicht doch... die ersten Szenen aus Anno 2070, die uns Related Designs mit durchaus diebischer Freude zeigt, bilden natürlich nur ein Extrem ab. Ein Tastendruck und die Landschaft wandelt sich: Auf einmal schwenkt die Kamera über grüne Wiesen, stimmig in die Umgebung eingefügte Kraftwerke für erneuerbare Energien, herumstreunende Tiere... die vorherrschenden Farben hier sind Grün und Weiß, ein wenig wirkt die Umgebung wie der Traum eines jeden Utopisten – das perfekte Gegenstück zu den dystopischen Szenen, mit denen die Related-Entwickler die aufmerksamen Betrachter zunächst aus der Deckung holte.
Aber langsam, langsam... Anno 2070? Kraftwerke? Ölpumpen? Was hat das denn noch mit Anno zu tun? Produzent Chris Schmitz erklärt: „Einfach nochmal das Mittelalter aufwärmen und mit ein paar neuen Features garnieren, das wäre nach dem vierten Teil einfach nicht mehr genug gewesen. Das hätte sich am Ende vielleicht nur angefühlt wie ein Add-On. Wir wollten aber etwas Neues schaffen."
Nun, das hat Related Designs tatsächlich getan. Während die Grundlagen der Anno-Reihe erhalten bleiben, erfahren Setting und Design eine komplette Überarbeitung – wirft man nur einen flüchtigen Blick auf das Spiel, dann glaubt man seinen Augen kaum zu trauen. Da wird eine wuselige Stadt gezeigt, die mit ihrer futuristischen Architektur überrascht und trotzdem dank weiter, grüner Parkflächen einladend erscheint. Fliegende Autos schweben vorbei, die Menschen tummeln sich auf Balkonen und Dächern.
Dann wieder ein Szenenwechsel: Auf einem ausgemusterten Flugzeugträger sehen wir den florierenden Schwarzmarkt – da wird mit Waffen ebenso wie mit Vieh gehandelt und im Hangar läuft der Laderoboter aus Aliens herum. Dann wieder ein Schnitt: Wir sehen eine künstliche Forschungsinsel im Ozean, einen belebten Hafen und Ozongleiter, die mit ihren Emissionen die Ozonschicht reparieren.
All das wirkt oft etwas Science-Fiction-artig, basiert aber oft auf durchaus realistische Konzepten, die Related Designs gemeinsam mit bekannten Zukunftsforschern erarbeitet hat. Creative Director Dirk Riegert gibt offen zu: „Die schwebenden Autos sind natürlich reine Fiktion. Wahrscheinlich wird es die nicht in 60 und auch nicht in 100 Jahren geben. Aber manch ein weit exotischeres Konzept wie die künstliche, bewegliche Forschungsinsel oder auch der Ozongleiter könnte schon in absehbarer Zukunft Realität sein".
Ein gewisser Realismus ist Related Designs durch die Bank weg wichtig. Anno 2070 ist nicht Anno Star Trek oder Anno Blade Runner, sondern will eine mögliche Zukunft abbilden, die tatsächlich mal auf uns zukommen könnte, mit allen möglichen Vor- und Nachteilen. Science Fiction eben, aber im klassischen Sinne – Related Designs legt großen Wert auf darauf, dass diese Unterscheidung gemacht wird. Ja, Anno 2070 ist Science Fiction, aber nicht im Sinne moderner Weltraumopern, sondern tatsächlich als wissenschaftliche Fiktion von dem, was in naher Zukunft sein könnte.
Dabei wird es am Spieler liegen, wie sich die Welt entwickelt. Dirk Riegert erklärt, dass der Spieler auf keinen Fall mit dem erhobenen Zeigefinger in Richtung Nachhaltigkeit und erneuerbare Energien gedrückt werden soll, während pauschal fossile Energiequellen oder Atomenergie verteufelt werden. Das Spiel erlaubt die gnadenlose Entwicklung in beide Richtungen - und beide Richtungen haben ihre klaren Vor- und Nachteile.
Wer auf fossile Brennstoffe und Umwelt-Ausbeutung setzt, der wird schneller Erfolge für sich verbuchen, bekommt aber langfristig vielleicht Probleme mit manchen Energiearten. Auch der alleinige Fokus auf erneuerbare Energie ist nicht der alleinige Schlüssel zum Glück – den muss jeder Spieler für sich selbst finden. Sowohl effizient denkende Naturen als auch die von Related Designs selbst so bezeichneten „Schönbauer", denen es vor allem um die Wohnlichkeit ihrer Inseln geht, werden in Anno 2070 auf ihre Kosten kommen.
Tatsächlich kann hier dann manch ein Spieler zeigen, wie es um seinen Idealismus bestellt ist, wenn er selbst am Schalthebel sitzt. Irgendwie ist es ja doch ganz verlockend, ein paar Ölbohrinseln vor die Küste zu pflanzen anstatt sich mit Windrädern herum zu schlagen. Und wenn man den Anblick nicht mag... man kann ja auch ein Ölfeld vor der Küste einer anderen Nation anzapfen. Dann habt ihr den Gewinn und die anderen den Ärger, wenn die Sache dann doch einmal schief gehen sollte.
In einer Sache kommt euch das neue Anno sehr entgegen: Egal was passiert, alle Probleme sind umkehrbar. Eine gesunkene Bohrinsel, die in Wirklichkeit die Küste auf Jahre hinweg verseuchen würde, lässt sich mit etwas Arbeit ebenso reinigen wie eine durchindustrialisierte Umgebung – ist es euer Wille, dann könnt ihr auch die hässlichste, zugebauteste Insel mit etwas Arbeit in ein futuristisches Paradies verwandeln.