Skip to main content

Fünf Gründe, warum Bioshock Infinite nicht die jeden beeindrucken muss.

Das falsche Spiel in der falschen Story mit dem falschen Charakter (SPOILER!)

Dieser Artikel enthält massive Spoiler zu Bioshock Infinite, vor allem zum Ende und zur Auflösung. Wenn ihr das Spiel noch nicht durchgespielt habt und plant das zu tun, dann geht unbedingt und JETZT zurück, um etwas Anderes zu lesen. Ihr seid gewarnt.

BioShock ist eine ungewöhnliche Serie, derzeit wohl die einzige ihrer Art und vor all den Dingen, die ich jetzt sage, für die mich gefühlt die jeder wahrscheinlich mit Steinen oder zumindest Tomaten bewerfen möchte, lasst mich kurz loswerden, dass es immer noch eine sehr interessante Erfahrung bietet. Die Mischung aus Low-Steampunk-Tech mit den höchsten Stufen des SciFi ist eine brillante Idee. Nur: Es gibt ein paar sehr grundlegende Dinge, mit denen ich in BioShock Infinite nicht klarkam und die dafür sorgen, dass das Spiel mit unzufrieden zurückließ.

Es muss etwas zum Spielen geben, aber das hier scheint die Notlösung zu sein.

Ich habe schon häufiger gesagt, dass eine Story gut ist und das Spiel dazwischen konventionell, aber dass das auch ok ist. Ich habe ein Spiel gekauft, ich will etwas spielen, sei es nun auf Leute schießen oder was anderes. Nehmt Spec Ops: The Line. Dramatische Anti-Kriegs-Handlung, aufgebrochen in viele Szenen, dazwischen immer wieder lange Deckungsshooter-Sequenzen, denn der Deckungsshooter ist ein legitimes, anerkanntes Spiel, das viele Leute mögen. Man mag argumentieren, dass die Handlung ohne diese Sequenzen mehr Wucht hätte, ich würde wahrscheinlich zustimmen, aber prinzipiell passen Spiel und Handlung wenigstens zusammen. Das ist bei BioShock Infinite überhaupt nicht der Fall, jedenfalls nicht so, wie es umgesetzt ist.

Infinite ist grundsätzlich die Geschichte eines Mannes über seine eigene Wiedergutmachung vergangener Sünden. Diese waren unter anderem, dass er praktisch ein Kriegsverbrecher ist, der jede Menge Leute auf dem Schlachtfeld grausam tötete, weit über das Maß des Krieges hinaus. Er war ein Kriegsverbrecher, der mit diesen und anderen Sünden, in denen er brutal mordete, nicht mehr klarkam und nun eine Art Vergebung sucht.

Infinite ist grundsätzlich die Geschichte eines Mannes über seine eigene Wiedergutmachung vergangener Sünden.

Nach einer Stunde beginnt diese Vergebung damit, dass er Leuten mit einer Art Kreissäge das Gesicht abschneidet, sie ausweidet und dann auf gefühlt hundert Arten weit jenseits des „sauberen" Tötens aus dem Leben befördert. Die Figur Booker ist nach wenigen Stunden ein psychotischerer, blutdurchtränkterer und rundheraus brutalerer Killer als alle Mortal-Kombat-Figuren zusammen. Kaum ein Psychokiller aus dem Filmbereich kann da mithalten, man muss schon suchen, um einen Typen zu finden, der mal eben vier, fünf oder auch sechs Leute mit einer Säge bearbeitet, sie verbrennt und mit einer Schrotflinte niedermäht.

Ich habe kein Problem damit, dass ein Spiel so brutal ist, nur um das klar zu sagen, aber ich habe ein Problem damit, dass es dieses Spiel ist. Seine Morde und Verbrechen an Wounded Knee waren sicher grausig, aber im Gegensatz zu dem was er in Columbia tut, doch recht konventionell. Über die Vigors hat er nun ganz andere Möglichkeiten, indem er seine Feinde auch noch ohne Umwege den Krähen zum Fraß vorwerfen kann, sie wehrlos in der Luft als Zielscheiben aufhängt oder - mein Favorit - sie erst gegen ihre Freunde wendet und sie im Anschluss mit der eigenen Waffe zum Selbstmord zwingt. Wenn Booker danach noch schlafen kann, würde es mich wundern. Seine Träume davor waren wahrscheinlich Kinderlieder im Vergleich. Zugegeben, die Vocals waren die Schreie der Kinder, die er an Wounded Knee abmetzelte, aber trotzdem.

Dieser Grad der völlig sinnlosen Comic-Brutalität über alle Maßen hinaus hilft der Geschichte nicht, sondern torpediert sie von vorn bis hinten. Soll es zeigen, wozu Booker fähig ist? Vielleicht. Aber dazu wäre es in kleinen, gezielten Dosen weit effizienter gewesen. Als dann die Wounded Knee oder Boxeraufstand-Szenen in dem Museum kamen und zeigen sollten, was er für ein harter Hund ist, dachte ich nur noch: Na und? Ich hab die letzte Stunde allein tausend schlimmere Dinge getan und soll mich nicht so schlecht dabei fühlen. Also geh mir jetzt nicht damit auf den Kranz.

Lasst uns doch mal kurz spekulieren, ob es nicht besser zu Infinite gepasst hätte, es in das Korsett eines Dishonored zu packen und dem Spiel vielleicht sogar zwei verschiedene Enden zu geben.

Wie gesagt, ich weiß, es muss etwas zum Spielen geben, wenn man ein Spiel macht, aber BioShock Infinite traf meiner Meinung nach die denkbar schlechteste Wahl. Nehmt ein Catherine. Das war sich auch bewusst, dass es nicht nur aus interaktiven Zwischensequenzen bestehen kann, denkt euch jetzt aber, dass sie statt der Puzzle-Albträume einen gorigen Shooter mit halb nackten Frauen ohne Gesichter eingebaut hätten, die ihr wie in einem Zombiegesplatter reihenweise abmetzeln würdet. Es wäre sicher ein interessanter Trash-Faktor, aber es wäre kein guter Weg, um die Geschichte, die das Spiel erzählen möchte, loszuwerden.

Ich weiß, als Kritiker sollte man nicht erzählen, was ein Spiel machen sollte, dafür sollte man Spieldesigner werden. Aber lasst uns doch mal kurz spekulieren, ob es nicht besser zu Infinite gepasst hätte, es in das Korsett eines Dishonored zu packen und dem Spiel vielleicht sogar zwei verschiedene Enden zu geben. Das Letztere ist nicht schwierig, schließlich ist es eine Geschichte über unendliche Möglichkeiten in unendlich vielen Welten, also hätte der zweite Strang nur in einer etwas anderen Version enden müssen, mit einem Booker, der dann vielleicht wieder gezeigt zu einem erneut grausamen Mann wird. Aber es wäre dann zumindest eure Entscheidung gewesen ihn nicht zu erlösen, sondern ihn erneut als Psychoten herummarodieren zu lassen.

Dishonored ist eigentlich vom Aufbau kein anderes Spiel. Die Vigors sind dort die vom Outsider verliehenen, fast magischen Fertigkeiten, es gibt jede Menge Waffen und Chancen, sie einzusetzen, aber mit dem entscheidenden Unterschied, dass ich es nicht tun muss, sondern auf diesem Weg zeige, was für ein Charakter meine Spielfigur ist und so sein Schicksal und das des Mädchens, das ich beschützen soll - in Dishonoreds Fall die junge Kaiserin - beeinflusse. Dieses Konzept hätte perfekt zu BioShock Infinite gepasst.

So wie es hier war, empfand ich die ganze Zeit über eine künstliche Trennung von Spiel und Handlung, in der ich im Geiste immer das eine ignorieren musste, wenn ich gerade im anderen unterwegs war. Vor allem eben, weil durch das überbrutale Gameplay die Handlung für mich torpediert wurde.

Es ist kein sonderlich interessanter Shooter.

Den Shooter BioShock Infinite kann ich jetzt auch nur bedingt loben. Es spielt sich gut und flüssig, es ist kein schlechtes Gameplay, aber ich denke, dass es im Design sehr faul daherkommt. Insbesondere, wenn man bedenkt, von welchem Studio es kommt. BioShock hat zwar auch nicht die Welt revolutioniert, aber es steckten viele Ideen drin und es gab viele Möglichkeiten mit den verschiedenen Plasmiden herumzuspielen, weil eben auch die Umgebung viel dafür hergab.

In Infinite kennt man einen Teil der Vigors schon, weil sie nicht so viel anders sind, als die entsprechenden Plasmiden aus BioShock. Vor allem aber gab es nie groß einen Grund, zwischen den verschiedenen Arten zu wechseln. Ein Grund dafür ist eine ungünstige Entscheidung bei den Schnelltasten, auf die nur zwei Vigors gelegt werden können. Zu wechseln dauert drei Tastendrücke und zwei Sekunden, also nicht lange, aber es gab halt - mit Ausnahme der Abwechslung, halt mal was anderes zu tun - wenig Grund dafür.

Bisher ging es den meisten Leuten so, mit denen ich sprach - nicht allen! -, dass sie zwei Vigors hatten und damit praktisch das ganze Spiel bestritten. Dass die Vigors an sich nicht schlecht sind, merkt man daran, dass dies praktisch nie die gleichen Vigor-Kombinationen waren. Meine Eigene war Shock Jockey und vor allem Beherrschung. Mit den anderen spielte ich kurz rum, aber eigentlich war es immer einfacher, sich auf das zu konzentrieren, was man mag, und vor allem gut zu schießen. Es ist trotz dieser Ideen ein simpler Shooter und das ist nicht so wahnsinnig viel.

Dass die Vigors an sich nicht schlecht sind, merkt man daran, dass dies praktisch nie die gleichen Vigor-Kombinationen waren. Meine Eigene war Shock Jockey und vor allem Beherrschung.

Dazu kommt, dass das Ausbauen der Vigors über Geld keine gute Idee war. Ich hatte keine Lust zu jeder Mülltonne zu rennen, um jede Münze zu finden, es riss mich noch mehr aus dem Spielablauf und so reichte die Kohle zwar immer für Muni und auch für den Ausbau der Waffen, aber die Vigors aufzurüsten, war so teuer und nach zwei Versuchen auch so unspektakulär, dass ich mein Geld lieber für Anderes aufsparte. Hier wäre ein Erfahrungspunkte-System vielleicht sinnvoller gewesen, es hätte mich auch motiviert, andere Vigors zu steigern, die ich vielleicht in höheren Stufen dann lieber benutzt hätte, als meine Standard-Kombi. So oder so, Geld überall einsammeln zu müssen und dafür überall herumzukrebsen, halte ich in einem dramatischen Shooter für keine gute Idee.

Der Twist ist etwas zu offensichtlich.

Es klingt jetzt arrogant, wenn ich sage „ich sah es kommen". Und nein, ich sah den letzten Booker-Comstock-Twist nicht sofort. Erst dachte ich, dass der Twist, dass Elizabeth nicht (direkt) Comstocks Tochter ist, es schon wäre, aber als der recht früh aufgelöst wurde, sagte ich wenig später: Sie ist Bookers Tochter und Booker ist Comstock. Das oder Booker ist der Bruder der Dimensionsreisenden. Machte aber weniger Sinn, also hielt ich mich eher an Ersterem fest und wurde dann ja auch bestätigt. Zumindest der allgemeinen Theorie nach, ich hatte kürzlich noch eine andere gehört, die ganz interessant klang - wenn ich sie richtig verstand -, in der die Dimensionsreisenden in jeder Welt eine Figur wie Booker erschaffen, wenn sie gebraucht wird. Oder so, war noch in Arbeit, klang spannend, vielleicht hören wir eines Tages mehr davon.

Dass es unendliche Welten/Universen gibt und es nicht die gleiche ist, wie zum Beispiel BioShock - oder zumindest nicht zwangsläufig - war ebenfalls sehr schnell ersichtlich. Die Hinweise darauf waren vor allem durch die Musikeinsprengsel praktisch mit dem Hammer in das Hirn gedroschen. Schon als die Beach Boys in sehr lustiger Variation gespielt wurden, war dieser Punkt klar. Noch dazu heißt das Ganze Infinite, was mich aus irgendeinem Grund - fragt mich nicht warum, viele Comics lese ich nicht - an Crisis on Infinite Earths von DC oder Marvel - ich verwechsle die beiden ja eh immer, wie hier jeder aufmerksame Leser bestätigen kann - erinnerte. Paralleldimensionen, in denen alles möglich ist, sogar dass Superman böse und Metropolis mit einer Atombombe zerstört wird. Ja, auch das letzte DC-Prügelspiel bediente sich der Idee. Auch das war für mich jetzt nicht die große Überraschung, zumal das Thema im SciFi nun nicht erst seit gestern existiert, von den realen Debatten in der Welt der Quantenphysik-Forschung mal ganz abgesehen. Aber dazu gleich noch mal mehr.

Erst dachte ich, dass der Twist, dass Elizabeth nicht (direkt) Comstocks Tochter ist, es schon wäre, aber als der recht früh aufgelöst wurde, sagte ich wenig später: Sie ist Bookers Tochter und Booker ist Comstock.

Das Hauptproblem aber war, und das wird auch der Grund sein, warum ich sie kommen sah, dass es ein BioShock-Spiel ist. Die haben halt einen Twist, das ist Teil des Konzepts. Und wenn ich weiß, dass er kommt, dann fange ich an zu suchen und zu grübeln. Der Twist hier war perfekt aufgebaut, mit all seinen Hinweisen und Anspielungen und das war am Ende dann auch sein „Untergang", zumindest und wie immer hier noch mal deutlich erwähnt: für mich. Als es dann kam, war es wundervoll inszeniert, es gab fantastische Bilder und als solche habe ich sie genossen. Aber ich kann jetzt leider beim besten Willen nicht sagen, dass ich gebannt oder gar völlig überrumpelt und „mindblown" davor saß und die ganze Zeit „Was zur Hölle! Wie geil ist das denn!" murmelte.

Ich mag Filme wie Jakob's Ladder, The Others oder Sixth Sense und ähnliche, ich freue mich, so etwas auch in Spielen zu sehen, aber persönlich bevorzuge ich das Mysterium, das nicht immer gelöst sein muss. Bisher ist beispielsweise ein Alan Wake so etwas, das ja sogar zitiert, dass das beste Mysterium eben das ist, das nie aufgelöst wird. Ob Alan Wake noch aufgelöst wird oder nicht, werden wir sehen, aber ich meine damit auch eher Dinge wie die Lynch-Filme. Ein Lost Highway kann ich heute noch sehen, obwohl ich das schon ein halbes Dutzend Mal tat und inzwischen eine für mich recht gefestigte Theorie habe, was dort passiert, aber die hat eben jeder und sie weichen drastisch ab, weil der Film eben keine Lösung vorgibt. Er ist ein Buch mit sieben Sigeln, verpackt in ein Enigma und mit Schleife, er will interpretiert werden. Da er auch genug Material dafür bietet, ist er wie ein gutes Gemälde oder anderes Kunstwerk. Der Künstler hatte sicher seine Gedanken und seine Intention, aber in den wenigsten Fällen verrät er sie direkt und lässt sein Werk und den Betrachter miteinander interagieren, auf dass sie zu einer füreinander befriedigenden Lösung kommen mögen oder auch nicht. Das wäre ein BioShock, das ich gerne gesehen hätte. Aber der Twist ist ja auch nicht schlecht.

Unendlich viele Universen ergeben (fast) nie eine gute Geschichte.

So, Zeit für meinen Hauptgrund, warum mich die Handlung am Ende unbefriedigt zurückließ: unendlich viele Universen. Hypertime. Wie auch immer man es nennen will, welcher Sci-Fi-Idee oder Real-Welt-Theorie dabei man auch genau folgen möchte, ich denke, dass es ein interessantes Gedankenspiel abgibt oder eben ein unendlich komplexes Forschungsfeld, aber als Mittel für eine Geschichte ist es furchtbar.

Es gibt unendlich parallele Universen, immer eines für jede mögliche noch so kleine Entscheidung. Große Entscheidungen beeinflussen das Universum stark, ein billiges wie plastisches Beispiel wäre ein Universum, in dem Hitler tut, was er tat und ein anderes, in dem er sich entscheidet, dass Postkartenmalen ein viel besserer Job sei, dass man über den Krieg einfach hinwegkommen muss und nie der Führer wird. Die Entscheidung, dass ich jetzt noch nicht aufstehe, um einkaufen zu gehen, sondern diese Zeilen einfach weiterschreibe, dürfte weniger weitreichende Konsequenzen haben und demnach dürfte dieses Universum, indem ich eben aufstand, um einkaufen zu gehen, unserem sehr ähnlich sein.

Soweit, so gut. Das Problem für mich ist, dass damit jede Geschichte, die nicht die Universen in all ihrer Unendlichkeit betrifft, automatisch irrelevant klein wird. Ja, am Ende haben wir Booker „geläutert", die Comstock-Episode wird nie passieren, Glückwunsch.

Na und?

In unendlich vielen weiteren Universen ist sie eh nie passiert, vielleicht weil Booker schon an Wounded Knee starb oder weshalb auch immer. Unendlich Universen sind nicht einmal mit unseren vergleichbar, weil sie sich vollkommen anders vom Start weg entwickelten. Ja, es betrifft die Leute, die in diesen spezifischen Universen leben, für sie wird Elizabeth nicht als grausiger Rachenengel New York bombardieren, das ist doch was, kann man sagen. In unendlich anderen Universen jedoch gibt es vielleicht nicht mal ein New York zu bombardieren, weil in der Kubakrise sich jemand entschied, doch die Bomben zu zünden. In diesen Welten tauchen die „Eroberer" von Columbia auf, um die Zivilisation neu aufzubauen und die Menschheit zu retten. Kein schlechte Sache, oder? Mit unendlich Möglichkeiten ist plötzlich alles möglich und gleichzeitig wird alles irrelevant. Jede Geschichte verkommt zu einem Fragment eines Tropfens in einem Ozean.

In diesen Welten tauchen die „Eroberer" von Columbia auf, um die Zivilisation neu aufzubauen und die Menschheit zu retten. Kein schlechte Sache, oder?

Klar kann man sagen, dass ja jede Geschichte nur der Teil einer viel Größeren ist und das ist auch der Punkt, den BioShock Infinite zum Schluss machen möchte, aber eine Geschichte hat auf eine Welt oder ein Universum viel mehr Einfluss, wenn es nur eine oder eines davon gibt. Ansonsten fühlt es sich für mich nach nicht viel an, was wir gerade getan haben. Und hätte Booker am Ende die Erde gesprengt. Na und? Es gibt unendlich mehr davon, wo die herkam.

Unendliche, parallele Universen ist für mich als Element des Geschichtenerzählens kaum mehr als das, was früher „es war alles nur ein Traum" war. Eine billige Ausrede.

Haben wir Anna / Elizabeth denn wirklich gerettet?

Wir wissen, dass Booker, bevor er auf seine Läuterungsreise geht, kein netter Mensch ist. Er hat Kriegsverbrechen begangen, Frauen und Kinder auf grausige Art umgebracht, er hat angefangen zu trinken, um zu vergessen, er hat seine Tochter verkauft, um seine Spielschulden zu bezahlen. Lasst mich das noch mal wiederholen: ER HAT SEINE EIGENE TOCHTER VERKAUFT, UM SEINE SPIELSCHULDEN ZU BEZAHLEN!! Wer tut all diese Dinge vereint in einer einzelnen Person? Der Typ ist nur noch formal ein Mensch, er ist ein Monster, Gewissensbisse hin oder her.

Und das ist genau die Person, mit der wir Anna / Elizabeth am Ende des Spiels zurücklassen. Wir sehen noch einmal, wie er in seiner siffigen Bude haust, heruntergekommen, pleite und kein Stück weiser und in das Zimmer geht, wo seine Tochter liegt. Ihr könntet jetzt sagen: Er ist doch weiser geworden. Er hat Comstock gesehen, was aus ihm wurde und sich entschlossen, dass Booker/Comstock sterben muss. Es hängt jetzt davon ab, wie ihr das Erwachen zum Schluss interpretiert. Meine Version lautet so: zurück auf Anfang. Er hat seine Tochter nie verkauft, weil die Comstock-Zeitlinien nicht mehr existieren. Es kommt keiner, der ihm dieses Angebot macht, also hat sich nicht geändert. Er kennt diese Zeitlinien auch nicht, er kann nicht von dem wissen, was er getan hat, sei es als Comstock oder der Booker, der auf dem Weg der Läuterung ist. Woher? Nichts davon ist je passiert. Es steht kein besserer Mann als zu Beginn von diesem Tisch auf, es geht ein Monster in das Kinderzimmer.

Er ist doch weiser geworden. Er hat Comstock gesehen, was aus ihm wurde und sich entschlossen, dass Booker/Comstock sterben muss.

Wenn jetzt jemand sagt, dass Booker ja wüsste, was passiert ist und dass er geläutert sei, durch das, was wir im Spiel erlebt haben, würde ich gerne wissen woher. Wie kann er von etwas wissen, das nie passiert ist? Ich frage das wirklich, wenn jemand eine gute Erklärung hat, warum dieser Booker ganz zum Ende ein besserer Mensch sein soll, als der abgefuckte, brutale, versoffene Loser, den wir zu Beginn haben, dann möchte ich sie wirklich gerne hören und lasse dann auch gerne diesen Punkt fallen.

Aber dahin habe ich das Gefühl, dass ich nur eine Katastrophe verhindert habe, um die nächste, vielleicht nicht ganz so große heraufzubeschwören. Es gibt sicher ein paar Universen, wo er von diesem Tisch aufsteht, um erst seine Tochter und dann sich selbst zu töten. Da kann ich mich nur damit trösten, dass es sicher auch ein paar Welten gibt, auf denen er aufsteht, Anna sieht, sein Leben überdenkt und alles danach gut wird.

Tja, BioShock Infinite ... was soll ich sagen ...

Erst einmal: Ich habe keine Sekunde bereut, es gespielt zu haben, denn jedes Spiel, dass mich anregt mir so viele Gedanken zu machen, hat schon etwas richtig gemacht. Es ist definitiv keines, bei dem ich sage, dass es halt ein netter Shooter ist und den Haken dahinter setze, sondern eines, über das ich mich lange darüber aufregen kann, dass es eben "nur" ein netter Shooter ist. Das Design der Welt ist phänomenal, die Stimmung ist meist sehr gut umgesetzt, gerade die Auftritte der Geschwister Lutece sind großartig. Das Spiel an sich macht schon Spaß, auch wenn ich es hier für fehlplatziert halte. Spielt es, es gibt nicht viele wie dieses. Aber aus den nun ausführlich dargelegten Gründen ist es für mich ein sehr roher Rohdiamant.

Ich bin mir sicher, dass ich damit in der Mindermeinung bin, vielleicht sehe ich das auch alles zu eng, aber ich glaube, dass gerade so ein gesegnetes Team, das seine Geschichten so gut aufbauen kann - selbst wenn ich mit einem Teil der Idee nicht warm werde - auch den Mut haben sollte, dazu das passende, weit ambitioniertere Spiel abzuliefern. Und auch noch mal über einige Implikationen und Inhalte der Geschichte nachzudenken.

Ich bin froh, dass ich es gespielt habe. Ich würde jedem raten, es einmal zu spielen. Es ist immer noch weit ambitionierter als viele andere Triple-A-Produktionen, ohne Frage. Ich kann auch einen Artikel über 5 Dinge schreiben, warum man es spielen sollte. Aber selbst wenn diese Fünf als Empfehlung für das Spiel reichen - was sie tun - wiegen sie am Ende aus meiner Sicht nicht diese fünf Gründe auf, warum ich am Ende von BioShock Infinite unzufrieden die Konsole abschaltete.

Schon gelesen?

Martin Woger Avatar
Martin Woger: Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.
In diesem artikel

BioShock Infinite

PS3, Xbox 360, PC, Mac

Verwandte Themen