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Achievements - Was motiviert die Punktejäger?

Auf der Suche nach dem Sinn.

Vor einigen Wochen erschien ein kurzer Beitrag von Jimmy Kimmel zum gigantischen Let's-Play-Phänomen. Darin belächelte der 47-jährige Late-Night-Host das Verhalten von Millionen Menschen, die ihre Freizeit gerne damit verbringen, anderen Leuten beim Spielen zuzusehen. Das um diesen Beitrag herum angesammelte Drama ist mir ziemlich egal, jedoch ist es ein Paradebeispiel für die öffentliche Wahrnehmung verschiedener Videospiel-Subkulturen. Obwohl ich die peinlichen Reaktionen der beleidigten Zuschauer verabscheue, kann ich ihren Frust dennoch nachvollziehen. Auch ich gehöre einer speziellen Gruppierung von Spielern an und musste mir daher öfters Predigten anhören, warum meine Zeitinvestition vollkommener Verschwendung gleicht.

Worum es sich hierbei handelt? Das sollte ziemlich offensichtlich sein, sobald man nur einen flüchtigen Blick auf mein Xbox-Live-Konto wirft. Während ich diese Zeilen schreibe, befinden sich 471.142 Gamescore auf dem Account. Falls ihr damit nichts anfangen könnt und auch die Einführung ähnlich funktionierender Systeme auf Steam oder PlayStation-Konsolen verpasst habt, lasst mich kurz das Konzept von Achievements erklären. Seit dem Start der Xbox 360 Ende 2005 muss jedes im Handel veröffentlichte Spiel für die Konsole 1.000 Punkte Gamerscore mitbringen. Diese Punkte verteilen sich auf Dutzende Herausforderungen, sogenannte Achievements. Erfüllt ihr eine dieser Aufgaben, wird der damit verbundene Gamerscore eurem Gesamtpunktestand gutgeschrieben.

Aber wozu das Ganze? Wieso investiert man Tausende Stunden in das Absolvieren arbiträrer Voraussetzungen? Wieso kaufen sich viele Leute sogar schlechte Spiele, nur um schneller das eigene Konto zu füllen? Auf diese Fragen gibt es keine passenden oder sogar logischen Antworten, aber ich möchte das Phänomen Achievements dennoch näher untersuchen und so die verschiedenen Motivationen der fanatischen Sammler besser herausarbeiten. Schließlich gehöre ich ebenfalls dazu und muss gestehen, diverse Katastrophen wie My Horse & Me 2 oder Hannah Montanna: The Movie Game nur wegen ihres Gamerscores gespielt zu haben.

Im Gegensatz zu Achievements und Trophäen sind Steam-Erfolge weniger beliebt. Wahrscheinlich, da sie nicht in eine Punktezahl oder einen Level zusammengerechnet werden.

„Achievements sind für mich ein eigenes Spiel", verrät Xbox-Live-Nutzer smrnov in einem kurzen Gespräch. „Ich meine, früher habe ich Zeit in der Spielhalle verbracht, um dort den Highscore zu schlagen oder eine neue Bestzeit zu erreichen. Meinen Gamerscore betrachte ich ähnlich. Ein auf das gesamte System übertragbarer Highscore, der alle meine Errungenschaften kombiniert. Das allein auf einzelne Spiele zu reduzieren, halte ich für falsch. Ich spiele praktisch alles und ja, da gehören eben auch schlechte Titel dazu."

smrnov erreichte im vergangenen Jahr als zweite Person weltweit einen Gamerscore von 1 Million und hat dafür unter anderem „Klassiker" wie Leisure Suit Larry: Box Office Bust oder Man vs. Wild komplettiert. „Natürlich machen mir solche Spiele keinen Spaß. Aber es fühlt sich trotzdem gut an, sie abzuschließen und alle Punkte aus ihnen herauszuholen. Ich weiß, dass die meisten Leute das nicht verstehen. Doch solange mir die Jagd Freude bereitet, werde ich damit nicht aufhören."

„Meine Frau hat überhaupt nichts gegen mein Hobby", erzählt er, nachdem ich ihn auf seine Familie anspreche. „In vielen Fällen ist sie sogar mein Koop-Partner und auch meiner Tochter gefällt es, wenn ich mit ihr Sachen wie Skylanders spiele. Viele sehen nur meinen immensen Gamerscore und denken direkt, ich würde alleine im Keller meiner Eltern leben. Sicherlich verbringe ich sehr viel Zeit mit Achievements, aber sowohl meine Familie als auch mein Job haben Vorrang."

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Nicht nur smrnov hat öfters mit negativen Anschuldigungen zu kämpfen. Als Besitzer des größten Gamerscores ist Stallion83 gerne die Zielscheibe für unüberlegte Beschimpfungen. „Mittlerweile blende ich den Mist einfach aus", sagt er mit leichter Erschöpfung in der Stimme. „Es ist einfach, sich auf die Hater zu konzentrieren und nur noch die bösartigen Nachrichten zu lesen. Man darf so etwas aber nicht an sich heranlassen. Immerhin besteht der Großteil an Kommentaren aus positiven Zurufen. Beispielsweise habe ich im März 2014 als Erster weltweit die 1-Million-Grenze geknackt und kriege selbst heute noch Gratulationen für diese Leistung. Das motiviert mich sehr."

Stallion gehört zu den wenigen Leuten, die ihr Hobby zum Beruf machen konnten. „Mein Einkommen verdiene ich aktuell zum Großteil über Twitch und ich könnte mir keinen besseren Job vorstellen. Es ist großartig! Ich kann permanent mit meinen Zuschauern interagieren und ihnen die neusten Spiele vorstellen oder zusammen mit ihnen leiden, wenn ich an einer besonders harten Herausforderung verzweifele."

Aber warum genau investiert Stallion die meiste Zeit des Tages mit dem Freischalten von Achievements? „Ehrlich gesagt habe ich nie zu sehr darüber nachgedacht", gesteht er. „Es macht mir einfach Spaß, der steigenden Punktezahl zuzusehen. Vor dem Kauf meiner Xbox 360 hatte ich nie von Achievements gehört. Mein erster Erfolg ploppte nach einer kurzen Runde Hexic HD auf. Ich hatte keine Ahnung, worum plötzlich eine Meldung erschien. Ein paar Tage später hatte ich dann bereits meine ersten 1.000 Punkte. Danach waren es plötzlich 10.000. Ich wollte sehen, wie weit ich kommen könnte und spätestens bei 100.000 fasste ich den Entschluss, als erster Spieler die Million-Marke zu knacken."

Doch nicht jeder Sammler will einfach nur die größte Punktzahl erreichen. Manche Spieler wollen beispielsweise jeden Titel zu 100 Prozent abschließen, bevor sie zum nächsten Spiel übergehen. „Ich bin eben ein Perfektionist", verrät DDShadow88. „Schon damals auf der ersten PlayStation habe ich wirklich alles in Final Fantasy VII gemacht und jede Herausforderung in Crash Bandicoot gemeistert. Nur ist es doch viel schöner, wenn man dafür eine kleine Anerkennung bekommt, oder nicht? Etwas, auf das ich immer mal wieder zurückblicken kann. Natürlich hilft es auch gut als Beweis, falls jemand nicht glauben sollte, dass ich tatsächlich alle Achievements in Catherine oder Ninja Gaiden 2 geholt habe."

Ein Spiel, das nur für seinen leichten Gamerscore bekannt ist: Avatar: The Burning Earth. 1.000 Punkte erhält man hier innerhalb der ersten fünf Minuten.

Dieser Drang zum Komplettieren kann allerdings ganz schön anstrengend sein. „Manchmal würde ich gerne einen Titel von meinem Account löschen", gesteht er lachend. „Zuletzt habe ich Cloudberry Kingdom beendet. Allein für die letzten beiden Level habe ich über 50 Stunden Training benötigt, da man fast pixelgenaue Sprünge ausführen muss. Lange Zeit galt das letzte Achievement für den Abschluss der Kampagne sogar als unmöglich. Da hätte ich am liebsten das Handtuch geworfen. Und obwohl ich meinen Controller fast mehrmals gegen die Wand geschmissen habe, war das Gefühl nach dem Abschluss unvorstellbar. Genau dafür mache ich es."

Ein Großteil der Community ist auf Webseiten wie TrueAchievements angemeldet. Sie dienen zum praktischen Überblick der eigenen Erfolge und bieten für jede erdenkliche Kategorie eine separate Rangliste. Ein gewisses Kräftemessen mit der restlichen Welt gehört für die meisten Leute dazu. „Ehrlich gesagt, habe ich sie zuerst gar nicht wahrgenommen", verrät Jan 0. „Nachdem ich dann mein erstes Xbox-Live-Arcade-Spiel Wik: Fable of Souls komplettiert hatte, war es einfach ein super Gefühl, es auf meinem Account zu sehen und anderen zeigen zu können. Etwas später habe ich dann zufällig auf der Seite Mygamercard entdeckt, dass ich in Deutschland auf Platz 2 der Rangliste für XBLA-Spiele war. Das hat die Motivation noch einmal hochgeschraubt."

„Ohne solche Seiten wie TrueAchievements oder XboxAchievements hätte ich schon längst mit dem Sammeln aufgehört oder es weniger fanatisch verfolgt", erklärt Swinny Costello. „Besonders auf TrueAchievements werden viele Turniere abgehalten und die Ranglisten motivieren mich sehr. Gerade versuche ich, die meisten Punkte für Rollenspiele zu ergattern. Es ist mein favorisiertes Genre und ohne meine Achievement-Sucht wäre ich nie auf einige großartige Titel gestoßen. Dark Souls habe ich nur ausprobiert, weil es auf TrueAchievements zu den Rollenspielen zählt und jetzt ist es für mich eines der besten Spiele aller Zeiten."

Diesen Standpunkt kann ich persönlich sehr gut nachvollziehen. Meine mittlerweile stark ausgeprägte Liebe für diverse Trash-Titel habe ich ebenso Achievements zu verdanken. Vor dem Kauf meiner Xbox 360 habe ich äußerst selten Spiele gekauft, die keine hohen Wertungen bekamen. Erst die Punktejagd trieb mich zu neuen Genres oder unbekannten Machwerken, die ich ansonsten wohl niemals angefasst hätte. Ja, Achievements haben mein Spielverhalten maßgeblich beeinflusst, was ich in diesem Fall jedoch sehr begrüße.

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Zudem entdeckte ich meine Freude an härteren Schwierigkeitsgraden und wie viel Spaß es bereitet, sich tief in die Mechaniken eines Spiels einzuarbeiten. Damit bin ich kein Einzelfall. „Früher habe ich jeden Titel auf Leicht gestellt und nie mehr als einmal durchgespielt", berichtet Gepardi. „Nimm als Beispiel Devil May Cry. Die PS2-Fassung habe ich nicht einmal durchgespielt, weil es mir selbst auf dem untersten Schwierigkeitsgrad zu hart wurde. Dagegen habe ich in der HD-Collection alle Achievements geholt. Die Erfahrung war dieses Mal fantastisch, weil ich alle Feinheiten gelernt habe. Ich habe dadurch eine vollkommen neue Anerkennung für diese Meisterwerke gefunden."

Eine ähnliche Erweiterung der Spielerfahrung erfolgt für viele durch äußerst kreative Aufgaben. „Zu den besten Achievements gehören verrückte Aufgaben, wie der Gartenzwerg aus Half Life 2", berichtet cra x360a. „Der Spaß besteht darin, Dinge zu probieren, die etwas abseits des normalen Gameplays liegen. Dadurch versucht man auf einmal, das Spiel auf eine ungeahnte Weise durchzuspielen. Außerdem erhöhen die Entwickler so die Langzeitmotivation, was den Wert eines Spiels in meinen Augen anhebt."

Allerdings haben nicht alle Spieler ausschließlich positive Erfahrungen mit dem Achievementsystem gemacht. „Ich war wirklich süchtig", erzählt mir ein Xbox-Live-Nutzer, der seinen Gamertag anonym halten will. „Die Spiele standen nicht länger im Vordergrund. Ich wollte bloß noch diese verdammten Punkte und habe ausschließlich Dreck gezockt, der mir absolut keinen Spaß machte."

Hier verabreden sich wildfremde Leute zur gemeinsamen Punktejagd.

Die Folge war schlussendlich ein absoluter Spiele-Burnout. „Ich musste mich distanzieren", gesteht er. „Mir fiel auf, dass ich keine Freude mehr an meinem liebsten Hobby hatte. Also konzentrierte ich mich für ein paar Wochen auf andere Dinge, bis ich wieder Lust verspürte. Selbst dann widmete ich mich hauptsächlich meinem DS, auf dem kein Belohnungssystem existiert. Es war erfrischend, sich allein auf die Spiele zu konzentrieren, ohne ständig an Punkte denken zu müssen. Mittlerweile spiele ich auf meiner Xbox One ausschließlich Titel, die mich interessieren. Achievements sammele ich weiterhin, aber es gefällt mir so wesentlich besser. In der Zeit, in der ich The Witcher 3 komplettiert habe, hätte ich damals über 10.000 Gamerscore anhäufen können. Jedoch bedeuten mir die 1.000 Punkte in The Witcher 3 wesentlich mehr. Ich denke, jeder muss für sich selbst den richtigen Umgang mit Achievements finden."

Mit diesem Satz trifft er Nagel auf den Kopf. Ich würde Achievements nicht gerade als eine bedeutsame Bereicherung für das Medium Videospiele bezeichnen, gerade weil sie die Gefahr bergen, den Nutzer auf so etwas wie einen falschen Pfad zu führen. Das reine Jagen der Punkte ist nicht der Sinn der Sache. Aber durch sie neue Facetten von Spielen zu entdecken oder tiefer in das Verständnis der Mechaniken getrieben zu werden, genau dann zeigen sie ihre Stärke. Außerhalb davon ist die Bildung einer fantastischen Community nicht zu verachten. Ich selbst habe großartige Bekannt- und sogar Freundschaften geschlossen, weil ich beispielsweise einen Kooppartner für diverse Multiplayer-Erfolge gesucht habe.

Man muss sie nicht mögen. Genau wie man sich natürlich auch keine Let's Plays auf YouTube anschauen muss, kann man auch Achievements auf Wunsch komplett ignorieren. Trotzdem sollte man diese Subkulturen nicht direkt verachten, nur weil das persönliche Verständnis dafür fehlt. Achievements haben ihren verdienten Platz in der Industrie und können, richtig eingesetzt, die Spielerfahrung verbessern. Selbst wenn es nur das nostalgisch warme Gefühl ist, den eigenen Spielverlauf wie ein Bilderalbum durchzustöbern und sich an die frustrierende Zeit zu erinnern, als Gordon Freeman verzweifelt einen Gartenzwerg durch postapokalyptische Landschaften trug.

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