Zum Erfolg verdammt: Aufstieg und Fall der Lionhead Studios
Wenn ein Hit-Franchise ein Unternehmen ruiniert.
20 Jahre wäre Lionhead dieses Jahr alt geworden. Jetzt sieht alles danach aus, als würde Microsoft eines seiner bekanntesten Spielestudios schließen. Oder wie soll man das sonst verstehen, wenn der Eigner das bereits in der Beta befindliche größte Projekt des Entwicklers einstellt und "mit den Angestellten eine vorgeschlagene Schließung diskutiert"? Es ist immer tragisch und traurig, wenn so etwas passiert. Und den Namen von Peter Molyneuxs ehemaliger Werkstätte als Gegenstand einer solchen Meldung zu lesen, schockiert alleine aus Tradition schon. Aber ist man wirklich überrascht?
Tatsächlich war der Niedergang schleichend, aber stetig. Man hörte zwar durchaus Gutes von Spielern der Fable-Legends-Beta. Aber alles andere, was seit einschließlich 2012 erschien, erweckte vor allem einen Eindruck: Irgendwas stimmt nicht mehr in Guildford. Ein Studio, das mit so viel - wenn auch nicht immer erfolgreicher - kreativer Sprengkraft begann, war nur noch ein Schatten seiner selbst. In einer ewigen, sich immer träger windenden Pirouette rund um seine erfolgreichste Marke herum gingen Esprit, Energie und schließlich Schlüsselpersonal verloren. Was gestern sein voraussichtliches Ende fand, war das überhaupt noch Lionhead?
Lionhead - das war ursprünglich mal eine Trotzreaktion auf EAs Kauf und Kommerzialisierung des legendären Studios Bullfrog (Syndicate, Magic Carpet). Peter Molyneux wollte 1996 wieder sein eigener Boss sein, experimentelle Spiele machen. Unterstützung fand er bei Games-Workshop-Mitbegründer und dem vorübergehendem Videospieljournalist Steve Jackson, den er im Rahmen eines Interviews kennen gelernt hatte. Bullfrog-Urgestein Mark Webley steuerte neben Produktions- und Programmiererfahrung noch den Namen bei, der angeblich auf seinen kurzlebigen Hamster zurückgeht. Und Tim Rance, ein EA-Weggefährte Molyneuxs, übernahm die technische Leitung des Studios.
In den Anfangstagen drehte sich recht schnell alles um ein neues Gottspiel vom Erfinder des Genres selbst. Bis Black & White erscheinen sollte, würden allerdings einige belebte Jahre ins Land gehen. Und warum auch nicht? Die hoch interaktive Weltsimulation brüstete sich mit großer Anfassbarkeit und einem tierischen Assistenten, der von euch lernen sollte und sein Äußeres veränderte, je nachdem, ob ihr ein guter oder böser Gott sein wolltet. Nun, Black & White wurde mit seinem Erscheinen 2001 nicht Molyneuxs "bestens Spiel überhaupt", wie der Gute selbst hoffte. Bei Weitem nicht. Aber es war eines der interessantesten des Jahres. Nicht alles funktionierte - allen voran war das putzige Tierchen einfach nicht zuverlässig genug und die Bedienung viel zu fummelig. Aber es machte trotzdem Spaß, in diesem ambitionierten Sandkasten herumzustochern, weil er voller cleverer und lustiger Einfälle steckte.
Dennoch sollte sich der Hype um das Projekt recht bald legen, nur um einem Spiel Platz zu machen, das in Gamer-Kreisen recht bald als "Zelda für die Xbox" gehandelt wurde. Und diesmal trug Molyneux richtig dick auf. Dabei war Fable eigentlich gar nicht sein Spiel, was man heute oft vergisst, sondern das der Brüder Dene und Simon Carter, ebenfalls ehemaliges Bullfrog-Personal, das seinerzeit an Magic Carpet und Dungeon Keeper beteiligt war. Die beiden machten sich mit ihrem eigenen Studio namens Big Blue Box selbstständig. Aber man stand sich noch immer nahe, weshalb die Carters die Anfänge von Fable - damals noch unter dem Codenamen WishWorld, dann Project Ego (der prominent durch die Presse geisterte) - in einem Zimmer in Molyneuxs Haus entwickelten. Der beschloss, ein System an "Satellitenstudios" einzurichten, die mit Lionheads Unterstützung und Expertise in Ruhe an ihren Titeln arbeiten können sollten.
Ein weiteres Satellitenteam: Intrepid, dessen prähistorisches Überlebensspiel BC mit aufwendiger Technik und wegweisenden Konzepten schon früh hohe Wellen schlug. Molyneux war Sprachrohr für beide Titel und maßgeblich daran beteiligt, dass die Erwartungen an sie ins Unermessliche wuchsen. In Fable sollten fallengelassene Eicheln über die Jahre zu Bäumen heranwachsen, der Held sollte Kinder zeugen, die wichtig für den weiteren Verlauf des Abenteuers sein sollten. BC sollte die Evolution der Menschen nachzeichnen und den Triumph über andere Spezies zum Spielinhalt einer offenen Welt mit eigener Nahrungskette haben. Selbst Lawinen sollte man auslösen können, um Feinde darunter zu begraben. Zu weiten Teilen sind das Features, die selbst heute, zwölf Jahre nachdem BC eingestellt wurde, noch zu ambitioniert klingen, um wahr zu sein. Aber diesem Mann glaubte man nur zu gerne, vergaß immer bereitwillig, dass er schon im Vorfeld von Syndicate davon sprach, jeder der Zivilisten in der Welt hätte einen eigenen Job.
Als Fable 2004 erschien, war die Idee des Satellitensystems passé, Big Blue Box komplett in Lionhead aufgegangen und Molyneuxs Firma nicht mehr ganz unabhängig. Eine Reihe Investoren hatte dem Studio, dessen Tendenz, immer etwas länger für seine Spiele zu brauchen, eine dringend benötigte Finanzspritze verpasst. Immerhin: Fable erhielt allgemeines Lob von der Presse, auch wenn allseits Diskrepanzen zwischen den Versprechungen und dem tatsächlichen Spiel festgestellt wurden. Jahre später gestand Molyneux selbst, "diese eine Zeile [mit der Eichel - d. Red.] war es, die die Wahrnehmung der Leute von mir veränderte". Aber es war eher das gesamte Bild, das die Welt im Vorfeld anhand seiner Äußerungen von dem Spiel gewonnen hatte. Mit dem fertigen Produkt wollte es nicht zusammenpassen, was Molyneuxs Ruf als Aufschneider endgültig zementierte. Fable wirkte kleiner, einfacher gestrickt, auch wenn hier erneut das Abwägen zwischen guter und böser Spielweise und viele kleine, lustige Kniffe reichlich Spielfreude versprühten.
Immerhin, der Gedanke, einst so dröge RPG-Regelwerke massentauglich-unterhaltsam zu verpacken und Moralsysteme zu veranschaulichen, war einer, der mit vielen anderen Entwicklern später zügig davongaloppieren sollte. Noch heute dominiert die Ver-Rollenspielung aller möglichen Genres und Moralsysteme sind allgegenwärtiger denn je. Zumindest in dieser Hinsicht war Fable seiner Zeit voraus. Aber das half damals freilich noch nichts. Der Zauber war ein Stück weit verflogen, BC und eine Kollaboration mit Jeff Minter an einem Titel namens Unity wurden eingestellt. Und alles, was nach Fable kommen sollte, wurde erst einmal skeptischer betrachtet.
Als Black & White 2 2005 komplett ohne Hype erschien, machte es vieles besser als sein Vorgänger, ließ aber Herz, Experimentierfreude und Politur vermissen. In dem Moment war im Grunde klar, dass es mit der einstmals so heiß gehandelten Marke wohl nicht weitergehen würde. Sowohl der Gottspiel-Nachfolger als auch die dritte und letzte neue Marke, die Lionhead jemals herausbringen sollte - die Management-Sim The Movies, deren Grundgedanke man in der heutigen Spielelandschaft durchaus noch mal hätte aufgreifen dürfen -, erwiesen sich entweder als auf Nummer sicher gedacht oder erstaunlich konventionell. Man durfte sich durchaus fragen, ob die Investoren auf diesen Titeln in irgendeiner Form den Daumen drauf hatten oder ob sich Molyneux einfach nur mit den üblicherweise gewohnten enthusiastischen Versprechungen zurückhielt.
Keines dieser beiden Spiele war jedenfalls massiv erfolgreich, weshalb es sich Microsoft 2006 nicht nehmen ließ, sich das sehr erfolgreiche Fable-Franchise mit einer Übernahme von Lionhead als Xbox-360-Aushängeschild zu sichern. Das wirkte durchaus befreiend und Molyneux begann, von Features zu sprechen, die auch tatsächlich ihren Weg ins Spiel fanden. Sogar die Fortpflanzung des Helden war nun möglich und der Hund als KI-Begleiter, der - wieder einmal - gute und böse Seiten des Spielers widerspiegelte, war das Ergebnis maßvoll an die Leine genommener Kreativität. Man hatte das Gefühl, dieses Team könnte Spiele auf einmal unaufgeregt, pünktlich und nahezu mitsamt allen angedachten Inhalten veröffentlichen. Fast hatte man das Gefühl, Peter Molyneux sollte doch noch unter der Haube eines großen Publishers glücklich werden.
Die Präsentation von Project Milo auf der E3 2009 hielt Peter Molyneux bereits als Leiter der Microsoft Game Studios. Der virtuelle Junge, mit dem man mittels der neuen Kamera-Hardware interagierte, musste als Project-Natal-Argument herhalten. Hieß später Kinect, ihr erinnert euch? Dieses Kamerading? Die Idee an sich war eine wie so viele der früheren wahnsinnigen Molyneux-Einfälle: visionär, spannend und grenzgängerisch, diesmal aber gleichzeitig auch unheimlich und ein bisschen verstörend. So oder so: Fast meinte man, dies sei der Schauplatz für verrücktere Molyneux-Experimente, während gleichzeitig berechtigterweise die Bullshit-Sensoren auf Vollausschlag zeigten. Bevor man aber sich zu sehr darin verbeißen konnte, was hier wohl mal wieder niemals Realität werden würde, wurde wenige Monate später auf der gamescom schon Fable 3 angekündigt, das zuverlässig wie ein Uhrwerk auch ein Jahr später erschien.
Manche liebten es, andere wiederum waren enttäuscht. Die Idee, das Spiel nach dem Sieg über den Unhold aber als König weiterzuführen, war eines dieser kleinen Juwelen, für die Lionhead und Molyneux immer gut waren. Er selbst hielt es vier Jahre später in einem Interview zwar für eine "Katastrophe" - in der unnachahmlichen Art, wie er seine eigenen Titel im Nachhinein immer heruntermacht -, aber gut. Allein, von Milo hörte man immer weniger. Und wenn man etwas hörte, dann waren es gegenläufige Äußerungen Microsofts und Molyneuxs. Während der Herausgeber betonte, Milo and Kate - wie es später heißen sollte - wäre kein Spiel, das zur Veröffentlichung gedacht war, hatte offenkundig niemand dem eloquenten Briten davon erzählt, der weiter darauf beharrte, dass es sich tatsächlich um ein Spiel handele, das man zu veröffentlichen beabsichtige. Das letzte Mal, dass man es sah, war bei einer Vorführung auf der Ted 2010, ein paar Monate, bevor Fable 3 herauskam.
Schon drei Monate später mehrten sich die Gerüchte, dass es mit dem Projekt nicht weitergehen und die Technik stattdessen in einem Fable-Spiel mit Kinect-Unterstützung genutzt würde, was sich später bewahrheiten sollte. Es ist müßig, zu spekulieren, ob die eigentlich als Erfolg zu bewertende Zeit, die Lionhead und Microsoft miteinander hatten, an diesem Punkt ihre Wende nahm. Fest steht, dass ab diesem Zeitpunkt nichts Gutes mehr zwischen den beiden passierte. Fable: Heroes war ein bitterlich konservativer und spaßbefreiter Klopper von oben und Fable: The Journey aller Beteuerungen eines müde wirkenden Molyneux zum Trotz ein starres Schienenspielchen ohne Charme, dafür mit allen Kinderkrankheiten, die Microsoft Kinect niemals austreiben konnte. Mit der Fertigstellung von The Journey im Herbst 2012 endete das Kapitel Molyneux bei Lionhead, Dene und Simon Carter strichen zusammen mit Jeremie Texier, Guillaume Portes und John McCormack sogar schon früher im Jahr die Segel. Man darf wohl sagen, dass es bei den Guildforder Löwenköpfen nach diesen Abgängen niemals wieder richtig rund lief.
Dabei hatte Fable: Legends mit seinem innovativen Vier-gegen-einen-Konzept zuletzt durchaus den Eindruck gemacht, dass sich Lionhead gefangen hatte. Klar, der Zauber hochtrabender Versprechungen, die zu gut klangen, um wahr zu sein, es manchmal aber eben doch wurden, der war mit Molyneux gegangen. Doch das hier hätte etwas werden können. Ich bezweifle zwar, dass Molyneux die Zeit zurückdrehen würde, wenn er könnte. Zumindest nicht bis zu dem Punkt, an dem die Entscheidung fiel, zu gehen. Es ist trotzdem denkbar, dass Lionhead mit ihm an Bord gestern nicht jahrelange Arbeit über den Jordan hätte gehen sehen müssen. Er ist jemand, der ein Produkt verkaufen, Leute davon überzeugen kann. In so einer Situation hätte es genau den vielleicht gebraucht.
Es hilft alles nichts und Molyneux hat mit seinen 22cans genügend eigene Probleme. Um Lionhead, sollte das Ende mittlerweile beschlossen sein, ist es in jedem Fall schade: Eine Spieleschmiede, die meist hinter den selbst gesteckten Zielen zurückblieb, aber immerhin stets welche hatte. Das kann man längst nicht von allen Studios da draußen sagen. Letztendlich ist es tragisch, dass die Engländer ihr Glück so sehr an die Fable-Marke hängten. Durchaus möglich, dass das ihren Niedergang schon 2010 besiegelte. Was man auch von ihren Werken halten mochte, in ihren besten Zeiten waren sie immer für verspielte, interessante und streckenweise wegweisende Ideen gut. Kaum auszudenken, wo sie heute wären, wenn sie neben Albion auch andere Welten erkundet hätten.
Auch wenn es eine Weile her ist, seit man sie das letzte Mal verspürte: Ich werde ihre Unberechenbarkeit im Kleinen und ihren guten Sinn für Humor sehr vermissen.