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One Piece: Burning Blood - Test

Immer, wenn man denkt, dass man nicht mehr Lost in Translation sein kann…

Spielerisch eher oberflächlich mit unausgereifter Solo-Balance, als Chaos-Anime-Kracher aber ein großes Vergnügen und das nicht nur für Fans

Es muss so um 1992 gewesen sein, als ich ein Spiel Namens Ranma ½ für die PC-Engine kaufte. Ich kannte die Anime-Serie dahinter nicht - zu der Zeit war Anime selbst in den USA eine Obskurität und in Deutschland praktisch nicht existent -, das Cover sah einfach irgendwie nett aus, auch wenn natürlich alles auf Japanisch dastand, was die nächste Stunde hätte erklären können. Es war ein wilder Ritt, als Figuren sich scheinbar aus dem Nichts in Schweine verwandelten, Teekessel umherflogen, Riesenköpfe gewaltige Japan-Sprechblasen ausstießen und zu allem Überfluss war es auch noch eine Art Multiple-Choice-Abenteuer. Wir saßen davor, hatten keinen Plan von irgendwas und einen Riesenspaß. Seitdem habe ich nie wieder so ein dermaßen heftiges "Lost in Translation" gespürt. Bis zu One Piece: Burning Blood.

Sicher, ich habe schon von der Serie gehört, eine halbe Folge geguckt, weiß, dass es was mit verrückten Piraten und so ist. Nichts von diesem Randwissen half, um mich auf die nächsten Stunden nach dem obligatorischen 2-GB-Update vorzubereiten. Die Figuren sind... komplett wahnsinnig. Die sind alle völlig irre. Totale Psychopathen. Aber sie haben so viel Spaß dabei, herumzubrüllen, seltsame Flüche auszustoßen, sich gegenseitig die Unterwäsche in Rocky-Horror-Picture-Show-Attacken zu zeigen und vier Sekunden totales Pathos mit sechs Sekunden Slapstick zu quittieren. Es ist komplett und absolut und auf jedem Level durch. Klar gibt es Untertitel, sogar in Deutsch, aber die könnten auch in Sorbisch sein, es würde für mich keinen Unterschied machen.

Genau!

Mit anderen Worten: Wenn ihr kein Fan seid und wisst, was der Paramount War im 21. Handlungsbogen irgendwo zwischen Episode 400 und 500 ist, dann lässt euch das Spiel mit seiner immerhin eigenständigen Randepisode im Rahmen dessen komplett allein. Na und? Ein gutes Spiel lässt sich auf auch so spielen und ich hatte in meinem Leben schon mit ein paar Dutzend Anime-Spielen Spaß, bei denen ich zum Teil nicht mal wusste, dass es eine Serie dazu gibt. Was ich jedoch gut erkenne, egal, ob ich nun One-Piece-Experte bin oder nicht, ist wie sehr Burning Blood zwischen epochalem Fan-Service in Form episch inszenierter Charakterduelle und achtlos hingerotzter Story-Schnipsel schwankt. Einfach ein liebloses Bild in einem Rahmen über den Screen, ein paar Zeilen drunter, fertig ist die Cut-Scene. Ob dies eine Art 16-Bit-PC-Engine-Hommage - weil Alex mir dies ankreidete: meine PC-Engine war eine 16-Konsole, ich gebe nichts auf die Wiki-Propaganda! - sein soll oder einfach nur billig ist, das muss man selbst entscheiden. Aber der Unterschied zum Rest des Spiels könnte kaum brutaler sein. Die Figuren im Spiel selbst und einem willkürlich wirkenden Drittel der Story sind gigantisch und perfekt animiert. Sie fangen den Fluss der Kämpfe der Serie ein und gehen von da aus weiter, um ein echtes Feuerwerk abzuliefern, manchmal sogar wortwörtlich. Definitiv ein Hingucker für alle, die was mit dem bis heute eigenwilligen Anime-Kampfstil des wilden Übertreibens, der Speedlines und absurden Angriffe anfangen können.

Das Spiel selbst ist eine Art Drei gegen Drei, wobei sich meist nur zwei Kämpfer gegenüberstehen, aber ihr nach Belieben wechseln könnt. Kombiangriffe mit den Mitstreitern des eigenen Teams sind möglich, aber im Grunde ist es ein Turnier-Fighter mit 44 Kämpfern. Das ist eine selbst heutzutage enorme Zahl und äußerlich habt ihr auch viel Abwechslung. Die Spezial- und Ultra-Angriffe sind wundervoll absurd und je obskurer der Charakter, desto weniger kann man sich an seinen Eskapaden sattsehen. Leider ist das Spiel dahinter papierdünn. Sicher, ein Street Fighter V hat ein paar Figuren weniger - vorsichtig gesagt -, aber jede bringt einen eigenen Stil mit, den ihr lernen müsst. Hier spielen sich in einem gewissen Rahmen alle 44 gleich. Der Fairness halber muss ich sagen, dass ich kaum zwei Drittel von ihnen ausprobiert habe, aber das war schon sehr viel weniger abwechslungsreich als es bei einem Mortal Kombat je war - und da ist auch nicht jede Figur immer einzigartig.

So sehen ungefähr 40 Prozent eines normalen Kampfes aus.

Ihr habt Standard-Angriffe, Blocken und bewegt euch frei in einer sehr großen - oft sogar zu großen - Arena. Derer es gerade mal neun gibt, auch keine Heldenleistung. Wichtiger sind die Konter, Block-Brecher und Ultra, die allesamt auf Tastendruck ausgelöst werden. Es geht weniger um das klassische Erlernen einer Stick-Bewegung, sondern darum, die vorhandenen Attacken geschickt aneinanderzureihen und eine Kette zu landen. Burning Blood richtet sich dabei klar an die One-Piece-Fans und nicht die harten Prügel-Experten. Das heißt nicht, dass das Spiel grundsätzlich leicht wäre. Erst mal habt ihr unglaublich viel Platz, der meist genutzt wird, um einen Feind gefühlt hundert Meter weit weg zu schleudern, nachdem ihr einen satten Treffer landetet. Dann heißt es hinterherrennen, auf halber Strecke einen Distanz-Angriff nachreichen und hoffen, dass er sich nicht schon gefangen hat, bevor ihr wieder auf der richtigen Distanz für die guten Specials seid. Sicher, viele Angriffe haben eine große Reichweite, aber nicht so groß. Manchmal verbringt ihr nicht nur gefühlt einen halben Kampf damit, dem Feind hinterherzurennen. Es ist wirklich so.

Schwerer wiegt beim Solo-Spaß in der nur wenige Stunden langen Kampagne, dass ihr entweder mit dem Gegner komplett den Boden aufwischt, ohne dass er auch nur einen Treffer landet oder dass er diese Gefälligkeit direkt erwidert. Es kam sogar in ein und demselben Kampf vor, in dem mich der Kontrahent vier Mal in Folge komplett vernichtete, nur um in Wiederholung Fünf dann scheinbar aufzugeben. Es gibt kaum eine sinnvolle Balance, was dazu führt, dass ihr vier Fünftel der Kampagne einfach durchrauscht, nur um immer mal wieder komplett gegen die Wand zu laufen.

Stil statt Tiefgang: Das eigentliche Prügeln erfordert mehr Rhythmus als Turnier-Fighter-Können.

Diese Probleme erledigen sich natürlich off- wie online gegen menschliche Mitspieler, wo das simple Kampfsystem für schlichten, ehrlichen Chaos-Spaß sorgt. Offline als Couch-Vs. empfand ich persönlich die Überbetonung von Stil gegenüber Übersicht etwas nervig, aber dank des simplen Spielsystems war es immer noch alles handhabbar. Online lag mir mehr und auch wenn es sicher nicht die technisch anspruchsvollsten Matches waren, die ich da spielte, hatte ich für ein Weilchen eine Menge Spaß, was sicher auch zu einem guten Teil wieder an dem Irrsinn der Figuren lag. Interessant ist der Flag Battle Modus, in dem ihr euch für eine Fraktion entscheidet und auf ihrer Seite gegen KI- und Online-Gegner kämpft, um Punkte für die das eigene Lager zu holen. Eine Woche lang kämpft ihr euch über die Inseln dieser verrückten Spielwelt und selbst wenn ich mit den restlichen Modi für mich weitestgehend durch bin, diese Woche werde ich hier noch bis zum Ende ausharren und sehen, wie es so läuft. Sicher ein guter Langzeitanreiz.

Leider ist auch One Piece gegen die Seuche des DLC nicht immun und in diesem Falle ist er vom Start weg zu haben. Ihr schaltet auch so nach und nach neue Figuren frei, aber dermaßen viel Content, der euch auf regulärem Weg lange verschlossen bleibt, ist nicht nett. Dazu kommen noch jede Menge Sachen, wie Kostüme - natürlich Bikinis inklusive, wir reden hier über Japan und eigentlich müsste ich mir endlich mal ein DOA Extreme 3 bestellen - und anderer Schnickschnack, sodass sich der Shop für ein gerade veröffentlichtes Spiel ein wenig zu gut gefüllt anfühlt.

Dank der hochstilisierten Non-Stop-Action fällt die kleine Zahl an Arenen nicht so sehr auf.

One Piece: Burning Blood hat eines auf jeden Fall geschafft: Ich habe angefangen, One Piece zu gucken und hatte bisher - 20 Folgen oder so - eine Menge Spaß. Ob ich irgendwann an den Punkt komme, an dem Burning Blood einsetzt, weiß ich nicht, aber so kann ein Spiel für Fans auch neue Fans schaffen. Dabei lebt es allerdings klar vom Appeal der so verrückten wie zahlreichen Figuren und der Inszenierung der sich zumindest visuell auch nach vielen Stunden noch erstaunlich frisch anfühlenden Kämpfe. Das Spielsystem selbst ist mehr eine simple und nach einem Weilchen etwas unbefriedigende Einsteigervariante in das Turnier-Fighter-Genre. Die Story ist sehr kurz und voller seltsamer Extreme beim Schwierigkeitsgrad und dazu kommen immer wieder die komplett deplatziert wirkenden Standbild-Einblendungen mit Story-Fragmenten. Perfekt ist hier nichts, aber auch nichts ist komplett verhunzt. Wenn ihr euch ein wenig mutiger fühlt und dem irren Anime nicht ganz abgeneigt seid, dann dürft und solltet ihr ernsthaft über Burning Blood nachdenken und ob ihr ihm nicht eine Chance geben solltet. Wenn ihr dagegen schon 800 Piraten-Folgen hinter euch gebracht habt, dann spielt ihr es wahrscheinlich eh schon.

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