Titanfall 2 - Test
Auch zwischen Battlefield und CoD noch ein Titan.
Kein schlechter Shooter-Jahrgang, oder? 2016 meine ich. Binnen der letzten 10 Monate mauserte sich Rainbow Six nach technisch durchwachsenem Start zu einem der besten Spiele unter der Sonne und Superhot stellte die Erwartungen an Raum und Zeit in diesem Genre auf die Probe. Im Frühjahr riss einem Doom die Beine aus dem Hintern, während Overwatch mit vollen Armen Herzen und etwaige Rest-Freizeit abgriff. Toxikk lässt seit Herbst UT wieder aufleben und Battlefield fängt sich nach dem Durchhänger des vierten Teils wieder. Call of Duty... wir werden sehen. Aber mir ist jetzt schon sympathisch, dass es offenbar mehr Ambitionen hat, als in einigen der vorangegangenen Jahre zusammen. Und jetzt eben Titanfall 2 - auf dem undankbarsten Sandwich-Platz des Jahres, dem einzigen leeren Freitag, den die Publishing-Götter zwischen den beiden Platzhirschen EAs und Activisions gelassen hatten. Was haben sie sich bloß dabei gedacht?
Vermutlich war der BF1- und Titanfall-Doppelschlag als Zangenmanöver im Angriff Infinite Warfare gedacht. Dass das nach hinten losgeht, kann man an Prognosen erkennen, die Respawns zweiter Mech-Schießerei einen bestenfalls lauwarmen Empfang prophezeien. Das ist eine kleine Tragödie, denn tatsächlich macht Titanfall 2 alles richtig, was in seinen riesigen stählernen Händen lag. Eigentlich sogar ein bisschen mehr. Ich bin nicht sicher, ob das auf den Entwickler oder den Publisher zurückgeht, aber in einem geradezu erstaunlichen Schritt verzichtet dieses Spiel auf einen Season Pass. Nicht einmal Mikrotransaktionen für Kosmetisches oder Booster gibt es bislang. Kommende Updates, Maps und Modi? Kommen gratis. Das hier ist schlicht und ergreifend klassisches, fast altmodisches Kaufen-und-glücklich-sein-Gaming.
Ich stelle das bewusst hier voran, denn es ist in den heiß umkämpften Vorweihnachtsmonaten ein entscheidendes Kaufargument. In Zeiten, in denen Battlefield und CoD und noch einige andere Kandidaten für das komplette Erlebnis der neuen Spiel-Saison gerne in Richtung dreistelliger Preisregionen schielen, wirkt Respawns Zweites schon zum Vollpreis wie ein Schnäppchen. Wer ein Zeichen gegen überbordende Monetarisierung von Videospielen setzen will, täte also gut daran - wie sagt man so schön? - "mit seinem Portemonnaie zu wählen" und diesen Titel zu unterstützen. Aktuell ist der faire Deal, der einem hier angeboten wird, noch nicht zu vielen durchgedrungen, was man an überschaubaren Spielerzahlen ablesen kann. Das und der Fakt, dass die Leute zum einen noch mit Battlefield 1 beschäftigt sein dürften, während das andere Lager abwartet, wie sich Infinite Warfare schlägt, sorgt dafür, dass es im Moment nicht nach einem Kassenschlager für Titanfall 2 aussieht.
Allerdings ist es auch diese Release-Konstellation, die vermuten lässt, dass für dieses Spiel nicht zwangsläufig schon aller Tage Abend ist. Eventuell wartet eine Dunkelziffer an Käufern noch ab, bis der dritte und letzte Kandidat um das Weihnachtsbudget die Arena betreten hat, bevor sie ihre Kaufentscheidung treffen. Sobald Ende der Woche alle Karten auf dem Tisch liegen, könnte noch ein ganzer Schwung Spieler in seine Titans steigen, denn - und das ist ein positiver Nebeneffekt, des dicht bestellten Veröffentlichungszeitraums - frisch ist Titanfall 2 dann immer noch. Zudem: Alle aktiven Spieler übertreffen sich in den Chats während der Spielevermittlung vollkommen zu recht mit Superlativen darüber, wie gut dieses Spiel doch ist. Titanfall hat die Mundpropaganda auf seiner Seite.
Viele der zentralen Qualitäten dieses Spiels haben wir ja schon letzten Freitag in unserem ersten Erfahrungsbericht zur Kampagne von Titanfall 2 zusammengefasst. Deshalb zum Einzelspielermodus noch resümierend: Er ist definitiv einer der stärksten der letzten Jahre. Keine Geschichte, über die ihr in zwei Wochen eine Deutung auf dieser Seite lesen werdet, bisweilen ein wenig stückig präsentiert und ein zweites "The Iron Giant" ist Titanfall 2 auch nicht geworden. Aber die Kampagne besticht darin, wie gut jede ihrer neun Missionen um eine zentrale Szenario- und oft auch Gameplay-Idee herum angelegt wurde. Hier fragte man sich beim Design offenbar in erster Linie, "was würde Spaß machen?" und steuerte dann die Handlung auf Momente zu, die diese Abläufe hergeben würden.
Dieser Ansatz wirkt auf die beste Art klassisch videospielig, was das Spiel mit seinen griffigen, treibenden und inhärent befriedigenden Systemen auch unterstreicht. Dazu kommen das clevere Wechselspiel zwischen Jump-and-run-artigem Piloten-Gameplay und stapfender Titanen-Action sowie nicht zuletzt der Mut, einen Einfall, um den andere Teams ein ganzes Spiel herum gestalten würden, nur in einem einzigen Level einzusetzen. Das ist die Sorte Trick, wegen der man dieser eigentlich banalen Erzählung förmlich an den Lippen hängt und sich fragt, was wohl als nächstes passieren wird.
Der Multiplayer zehrt in erster Linie daraus, wie unterschiedlich doch die Bedürfnisse sind, die das Spiel in seinen beiden Fortbewegungsmodi - zu Fuß und im Titanen - befriedigt. Als Pilot ist es ein High-Speed-Shooter für persische Prinzen, der zwar ein fantastisches Gunplay vorzuweisen hat - nirgends schnalzen die Bolzen futuristischer Sturmgewehre so satt wie hier -, aber deutlich mehr daran interessiert ist, wie ihr die Architektur der Maps lest. Die könnte für meinen Geschmack noch deutlich vertikaler ausgelegt sein, aber auch so schon sind die verwinkelten Canyons und Häuserschluchten für Wallrunner und Enterhakenschwinger ein Traum.
Ein Pilot rennt im 45-Grad-Winkel an der Wand entlang nämlich schneller, als er am Boden sprintet, jeder Schlitterer auf den Knien bringt noch einen kleinen Geschwindigkeitsschub und wenn man all diese Moves per Haken und Doppelsprung verknüpft, berührt man nach etwas Übung phasenweise gar nicht mehr den Boden. Schon bald wird das Finden neuer, immer kniffligerer Routen hin zu taktisch vorteilhaften Punkten der Map zum Spiel-im-Spiel, dass das Geballer beinahe in den Hintergrund treten lässt. Fast fliegend ist man dann unterwegs und die Skill-Decke schießt noch einmal deutlich in die Höhe, sobald man das begreift.
Der Kontrast, wenn man sich dann endlich seinen Titan verdient hat, gewinnt dadurch noch zusätzlich an Reiz. Vom so gut wie schwerelosen Geflitze hin zum zweibeinigen Panzer, das ist ein Spagat zwischen Extremen, wie ihn nicht viele Spiele schmerzfrei hinlegen. Kaum ein menschlicher Gegenspieler braucht dann plötzlich mehr als einen Treffer, der Einsatz der Gadgets, vom Sonar, das Gegner in einer Gegend für eure Mitspieler markiert, bis hin zu Lenkraketen oder platzierbaren Energieschilden, fühlt sich mächtig und befriedigend an. Die neue Rodeo-Mechanik sorgt unterdessen für einen interessanten Poker: Jeder Titan spawnt ohne Energieschilde, Treffer demolieren direkt die Panzerung, was wiederum irgendwann zum lodernden Flammentod führt. Allerdings darf man durch das Aufreiten auf einem gegnerischen Titan eine Batterie stehlen, ihm dadurch schaden und befreundete Mechs damit bestücken, um ihrerseits die schützende Energiebarriere wieder zu aktivieren.
Zu Fuß hilft man so befreundeten Titanen oder - wenn man auf sich allein gestellt ist - rettet seinem eigenen Blechkameraden den rostigen Hals. Das ist - keine Frage - riskant, fühlt sich aber einfach nur fantastisch an. Kurz vor dem Abwurf des eigenen Titans noch eine Batterie mitgehen zu lassen, um sich selbst eine bessere Ausgangslage zu verschaffen oder die Lebensdauer eines Verbündeten in einer haarigen Phase des Matches zu erhöhen, das ist die Sorte Moment, in der dieses ansonsten nicht übermäßig auf Teamplay ausgelegte Spiel sich trotzdem wie ein erbauliches Gemeinschaftserlebnis anfühlt. Dieses Spiel mag zwar bisweilen chaotisch anmuten, die Maps nicht übermäßig schön, zahl- oder abwechslungsreich sein. Aber es produziert Feel-Good Spektakel-Momente am Fließband.
Das Freischalten neuer Waffen, Modifikationen, Gadgets und Skins ist so beiläufig oder motivierend wie ihr es möchtet. Für jede Errungenschaft in einer Partie setzt es einen Credit, die ihr nach Erreichen bestimmter Level-Stufen für neue Ausrüstung ausgeben könnt. Auch die Waffen und Titans steigen im Level auf, was euch dazu befähigt, mehr Modifikationen anzubringen und euer Loadout somit an eure bevorzugte Spielweise anzupassen. Es sind durchaus einige Mischformen denkbar, wenngleich ich, nachdem ich meine bevorzugte Zusammenstellung parat hatte, nur selten das Bedürfnis hatte, daran noch etwas zu ändern. Außer natürlich, dass da noch andere Waffen darauf warten, dass ich sie von Neuem hochlevele.
Die Modivielfalt kann sich durchaus sehen lassen. Zwar dreht sich die Mehrheit um den bekannten Loop aus Piloten abballern, Titan verdienen, Titans abballern, aber stets kommen leichte Twists hinzu: etwa dass bei Bounty Hunt für Abschüsse verdientes Geld zwischendurch bei "Banken" abgeliefert werden muss (wird man abgeschossen, verliert man 50 Prozent des Geldes), was nur zu Fuß geht. Die Seite, die als erste 5000 Credits erreicht, gewinnt. Hier zählen also nicht nur Kills, sondern vor allem, dass ihr auch verwertet, was ihr einnehmt. Je mehr Geld ihr mit euch rumschleppt, desto spannender wird also das Match, bis ihr euch endlich an einer der Banken darum erleichtert. Dazu eine Domination-Variante namens Amped Hardpoint, bei der man die Haltepunkte durch dauerhaftes Postieren von Mitspielern mit einem Multiplikator versehen kann. Attrition dürfte zumindest am PC der am meisten gespielte Modus sein und ist ein vergleichsweise hirnloses, aber gutes Team Deathmatch.
Interessant wird es, wenn die grundlegende Formel hinterfragt wird: Last Titan Standing kann verdammt spannend sein, wenn alle Beteiligten begreifen, wie man den Modus spielen muss und nach Titan-Verlust die Verleibenden durch seine Rodeo-Tätigkeiten unterstützt. Auch das Coliseum ist wirklich lustig: Eine runde Arena. Zwei Piloten. Keine Deckung. Ein seltsam fesselndes Schnick-Schnack-Schnuck, bei dem ich keine Ahnung habe, wie die Designer darauf gekommen sind. Capture the Flag darf natürlich nicht fehlen, wird aber aktuell nicht allzu viel gespielt. Insgesamt eine gute Auswahl, die lange Spaß machen dürfte.
Technisch läuft das Spiel beneidenswert flüssig. Die PS4-Version flutschte ohne sichtbare Einbrüche mit 60FPS über die Bühne und sah dabei verdammt gut aus. Am PC skaliert die Engine unterdessen ausgezeichnet. Optisch haut Titanfall auf Standbildern vielleicht nicht vom Hocker und seine Art Direction mag nicht den allergrößten Wiedererkennungswert haben, aber es sieht sauber und aufwendig produziert aus und kommt in Bewegung einfach gut zusammen. Lags sind mir keine aufgefallen, allerdings hatte ich am Sonntagabend Probleme, ins Matchmaking zu kommen. Gestern lief das Spiel für mich aber den ganzen Tag über fehlerfrei.
Wie ich eingangs bereits erwähnte: Ein Spiel dieses Schlages hat noch alle Chancen, sich aus dem Release-Krater zwischen zwei der größten Veröffentlichungen des Jahres herauszukämpfen und es zu einer treuen, regelmäßigen Spielerschaft zu bringen. Nur auf den großen Hit, aus dem Trilogien, Quadrilogien und Sagen gemacht sind, an den wird wohl selbst Respawn nicht mehr denken. Ich bedaure wirklich, dass jedes Lobeslied, das man auf dieses Spiel singen könnte, von den Pauken, Trompeten und Artillerieeinschlägen der namhafteren Konkurrenz einfach heillos übertönt werden musste.
Nun gut, das muss uns in diesem Augenblick nicht interessieren. Titanfall 2 ist kein Spiel der hadernden Sorte. Es lebt für den Moment, für den perfekten Fluss durch die Map und, wenn die Zeit reif ist, für markiges Dauerfeuer, das die Wände zum Wackeln bringt. Ein Stück weit einzigartig eben. Bei allem Respekt und allen unbestreitbaren Qualitäten: Wann hat das jemand das letzte Mal über einen der beiden Konkurrenten gesagt?
Entwickler/Publisher: Respawn Entertainment/EA - Erscheint für: PlayStation 4, PC, Xbox One - Preis: 69,99 Euro Konsole, 59,99 PC - Erscheint am: Erhältlich - Getestete Version: PC, PS4 - Sprache: Deutsch, Englisch und andere - Mikrotransaktionen: Nein