For Honor - Test
Ehre, wem Ehre gebührt.
Ich bin nicht ganz sicher, ob man im Fall For Honor nicht vielleicht erst einmal mit einem etwaigen Missverständnis aufräumen muss. Das Bild vom brüllenden und mit gezücktem Streitbeil in die Schlacht bollernden Wikinger, das man sich vom Spiel im Vorfeld unter Umständen gemacht hat, mag so gar nicht mit diesem cleveren, fast schon verkopften Titel zusammenpassen. Es ist wichtig, dass man das begreift, bevor man sich hier hineinkniet. Das hier ist kein Dynasty Warriors, in dem man ganze Heerscharen zugleich mit Fünf-Meter-Hellebarden in einer fließenden Bewegung einen Kopf kürzer macht. Es ist nicht einmal ein Wein aus Schläuchen saufendes "Battlefield mit Schwertern" oder Met-trunkenes "CoD mit Streitäxten", auch wenn die Eroberungspunkte im Dominion-Modus in Richtung von Shootern mit vergleichbaren Mehrspielermodi schielen. For Honor ist näher dran an Street Fighter oder ähnlichen Eins-gegen-eins-Prüglern, wenngleich die Defensive hier angesichts des gewählten Arbeitswerkzeugs notgedrungen eine fast noch größere Rolle spielt.
Neben einer Reihe von Kombinationen aus leichten Angriffen, schweren und solchen, die man nicht blocken kann, spielen Dodges, Guard-Breaks, Blocks und Paraden zentrale Rollen in der Gefechtsführung und nehmen mehr Tempo aus jedem einzelnen Aufeinandertreffen, als die schmissigen Trailer je vermuten ließen. Abwarten, abtasten, reagieren und dann am überrumpelten Gegner die abgeluchste Initiative in schieren Schaden ummünzen. Das ist der Spielfluss, dem Ubisofts Neuestes strengstens ergeben ist. Das schlägt sich auch in den wuchtig stapfenden Animationen, den weiten Ausholbewegungen und den ausgedehnten Taumlern bei erfolgreichen Paraden nieder: Dieses Spiel ist meist ein lauerndes Biest, das gerne auf die richtige Gelegenheit wartet. Es ist nur allzu leicht, einen wild um sich schlagenden Feind aus seinem Rhythmus zu prügeln, um ihn dann in einem der schlimmeren Exekutions-Moves vom Nabel bis zur Halskrause aufzumachen. Und das fühlt sich einfach wahnsinnig gut an.
Gleichzeitig die Einschränkung: Wer turnierfähigen Prüglern zugetan ist, wird sicherlich den Geist dieses Schnitzers zu schätzen wissen, aber nicht zwangsläufig das allgemeine Handling. Anders als in Beat-'em-ups durchlaufen die Figuren in For Honor alle Bewegungsabläufe in der ihnen gebührenden Länge. Selten passiert etwas, unmittelbar nachdem ihr den Button drückt. In der Vergangenheit musste man Ubisoft häufig den Hang zum Überanimieren ihrer Figuren ankreiden. Hier aber ist es zum einen zentraler Teil des Spielgefühls - schließlich spielt ihr einen Kämpfer mit mehreren Dutzend Kilo Metallrüstung am Leib - und zum anderen wichtig, damit ihr Zeit habt, auf jede Aktion auch eine Antwort zu finden.
Spieler und Gegner haben vor sich jeweils eine Anzeige, die genau signalisiert, ob er gerade von links, rechts oder oben angreift beziehungsweise deckt. Deckt ihr in der Richtung, aus der die Attacke kommt, blockt ihr. Das ist der zentrale Twist dieses Kampfsystems und würde alles mit Street-Fighter- (oder zum besseren Vergleich Soul-Calibur-)artiger Unmittelbarkeit passieren, hättet ihr keinerlei Gelegenheit, euren Stahl noch zwischen euren Leib und den nächsten Schwinger eures Gegners zu bringen. Angenehmer Nebeneffekt: Schielt ihr zu Anfang nur auf das Diagramm, von wo der nächste Schlag kommt, verfolgt ihr irgendwann mehr und mehr die Animationen, denn mit Ausnahme eher stichbasierter Waffen geht alles Kriegsgerät auch sichtlich der eingegebenen Angriffsrichtung hinterher.
Wenn man das begreift, spielt man diesen Titel mit einem Mal deutlich intuitiver und beginnt, die wuchtigen und bei einigen Figuren richtiggehend behäbigen Bewegungsabläufe sehr zu schätzen. Angriffe sind keine "Moves", die aus dem Nichts kommen, weil jemand einen Knopf gedrückt hat. Sie sind immer das Resultat einer Schwert-, Axt- oder Schildbewegung. Man spürt, Übung vorausgesetzt, eine tiefe Verbindung zwischen sich, seinem Charakter und dessen Manövern. Dass dies ausgerechnet durch trägeres, eine Idee indirekteres Steuern gelingt, eben weil die Bewegung eurer Waffe in erster Linie an die Bewegungen des Sticks gebunden sind, ist eine Wendung, die ich als Verfechter der Aktion-Reaktion-Steuerungsschule so nicht kommen sah.
Insofern: Was man sich hier ins Haus holt, ist kein frenetisches Gemetzel, es ist ein Spiel über die Kunst des Kampfes mit allerlei meist scharfkantigem Kriegsgerät. Psychotricks, Geduld und die Entschlossenheit, eine sich bietende Gelegenheit auch zu ergreifen, sind jeweils in ihrer passenden Situation der Unterscheider zwischen Emote-spammendem Triumph und einem traurig von den Schultern kullernden Schädel. Gute Reaktionen auf Verlagerungen in der Körperhaltung, ein kompetentes Verständnis der Talente der gewählten und der gegnerischen Spielfigur sind das, was direkt aus dem Beat-'em-up kommt. Dass man all das inmitten einer brodelnden Schlacht zwischen bis zu acht Spielern und Hunderten Fallobstsoldaten inszeniert, fügt dem Ganzen allerdings eine Ebene hinzu, die Prügler, in denen die Stage wenig mehr ist als ein bunter Hintergrund, jedoch nicht kennen.
Kämpft man nahe eines Abgrundes, neben einem lodernden Feuer oder in Nachbarschaft ebenso dekorativer wie tödlicher Wandstacheln, muss man mit Guard-Breaks und anschließenden Würfen rechnen. Alleine die Möglichkeit für einen ruhmlosen Sturz in den Tod verändert komplett, was hier passiert. Ein geschickter Spieler könnte in einer solchen Situation so lange auf sie verzichten, bis sein Gegenüber schon nicht mehr damit rechnet, und den Fight dann mit einem beherzten Tritt beenden. Befinden sich diese köstlich-billigen Ein-Treffer-Mordgelegenheiten an einem Haltepunkt, ist man als letzter Verteidiger dort angehalten, den einen Fleck zu suchen, an dem einem das nicht passieren kann. Oder stellt man sich direkt in die Nähe dieser Todesfallen, um mit einem beherzten Schubser eine Unterzahlsituation in ein Eins-gegen-eins zu verwandeln? Mit Ruhm und Glorie hat ein solcher Kill nichts zu tun, wohl aber mit List und Taktik.
Das Klassensystem ist zugleich von den unterschiedlichen Charakteren der Turnierklopper inspiriert, wie von MOBAs, wenn man mit einem Wechsel der Figur nicht nur Kombos, Moves, Tempo und Rhythmus tauscht, sondern an gewissen Punktschwellen auch in jeder Schlacht aufs Neue im Level aufsteigt und dafür unterschiedliche passive Perks, Buffs oder auch Sekundärwaffen wie Bomben oder Pfeil und Bogen für einmalige Nutzung bis zum nächsten Cooldown erhält. Es ist eine höchst eigenwillige Mischung, aber eine, die ebenso funktioniert wie fasziniert. Mit jeder einzelnen der Figuren kann man sich stundenlang auseinandersetzen. Ich selbst bin ewig am Warden, dem Einsteigerritter, hängen geblieben und halte ihm nach einigen Stippvisiten zu tiefgründigeren Kämpfern noch ein bisschen die Treue. Es macht Spaß, sich in eine neue Figur reinzuknien, ihre Timings kennenzulernen und nach und nach neue Facetten aufzutun, auch weil man so immer ein bisschen über seine Gegner lernt.
Bürstete mich in der Beta die Tendenz halbwegs eingespielter Teams zur Rudelbildung noch gegen den Strich, ist diese Technik mit zunehmender Spieldauer zu kontern. Es stimmt, dass man im Drei-gegen-einen (ungeübten Spieler) häufig kurzen Prozess machen kann. Mittlerweile bin ich aber gut genug, mich allein zumindest eine Weile gegen zwei Angreifer zur Wehr zu setzen, bis Hilfe kommt oder sich die Gelegenheit zur Flucht bietet. Das Rachesystem, bei dem erfolgreiche Blocks eine Leiste aufladen, die - einmal gefüllt - beim Auslösen stärkere und schnellere Attacken ermöglicht und einen "kostenlosen" Konter bewirkt, begünstigt Einzelkämpfer, die Unterzahlsituationen gezielt suchen. Gewisse Klassen, etwa der Warlord oder der Wikinger, belohnen das sogar explizit, indem sie mit multidirektionalen Blocks gleich mehrere Gegner binden. Und zudem: Wenn alle Gegner sich auf einen Spieler stürzen, laufen drei andere gerade frei auf dem Feld herum, holen und boosten Haltepunkte.
Auch die im Ersteindruck erwähnten Benny-Hill-artigen Verfolgungsjagden stellen sich unter erfahreneren Spielern nicht mehr ein. Zum einen lösen gut zusammenspielende Teams das durch Kommunikation - "Ich krieg ihn nicht mehr, schneid' ihm auf dem Weg zu Punkt C den Weg ab". Zum anderen macht etwa mein Warden aus dem Sprint mit seinem schweren Angriff noch einen kleinen Satz nach vorn, mit dem man oft den entscheidenden fehlenden Meter überbrückt und den Feind in den Kampf zurückzwingt. Und wenn es nicht klappt: Wer wegläuft, hält keine Eroberungspunkte. Jemanden in die Flucht zu schlagen ist deshalb häufig auch ein Punktsieg.
Viel mehr als der Kampf in diesem Herrschaftsmodus, in dem nach 1000 erreichten Punkten dem Gegner die Respawns ausgehen, einer Variante ohne Eroberungspunkte und Duell- beziehungsweise Zwei-gegen-zwei- und Vier-gegen-vier-Disziplinen ohne NPC-Beteiligung gibt es in For Honor allerdings nicht, wenn man von der auch im Koop-Modus verfügbaren Kampagne (mehr dazu lest ihr in unserem For-Honor-Ersteindruck vom letzten Montag) mal absieht. Und die ist zwar nett - netter zumindest als viele andere "angetackerte" Story-Modi, die einen eigentlich reinen Mehrspielertitel für Spieler mit Solotendenzen ein wenig aufwerten sollen -, aber sicher kein Grund, sich das Spiel zuzulegen. Dazu ähnelt sie trotz netter Zwischensequenzen und guten Drehbuchs im Ablauf zu sehr dem Mehrspielerpart. For Honor lässt sich fast komplett auf sein Kampfsystem herunterbrechen und wen die Aussicht auf die ewige Wiederholung von cleveren, dynamischen und erfrischend anderen Duellen nicht lockt, der findet hier nichts, was ihn bei der Stange hält.
Wer For Honor aber verfällt - und das dürften nicht wenige sein -, findet ein faires Monetarisierungsmodell, dessen einzige Geldwährung man auch gut freispielen kann. Mit der rüstet man einzelne Komponenten von Rüstungen und Waffen auf. Die nehmen in For Honor allerdings einen deutlich interessanteren Upgrade-Weg als in vielen anderen Titeln: Jedes Upgrade steigert einen Wert, reduziert aber ein bis zwei weitere. Wer alles darin investiert, maximalen Schaden aus seinem Naginata herauszuholen, erkauft sich das zum Beispiel mit reduziertem Widerstand gegen Blockschaden oder einem verkürztem Rachemodus. Es gibt Leute, die setzen alles auf sich schnell und bei jeder Gelegenheit füllende Racheleisten und entsprechend hohen Schaden in diesem Modus. Wer aufrüstet und aufrüstet und dabei immer nur versucht, aufgeworfene Schwachstellen seines Builds auszumerzen, endet in aller Regel mit einem Charakter, der nichts wirklich gut kann. Dieses Modell schließt Pay-to-win kategorisch aus. Die Progression zwingt euch, eure Spielfigur auf einen Stil zu spezialisieren, dem ihr euch dann auch tunlichst verschreiben solltet - zumindest bis man andere Ausrüstung anlegt oder eine neue Laufbahn mit einem anderen der zwölf Helden beginnt. Ich habe mich selten interessierter mit der Entwicklung meiner Figur auseinandergesetzt.
Die Metaebene mit Weltkarte, auf der sich die drei Fraktionen um verschiedene Sektoren dieser Ritter-Wikinger-Samurai-Welt streiten, ließ mich unterdessen ziemlich indifferent zurück. Ihr verteilt in Matches verdiente Truppen und nach ein paar Stunden gibt's ein Update, das die Neuaufteilung der Karte quittiert. Nach 14 Tagen gibt's offenbar eine Abrechnung der vergangenen Periode, bei der zur Belohnung wieder Items und dergleichen ausgeschüttet werden. Ist bisher noch nicht passiert, aber dass ich schon jetzt regelmäßig vergesse, diese "War Assets" zu verteilen, sagt viel darüber aus, wie ich zu diesem Feature stehe. Vielleicht ändert sich das ja nach der ersten Abrechnung.
Visuell bringt For Honor einen nicht nur technisch fabelhaften, sondern auch ästhetisch ziemlich markanten Look mit, der zuletzt Rainbow Six: Siege noch etwas abging. Stinkende Wikinger, zerdellte Rüstungen und verspielte Samurai-Ornamente an hölzernen Körperpanzern versprühen eine anfassbare Rustikalität, die oft genug durch Proto-Biker-Elemente an Helmen und übertrieben zierhafte Stanzarbeiten gebrochen wird. Meine gefühlten Performance-Probleme mit der PS4-Version von vor einer Woche sind mittlerweile durch Digital Foundry stichhaltig widerlegt und rührten in erster Linie wohl daher, dass ich dieses Spiel ein gutes Dutzend Stunden bereits in 1440p und durchschnittlich über 100 FPS am PC gespielt hatte. Anschließend fühlte sich die 30-FPS-Konsolenversion einfach nicht mehr richtig an. Wenn man hier begann, hat man keine Probleme. Das verhältnismäßig gemächliche Tempo sorgt dafür, dass For Honor auch auf Konsolen gut spielbar bleibt.
Andernorts gibt es allerdings Grund zur Klage. Die Spielvermittlung dauert teilweise elendig lang, in manchen Partien splittet das Matchmaking schon mal sechs Spieler in eine Vierer- und eine Zweiergruppe mit Bots auf, anstatt den Schnitt in der Mitte zu machen, und "dank" Peer-to-peer gibt es regelmäßig kurze Spielunterbrechungen, wenn mal wieder einer, aus welchem Grund auch immer, die Partie verlässt. Verbindungsabbrüche gibt es ebenso regelmäßig wie Lobbys, die das Spiel trotz nicht sparsamen Bot-Einsatzes angeblich nicht vollbekommt. Dann folgt meist der Hinweis "Nicht genügend Spieler: Zurück zur Weltkarte", woraufhin sich das Spiel in meinem Fall bereits dreimal aufhing und nur über den Taskmanager zu beenden war.
Ein andermal startete ein Match mit einem grafischen Glitch, bei dem alle in Echtzeit-3D berechneten Elemente wie dick mit Vaseline eingerieben wirkten, während das HUD vollkommen klar dargestellt wurde. Auch hier behebt ein Neustart das Problem. Eine Eigenart des Spiels rettete mir sogar das Leben: Gerade als mich ein Bot zu Boden geworfen hatte und zum tödlichen Schlag ausholte, löste er sich in Luft auf, weil er durch einen menschlichen Nachzügler ersetzt wurde. Wenn es allerdings läuft, läuft's ausgezeichnet, gerade Lags sind mir trotz Peer-to-peer nicht wirklich untergekommen. Mit Rainbow Six: Siege hat Ubisoft allerdings schon bewiesen, dass sie an der Pflege ihrer Spiele durchaus interessiert sind - auch wenn's manchmal vielleicht etwas länger dauert, bin ich hier doch recht zuversichtlich gestimmt.
Bis diese Scharten ausgewetzt sind, bleibe ich gerne am Ball. Es ist einfach zu motivierend, wie man nach einer anfänglich durchaus seltsamen Lernkurve auf einmal das Spiel besser begreift und immer standfester und selbstbewusster seinen Feinden gegenübertritt. Die Kämpfe werden buchstäblich auf Messers Schneide geführt, sind ein einziges Ringen um die Rolle des Tonangebenden und kippen mit beiderseits gekürzter Lebensleiste plötzlich in einem Wimpernschlag. Der Weg dorthin ist fast immer ein spannendes Abtasten, Pokern und Parieren.
Jeder Triumph in For Honor ist demnach verdient, jeder tödliche Treffer, jeder gemeine Schubser eine Brücke hinunter und jeder Finisher ist die Quittung dafür, dass man in einem System, das für jede Aktion einen Konter kennt, genau das Richtige getan hat. Immer dabei der Eindruck: So sehr man auch mit Referenzen um sich wirft, um dieses Spiel zu beschreiben, fühlt sich doch nichts wirklich vergleichbar an. Ein klassisches, kompromissloses Prügelspiel, inszeniert als glorreiches Schlachtengemälde. Man muss erst einmal darauf kommen, so etwas Unerprobtes in so großem Stil auszuwalzen. Das ist genau die Sorte Manöver, die man Ubisoft vor ein paar Jahren noch nicht zugetraut hätte.
Entwickler/Publisher: Ubisoft / Ubisoft - Erscheint für: PS3, Xbox One, PC - Preis: 59,99 Euro - Erscheint am: erhältlich - Getestete Version: PC, PS4 - Sprache: Englisch, Deutsch, Französisch - Mikrotransaktionen: Ja, Spielwährung für Item-Drops und Kosmetisches kaufbar, Champion Status für mehr XP