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F1 2017 - Test

Das Rennen wird neben der Strecke entschieden

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Am Lenkrad eher FIA-Feintuning, in der Garage aber ein deutlicher Ausbau der Möglichkeiten und der Taktik neben der Piste.

Ich will ehrlich sein: Ich habe die letzten Jahre wenig F1 gespielt, weil mich die F1 das letzte Mal in den frühen Tagen von Michael Schumacher zumindest lose interessierte. Das letzte F1-Spiel, in das ich mich reinkniete, war Accolades Grand Prix Circuit. Kennt noch einer Accolade? Die kommen zurück, könnt ihr euch gleich mal merken, wird sicher super mit Bubsy 4 und danach dann bestimmt, nur 30+ Jahre später Grand Prix Circuit 2. Also ja, ich bin nicht der Experte, wenn es um die Historie des F1-Gamings geht, aber 2016 wurde sogar ich hellhörig. Die aktuellen Namen des F1-Zirkus mögen an mir immer noch zum einen Ohr rein und zum anderen rausschießen, aber ich erkenne eine gute Simulation und ein gutes Rennspiel, wenn ich es sehe.

F1 2016 war, ganz Hand in Hand mit all der anderen Vierrad-Exzellenz, die aktuell von Codemasters kommt, hervorragend in beiden Disziplinen. Und es war, wenn auch mit einigen Monaten Verzögerung nach dem Release, das erste F1-Spiel, in das ich mich seit 30 Jahren wieder mal ein wenig verbissen hatte. Also, 2017 - eine Ehrenrunde oder der Sprung an die Spitze eines Genres, das dieses Spiel eh beherrscht, weil es praktisch der einzige echte Titel ist? Ist es dann noch ein Sprung an die Spitze, wenn man selbst die Spitze ist? Kann man sich dann selbst überholen? Ist das dann eine Teilung der Realit... Egal, was auch immer, F1 2017 ist herausragend! Aus diesem Genre of One. Es ragt aus sich selbst heraus. Ihr versteht? Ich breche das jetzt ab.

Gute Planung ist alles. Okay, ein bisschen Fahren solltet ihr auch noch können.

Auf in die Feinheiten: Erst mal natürlich habt ihr alle Lizenzen, Fahrer, Autos und was es noch so gibt, F1 ist hier das FIFA, nur ohne den Konkurrenten, von dem jeder sagt, dass er besser sei. Ihr habt damit auch all das, was im richtigen F1-Leben passiert, was ich jetzt noch mal nachgucken musste, weil ich mich immer noch weigere herauszufinden, wer diese Fahrer sind, die neben den Top 3 aus den Schlagzeilen ihre Runden drehen. Ihr habt tiefe Heckflügel und extra Kilos für das Mehr an Anpressdruck und Kurventempo, das die FIA sehen will, dazu breite Chassis für den coolen Look, den der Plebs sehen möchte und schließlich die paar Extraliter Benzin, um die schweren, an die Piste geketteten Kisten überhaupt lange genug um die Piste scheuchen zu können. All das ist drin, sobald ihr im Cockpit sitzt und es ist fantastisch, vor allem aber hat Codemasters das Drumherum aufgepeppt und zwar mit einem sehr zivilisierten Trick. Mit einem Tech-Baum. Wie aus Civilization. Zivilisiert? Ihr versteht? Ich breche das jetzt ab.

Der Tech-Baum ist ein - neuer - Einzelaspekt von einem Gesamtwerk, das die Karriere nun endlich mindestens so wichtig und vor allem so fordernd und unterhaltsam sein lässt, wie das Rennen auf der Piste. Ich kann mir nun kaum noch den alten Ansatz vorstellen, einfach ein Team, einen Fahrer und ein Auto herauszupicken und ein paar Rennen zu fahren, ohne all das, was hier in F1 2017 dazugehört. Was wäre der Zweck, es geht nicht um den Asphalt, es geht um alles und um meine Art, den Asphalt zu beherrschen. Ohne vorher eine Rennstrategie mit geplanten - und später in eigener Unfähigkeit verpassten - Boxenstopps zu entwerfen, mit der Rendergrafik-Agentin aus den Tiefen des Uncanny Valley über das Team zu sprechen und die Meinung des Chefentwicklers zu hören, kann ich doch unmöglich auf die Strecke. Ihr trefft dabei eine Reihe von Entscheidungen, die eure Rennkarriere teilweise massiv beeinflussen und dem Ganzen deutlich mehr Persönlichkeit geben, selbst wenn alles immer noch ein wenig steril wirkt. Codemasters war nie so gut darin wie andere Sportspielgrößen, alles poppig und ESPN-mäßig greifbar wirken zu lassen und diese sicher nicht gewollte Distanz bleibt auch bei F1 2017 erhalten.

Die breiten Autos liegen gut und schnell auf der Piste, aber auf engen Strecken wird das Überholen schon mal zur Millimeterarbeit.

Zurück zum Civilization Tech-Baum: Wo ihr in 2016 noch ein paar grobe Einteilungen hattet, was sich eure Entwickler so angucken sollten, sind es nun über 100 Forschungspunkte, die ihr euch nach und nach zusammentüfteln lasst. Jedes Detail - sicher eine komplette Übertreibung angesichts der unglaublichen Komplexität der realen Materie - von Motor, Chassis, Getriebe und so weiter lässt sich graduell und individuell verbessern und gibt euch so später Optionen. Wollt ihr lieber Super-Performance-Teile, die ein Vermögen kosten oder setzt ihr auf billigere, leicht verschleißende Bauteile? Durchaus eine schwierige Frage, wenn man in jeder Saison gemäß der Regularien ja nicht beliebig verheizte Teile nachkaufen kann. Schiere Leistung oder Sparsamkeit, in welche Richtung soll euer Motor gehen? Nach und nach, über virtuelle Jahre hinweg, sortiert ihr so ein Auto, das euren eigenen Vorlieben entgegenkommt. Um an die Forschungspunkte zu gelangen, die dafür nötig sind, könnt ihr Proberunden auf den Kursen drehen. Das ist dringend empfohlen.

In diesen Proberunden - und auch allen anderen Rennen - hört ihr ständig und jederzeit die Hinweise und Tipps aus der Boxengasse und lernt so unter anderem, was ihr eigentlich eurem Auto antut, wenn ihr die Kurven brutal durchpflügt, wie ein Irrer bremst und fahrt, als wäre dies ein 1997er-SEGA-Aracde-Automat. Ihr lernt, warum Teile, die nicht ganz unwichtig sind, frühzeitig auseinanderfallen, warum ihr viel zu viel Sprit verbraucht und vieles mehr. Es ist endgültig nicht mehr dieses "Setz' dich rein, dreh' ein paar Runden und überleg' selbst, was du besser machen kannst". Das Spiel bringt euch aktiv bei, wo ihr dramatisch falsch liegt, aber noch mehr, es lernt auch aus den Dingen, die es dann bei eurem Fahrstil sieht und passt sich an. Am dramatischsten fiel es mir bei den Übungen zum spritsparenden Fahren auf. Hier wurde ich nach und nach zum Meister, solange es unter den Übungsbedingungen stattfand. Mein Team übernahm diese Fahrweise als das, wonach sie das Auto ausrichteten, tankten etwas weniger, was ja das Gewicht reduziert. Leider überstand ich kaum ein Rennen, ohne liegenzubleiben, weil ich eben dieses Wissen dann nicht anwandte, sondern mit der Konkurrenz um mich herum in einen viel aggressiveren Fahrstil wechselte. Erst als ich mich brav an die gelernten Lektionen hielt, reichte der Tank und ich konnte auch den Gewichtsvorteil für sich wirken lassen. Das ist natürlich alles auch von euch anpassbar, aber ein schönes Beispiel, wie F1 2017 ein zuvor ungeliebtes Feature wie etwas, das eigentlich "nur" ein Tutorial ist, in einen integralen Bestandteil des Ganzen verwandelt.

Codemasters kann Autos. Und Boxenfunk. Aber nicht die Menschen dahinter...

Die Piste selbst ist etwas, bei dem das Spiel nicht mehr so viel lernen musste. 2016 war schon sehr nah dran an dem, was man ein ideales Fahrgefühl nennen kann und Codemasters warf hier nichts um. Stattdessen schliff man ein wenig am Feedback, wobei die neuen Regularien dabei entgegenkamen. Entsprechend des höheren Anpressdrucks liegen die Wagen spürbar ruhiger und sicherer auf der Strecke, das Tempo in den Kurven ist höher und enge Passagen der Strecke sind furchterregend, da die Wagen nun breiter sind. All das wurde mitgenommen, während ihr nach wie vor mit zig Einstellungen zwischen fast schon SEGA-Monaco-Arcade und Hardcore-Sim eure Mitte - oder euer Extrem - finden könnt. Das gilt auch für den Schwierigkeitsgrad gegen KI-Fahrer, der sich nun jederzeit ändern lässt und das ebenfalls mit mehr Optionen als ich je nutzen werde. Das Verhalten der KI ist dabei weiter tadellos, vor allem im unteren Bereich. Nach oben hin werden sie deutlich aggressiver - manchmal etwas zu sehr -, aber wagen auch mal spannende Manöver wie im Inneren der Kurve vorbeizuziehen, wenn es gerade noch so passen könnte. Was es nicht immer tut, da muss man wie im richtigen Verkehrsleben schon mal für die anderen ein wenig mitdenken. Aber das sind auch die Momente größter Spannung, also alles bestens.

Am Look wurde nicht so sehr geschraubt wie unter der Haube, aber das geht völlig in Ordnung. F1 2016 hat ein paar richtig nette Effekte, wenn die virtuelle Sonne richtig steht, die Wagen - vor allem einige der Classics wie die 90er McLaren - sehen tadellos aus und um auch was Nettes über die Strecken zu sagen: sie wirken sehr akkurat wiedergegeben. Technische Perfektion ist noch ein gutes Stück weg, egal auf welcher Plattform, und auf der schwächeren Xbox habe ich die gleichen Probleme, die auch die PS4 Pro hat - diese dann eben mit Checkerboard-4K. Tearing und Flimmern stören immer wieder mal leicht den geschliffenen Eindruck, jedoch nie so sehr, dass es zu einem echten Problem würde. Sicher der Preis für die Komplexität der Simulation von all den Teilen des eigenen Wagens und dann mal 20 für all die Mitfahrer auf der Piste. Fast stabile 60 Frames - auf dem PC nicht limitiert - wollen halt erst mal erreicht werden. Einen VR-Modus gibt es leider gar nicht, Codemasters scheint sich das noch aufzuheben.

Viel zu forschen: Fast schon schon Civ-like kommt der Forschungsbaum daher.

Der Sound der Motoren kann euch zunächst etwas dünn vorkommen, aber nur solange, bis ihr in einen der Classic-V12 einsteigt. Diese lassen es dann krachen, wie es sein sollte. Das fiepsige Turbo-Gejaule ist also eher ein Problem der Realität als ihrer Umsetzung. Und während der Boxen-Chatter perfekt eingebracht wurde, lassen die deutschen Kommentatoren Stefan Römer und Heiko Waßer schwer zu wünschen übrig. Nicht sie selbst, aber ihre hier manchmal unmotivierten, manchmal komplett unpassenden und vor allem gefühlt komplett aus 2016 übernommenen Kommentare habe ich gern ignoriert.

Bei der Steuerung muss ich sagen, dass ich hier mit dem Pad erstaunlich viel Spaß habe. Sicher, Renn-Räder sind wohl der ideale Weg, aber nicht jeder hat andauernd eines aufgebaut und dies ist von allen F1-Sim-Games, die ich über die Zeit mal so anspielte, eines der ganz wenigen, dass sich direkt und ohne endlose Gewöhnung auch mit dem Pad sehr solide spielen lässt. Habt ihr allerdings ein Lenkrad, dann freut euch über sehr präzises Force-Feedback, das genau auf den Punkt sitzt, deutlich besser als 2016. Was der Pad-Spieler allerdings beachten sollte: die maximalen Level in Richtung Sim lassen sich eher mit dem präziseren Lenkrad als dem Stick ausloten. Trotzdem, wer nichts gegen ein wenig Arcade in seinem F1 hat, sollte hier auch mit dem Pad glücklich werden.

Dem Dutzend Classic-Cars hätten ein oder zwei Classic-Strecken oder Classic-Reglements gut gestanden.

Guckt ihr euch den Spielumfang an, dann gibt es eigentlich nur eine Ecke zum Meckern und das ist die optionale: Der Classic-Modus beschränkt sich auf ein Dutzend Wagen von Ende der 80er bis Mitte der 2000er. Keine eigenen Strecken, keine klassichen Regelsysteme, nichts davon. Schade, aber wenigstens gibt sich F1 2017 sonst keine Blöße. Ihr habt all die möglichen Einzelrennen, natürlich die extrem umfangreiche Karriere und Mini-Meisterschaften mit kleinen Sonderregeln, wo zum Beispiel die Sieger-Reihenfolge dann die nächste Startaufstellung ist, nur umgedreht. Wer eben noch gewann, darf dann das Feld ganz von hinten aufrollen. Die erwähnten Trainings-Einheiten gibt es natürlich auch noch und dann ist da ja noch der Multiplayer. Vom Einzelrennen bis zum WM-Modus ist alles dabei, in Lobbys dürft ihr euch sortieren und auch gezielt nach freien Plätzen in Rennen suchen. Selbst mit einer eher mittelmäßigen Verbindung klappte das alles durchaus anständig, ohne lange Wartezeiten und im Großen und Ganzen reibungslos. Es gibt aber auch Berichte über Rennabbrüche, verschwundene Fahrer mitten im Rennen und ähnliche Dinge, aber mehr als ein oder zwei Mal wurde nicht Zeuge und nie ein Opfer solcher Vorkommnisse. Ein klein wenig gepatched darf also werden, gerne hier wie auch am Tearing.

F1 2017 belässt die Dinge auf der Piste weitestgehend, wie es sie aus 2016 vorfand und hält sich hier nur an die neuen Regeln der FIA. Warum auch nicht, 2016 fuhr sich schon hervorragend und eine leicht verfeinerte Version davon, die sich zwischen Arcade und Sim gefühlt nahtlos anpassen lässt, ist so ziemlich das Ideal dessen, was man mit dieser Lizenz anstellen kann. Vor allem, wenn Physik und Fahrgefühl so gut umgesetzt wurden. Die wichtigen Fortschritte finden neben der Piste statt und der stark ausgebaute Karriere-Modus, die umfangreiche Forschungs-Ecke, die zunächst unscheinbaren Trainingsarten, die euer Spiel so subtil wie nachhaltig beeinflussen, und die neuen Möglichkeiten in der Ausgestaltung eures Wagens sind das, wofür die Fans gern das Upgrade wagen dürfen und alle, die dem Zirkus schon lange abgeschworen hatten, sich auch mal wieder hinters Steuer setzen können. Persönlich bevorzuge ich die aktuelle Rally- und Dirt-Schiene von Codesmasters Quest nach Vierrad-Perfektion, aber das ist eben wirklich ein persönlicher Geschmack. F1 2017 ist sehr nah dran, diesen Level an Perfektion auch in diese Rennserie zu bringen. 2018 geht es dann auf das Siegertreppchen ganz nach oben. Also, F1 steigt dann vom Platz-2-Podest auf Platz 1. Wo jetzt keiner ist. Wann gab es eigentlich das letzte Mal einen F1-Konkurrenten?

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Martin Woger Avatar
Martin Woger: Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

In diesem artikel

F1 2017

PS4, Xbox One, PC

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