Fallout 4 VR - Test
Keine Hände, kein VR!
Da ist es nun, das dritte Spiel aus Bethesdas VR-Offensive. Unterm Strich muss man sagen: Gut, dass es sie gab - aber es ist in jedem dieser Spiele noch so viel Luft nach oben, dass ich mir wünsche, die jeweiligen Entwickler blieben weiter am Ball und holten in den kommenden Wochen und Monaten das Maximum aus der Technologie heraus. Die Ansätze sind da und gut: In seinen besten Momenten ist Fallout 4 VR genau das Spiel, das man sich nach der Ankündigung erhofft hatte. Ein großes, abendfüllendes Abenteuer in Virtual Reality auf Basis eines der eingängigsten und beliebtesten Spiele dieser Machart. Ein paar konzeptionelle und technische Schwächen drücken es aber empfindlich unterhalb seines Potenzials.
Über die Preispolitik, selbst Besitzern des ursprünglichen Releases den vollen Preis von 60 Euro abzuverlangen, will ich gar nicht lange zetern. Böse Zungen behaupten, dass das auch als Patch oder DLC machbar gewesen wäre und wenn man bedenkt, was die Moddingszene schon mit anderen herkömmlichen Spielen angestellt hat, sehe ich kaum valide Gegenargumente. Trotzdem weiß Bethesda selbst am besten, was sie hierfür haben müssen. Gerade auf einer Plattform, die eine vergleichsweise niedrige Verbreitung genießt wie die HTC Vive holt man die Herstellungskosten nicht von selbst wieder rein. Die Eintrittskarte wirkt dennoch happig für einen über zwei Jahre alten Titel, der in VR komplett ohne Erweiterungen verkauft wird und bei dem - zumindest nach allem, was man als Spieler sieht - wenig mehr angepasst wurde als die Darstellungsweise und die Steuerung.
Es hilft nicht, dass diese beiden Aspekte eher in die Rubrik "funktional" fallen. Gerade die Steuerung hat sehr mit dem Problem zu kämpfen, dass Fallout 4 VR nicht die Hände der Spielfigur abbildet, sondern HTC-Vive-Controller. Vermutlich wollte Bethesda, was die Art der Interaktion mit dieser Welt angeht, keine Missverständnisse aufkommen lassen. Anders als in anderen VR-Spielen von Job Simulator bis Lone Echo manipuliert ihr niemals direkt die Umgebung und die Objekte, die sie beherbergen.
Ihr seht einen Schrank, den ihr durchsuchen wollt? Zielt auf ihn, um ihn zu markieren, und drückt die Aktionstaste, damit ein Menü mit dessen Inhalten aufpoppt. Jedes native VR-Spiel ließe euch diese Aufgabe lösen, indem ihr die Hand nach dem Schubladengriff ausstreckt und ihn physisch herauszieht. Auf dem Tisch vor euch liegen drei Gegenstände? Anstatt danach zu greifen, zieht ihr grob den Vive-Controller drüber, bis das gewünschte Teil grün hervorgehoben wird, und klickt es an. Kleiner aber feiner Unterschied. Es wirkt fast, als würde man mit Maus spielen, nur eben in 3D. Dogmeat streicheln? Wie kommt ihr darauf? Immerhin: Was ihr in der "Hand" habt, darf dann auch in Echtzeit geschwungen werden, was vor allem das Zielen der Waffen ganz spaßig gestaltet. Doch an dieser Stelle lässt die Fallout-Physik den VR-Gedanken im Stich, weil alles wie festgenagelt ist, bis ihr es markiert und aufhebt.
Dieses wunderbare Slapstick-artige Chaos, das man durch Interaktion in VR für gewöhnlich erzeugt, ist hier nicht vorgesehen, und wenn nichts so richtig auf eure Anwesenheit reagiert, fragt ihr euch zwangsläufig nach einer Weile, ob ihr wirklich "hier" seid. Es ist vermutlich das größte Versäumnis, dass Fallout 4 VR nie so richtig in der Lage ist, euch in dieses postapokalyptische Ödland zu versetzen und damit die größte Chance dieses neuen Mediums nicht wirklich nutzt. Die Panoramen rollen sich endlich in der gebotenen Weite vor euch aus, Supermutanten überragen euch respektgebietend, aber ihr seid trotzdem immer eher Zuschauer als Besucher dieser Welt.
In den besten VR-Titeln verschmilzt man nicht nur mit seiner Spielfigur, man wird synonym und kongruent mit ihr, nimmt ihren Platz ein und wird auf diese Weise komplett in fremde Welten teleportiert. Fallout 4 VR feuert nur euren Kopf in die Bostoner Atomwüste und lässt es dabei bewenden. Ein weiterer Vorteil guten VRs, neben dem reizvollen Abtauchen in Welten, wie man sie noch nie sah, ist die Intuition mit der man alles macht. Man vollführt einfach die Bewegungen, die man in der echten Welt auch tun würde, ohne groß darüber nachzudenken. Das hier entspricht dagegen eher einem Maus und Tastatur-Interface, das zu Großteilen nur auf Vives Bewegungs-Controller umgeschrieben wurde und es bei Gestensteuerung fürs Zielen und das Aufrufen des Pip Boy bewenden ließ.
Nicht alles ist Bethesdas Schuld, denn die Hardware tut ihren Teil zu den Problemen dazu: Ein so menülastiges Spiel wie Fallout ist einfach keine gute Paarung mit den Touch-Feldern der Vive-Controller, der Pip Boy ist deshalb zwar vom Gedanken her nett umgesetzt, aber in Sachen Bedienung einfach unpraktisch und fummelig. Und zum Teleportieren durch die Welt sind sie zwar bestens geeignet, wer aber auf freies Umherlaufen besteht (bei dem per Vignetten-Effekt ein Teil des peripheren Sichtfelds ausgeblendet wird, um Motion Sickness auszuhebeln - nicht schön, aber effektiv), wird mit dem auf dem linken Touchpad emulierten Analogstick wenig Freude haben. Ein Xbox Controller wird leider nicht unterstützt.
Es wundert außerdem, dass Bethesda darauf verzichtete, jegliche Grafikeinstellungen zu integrieren. Alle maßgeblichen VR-Komfortoptionen existieren, aber das Spiel ist dermaßen Hardware-hungrig, dass ich selbst auf meiner Geforce GTX 1080 gerne das eine oder andere heruntergeschraubt hätte. In der ini-Datei geht das eine oder andere - vor allem lässt sich dort auch das wahnsinnig verschwommene Anti-Aliasing justieren. Ich bin kein Fan davon, das Ausbaldowern der Einstellungen in Optionsfiles den Hobby-Codern zu überlassen. Warum nicht gleich mit vernünftigem Menü? So oder so: auch nach längerer Auseinandersetzung blieb Fallout 4 in VR verschwommener und detailärmer als die normale Version, die wir vor zwei Jahren genossen.
Gut gelungen ist Bethesda die VR-Version der Kämpfe per angepasstem VATS-System, das ein Entwickler ganz treffend als eine Art "Quicksilver-Modus" beschrieb, wenn man nach Art des Marvel-Helden in Zeitlupe Kreise um seine Feinde tanzt. Das muss jeder selbst mit der Fiktion hinter dem Spiel vereinbaren, aber Spaß macht es in jedem Fall. Und natürlich gibt es auch hier immer wieder Augenblicke, in denen man eine Weile vergisst, wie viel umständlicher Fallout 4 VR sich im Vergleich zur normalen Ausgabe des Spiels anfühlt. Das passt eigentlich nicht zu VR, hier gelingt einem sonst eigentlich alles wie selbstverständlich. Aber vielleicht ist das auch nur ein Zeichen, das uns für derart komplexe Spiele in Virtual Reality noch nicht die richtigen Lösungsansätze eingefallen sind.
Und so muss wohl auch das letztendliche Urteil lauten: Hier drinnen steckt alles, was man an Fallout 4 schätzte. Es ist mit Leichtigkeit das umfangreichste und komplexeste Spiel, das diese Plattform kennt, und stellt einem eine schöne Welt hin, in der man diesmal auch unter die vergammelten Tische schauen darf. Aber es versteht bislang nicht ganz, sich auch wirklich alle Stärken des neuen Mediums zu eigen zu machen. Eine VR-Welt, in der man Dinge nicht ziehen, schieben und umwerfen darf, wird den Spieler niemals komplett absorbieren. Gewisse Dinge gelangen Bethesda gut: wenn das Spiel klickt, weil in den Kämpfen Gekröse und Augäpfel in einem roten Schleier in der Luft hängen oder man mal wieder in eine unentdeckte Ecke der Karte stapft, werden regelmäßig die Augen groß. Aber sobald man in diese Welt hineingreifen will, wirkt dieses VR wieder ein bisschen wie von gestern.
Bis hierhin macht es den Eindruck einer Mod. Einer ambitionierten Mod, deren weiteren Werdegang ich gespannt verfolgen werde. Hierauf lässt sich aufbauen. Nur im Jetzt, out-of-the-box gewissermaßen, spiele ich lieber das normale Fallout 4 zu Ende oder steige in VR-Welten ein, die sich nicht so kontaktscheu geben wie die von Fallout 4 VR.
Entwickler/Publisher: Bethesda - Erscheint für: PC, HTC VIVE - Preis: 60 Euro - Erscheint am: Erhältlich - Sprache: Deutsch - Mikrotransaktionen: Nein