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Monster Hunter: World - Test

Tyrannosaurus - jetzt!

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Behutsam gestraffte und moderne Interpretation des zeitlosen Monster-Hunter-Konzepts vor bildgewaltiger Kulisse.

Die Monster Hunter definierende Schnörkellosigkeit zeigt sich seit jeher am prägnantesten im herrlich unprätentiösen Titel. Wer die Entwickler hierhinter mutwillig missverstehen will, kann den generisch bis belanglos anmutenden Namen als kreative Bankrotterklärung auffassen - es wäre dieselbe Art vorschneller Urteile, die Capcoms Underdog schon häufig als maulfaules Grindfest abstempelte. In ihrer Meinungsbildung weniger übereifrige Naturen sehen im zugegebenermaßen nüchternen Namen hingegen eher einen Ausdruck des freimütigen Selbstverständnisses einer Reihe, die noch nie sonderlich viel für flotte Sprüche und schnelllebige Trends übrig hatte.

Vor diesem Hintergrund ist das aktuelle "World"-Anhängsel die konsequente Fortführung dieser Philosophie. Neben den seit Jahren allerorten aus den Boden sprießenden Open-World-Trittbrettfahrern ist der Begriff längst zur bedeutungsleeren Phrase verkommen, eine Worthülse wie gemacht für ein Spieleregal voller "Origins" und "Revelations". Auch diesmal steckt hinter dem wenig ausgefallenen Titel aber mehr, als man vielleicht initial vermuten würde: die Definition dessen nämlich, was Monster Hunter: World im Kern ausmacht.

Von all den überfälligen, für eine Serie des Müßiggangs regelrecht umstürzlerischen Änderungen an einem zuletzt weitestgehend unangetasteten Spielkonzept ist die Art und Weise, mit der Capcom diese eigentümliche Welt inszeniert und erlebbar macht, die wohl größte. Nicht, dass die Präsentation eines in sich glaubhaften Ökosystem mitsamt prähistorisch angehauchter Bewohner nie eine zentrale Rolle während der Entwicklung eingenommen hätte. Doch waren die Möglichkeiten auf den bislang gewählten Plattformen, deren asthmatische Hardware jedes Aldi-Smartphone als technisches Hexenwerk erscheinen lassen, eben arg begrenzt. "Schon immer wollten wir eine lebendige und atmende Welt kreieren, bei der man wirklich das Gefühl hat, ein Teil von ihr zu sein", skizzierte Game-Director Yuya Tokuda dieses Problem im Eurogamer-Interview vor wenigen Wochen. "Darin waren wir allerdings längst nicht so geübt wie im Erzeugen spannender Action, daher hat uns diese Aufgabe vor besondere Schwierigkeiten gestellt."

Magische Szenen wie diese gibt es viele. Ihr seid allerdings gut damit beraten, sie zum Schärfen eurer Waffe oder zum Einwerfen eines Trankes zu nutzen. Unmittelbar nach seinem Hüpfer hält das Vieh nämlich voll auf euch zu.

Die Mühen haben sich gelohnt, Entwarnung an dieser Stelle. Tokuda und sein Team haben verschiedene Umgebungen zu einem engmaschig miteinander verwobenen Universum verflochten, einem Netzwerk des Lebens. Jedes Areal ist sein eigenes Biotop, dessen innere Logik stets plausibel wie konsequent befolgt wird, so faszinierend-fremdartig sie auch sein mögen. In den Himmel ragende Korallendschungel, knochige Dinosaurierfriedhöfe und verzweigte Höhlenformationen unter den hitzeflirrenden Dünen der Savanne - in Pixel gegossener Eskapismus, ästhetisch nur noch von seinen mannigfaltigen Bewohnern in den Schatten gestellt.

Zwei bis drei Dutzend der bildschirmfüllenden Bestien streifen, fliegen und krauchen durch die Gegend, jede davon mit ihr eigenen Manierismen und Verhaltensmustern, die ihr genauestens studieren solltet, wollt ihr nicht als Dino-Zahnstocher enden. Wenn ihr bereits mehr als anderthalb Trailer gesehen habt, kennt ihr bereits zu viele dieser individuellen Giganten, und ich werde mich hüten, euch auch nur um ein weiteres Kennenlernen zu berauben. Jedes erste Aufeinandertreffen ist ein kleines Highlight, sowohl bei völlig neuen als auch aus früheren Teilen bekannten Kreaturen, die sich einige neue Manöver angeeignet haben.

Im buchstäblichen Schatten dieser Riesen verschwinden nur allzu leicht die kleineren, unscheinbaren Lebewesen. Die eigentlich harmlosen Pflanzenfresser etwa, für die ihr zum roten Tuch werdet, sobald ihr euch eines ihrer Eier greift. Oder überall umherschwirrende Blitzkäfer, die grelle Lichtblitze verschießen und selbst den größten Feind für einen entscheidenden Augenblick benommen umherirren lassen. Erst wer den praktischen Nutzen hinter kleinen Details wie diesen erkennt, beginnt damit, sich die Welt wirklich zu eigen zu machen.

Der Untergrund, auf dem ihr euch hier gegen den imposanten Nergigante zur Wehr setzt, ist übrigens ebenfalls ein Monster - eines, das selbst mit einem Shadow-of-the-Colossus-Titanen den Boden aufwischen würde.

Der offensichtliche Vorteil, die nicht länger instanzierten Bereiche einer Karte aus dem Effeff zu kennen, liegt auf der Hand: Ihr grast zielgerichtet die wichtigsten Punkte nach besonders hochwertigen Materialien ab, aus denen ihr neue Rüstungen und Waffen schmiedet. Ihr könnt euch aber ebenso schnell aus Kräutern ein Gegengift zusammenbrauen, wenn das Toxin eines Monsters an eurer Gesundheit nagt. All das wissen und nutzen erfahrene Jäger seit den nunmehr 14 Jahren, die seit der Geburtsstunde dieser Reihe auf der damals bereits betagten PlayStation 2 vergangen sind. Monster Hunter verstand seine Welt schon immer als zentrales Spielelement, wie gesagt, doch World erweitert deren Funktionen nun nochmals um ein Vielfaches.

Kippt ihr schon fast aus den Latschen, verschafft euch eine gezielt verursachte Stampede eine willkommene Fluchtgelegenheit. Ebenso könnt ihr einen vor Wut schnaufenden Drachen dazu animieren, Hals über Kopf in einen Staudamm zu brettern - nur um mit einem breiten Grinsen anzusehen, wie der mächtige Wyvern vom reißenden Strom hinfortgerissen wird. Die meisten dieser Möglichkeiten sind den jeweiligen Leven inhärent und ergeben sich organisch aus deren Architektur heraus, ganz ohne blinkenden "Hier X drücken!"-Hinweismarker.

Die Spähkäfer sind ein notwendiges Übel, ein naturgegebener Richtungsweiser quasi, der euch selbst aber gelegentlich zum passiven Touristen degradiert.

Völlig ohne Navigationssystem schickt euch Capcom dann aber doch nicht hinaus in die wilde, weite und verzweigte Welt. Grün schimmernde Spähkäfer sollen auf subtile Weise erledigen, wofür ihr in vergleichbaren Spielen auf neonfarbene HUD-Elemente statt die eigentliche Spielwelt starrt. Sie sirren schwarmweise zu Fußspuren von Monstern und ähnlichen Hinweisen, die euch besser nicht entgehen sollten. Es ist eine elegante Mechanik zum Umschiffen aufgesetzter Richtungspfeile und doch eine Spur zu gut gemeint, weil sie euch gleich jegliches Fährtenlesen abnimmt. In ihrer dichten Beschaffenheit wäre die Welt von Monster Hunter prädestiniert dafür, euch anhand unscheinbarer Details wie umgeknickter Pflanzen, noch warmer Tierkadaver und derlei zum nächsten Monster zu führen. Ihr wisst schon, ganz im Stile eines, nun, Jägers? Stattdessen folgt ihr mechanisch der fluoreszierenden Spur eurer Spürkäfer, mit dem Gedanken längst beim nächsten Kampf als der Herausforderung, es überhaupt dorthin zu schaffen.

Sollten einige von euch bereits nervös mit den Füßen scharren und sich fragen, warum keines der bislang gut 800 Worte den im Vorfeld eifrig diskutierten Anpassungen galt, mit denen Capcom die traditionell turmhohen Monster-Hunter-Einstiegshürden auf Kniehöhe herunterstutzen möchte: weil sie weitaus weniger gravierend ausfallen, als zu befürchten stand. Das Wechseln der Ausrüstung während einer Quest und die damit verbundene Flexibilität ist noch der größte Kompromiss, zu dem man sich im japanischen Osaka durchgerungen hat.

Was gibt es an diesem Bild nicht zu lieben?

World kommt blutigen Anfängern auf andere Weise ein paar entscheidende Schritte entgegen, bekommt etwa endlich die Zähne auseinander und bietet knappe, aber hilfreiche Tutorials, wo euch früher lediglich gähnende Leere und die Erkenntnis erwartete, es vielleicht doch mal mit einem Wiki zu versuchen. Ihr könnt in einem spielinternen, sukzessive erweiterbaren Monsterlexikon blättern, die 14 völlig unterschiedlichen Waffen (an deren Handhabung sich lediglich Nuancen verändert haben) im Trainingshort auf deren Tauglichkeit abklopfen und euch durch ungleich sinnvoller strukturierte Menüs als je zuvor klicken. Langweiliges Zeug, keine Frage, aber exakt die minimal invasiven "Quality of Life"-Verbesserung, mit denen Capcom den Spagat aus erhöhter Zugänglichkeit bei gleichbleibend hohem Anspruch schaffen wollte.

Ob erfolgreich oder nicht, wird die Community irgendwann nach zig Spielstunden und hitzigen Debatten entscheiden. Bislang jedoch scheint der Plan aufzugehen, wenn ich einen Kollegen und Mitspieler als Maßstab heranziehe, dessen einzige Monster-Hunter-Erfahrungen sich bislang auf mein penetrantes "Wann spielst du das endlich mal?!"-Nachfragen beschränkten. Innerhalb einer Handvoll Stunden hat er sich raufgeschaufelt, wofür ich mehrere vergebliche Anläufe und mindestens die fünffache Spielzeit benötigte.

Ab dieser Zeitmarke nahm er längst höherrangige Quests entgegen und wechselte dabei munter zwischen Solo- und gemeinschaftlichen Online-Jagden - eine Unterscheidung, die das Spiel selbst viel weniger genau nimmt. Es gibt keine Entweder-oder-Aufgaben mehr, stattdessen ein kernsaniertes Online-System, das euch während jeder Mission auf Tastendruck ein paar hilfsbereite Mitspieler zur Seite stellt. Selten standen die Chancen besser, dass sich unter ihnen mehr Neueinsteiger befinden.

Ein eisspeiender Drache kämpft in einer Korallenlandschaft gegen eine fledermausartige Echse, die ihren Federkragen wie einen Ballon aufblasen kann. Oder wie man in Monster Hunter sagt: Dienstag.

Obwohl um die Hüfte herum etwas weniger speckig, ist das hier doch immer noch das unverkennbar ikonische Monster-Hunter-Profil. World hat dem ansetzenden Wohlstandsbäuchlein seiner Reihe erfolgreich den Kampf angesagt, überflüssige Kilos wegtrainiert und dafür an sinnvollen Stellen zugelegt. Mit Ansage stampfte Capcom hier die "dichteste, lebendigste und detaillierteste" aller Monster-Hunter-Welten aus dem Boden, ein ungeheuer facettenreiches Universum, das in seiner Vielfalt nahezu einzigartig ist.

In der Retrospektive scheint die Skepsis ob einer drohenden "Verwestlichung" der Reihe regelrecht absurd. Monster Hunter: World fühlt sich vollends der Traditionen seiner Serie verpflichtet - so sehr sogar, dass es bisherige Skeptiker kaum wird umstimmen können. Es hat sich hübsch rausgeputzt und macht euch den Einstieg nicht mehr schwerer, als er unbedingt sein muss. Darüber hinaus bleibt es sich und seinem Looten-und-Monsterlegen-Konzept absolut treu. Genau so, wie es sein sollte.

Entwickler/Publisher: Capcom - Erscheint für: PlayStation 4, Xbox One, PC - Preis: etwa 60 Euro - Erscheint am: 26. Januar (PC: Herbst) - Getestete Version: PS4 - Sprache: Deutsch, Englisch, Japanisch und andere - Mikrotransaktionen: Nein

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Gregor Thomanek Avatar
Gregor Thomanek: Trinkt gern Kaffee und liebt Videospiele, im Idealfall beides auf einmal. Ist für alles zu haben, was aus Japan kommt. Hat nie Herr der Ringe gesehen und findet, das sollte auch so bleiben. Gründet irgendwann einen Ryan-Gosling-Fanclub. Hat seine Katze "Yoshi" genannt, bereut nichts. Konsolenkind.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

In diesem artikel

Monster Hunter: World

PS4, Xbox One, PC

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